Entscheidungen in Leitsätzen
UWG § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3 a, § 5 a; HWG § 9; BGB § 630a
1. Eine Werbung für eine ärztliche Behandlung allein gestutzt auf eine Anwendung von Online-Fragebogen entspricht nicht den allgemein anerkannten fachlichen Standards im Sinne von § 630 a BGB und ist daher nach § 9 HWG unzulässig.
2. Eine stillschweigende Vereinbarung über eine Standardunterschreitung nach § 630 a Abs. 2 BGB kommt bei der bloßen Annahme eines Onlinebehandlungsangebotes durch den Patienten nicht in Betracht.
3. Der Sitz des Telemedizinanbieters (bzw. dessen Ärzten) im Ausland ist eine wesentliche Information im Sinne von § 5a UWG und muss dem Verbraucher bereits auf der Startseite mitgeteilt werden. Die Information in den FAQ genügt nicht.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Werbung für eine fernärztliche Behandlung sowie verpflichtende Angaben im Rahmen der Werbung.
Die Klägerinnen sind die Berufsvertretungen der Apotheker in den Bezirken A und B. Die Beklagte ist eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke. Sie betreibt auf ihrer Internetseite unter anderem einen Online-Shop, in dem Verbraucher nach Einreichung eines entsprechenden Rezeptes auch verschreibungspflichtige Medikamente bestellen können.
Auf ihrer Internetseite wirbt die Beklagte wie aus dem Antrag ersichtlich für das „Online-Portal C“ (im Folgenden „C“), mit dem sie eine Kooperation eingegangen ist. C wurde zum Zeitpunkt der beanstandeten Werbung von einer in England ansässigen Gesellschaft, der D Ltd., betrieben. Mittlerweile sind die Ärzte für C über eine Tochtergesellschaft (D Medical Limited) aus Irland tätig. Der Hauptsitz von C liegt weiterhin in Großbritannien.
Auf C haben Verbraucher die Möglichkeit, eine Indikation zu wählen und nach Beantwortung eines Online-Fragebogens und anschließender Auswertung durch die Ärzte von C ein sogenanntes Privatrezept ausgestellt zu erhalten. Mit diesem Rezept können die Verbraucher auf der Internetseite im Online-Shop der Beklagten das im Rezept genannte Medikament erwerben.
Die Beklagte gibt in ihren FAQ auf der Internetseite ferner an, dass ein pharmazeutisches Team vom Verbraucher eingereichte Rezepte prüfe. Bezüglich der näheren Gestaltung der Plattform C und der Internetseite der Beklagten, den FAQ und des Online-Fragebogens wird ergänzend auf die Anlagen K2 bis K7 verwiesen.
Die Klägerinnen mahnten die Beklagte mit Schreiben vom 02.12.2020 wegen der im Rahmen des Berufungsverfahrens gegenständlichen und weiteren Wettbewerbsverletzungen erfolglos ab.
Die Klägerinnen sind der Auffassung gewesen, dass die Fernbehandlung nicht ausschließlich mit Kommunikationsmedien durchgeführt werde. Die Online-Fragebögen seien gerade kein Kommunikationsmedium. Ein solches Vorgehen entspreche auch nicht allgemeinen medizinischen Standards, die für eine Fernbehandlung erforderlich seien.
Zudem führe die Beklagte Verbraucher in die Irre, wenn sie nicht darauf hinweise, dass C aus Großbritannien heraus betrieben werde. Verbraucher würden annehmen, dass es sich um eine deutsche Plattform handele und deutsche Standards Anwendung fänden.
Nach einem Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen ihre Anträge modifiziert.
Die Klägerinnen haben – nach Anpassung ihrer Anträge – beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, ab sofort zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen
1.1 einer Plattform, auf der ärztliche Dienstleistungen für Patienten in Deutschland angeboten werden, Patienten zuzuführen, wenn dies erfolgt, wie nachfolgend eingeblendet:
15
1.2 für eine medizinische Fernbehandlung zu werben oder werben zu lassen, sofern sich die Fernbehandlung im Ausfüllen eines Fragebogens erschöpft, wie unter Anlage K5 und K7 eingeblendet;
1.3 hilfsweise für eine medizinische Dienstleistung zu werben, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass derartige telemedizinische Dienstleistungen nicht in allen Fällen, sondern nur in den Fällen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem behandelten Menschen nicht erforderlich ist, vorgenommen werden können;
1.4 für einen Service für Online-Rezepte zu werben auf der Plattform C ohne darauf hinzuweisen, dass die gesetzlich Versicherten in jedem Fall die Kosten der verschriebenen Arzneimittel selbst zu tragen haben, wenn dies geschieht wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.5 mit der Aussage „E kann Ihr verschreibungspflichtiges Arzneimittel an Sie liefern – versandkostenfrei“ zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass bestimmte Gruppen von Arzneimitteln aus rechtlichen Gründen nicht geliefert oder versendet werden können, wenn dies geschieht, wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.6 auf die Frage „Welche Vorteile habe ich, wenn mein Rezept von C an E übermittelt wird“ wie nachfolgend eingeblendet zu antworten „Als Kunde von E können Sie sich auf die bekannten Vorteile verlassen. Unser pharmazeutisches Team prüft wie gewohnt Ihr Rezept und liefert Ihre Medikamente sicher und bequem an Ihre Wunschadresse. Unser Tipp: Bestellen Sie gleich freiverkäufliche Produkte mit, so liefern wir Ihnen auch diese ohne Versandkosten“ wenn dies geschieht wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.7 für telemedizinische Dienstleistungen, wie nachfolgend eingeblendet zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass die Anbieter der telemedizinischen Dienstleistungen ihren Sitz nicht in Deutschland haben
2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen 4.313,51 € nebst 5-Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass die Nutzung eines Online-Fragebogens nicht zu beanstanden sei. Zwar sei der Begriff der Kommunikationsmedien im Heilmittelwerberecht nicht näher definiert. Ein Online-Fragebogen entspräche diesem jedoch. Denn mit dessen Hilfe könnten fachliche Standards eingehalten werden. Im Übrigen sei die Nutzung von Online-Fragebögen als Mittel der Behandlung am Sitz der von der Plattform beschäftigten Ärzte anerkannt.
Zudem ist die Beklagte der Meinung gewesen, dass sie darauf hinweise, dass C europaweit tätig sei. In ihren FAQ weise sie darauf hin, dass C in F reguliert werde. Es handele sich außerdem um keine wesentliche Information.
Das Landgericht hat den Unterlassungsanträgen größtenteils, mit Ausnahme des Antrages 1.5, stattgegeben. Auch den weiteren Anträgen hat das Landgericht stattgegeben, dem Antrag auf Zahlung von Abmahnkosten allerdings lediglich in Höhe von 3.660,80 € nebst Zinsen.
Gegen das Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich die Beklagte, hinsichtlich des Tenors zu den Ziffern I 2 und I 5, mit ihrer Berufung. Im Übrigen ist das Urteil rechtskräftig und daher nicht Gegenstand der Berufung.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts verstoße die angegriffene Darstellung nicht gegen § 9 S. 1 HWG. Das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass der in Deutschland geltende Standard auch für Fernarztdienstleistungsunternehmen (wie C) mit Sitz im Ausland gelte. Demnach komme es auch nicht darauf an, ob die von C angebotenen telemedizinischen Dienstleistungen zu den einzelnen beworbenen Indikationen dem deutschen medizinischen Standard entsprechen.
Jedenfalls seien die vom Landgericht dazu angestellten Anforderungen an die Einhaltung des deutschen medizinischen Standards weder mit dem Wortlaut von § 9 S. 2 HWG noch mit dem Sinn und Zweck dieser Regelung in Einklang zu bringen und somit rechtlich überspannt worden.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts stelle das Ausfüllen eines medizinischen Online-Fragebogens durch die Patienten und die anschließende Auswertung durch einen bei C angestellten Arzt ein zulässiges Kommunikationsmedium i.S.v. § 9 S. 2 HWG dar. Jedenfalls könne eine stillschweigende Standardunterschreitung nach § 630 a Abs. 2 BGB zwischen C und den Parteien als vereinbart angenommen werden.
Das Landgericht habe fehlerhaft angenommen, dass die Berufungsklägerin nicht hinreichend auf den Sitz von C im Ausland hingewiesen habe und sie somit wettbewerbswidrig nach § 5 a UWG eine wesentliche Information für den Kunden verschwiegen habe. Dem entgegen habe die Berufungsklägerin in ihren FAQ den Sitz von C auf ihrer Hauptseite zum „Online-Arzt“ ausreichend und hinreichend verständlich dargestellt. Eine Irreführung des Verbrauchers zum Behandlungsstandard von C sei dadurch ausgeschlossen, dass in den FAQ unter der Frage: „Wie wird die Qualität der medizinischen Leistungen von C sichergestellt?“ konkret über den englischen Behandlungsstandard aufgeklärt werde.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.10.2021 (Az.: 31 O 20/21) im Hinblick auf die Ziffern 2 und 5 des Tenors aufzuheben und die Klage der Klägerinnen vom 04.02.2021 im Hinblick auf die Ziffern 1.2, 1.3, und 1.7 des Klageantrages abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die von den Klägerinnen geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung sind begründet, weil die Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG unzulässig ist (dazu II 1). Da die Beklagte den Sitz der C nicht hinreichend mitteilt, liegt auch ein Verstoß gegen § 5a UWG vor (dazu II 2).
1. Mit Recht und mit zutreffender Begründung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte mit der Werbung für eine Fernbehandlung gegen § 9 HWG verstoßen hat, ohne dass die Werbung nach der Ausnahmevorschrift des § 9 S. 2 HWG zulässig wäre, sodass ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 9 HWG besteht.
a) Die Klägerinnen sind gemäß §§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert, was auch die Beklagte nicht angreift.
b) Die Werbung der Beklagten stellt eine geschäftliche Handlung dar und die Vorschrift des § 9 HWG ist eine Marktverhaltensregelung (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2021 – I ZR 146/20, GRUR 2022, 399 Rdnr. 20 – Werbung für Fernbehandlung).
c) Die Werbung der Beklagten für die medizinische Fernbehandlung durch Ausfüllen eines Online-Fragebogens auf C verstößt gegen § 9 S. 1 HWG.
aa) Mit Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht angenommen, dass eine Werbung für eine Fernbehandlung im Sinne des § 9 S. 1 HWG vorliegt.
Gemäß § 9 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung), unzulässig.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Denn die Werbung der Beklagten umfasst das an deutsche Verbraucher gerichtete Angebot, sich nach Einreichen eines Online-Fragebogens Therapieempfehlungen, insbesondere Rezepte ausstellen zu lassen, um so eine Therapieempfehlung zur Behandlung von Krankheiten oder Leiden zu erhalten.
Eine persönliche Wahrnehmung des Patienten durch den behandelnden Arzt erfolgt nicht, weil eine solche nur dann vorliegt, wenn die bei gleichzeitiger physischer Präsenz von Arzt und Patient in einem Raum möglichen ärztlichen Untersuchungsmethoden angewandt werden können (vgl. BGH, GRUR 2022, 399 Rdnr. 29 – Werbung für Fernbehandlung). Dies ist unstreitig bei Einreichung eines Online-Fragebogens nicht der Fall. Hiervon geht auch die Beklagte aus.
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten greift der Ausnahmetatbestand von § 9 S. 2 HWG nicht ein, weil die Anwendung eines Online-Fragebogens, ohne dass ein weiterer Kontakt zwischen Arzt und Patient vorgesehen ist, nicht den anerkannten fachlichen Standards in Deutschland entspricht.
1 Der deutsche anerkannte fachliche Standard gemäß § 9 S. 2 HWG gilt auch für Fernarztdienstleistungsunternehmen mit Sitz im Ausland.
Der Anwendung des § 9 HWG steht kein zwingendes Unionsrecht entgegen (vgl. BGH, GRUR 2022, 399 Rdnr. 30 ff. – Werbung für Fernbehandlung). Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der vom BGH dargelegten Grundsätze schon daraus, dass die Werbung sich nicht allein auf die Bewerbung von Arzneimitteln bezieht. Insgesamt wird die Behandlung von zahlreichen Indikationen beworben.
Soweit die Beklagte ausführlich darlegt, dass die Fernbehandlung europarechtlich zulässig sei, führt dies – die Zulässigkeit der Fernbehandlung an sich unterstellt – ebenfalls nicht zu einer Ausnahme vom Werbeverbot des § 9 S. 1 HWG. Denn die Vorschrift des § 9 HWG ist nicht einschränkend dahin auszulegen, dass eine berufsrechtlich zulässige Fernbehandlung generell nicht dem Werbeverbot dieser Bestimmung unterfällt (vgl. BGH, GRUR 2022, 399 Rdnr. 37 ff. – Werbeverbot für Fernbehandlungen). Zu dieser Frage hat der BGH (aaO) folgendes ausgeführt:
1 Das Berufungsgericht hat angenommen, es komme nicht auf die zwischen den Parteien streitige Frage an, ob sich die Tätigkeit der ausländischen Ärzte nach den – inhaltlich nicht einheitlich gefassten – Berufsordnungen der Landesärztekammern in Deutschland oder nach dem Recht des Landes richte, in dem die behandelnden Ärzte ansässig seien. Das Werbeverbot gemäß § 9 HWG aF sei nicht akzessorisch in dem Sinne, dass es die berufsrechtliche Unzulässigkeit der beworbenen Behandlung voraussetze. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
2 Für die Auslegung des Berufungsgerichts spricht bereits der eindeutige Gesetzeswortlaut. § 9 HWG aF regelt allein das Verbot der Werbung für eine Fernbehandlung. Die Unzulässigkeit der Fernbehandlung selbst wird mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn zur Voraussetzung für das Werbeverbot gemacht.
3 Gegen eine Abhängigkeit des Werbeverbots von der berufsrechtlichen Unzulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung spricht zudem der Sinn und Zweck des § 9 HWG aF, so dass eine teleologische Reduktion seines Anwendungsbereichs durch ein ungeschriebenes Merkmal der berufsrechtlichen Unzulässigkeit der Fernbehandlung nicht in Betracht kommt.
Das Werbeverbot im Sinne von § 9 HWG aF zielt auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit und individueller Gesundheitsinteressen (Bülow/Ring aaO § 9 Rdnr. 1). Es beruht auf dem Gedanken, dass die Fernbehandlung ein besonderes Gefahrenpotential für die Gesundheit birgt und es sich bei der Fernbehandlung um eine verkürzte und damit grundsätzlich bedenkliche Behandlungsform handelt, für die werbliche Anreize umfassend ausgeschlossen werden sollen (Braun, MedR 2018, 563, 565 mwN). Es soll verhindert werden, dass einer nicht auf persönlicher Inaugenscheinnahme und Untersuchung des Patienten durch den Arzt beruhenden Fernbehandlung durch Werbung Vorschub geleistet wird (Zimmermann in Fuhrmann/Klein/Fleischfresser aaO § 28 Rdnr. 100). Damit ist das in der Fernbehandlung selbst liegende Gefahrenpotential zwar Anlass, nicht aber Voraussetzung für das Werbeverbot gemäß § 9 HWG. Die Vorschrift formuliert vielmehr einen abstrakten Gefährdungstatbestand (KG, GRUR-RS 2019, 40959 Rdnr. 16 f.; Pfohl in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Mai 2021, § 9 HWG Rdnr. 1; Bülow/Ring aaO § 9 HWG Rdnr. 1; Braun, MedR 2018, 563, 565 mwN). Das Werbeverbot dient dem Gesundheitsschutz unabhängig von der berufsrechtlichen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung, weil die Werbung für sich genommen eine Gesundheitsgefahr begründen kann. So kann eine Werbung für eine Fernbehandlung auch oder gerade dann die Gesundheitsbelange eines Kranken beeinträchtigen, wenn die beworbene Fernbehandlung tatsächlich nicht oder von einer Person durchgeführt wird, die – wie unseriöse Anbieter oder Scharlatane – nicht an berufsrechtliche Regelungen gebunden sind. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass sich ein Kranker aufgrund der Werbung zunächst an jemanden wendet, der ihm vermeintlich eine Fernbehandlung anbietet, wodurch möglicherweise wertvolle Zeit verloren wird (vgl. Doepner/Reese in BeckOK.HWG aaO § 9 Rdnr. 30 mwN; KG, GRUR-RS 2019, 40959 Rdnr. 17). Das Werbeverbot trägt damit der Erkenntnis Rechnung, dass sich gerade die Anonymität einer Fernbehandlung für die Tätigkeit nicht seriös arbeitender „Heilkundiger“ anbietet (Gröning in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 9 HWG Rdnr. 3 mwN).
Ein solches Ergebnis wäre auch mit dem allgemeinen Zweck des Heilmittelwerbegesetzes nicht vereinbar. Durch die darin geregelten Werbeverbote will der Gesetzgeber in erster Linie Gefahren begegnen, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Medikation unabhängig davon drohen, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten. Darüber hinaus soll verhindert werden, dass Kranke und besonders ältere Menschen zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch und bei der Verwendung anderer Mittel zur Beseitigung von Krankheiten oder Körperschäden verleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2011 – I ZR 96/10, GRUR 2012, 647 Rdnr. 40 = WRP 2012, 705 – INJECTIO). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn durch ein ungeschriebenes Merkmal der berufsrechtlichen Unzulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung gerade die besonders gesundheitsgefährdende Werbung durch berufsrechtlich nicht reglementierte Personen außerhalb der freiberuflich tätigen Ärzteschaft privilegiert würde (zur Bedeutung des Werbeverbots gemäß § 9 HWG für diese Fälle vgl. Doepner/Reese in BeckOK.HWG aaO § 9 Rdnr. 5 f.).
4 Das Berufungsgericht hat zudem mit Recht eine Akzessorietät des in § 9 HWG aF geregelten Werbeverbots zur berufsrechtlichen Unzulässigkeit aus systematischen Gründen verneint. Dem Heilmittelwerbegesetz ist – wie der Blick auf das Verbot der Werbung mit Anwendungsgebieten für homöopathische Arzneimittel gemäß § 5 HWG zeigt – die Fassung eines Werbeverbots als abstrakter Gefährdungstatbestand nicht fremd, um das Ziel eines umfassenden Gesundheitsschutzes zu erreichen (vgl. BGH, GRUR 2012, 647 Rdnr. 40 – INJECTIO).
5 Das Berufungsgericht hat angenommen, eine einschränkende Auslegung des Werbeverbots sei ferner nicht zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Grundrechte des Werbenden gemäß Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG geboten. Diese Beurteilung lässt angesichts der Bedeutung der bereits dargestellten Gesundheitsgefahren, die mit dem abstrakten Werbeverbot gemäß § 9 HWG aF verhindert werden sollen, keinen Rechtsfehler erkennen (zum abstrakten Gefährdungstatbestand des § 5 HWG vgl. BGH, GRUR 2012, 647 Rdnr. 40 – INJECTIO). Beim Schutz der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, das auch empfindliche Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. BVerfGE 78, 179 [juris Rdnr. 38]; BVerfGE 85, 248 [juris Rdnr. 60] mwN; BVerfG, NJW 2000, 2736 [juris Rdnr. 13]). Der Gesundheitsschutz wiegt auch dann schwerer, wenn man berücksichtigt, dass von dem im Streitfall die beklagte Holdinggesellschaft treffenden Werbeverbot mittelbar auch die eine Fernbehandlung durchführenden Ärzte in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffen sind. Ob eine solche mittelbare Betroffenheit im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung eines Werbeverbots überhaupt abwägungsrelevant sein kann, kann deshalb auf sich beruhen. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Beklagte ohnehin nicht für eine Fernbehandlung durch unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallende deutsche Ärzte wirbt, sondern die beworbene Fernbehandlung durch in der Schweiz ansässige Ärzte nach den dort geltenden Bestimmungen erbracht werden soll.
6 Auch die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 und 56 Abs. 1 AEUV gebieten keine einschränkende Auslegung des Werbeverbots gemäß § 9 HWG. Die Revision macht insoweit geltend, eine extensive Auslegung von § 9 HWG schränke in unzulässiger Weise den freien Dienstleistungsverkehr der im Ausland ansässigen Ärzte ein. Gegenstand der konkreten Verletzungsform ist die Werbung eines deutschen Unternehmens für eine Fernbehandlung durch in der Schweiz ansässige Ärzte, so dass die Anwendung unionsrechtlicher Grundfreiheiten nicht in Betracht kommt. Aus demselben Grund liegt auch kein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 TMG vor. Streitgegenständlich ist zudem die Bewerbung von Fernbehandlungen durch ein in Deutschland ansässiges Unternehmen und nicht die Werbung von in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Ärzten für ihre Dienstleistung.
7 Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Revision erwähnten Art. 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. L 114 vom 30. April 2002, Seite 6 ff.). Ob die in der Schweiz ansässigen und dort auch tätigen Ärzte, deren Dienstleistung Gegenstand der angegriffenen Werbung ist, in dem durch Art. 5 Abs. 1 des Abkommens geregelten Recht auf Erbringung einer Dienstleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates und in den insoweit in den Absätzen 2 bis 4 geregelten Rechten auf Einreise und Aufenthalt betroffen sind, bedarf keiner Prüfung. Wie dargelegt, steht vorliegend die Zulässigkeit der Werbung eines deutschen Unternehmens in Deutschland in Rede. Aber selbst, wenn man zu Gunsten der Beklagten eine mittelbare Betroffenheit der in der Schweiz ansässigen und dort die beworbene Fernbehandlung erbringenden Ärzte berücksichtigen wollte, läge kein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach dem Abkommen vor, weil § 9 HWG unterschiedslos für reine Inlandssachverhalte gilt und daher die durch Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang I Art. 19 des Abkommens geforderte Gleichbehandlung wahrt.
Diesen Erwägungen folgt der Senat. Die Ausführungen sind auch für den vorliegenden Fall anwendbar. Entgegen den Ausführungen der Beklagten betraf die Entscheidung des BGH einen vergleichbaren Sachverhalt. Soweit der Werbende in der Entscheidung des BGH seinen Sitz in Deutschland hatte, während die hiesige Beklagte in den Niederlanden sitzt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, weil § 9 HWG unterschiedslos für reine Inlandssachverhalte gilt und daher die geforderte Gleichbehandlung wahrt.
Dem steht auch nicht der Erwägungsgrund 19 i.V.m. Art. 1 und 3 lit. d) der Richtlinie 2011/24/EU, § 2 Abs. 7 MBO-Ä oder Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG entgegen. Der Erwägungsgrund 19 i.V.m. Art. 1 und 3 lit. d) der Richtlinie 2011/24/EU findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Dieser bezieht sich auf die Fernbehandlung als solche und nicht auf die Zulässigkeit der Werbung für Fernbehandlungen, die – wie der BGH ausführlich dargelegt hat – teilweise andere und weitergehende Ziele verfolgt.
Auch § 2 Abs. 7 MBO-Ä beschreibt nur die Pflicht zur Beachtung der Berufsordnung durch die Ärzte, die grenzüberschreitend tätig werden. Die Norm trifft keine Aussage über die Anwendbarkeit des deutschen Standards bei der Werbung für Fernbehandlungen.
Auch Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Auch diese Vorschrift enthält keine Aussagen über die Zulässigkeit von Werbung für Fernbehandlungen.
2 Den in Deutschland anzunehmenden medizinischen Standard erfüllt C durch Erhebung der Krankengeschichte mittels medizinischen Online-Fragebogen nicht. Zu der Frage, wie der medizinische Standard in Deutschland zu beurteilen ist, hat der BGH (GRUR 2022, 399 Rdnr. 47 ff – Werbung für Fernbehandlungen) folgendes ausgeführt:
c) Die angegriffene Werbung der Beklagten verstößt außerdem gegen § 9 HWG nF. Zwar hat das Berufungsgericht den Begriff der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ im Sinne von § 9 Satz 2 HWG nF nicht zutreffend bestimmt (dazu B II 3 c cc). Es ist jedoch mit Recht davon ausgegangen, dass die Werbung der Beklagten im Streitfall nicht den gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 9 Satz 2 HWG entspricht (dazu B II 3 c dd).
aa) Gemäß § 9 Satz 1 HWG alter und neuer Fassung ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung), unzulässig. Nach dem durch das Digitale-Versorgungs-Gesetz mit Wirkung vom 19. Dezember 2019 eingeführten Satz 2 dieser Bestimmung ist Satz 1 nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Gesetzgeber habe mit dem neu eingeführten Satz 2 des § 9 HWG nF dem Beschluss des 121. Deutschen Ärztetages Rechnung getragen, mit dem durch § 7 Abs. 4 Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) die Anpassung des ärztlichen Berufsrechts im Sinne einer Liberalisierung der Zulässigkeit von Fernbehandlungen erfolgt sei. Dieser Neuregelung sei zu entnehmen, dass der Grundsatz der ärztlichen Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient im Rahmen einer physischen Präsenz des Arztes weiterhin der „Goldstandard“ ärztlichen Handels sei. Zwar sei in Bezug auf den einzelnen Behandlungsfall mit der neuen Regelung eine Beratung und Behandlung ausschließlich aus der Ferne über Kommunikationsmedien erlaubt, um den Patienten mit der Fort- und Weiterentwicklung telemedizinischer, digitaler, diagnostischer und anderer vergleichbarer Möglichkeiten eine dem anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechende ärztliche Versorgung anbieten zu können. Zu vermeiden seien allerdings telemedizinische Primärarztmodelle. Im Streitfall habe die Beklagte für ein solches digitales Primärversorgungsmodell geworben. Gegenstand des beworbenen Modells sei eine ausschließliche Videokonsultation, bei der sich der Arzt von vornherein auf eine verkürzte Wahrnehmung bei der Anamnese verlassen müsse. Die im Streitfall beworbene Ersetzung des persönlichen Arztbesuchs durch eine digitale Fernbehandlung per digitaler App „von der Diagnose über die Therapieempfehlung bis hin zur Krankschreibung“ für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen durch in der Schweiz sitzende Ärzte werde in dieser generellen Weise durch den Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG nF nicht gedeckt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei Einhaltung allgemein anerkannter fachlicher Standards kein persönlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich sei. Vielmehr erfordere grundsätzlich jeder Krankheitsverdacht nach allgemeinen fachlichen Standards eine Basisuntersuchung, die in der Regel unmittelbar durch Funktionsprüfungen (etwa von Atmung, Kreislauf, Blutdruck) und Besichtigungen, Abtasten, Abklopfen und Abhören des Körpers sowie gegebenenfalls der Erhebung weiterer Laborwerte erfolge. Auch für die von der Beklagten beworbene Krankschreibung sei ein persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient erforderlich. Der insoweit geltende fachliche Standard ergebe sich aus § 25 Satz 1 MBO-Ä und der Wertung von § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie betreffend gesetzlich Versicherte sowie der Entschließung des 121. Deutschen Ärztetags.
cc) Das Berufungsgericht hat den seiner Beurteilung zugrunde gelegten Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards nicht zutreffend bestimmt.
1 Bei der Auslegung des Erlaubnistatbestands gemäß § 9 Satz 2 HWG nF kommt es im Ausgangspunkt auf eine abstrakte, generalisierende Bewertung an, da sich Werbung unabhängig von einer konkreten Behandlungssituation an eine Vielzahl nicht näher individualisierter Personen richtet (vgl. Regierungsentwurf DVG, BT-Drucks. 19/13438, S. 78; Doepner/Reese in BeckOK.HWG aaO § 9 Rdnr. 63). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Ausnahmetatbestands gemäß § 9 Satz 2 HWG der Weiterentwicklung telemedizinischer Möglichkeiten Rechnung tragen wollte und von der Einhaltung anerkannter fachlicher Standards bereits dann ausgegangen ist, wenn danach eine ordnungsgemäße Behandlung und Beratung unter Einsatz von Kommunikationsmedien grundsätzlich möglich ist (Regierungsentwurf zum DVG, BT-Drucks. 19/13438, S. 78). Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber von einem dynamischen Prozess ausgegangen ist, in dem sich mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten auch der anerkannte fachliche Standard ändern kann (vgl. Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl., Kap. X Rdnr. 13; Tillmanns, A&R 2020, 11, 15).
Damit steht die vom Berufungsgericht bei der Auslegung von § 9 Satz 2 HWG zugrunde gelegte Annahme nicht im Einklang, die ärztliche Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient in physischer Präsenz stelle weiterhin den „Goldstandard“ ärztlichen Handelns dar, es sei zudem davon auszugehen, dass grundsätzlich jeder Krankheitsverdacht nach allgemeinen fachlichen Standards eine Basisuntersuchung erfordere, die im Regelfall Funktionsprüfungen unter Anwesenheit des Arztes einschließe und es stehe im Fall einer ausschließlichen Fernbehandlung grundsätzlich der Vorwurf einer Vernachlässigung der Befunderhebungspflicht im Raum.
2 Das Berufungsgericht ist bei seiner Auslegung außerdem von der Neuregelung in § 7 Abs. 4 MBO-Ä ausgegangen und hat damit für die Auslegung des Begriffs der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ im Sinne von § 9 Satz 2 HWG die Regelungen des ärztlichen Berufsrechts für maßgeblich gehalten (ebenso OLG Hamburg, Urteil vom 5. November 2020 – 5 U 175/19, MMR 2021, 336 Rdnr. 39 [juris Rdnr. 50]; Doepner/Reese in BeckOK.HWG aaO § 9 HWG Rdnr. 63). Dies hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand. Der in § 9 Satz 2 HWG verwendete Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff gemäß § 630a Abs. 2 BGB und die dazu mit Blick auf die vom Arzt zu erfüllenden Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag entwickelten Grundsätze auszulegen (vgl. Tillmanns, A&R 2020, 11, 15; zur Anwendung des § 630a Abs. 2 BGB auf die medizinische Fernbehandlung vgl. Eichelberger in Festschrift Harte-Bavendamm, 2020, S. 289, 294 f.; Kaeding, MedR 2019, 288; Katzenmeier, NJW 2019, 1769, 1170 f.). Nach dieser Bestimmung hat die Behandlung im Rahmen eines medizinischen Behandlungsvertrags nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.
Für eine solche Auslegung des § 9 Satz 2 HWG spricht nicht nur, dass der Wortlaut des § 630a Abs. 2 BGB gleichfalls auf den Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards abstellt. Auch unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten erscheint es sachgerecht, den für die pflichtgemäße Erfüllung der dem Arzt aus dem Behandlungsvertrag erwachsenden Pflichten maßgeblichen Begriff auch für die Frage fruchtbar zu machen, ob diese Pflichten eine Fernbehandlung zulassen und deshalb für eine Fernbehandlung geworben werden darf. Zudem ermöglicht ein solcher Gleichklang bei der Auslegung den Rückgriff auf die umfangreiche Rechtsprechung zu § 630a Abs. 2 BGB (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Februar 2015 – VI ZR 106/13, NJW 2015, 1601 Rdnr. 7 mwN) und dient damit der vorhersehbaren und rechtssicheren Anwendung des Erlaubnistatbestands gemäß § 9 Satz 2 HWG. Bei der Bestimmung der anerkannten fachlichen Standards können sowohl die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften als auch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §§ 92, 136 SGB V Berücksichtigung finden (vgl. MünchKomm.BGB/Wagner, 8. Aufl., § 630a Rdnr. 126; Frahm, NJW 2021, 216 Rdnr. 7 f. mwN; Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks. 17/10488, S. 19). Beispielsweise soll der Gemeinsame Bundesausschuss gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V unter anderem Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Nr. 5) und die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit (Nr. 7) beschließen. Mit einer an § 630a Abs. 2 BGB orientierten Auslegung wird damit dem vom Gesetzgeber verfolgten Anliegen entsprochen, einen abstrakt-generalisierenden Maßstab für die Zulässigkeit der Werbung für eine Fernbehandlung zugrunde zu legen und zudem mit der Schaffung des § 9 Satz 2 HWG der Weiterentwicklung telemedizinischer Möglichkeiten durch die dynamische Ausbildung und Anpassung von Standards Rechnung zu tragen (vgl. Regierungsentwurf zum DVG, BT-Drucks. 19/13438, S. 78; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp aaO Kap. X Rdnr. 13; Tillmanns, A&R 2020, 11, 15).
Die in § 7 Abs. 4 MBO-Ä nF getroffene berufsrechtliche Regelung ist dagegen für die Auslegung von § 9 Satz 2 HWG nicht zielführend. Nach dieser Bestimmung können die Ärztinnen und Ärzte bei der in persönlichem Kontakt zu erbringenden Beratung und Behandlung Kommunikationsmedien zwar unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist jedoch nur im Einzelfall erlaubt und setzt voraus, dass dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Diese Bestimmung enthält eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Anweisung an die behandelnde Person und bietet keinen abstrakt-generalisierenden Maßstab für die Beurteilung von an eine Vielzahl von nicht näher individualisierten Personen gerichteter Werbung (vgl. den Regierungsentwurf zum DVG, BT-Drucks. 19/13438, S. 78). Zudem ist die Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte in den einzelnen maßgeblichen Berufsordnungen der Bundesländer nicht einheitlich umgesetzt worden (vgl. den Regierungsentwurf zum DVG, BT-Drucks. 19/13438, S. 78). Auch deshalb kann es im Interesse einer bundesweit einheitlichen Handhabung im Rahmen der Regelung des § 9 HWG nicht auf die berufsrechtlich zu treffenden konkreten und individuellen Einzelfallentscheidungen ankommen.
3 Gegen die vorstehenden Grundsätze spricht nicht, dass eine ausschließliche Fernbehandlung erst in jüngerer Zeit und dann auch nur im Einzelfall zulässig geworden ist und daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur in wenigen Fällen einschlägige Fernbehandlungsrichtlinien existieren dürften, die den Anforderungen an einen anerkannten fachlichen Standard im Sinne von § 630a Abs. 2 BGB entsprechen (vgl. Tillmanns, A&R 2020, 11, 15 f.). Der Gesetzgeber hat mit dem von ihm gewählten Maßstab, wonach die fachlichen Standards anerkannt sein müssen, mit Blick auf die von ihm konstatierte dynamische Weiterentwicklung der telemedizinischen Möglichkeiten sachnotwendig eine gewisse Übergangszeit in Rechnung gestellt (zu bereits laufenden Modellprojekten vgl. Tillmanns, A&R 2020, 11 und 16 mwN). Dies ist angesichts des hohen Schutzguts, das dem grundsätzlichen Werbeverbot im Sinne von § 9 HWG zugrunde liegt (vgl. oben Rdnr. 41), sachlich gerechtfertigt.
Soweit die Revision geltend macht, solange noch kein fachlicher Standard etabliert sei, müsse es ausreichen, dass für die zu bewerbende Fernbehandlung praktisch relevante Anwendungsfälle bestünden oder solche denkbar seien, was regelmäßig bei einer Erstanamnese von „Alltagsleiden“ wie grippalen Infekten, Verdauungsbeschwerden, Hauterkrankungen usw. anzunehmen sei, kann dem nicht zugestimmt werden. Mit einer solchen Auslegung wird in der Sache auf das vom Gesetzgeber ausdrücklich geforderte, einen angemessenen Gesundheitsschutz des Patienten sicherstellende Tatbestandsmerkmal verzichtet, wonach „anerkannte Standards“ für die Frage maßgeblich sein sollen, ob eine Fernbehandlung beworben werden darf. Die von der Revision vertretene Auslegung ist auch nicht sachgerecht. Bereits der Begriff des „Alltagsleidens“ ist schillernd und lässt ohne weitere Konkretisierung etwa durch die Aufstellung von Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, einen hinreichend tragfähigen medizinischen Bezug zu der Frage vermissen, ob ein solches Leiden allein mithilfe von Kommunikationsmitteln diagnostiziert und behandelt werden kann oder ob der Arzt darüber hinaus auch weitere Sinneseindrücke wie Abtasten oder Abhorchen benötigt, um beispielsweise einen grippalen Infekt von einer Covid-19-Infektion, ein Verdauungsproblem von einem Blinddarmdurchbruch oder eine Hautreizung von Hautkrebs zu unterscheiden.
4 Da es mithin für die Auslegung von § 9 Satz 2 HWG nicht auf berufsrechtliche Bestimmungen ankommt, ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht der Umstand maßgeblich, dass nach dem Vorbringen der Beklagten die beworbene Fernbehandlung nach schweizerischem ärztlichem Berufsrecht zulässig ist. Aus dem gleichen Grund folgt aus der Zulässigkeit einer Fernbehandlung nach deutschem ärztlichem Berufsrecht nicht, dass dafür gemäß § 9 Satz 2 HWG auch geworben werden darf.
dd) Das Berufungsgericht ist allerdings im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Werbung der Beklagten im Streitfall nicht den gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 9 Satz 2 HWG entspricht (§ 561 ZPO).
1 Die Beantwortung der für § 9 Satz 2 HWG maßgeblichen Frage, für welche Fernbehandlungen geworben wurde, hängt davon ab, welchen Inhalt der angesprochene Verkehr der in Rede stehenden Werbung entnimmt. Die Verkehrsanschauung ist durch das Tatgericht zu beurteilen; seine Würdigung ist nach den allgemeinen Grundsätzen vom Revisionsgericht überprüfbar. Danach ist maßgeblich, ob das Tatgericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, nicht gegen Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen und keine wesentlichen Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2020 – I ZR 137/19, GRUR 2021, 473 Rdnr. 21 = WRP 2021, 196 – Papierspender; Urteil vom 27. Mai 2021 – I ZR 119/20, GRUR 2021, 1286 Rdnr. 17 = WRP 2021, 1309 – Lautsprecherfoto).
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, die Beklagte habe ein umfassendes, nicht auf bestimmte Krankheitsbilder eingeschränktes digitales Primärversorgungsmodell beworben. Auf der Internetseite werde mit einer ausschließlichen Videokonsultation alternativ zum traditionellen Arztbesuch mit dem Umfang einer kompletten ärztlichen Versorgung, nämlich für Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen mittels einer App geworben. Zwar werde dem von der Werbung angesprochenen potenziellen Patienten grundsätzlich bewusst sein, dass im Wege einer Fernbehandlung in tatsächlicher Hinsicht nur begrenzte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten des Arztes bestünden, also je nach Krankheitsbild weitergehende Untersuchungen und ärztliche Eingriffe erforderlich sein könnten. In der streitgegenständlichen Werbung komme aber nicht zum Ausdruck, dass auch im Rahmen dieser tatsächlich eingeschränkten Möglichkeiten eine Werbung für Fernbehandlungen nicht generell zulässig sei, sondern nur unter der Voraussetzung, dass bei Einhaltung allgemein anerkannter Standards kein persönlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich sei. Diese tatgerichtliche Würdigung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Entgegen der Rüge der Revision hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass der angesprochene Verkehr in Rechnung stellt, dass je nach Krankheitsbild weitergehende Untersuchungen erforderlich sein könnten. Mit ihrem außerdem erhobenen Einwand, der Verkehr werde die Werbung entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts dahin verstehen, dass sich die angebotene Fernbehandlung nur auf allgemeine medizinische Probleme bzw. auf bestimmte Fälle beziehe, in denen eine Fernkonsultation auch medizinisch möglich und vertretbar sei, legt die Revision keinen Rechtsfehler des Berufungsgerichts dar, sondern setzt nur ihre eigene Bewertung an die Stelle der tatgerichtlichen Beurteilung. Zudem berücksichtigt die Revision nicht, dass bei gesundheitsbezogener Werbung besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen sind, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, Urteil vom 3. Mai 2001 – I ZR 318/98, GRUR 2002, 182, 185 [juris Rdnr. 44] = WRP 2002, 74 – Das Beste jeden Morgen; Urteil vom 6. Februar 2013 – I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 Rdnr. 15 = WRP 2013, 772 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; Urteil vom 11. Februar 2021 – I ZR 126/19, GRUR 2021, 746 Rdnr. 32 = WRP 2021, 604 – Dr. Z; zum für die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben geltenden Strengeprinzip vgl. auch BGH, Urteil vom 5. November 2020 – I ZR 204/19, GRUR 2021, 513 Rdnr. 17 = WRP 2021, 327 – Sinupret). Diese Grundsätze gelten mit Blick auf die hohe Wertigkeit der durch § 9 HWG geschützten Gesundheitsinteressen auch für die Beurteilung einer Werbung für Fernbehandlungen im Sinne von Satz 2 dieser Vorschrift.
2 Auf der Grundlage seiner rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Werbung nicht auf Fernbehandlungen begrenzt ist, für die nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
Wie dargelegt wurde (dazu Rdnr. 53 f.), richtet sich die Beurteilung des Vorliegens eines anerkannten fachlichen Standards nach den für § 630a Abs. 2 BGB maßgeblichen Grundsätzen. Danach gibt ein fachlicher Standard Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, NJW 2015, 1601 Rdnr. 7 mwN). Bei der Bestimmung des anerkannten fachlichen Standards sind die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §§ 92, 136 SGB V zu berücksichtigen. Weiterhin können sich fachliche Standards auch unabhängig davon bilden (zu den Einschätzungen der Bewertungsausschüsse gemäß § 87 SGB-V vgl. Kuhn/Hesse, GesR 2017, 221, 224; Tillmanns, A&R 2020, 11, 15). Die Ermittlung des jeweils maßgeblichen Standards ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (BGH, Urteil vom 27. März 2007 – VI ZR 55/05, BGHZ 172, 1 Rdnr. 17; Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12, NJW-RR 2014, 1053 Rdnr. 13; BGH, NJW 2015, 1601 Rdnr. 8), das gegebenenfalls einen Sachverständigen hinzuzuziehen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 – VI ZR 305/15, NJW 2016, 3785 Rdnr. 13; Beschluss vom 8. November 2016 – VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rdnr. 12).
Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass die von der Beklagten beworbene umfassende Fernbehandlung nach diesen Grundsätzen den allgemeinen fachlichen Standards entspricht. Dass es dabei Vortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten unberücksichtigt gelassen hat, ist nicht ersichtlich und wird von der Revision auch nicht geltend gemacht.
Nach diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, entspricht die Einreichung und Auswertung von Online-Fragebögen nicht dem allgemeinen fachlichen Standard im Sinne des § 630a BGB.
Der Verkehr wird im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass für eine Behandlung von jedenfalls den Krankheiten geworben wird, die als Indikation auf der Internetseite von C ausgewählt werden können. Hier finden sich die Behandlung von Erektionsstörungen oder Asthma und weitere Krankheiten. Im Rahmen der angegriffenen Werbung ist ein Button mit „Rezept anfordern“ hervorgehoben. Der Verbraucher wird daher davon ausgehen, dass er nach Ausfüllen des Online-Fragebogens jeweils ein Rezept erhält.
Dass die konkret zum Gegenstand des Antrags gemachte Werbung den fachlichen Standards in Deutschland entspricht, hat die – nach den vom BGH dargelegten Grundsätzen – darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht ausgeführt.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Online-Fragebogen schon im Ausgangspunkt keine mit einer Videosprechstunde vergleichbare Kommunikationsform ist, weil kein zweiseitiger Austausch stattfindet, der Arzt keine Rückfragen stellen kann und die Reaktion des Patienten nicht für ihn erkennbar ist. Er verfügt nur über den schriftlichen Online-Fragebogen und erhält keine Möglichkeit seine Einschätzung mit dem äußeren Erscheinungsbild des Patienten oder der Gestik und Mimik abzugleichen. Die Angaben des Patienten im Online-Fragebogen können nicht durch Rückfragen auf Plausibilität geprüft werden.
Die Ärzte müssen sich mithin auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aussagen des Online-Fragebogens verlassen. Die Fehlerquote zur Einschätzung der richtigen Indikation ist damit erhöht. Somit steigt auch die Gefahr, dass aufgrund von fehlerhaften Angaben das falsche Rezept ausgestellt wird und Nebenwirkungen oder allergische Reaktionen auftreten können.
Nach einer Gesamtschau aller Umstände kann die Fernbehandlung durch medizinische Online-Fragebögen, auch zu den konkreten Indikationen den allgemein anerkannten fachlichen Standard nicht erfüllen, weil eine potentielle Gesundheitsgefährdung der Patienten nicht ausgeschlossen werden kann. Dies gilt auch für die Behandlung von Krankheiten wie Asthma. Dies stellt keine leichte Erkrankung dar, sondern kann allgemeinbekannt erhebliche Auswirkungen haben. Eine Einschätzung wie schwer der jeweilige Patient von der Erkrankung betroffen ist, kann der Arzt jedoch nicht allein anhand der Antworten in einem Fragebogen vornehmen.
Für eine stillschweigende Vereinbarung über eine Standardunterschreitung nach § 630a Abs. 2 BGB zwischen C und den Patienten fehlt es bereits an einem erkennbaren Rechtsbindungswillen der Patienten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Patient jeweils überhaupt die Standards kennt und weiß, dass er auf diese verzichtet. C konnte die Äußerungen der Patienten auch nicht dahingehend verstehen. Zudem würde die Annahme einer stillschweigenden Standardunterschreitung die strengen Anforderungen des Bundesgerichtshofes an einen allgemein anerkannten fachlichen Standard gemäß § 9 S. 2 HWG unzulässig umgehen.
cc) Der Verstoß gegen § 9 S. 1 HWG ist dazu geeignet insbesondere die Interessen von sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
2. Die Berufung wendet sich hinsichtlich der Ziffer 5 des Tenors ohne Erfolg gegen die Annahme des Landgerichts, der fehlende Hinweis auf den Sitz von C in Großbritannien sei wettbewerbswidrig nach § 5a UWG.
Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte auf ihrer Internetseite nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht hat, dass C dem englischen Regulierungsregime unterliegt und ihren Sitz in Großbritannien hat. Dadurch besteht eine Irreführung hinsichtlich des Behandlungsstandards von C und den Verbrauchern werden wesentliche Informationen vorenthalten.
aa) Die Gestaltung der Plattform C erweckt beim Verbraucher irrig den Eindruck, dass es sich um einen Telemedizinanbieter handelt, bei dem der in Deutschland vorgesehene Standard anzuwenden ist. Zwar lässt sich aus dem nachfolgenden Textauszug (Internetseite vom 10.12.2020, Anlage Bk. 5) entnehmen, dass C als Telemedizinanbieter sowohl in Deutschland als auch in Europa berät.
„Entdecken Sie jetzt unseren neuen Service in Kooperation mit der Online-Arztpraxis C: bei dem führenden Anbieter telemedizinischer Leistungen für Patienten in ganz Deutschland und Europa werden Sie schnell, diskret und kompetent beraten.“
Das widerspricht jedoch nicht der Annahme, dass es sich um einen deutschen Anbieter handelt. Vielmehr bestätigt der Textauszug bei einem weit überwiegenden Teil des angesprochenen Verkehrs den Eindruck eines Telemedizinanbieters mit den für einen in Deutschland lebenden Patienten üblichen Standards. Dafür spricht, dass der Text in deutscher Sprache abgefasst und der Satzteil „in ganz Deutschland“ voranstellt ist. Soweit eine Aussage mehrdeutig ist, muss der Werbende die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 – Marktführer Sport).
Die Hinweise zum Hauptsitz in den FAQ reichen nicht aus um eine Irreführung der Verbraucher zu verhindern. Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass es für die Verbraucher nicht naheliegend ist in den FAQ nachzusehen welchem Regelungsregime das Ferndienstleistungsunternehmen unterliegt. Insbesondere ist, mangels Inhaltszusammenhang, nicht zu erwarten, dass die Verbraucher Informationen über den Unternehmenssitz unter der Frage: „Erstattet meine Versicherung die Kosten einer Behandlung bei C?“ suchen. Es ist den Verbrauchern nicht zuzumuten wesentliche Informationen in den FAQ zu suchen, da sie nicht erst dort damit rechnen (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.11.2021 – 6 U 81/21, WRP 2022, 232). Vielmehr müssen die wesentlichen Informationen übersichtlich auf der Startseite, losgelöst von den FAQ, zu finden sein.
bb) Die Beklagte hat den Verbrauchern die wesentliche Information über den Sitz von C vorenthalten. Die Frage, nach welchem Standard eine ärztliche Behandlung erfolgt, ist für den Verbraucher wesentlich. Diesem ist bekannt, dass die Standards der ärztlichen Behandlung auch innerhalb europäischer Länder unterschiedlich sind.
Auch eine mehrfache Aufführung der Information in den FAQ ändert nichts am Ergebnis.
Zum einen ist die Information über den Hauptsitz unübersichtlich in den Antworten zu inhaltlich anderen Fragen, wie zum Beispiel: „Wie wird die Qualität der medizinischen Leistungen von C sichergestellt?“, aufgeführt. Zum anderen kann von Verbrauchern nicht erwartet werden, dass sie wesentliche Informationen in umfangreichen FAQ suchen müssen. Diese sollten übersichtlich und auf Anhieb auf der Internetseite erkennbar sein.
Eine andere rechtliche Wertung ergibt sich auch nicht, wenn sich die FAQ auf das konkrete Angebot beziehen. Daher unterscheiden sich die Fälle des OLG Nürnberg und des Landgerichts Düsseldorf rechtlich nicht wesentlich zur Frage der Transparenz der Informationen in den FAQ (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2019 – 3 U 1021/19, MMR 2019, 869 (870 f.); LG Düsseldorf, Urteil vom 08.05.2019 – 12 O 158/18, MMR 2019, 626 (627)). Auch eine räumliche Nähe zum konkreten Angebot, reicht nicht aus, damit die Information „auf den ersten Blick“ erkennbar ist.
cc) Die Irreführung ist für den Verkehr auch relevant.
3. Die Kosten der Berufung sind gemäß § 97 ZPO von der Beklagten zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Entscheidung beruht vielmehr auf der Anwendung der in dem Urteil des BGH in der Sache Werbung für Fernbehandlungen (GRUR 2022, 399) dargelegten Grundsätze.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000 € festgesetzt.