Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Februar 2024, Az.: 3 U 83/21

Geringwertigkeitsgrenze bei Medizinprodukten (Payback-Punkte)

Entscheidungen in Leitsätzen

HWG § 7 Abs 1 Satz 1

Leitsätze des Gerichts:

1. Werbung, die für den Fall des Kaufs von Produkten Werbegaben verspricht, ist auch dann als produktbezogen anzusehen, wenn die Werbung die Werbegaben als Teil eines Kundenbindungssystems (hier: PAYBACK) darstellt, an dem der Werbende beteiligt ist.

 

2. Die im Fall einer Publikumswerbung für preisgebundene Arzneimittel geltende Wertgrenze für eine gering-wertige Kleinigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG in Höhe von 1,00 Euro ist nicht auf den Fall einer Publikumswerbung für nicht preisgebundene Heilmittel, insbesondere Medizinprodukte, zu übertragen. Wegen des in diesen Fällen bereits möglichen Preiswettbewerbs und der allgemeinen Preissteigerung ist eine gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG zu verhindernde Lenkungswirkung vielmehr erst bei einem Wert von mehr als 5,00 Euro zu befürchten.

 

Gründe

 

I.

 

1 Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung und Ersatz einer Abmahnkostenpauschale geltend, weil die Beklagte damit warb, PAYBACK-Punkte gutzuschreiben.

 

2 Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen.

 

3 Die Beklagte vertreibt in ihren Filialen in Deutschland Hörgeräte und sonstige Produkte für Hörbeeinträchtigte, wie beispielsweise Telefone, Mobiltelefone, Wecker, TV- und MP3-Zubehör, Kopfhörer, Sicherheitssysteme für Hörbeeinträchtigte, Hörgerätebatterien, Akkus und Ladegeräte, Fernbedienungen und Mikrofone für Hörgeräte, Reinigungs- und Pflegeprodukte für Hörgeräte, Ohrstöpsel und Gehörschutzprodukte. Dabei bietet sie keine selbst hergestellten Hörgeräte an, sondern vertreibt Hörgeräte von einer Vielzahl von Herstellern. Der Eigenanteil, den Kunden beim Erwerb eines Hörgeräts zahlen müssen, liegt regelmäßig zwischen 100 € und 4.500 €.

 

4 Die Beklagte kooperiert mit der PAYBACK GmbH, so dass Kunden, die eine PAYBACK-Karte besitzen und diese an der Kasse beim Bezahlen vorzeigen, pro einem Euro Umsatz einen PAYBACK-Punkt auf ihrem PAYBACK-Konto gutgeschrieben bekommen. Der Wert eines PAYBACK-Punkts beträgt 1 Cent, wobei der Kunde sich die gesammelten Punkte von PAYBACK bargeldlos auszahlen oder in Sachprämien, Gutscheine, Spenden oder Miles & More-Prämienmeilen umwandeln lassen kann. Damit warb die Beklagte am 19.09.2019 auf ihrer Internetseite wie aus Anlage I ersichtlich.

 

5 Wegen einer Fassung dieser Werbung mit Stand vom 27.07.2018 hatte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 30.07.2018 erfolglos abgemahnt.

 

6 Der Kläger ist der Auffassung, dass die angegriffene Werbung mit PAYBACK-Punkten für den Kauf von Hörgeräten gegen § 7 Abs. 1 HWG verstoße, so dass ihm Unterlassungsansprüche nach §§ 8, 3, 3a UWG und § 2 Abs. 1 UKlaG sowie ein Anspruch auf Erstattung einer Abmahnkostenpauschale nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. zustünden.

 

7 Die Klage ist den Beklagtenvertretern am 01.10.2019 zugestellt worden.

 

8 Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.

 

9 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Werbung nicht um produktbezogene Werbung handele, sondern um Unternehmenswerbung für ein Kundenbindungssystem. Es liege zudem keine abstrakte Gefährdung von Gesundheitsinteressen vor. Außerdem greife die Ausnahmeregelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG ein, weil es sich um einen zulässigen Geldrabatt handele.

 

10 Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

 

11 Der Kläger ist der Ansicht, dass der erforderliche Produktbezug bestehe. Die Beklagte werbe mit der Gutschrift von PAYBACK-Punkten bei jedem Einkauf. Da sie in erster Linie Hörgeräte verkaufe, beziehe sich die Werbung schwerpunktmäßig darauf. Ein Produktbezug sei auch beim Bewerben des gesamten herstellerübergreifenden Sortiments anzunehmen, wie es vorliegend der Fall sei. Die Werbung diene nicht lediglich dazu, die Beklagte als Partnerin des PAYBACK-Systems darzustellen, sondern dazu, durch die Darstellung des Punktesystems einen Kaufanreiz zu schaffen.

 

12 Zudem bestehe die abstrakte Gefahr unsachlicher Beeinflussung in der Form, dass sich der von der beworbenen Vergünstigung angesprochene Kunde weniger intensiv mit Alternativen auseinandersetze. Da nicht jeder Händler die gleichen Produkte derselben Hersteller anbiete, führe die durch die Werbung hervorgerufene Entscheidung, ein Produkt bei der Beklagten zu erwerben, mittelbar zur Einschränkung der zur Auswahl stehenden Produkte. Zudem stehe der Kunde am Ende eines langen Auswahlprozesses in der Regel vor der Entscheidung zwischen verschiedenen, unterschiedlich teuren Hörgeräten mit unterschiedlichen Eigenschaften und Ausstattungen (z.B. bzgl. Sichtbarkeit und Technik). Die Gewährung von PAYBACK-Punkten könne einen Anreiz schaffen, ein nicht zwingend notwendiges teureres Produkt zu wählen. Das Landgericht gehe fehl bei der Annahme, eine abstrakte Gefahr sei aufgrund eines geringen Zugabenwertes im Verhältnis zum Wert des gekauften Produktes abzulehnen. Hierdurch habe das Gericht die Thematik der Zugabenhöhe vorverlagert und sich in Widerspruch zu den für die Beurteilung der Geringwertigkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG geltenden Grundsätzen gesetzt.

 

13 Es liege keine Geringwertigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG vor.Im Gegensatz zum Hauptantrag in erster Instanz werde der Hauptantrag mit dem Berufungsantrag auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Gesamtwert der gewährten PAYBACK-Punkte mehr als 1,00 € betrage.Ein PAYBACK-Punkt allein möge keinen hohen Wert haben, doch seien Hörsysteme im Regelfall hochpreisige Produkte, für deren Kauf regelmäßig mehrere hundert bis mehrere tausend Punkte mit einem Gegenwert von mehreren Euro gewährt würden. Wenn für sich allein als geringwertig anzusehende Zuwendungen gebündelt gewährt würden, sei regelmäßig auf den Summeneffekt abzustellen. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergebe sich, dass die Geringwertigkeitsgrenze im streitgegenständlichen Fall bei 1,00 € zu ziehen sei, auch wenn die Werbegaben sich nicht auf den Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel bezögen. Sollte das Gericht die Geringwertigkeitsgrenze unerwartet höher ansetzen, werde hilfsweise der Antrag für diejenigen Fälle gestellt, in denen der Gesamtwert der Punkte mehr als 5,00 € ausmache, denn jedenfalls eine Werbegabe mit diesem Wert sei nicht mehr als geringwertig anzusehen.

 

14 Es liege auch kein zulässiger Barrabatt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG vor. Die Umwandlung der PAYBACK-Punkte in Sachprämien oder Einkaufsgutscheine bei anderen PAYBACK-Partnern oder in Spenden oder Miles & More-Prämienmeilen stelle keinen klassischen Rabatt für einen nächsten Einkauf beim Werbenden dar, sondern eine geldwerte Zugabe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei der Ausnahmetatbestand zudem dahin auszulegen, dass ihm allein unmittelbar wirkende Preisnachlässe und Zahlungen, nicht aber auf einen prozentualen Rabatt lautende Gutscheine für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte unterfielen.

 

15 Der Kläger hat zunächst beantragt:

 

16 Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 2021 (Az.: 312 O 306/19) wird die Beklagte verurteilt,

 

17 1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

 

18 zu unterlassen

 

19 im geschäftlichen Verkehr für Hörgeräte damit zu werben, dass bei jedem Einkauf im Falle der Vorlage einer PAYBACK Karte beim Bezahlen pro einem Euro Umsatz ein PAYBACK Punkt gutgeschrieben wird,

 

20 und/oder

 

21 die Gutschrift dieser Punkte ankündigungsmäßig zu veranlassen,

 

22 jeweils soweit es sich dabei je Einkauf um PAYBACK Punkte im Gesamtwert von mehr als 1,00 Euro handelt, die

 

23 a) in Sachprämien umgewandelt und eingelöst werden können

 

24 und/oder

 

25 b) in Einkaufsgutscheine bei anderen PAYBACK Partnern umgewandelt und eingelöst werden können

 

26 und/oder

 

27 c) in Spenden umgewandelt werden können

 

28 und/oder

 

29 d) 1:1 in Miles & More-Prämienmeilen umgewandelt werden können,

 

30 wenn dies geschieht wie in Anlage I (Auszug von der Website www…) wiedergegeben;

 

31 2. an den Kläger 299,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

32 Hilfsweise:

 

33 die Beklagte zu verurteilen,

 

34 1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

 

35 zu unterlassen,

 

36 im geschäftlichen Verkehr für Hörgeräte damit zu werben, dass bei jedem Einkauf im Falle der Vorlage einer PAYBACK Karte beim Bezahlen pro einem Euro Umsatz ein PAYBACK Punkt gutgeschrieben wird,

 

37 und/oder

 

38 die Gutschrift dieser Punkte ankündigungsmäßig zu veranlassen,

 

39 jeweils soweit es sich dabei je Einkauf um PAYBACK Punkte im Gesamtwert von 5,00 Euro oder mehr handelt, die

 

40 a) in Sachprämien umgewandelt und eingelöst werden können

 

41 und/oder

 

42 b) in Einkaufsgutscheine bei anderen PAYBACK Partnern umgewandelt und eingelöst werden können

 

43 und/oder

 

44 c) in Spenden umgewandelt werden können

 

45 und/oder

 

46 d) 1:1 in Miles & More-Prämienmeilen umgewandelt werden können,

 

47 wenn dies geschieht wie in Anlage I (Auszug von der Website www…) wiedergegeben;

 

48 2. an den Kläger EUR 299,60 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

49 Zuletzt hat der Kläger beantragt:

 

50 Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 2021 (Az.: 312 O 306/19) wird die Beklagte verurteilt,

 

51 1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

 

52 zu unterlassen

 

53 im geschäftlichen Verkehr für Hörgeräte damit zu werben, dass bei jedem Einkauf im Falle der Vorlage einer PAYBACK Karte beim Bezahlen pro einem Euro Umsatz ein PAYBACK Punkt gutgeschrieben wird,

 

54 und/oder

 

55 die Gutschrift dieser Punkte ankündigungsmäßig zu veranlassen,

 

56 jeweils soweit es sich dabei je Einkauf eines Produkts um PAYBACK Punkte im Gesamtwert von mehr als 1,00 Euro handelt, die

 

57 a) in Sachprämien umgewandelt und eingelöst werden können

 

58 und/oder

 

59 b) in Einkaufsgutscheine bei anderen PAYBACK Partnern umgewandelt und eingelöst werden können

 

60 und/oder

 

61 c) in Spenden umgewandelt werden können

 

62 und/oder

 

63 d) 1:1 in Miles & More-Prämienmeilen umgewandelt werden können,

 

64 wenn dies geschieht wie in Anlage I (Auszug von der Website www…) wiedergegeben;

 

65 2. an den Kläger 299,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

66 Hilfsweise:

 

67 die Beklagte zu verurteilen,

 

68 1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

 

69 zu unterlassen,

 

70 im geschäftlichen Verkehr für Hörgeräte damit zu werben, dass bei jedem Einkauf im Falle der Vorlage einer PAYBACK Karte beim Bezahlen pro einem Euro Umsatz ein PAYBACK Punkt gutgeschrieben wird,

 

71 und/oder

 

72 die Gutschrift dieser Punkte ankündigungsmäßig zu veranlassen,

 

73 jeweils soweit es sich dabei je Einkauf eines Produkts um PAYBACK Punkte im Gesamtwert von mehr als 5,00 Euro handelt, die

 

74 a) in Sachprämien umgewandelt und eingelöst werden können

 

75 und/oder

 

76 b) in Einkaufsgutscheine bei anderen PAYBACK Partnern umgewandelt und eingelöst werden können

 

77 und/oder

 

78 c) in Spenden umgewandelt werden können

 

79 und/oder

 

80 d) 1:1 in Miles & More-Prämienmeilen umgewandelt werden können,

 

81 wenn dies geschieht wie in Anlage I (Auszug von der Website www…) wiedergegeben;

 

82 2. an den Kläger EUR 299,60 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

83 Die Beklagte beantragt,

 

84 die Berufung zurückzuweisen.

 

85 Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

 

86 Die Beklagte meint, dass es an einem Produktbezug fehle. Zwar werbe die Beklagte mit der Gutschrift von PAYBACK-Punkten „bei jedem Einkauf“. Das PAYBACK-System sei jedoch ein Kundenbindungsprogramm, das nicht auf die einzelne Transaktion und damit ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung ausgelegt sei, sondern auf die langanhaltende Beziehung zum Unternehmen. Für den durchschnittlichen Kunden stelle sich die Werbung mit der Teilnahme am weitverbreiteten und bekannten PAYBACK-System nicht als Werbung oder gar zum Kauf animierende Sonderaktion für bestimmte Produkte oder ein bestimmtes Produktsortiment dar, sondern als Werbung für das Unternehmen als solches. Es werde durch die Teilnahme am PAYBACK-System lediglich die Aufmerksamkeit auf den werbenden Einzelhändler und die Vorteile seines gesamten herstellerübergreifenden Angebots im Gegensatz zu einem möglichen Konkurrenzunternehmen gelenkt.

 

87 Überdies sei auch aufgrund des Mischangebots der Beklagten von Heilmitteln und Nicht-Heilmitteln ein Produktbezug zu verneinen. Nach überzeugender Auffassung des OLG Nürnberg (Urteil vom 16.02.2021 – 3 U 2204/20, juris) müsse für den Fall, dass die Werbung eines Unternehmens zu beurteilen sei, welches zwar überwiegend, nicht aber ausschließlich Heilmittel anbiete, der Bezug zu sämtlichen Produkten, die unter das HWG fielen, im Rahmen der Werbung positiv festgestellt werden. Allein die Tatsache, dass die Werbung eines Unternehmens sich auf sämtliche Waren und damit auch auf alle in diesem Zusammenhang feilgehaltenen Heilmittel beziehen könne, genüge zur Feststellung eines Produktbezugs nicht.

 

88 In der Entscheidung BGH, GRUR 2017, 635 – Freunde werben Freunde habe der Bundesgerichtshof versäumt klarzustellen, aus welchen Gründen er die dort streitgegenständliche Werbung einer Apotheke, die sich auf deren gesamtes Sortiment bezogen habe, für eine produktbezogene Werbung gehalten habe, er jedoch die Werbung mit Bonuspunkte-Systemen von Apotheken, die Gegenstand seiner früheren Urteile vom 09.09.2010, insbesondere I ZR 125/08 – Bonussystem und I ZR 26/09 – Bonus-Taler, gewesen sei und die sich ebenfalls auf das gesamte Sortiment der jeweiligen Apotheke bezogen habe, für zulässige allgemeine Unternehmenswerbung gehalten habe.

 

89 Die Inaussichtstellung von PAYBACK-Punkten begründe zudem keine abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der jeweils angesprochenen Verkehrskreise. Da die Beklagte ein umfassendes herstellerübergreifendes Sortiment und zudem alle gängigen Typen von Hörgeräten anbiete, werde der Kunde durch eine solche Werbung nicht unsachlich dazu verleitet, ein ganz bestimmtes Heilmittel anstelle eines anderen zu kaufen oder überhaupt dahingehend motiviert, ein Hörgerät zu erwerben. Die Werbung lenke den Warenabsatz zwar möglicherweise auf den werbenden Einzelhändler. Dies sei jedoch keine Gefahr, der das HWG entgegenwirken wolle. Ferner sei die Annahme einer unsachlichen Beeinflussung des Verkehrs durch die Teilnahme am PAYBACK-System auch aufgrund der in der Bevölkerung verbreiteten Abwehrhaltung und Verweigerung gegenüber Hörgeräten vollkommen abwegig. Ein grundsätzliches Verbot der Teilnahme der Beklagten und anderer Medizinprodukte- und Heilmittelanbieter am PAYBACK-System stelle zudem einen schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG dar.

 

90 Die Gewährung von PAYBACK-Punkten falle jedenfalls als geringwertige Kleinigkeit unter den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG. Eine feste Grenze im Sinne eines Geldbetrags gebe es diesbezüglich nicht. Zwar möge der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung GRUR 2013, 1264 – RezeptBonus eine Wertgrenze von 1,00 € benannt haben. In diesem Fall habe sich die Werbegabe aber auf verschreibungspflichtige Arzneimittel bezogen. Die Rechtsprechung zur Geringwertigkeitsschwelle bei preisgebundenen Arzneimitteln könne nicht auf Medizinprodukte übertragen werden, so dass selbst Werbegaben bis zu 5,00 € noch geringwertig sein könnten. Der Bundesgerichtshof habe außerdem in mehreren Entscheidungen vom 09.09.2010 (I ZR 98/08 – Bonuspunkte; I ZR 26/09 – Bonus-Taler; I ZR 125/08 – Bonussystem) auf den Wert eines einzigen Rabattgutscheins/Bonus abgestellt und nicht auf die gesammelte Bonussumme, die abhängig vom Einkauf deutlich höher ausfallen könne. Es sei hier daher auf den Wert eines PAYBACK-Punkts von 0,01 € abzustellen.

 

91 Überdies sei die Gewährung von PAYBACK-Punkten jedenfalls als zulässiger Barrabatt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG einzuordnen, da sich deren Wert auch bei der Umwandlung der PAYBACK-Punkte in Sachprämien oder Gutscheine nach einem auf eine bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag bemesse. Der Beschluss BGH, GRUR 2023, 1318 – Gutscheinwerbung ändere an dieser Einordnung nichts. Der Bundesgerichtshof lege die Regelung darin ausschließlich hinsichtlich der Gabe von Wertgutscheinen für zukünftige Erwerbsvorgänge bei einer Versandapotheke aus und komme zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut der Vorschrift diesbezüglich dahingehend verstanden werden „kann“, dass ein Geldbetrag ausgezahlt oder zumindest vom Rechnungsbetrag abgezogen werden müsse, um den einschlägigen Ausnahmetatbestand zu erfüllen. Der Bundesgerichtshof lasse ausdrücklich offen, auf welche anderen Formen der Werbegaben sich diese Auslegung überdies beziehe.

 

92 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 11.01.2024 Bezug genommen. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 26.01.2024 und 26.02.2024 haben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben (§ 156 ZPO).

 

II.

 

93 Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

 

94 1. Der Kläger hat gegen die vollständige Abweisung der Klage nur teilweise Berufung eingelegt, da er den Hauptantrag auf Fälle beschränkt hat, in denen die PAYBACK-Punkte einen Gesamtwert von mehr als 1,00 € haben. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Berufung zudem teilweise zurückgenommen, indem er die Klageanträge dahingehend weiter eingeschränkt hat, dass die Bezugsgröße der Wertgrenzen für die PAYBACK-Punkte nicht mehr der Einkauf von (beliebig vielen) Hörgeräteprodukten, sondern der Einkauf eines einzigen Hörgeräteprodukts ist. Darüber hinaus erfasst der Hilfsantrag nicht mehr PAYBACK-Punkte im Gesamtwert von genau 5,00 €, sondern nur noch von mehr als 5,00 €.

 

95 2. Die Klage ist zulässig. Die Klagebefugnis des Klägers folgt gemäß § 15a Abs. 1 UWG aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 01.12.2021 geltenden Fassung (vgl. BGH, GRUR 2023, 1710 Rdnr. 15 – Eigenlaborgewinn).

 

96 3. Die Klage ist hinsichtlich des Unterlassungsantrags nur mit dem Hilfsantrag begründet. Daneben kann der Kläger Ersatz der geltend gemachten Abmahnkostenpauschale nebst Zinsen verlangen.

 

97 a) Dem Kläger steht gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, allerdings nur in Bezug auf die Bewerbung bzw. Veranlassung einer Gutschrift von PAYBACK-Punkten mit einem Gesamtwert von mehr als 5,00 € und nicht bereits von mehr als 1,00 €.

 

98 aa) Der vom Kläger hinsichtlich der Bewerbung von Gutschriften auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG besteht nur, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung rechtswidrig ist (BGH, GRUR 2024, 227 Rdnr. 20 – Trockenluftkompressor). Nach der Vornahme der streitgegenständlichen Verletzungshandlung am 19.09.2019 sind sowohl § 1 Abs. 1 Nr. 1a als auch § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG geändert worden. Für den Streitfall maßgebliche Änderungen haben sich hierdurch jedoch nicht ergeben. Zwischen den Parteien steht mit Recht nicht im Streit, dass das HWG hier sowohl gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1a HWG in der Fassung bis zum 25.05.2021 i.V.m. § 3 MPG als auch gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1a HWG in der aktuell gültigen Fassung i.V.m. Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte Anwendung findet, da es sich bei Hörgeräten nach beiden Regelungen um Medizinprodukte handelt (vgl. OLG Karlsruhe, PharmR 2022, 781, juris Rdnr. 46). Die Änderung in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG in der Fassung ab dem 15.12.2020 betrifft lediglich Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel, für die Preisvorschriften gelten. Vorliegend geht es jedoch um Medizinprodukte.

 

99 bb) Das in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG geregelte grundsätzliche Verbot des Anbietens, Ankündigens und Gewährens von Werbegaben stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar, weil es dem Gesundheitsschutz der Verbraucher dient. Es soll durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Bereich der Heilmittel der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 21 – Gutscheinwerbung).

 

100 cc) Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist auch unionsrechtskonform. Es handelt sich um eine nationale Regelung in Bezug auf die Gesundheitsaspekte von Produkten, die gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von dieser unberührt bleibt (BGH, GRUR 2022, 391 Rdnr. 27 – Gewinnspielwerbung II). In Bezug auf Medizinprodukte ist die Regelung zudem mit der Verordnung (EU) 2017/745 vereinbar, weil diese keine entgegenstehenden Regelungen vorsieht (Spickhoff/Fritzsche, MedizinR, 4. Aufl. 2022, § 7 HWG Rdnr. 3). Die von den Parteien in erster Instanz erörterte Frage, ob § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG hier mit Blick auf Art. 86 ff. der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel unionsrechtskonform auszulegen ist, stellt sich nicht, weil die Richtlinie auf Medizinprodukte nicht anzuwenden ist (BGH, GRUR 2009, 1082 Rdnr. 23 – DeguSmiles & more).

 

101 dd) Die Werbemaßnahme der Beklagten ist produktbezogen, so dass sie vom Anwendungsbereich des HWG erfasst ist.

 

102 (1) Einbezogen in den Geltungsbereich des HWG ist nur die produktbezogene Werbung (Produkt- und Absatzwerbung) und nicht die allgemeine Firmenwerbung (Unternehmens- und Imagewerbung), durch die ohne Bezugnahme auf bestimmte Arzneimittel für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein geworben wird. Die Beantwortung der für die Anwendbarkeit des HWG entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht. Auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment der Apotheke kann produktbezogen sein. Es gibt keinen überzeugenden Grund, den vom Gesetzgeber im Bereich der Heilmittelwerbung als grundsätzlich unerwünscht angesehenen Anreiz einer Wertreklame gerade dann hinzunehmen, wenn diese Form der Reklame für eine besonders große Zahl von Heilmitteln eingesetzt wird (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 23 – Gutscheinwerbung).

 

103 (2) Nach diesem Maßstab liegt hier ein Produktbezug vor.

 

104 (a) Im Streitfall hat die Beklagte unter der Überschrift „X. ist PAYBACK Partner“ damit geworben, dass man „bei jedem Einkauf“ PAYBACK-Punkte sammeln könne und welche Einlösungsmöglichkeiten es dafür gebe. Die Beklagte hat folglich Vorteile beworben, in deren Genuss der Kunde nur beim Erwerb von Produkten kommt. Die Produkte werden in der Werbung nicht eingegrenzt, so dass sich die Werbung auf das gesamte Sortiment der Beklagten bezieht. Zu diesem zählen auch Hörgeräte. Damit bezieht sich die Werbung auf Medizinprodukte und ist ohne weiteres produktbezogen (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rdnr. 23 – Brötchen-Gutschein; BGH, GRUR 2019, 1078 Rdnr. 26 – 1 Euro-Gutschein; BGH, GRUR 2020, 659 Rdnr. 22 – Gewinnspielwerbung I). Dass sich die Werbung auf ein Mischangebot von Produkten bezieht, die zum Teil dem HWG unterfallen und zum Teil nicht, ist entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich. Die Eignung einer Zuwendung, den Absatz eines Heilmittels unsachlich zu beeinflussen, hängt nicht davon ab, ob die Zuwendung allein für genau benannte Heilmittel, eine nicht näher eingegrenzte Vielzahl von Heilmitteln oder sogar für das gesamte, neben Heilmitteln auch andere Produkte umfassende Sortiment angekündigt und gewährt wird (BGH, GRUR 2009, 1082 Rdnr. 16 – DeguSmiles & more; OLG München, GRUR-RR 2017, 451, juris Rdnr. 95).

 

105 (b) Entgegen der Darstellung der Beklagten hat auch das OLG Nürnberg in seinem Urteil vom 16.02.2021 – 3 U 2204/20 im Fall der Bewerbung eines gesamten Sortiments nicht zusätzlich verlangt, dass ein Bezug zu konkreten Heilmitteln festgestellt werden müsste. Das OLG Nürnberg hat vielmehr im Fall der Gewinnspielwerbung eines Optikers jeglichen Produktbezug verneint, weil Voraussetzung für die Teilnahme an dem Gewinnspiel nicht der Kauf irgendwelcher Produkte gewesen sei, also insbesondere nicht der Kauf von Heilmitteln, sondern nur das „Liken“ der Werbung (Urteil vom 16.02.2021 – 3 U 2204/20, juris Rdnr. 22). Dass der Gewinn darin bestanden habe, sich Brillen und Gläser im Wert von 500 € aussuchen zu können, führe ebenfalls nicht zu einem Produktbezug (OLG Nürnberg, Urteil vom 16.02.2021 – 3 U 2204/20, juris Rdnr. 24). Dass in Fällen wie BGH, GRUR 2020, 659 – Gewinnspielwerbung I und BGH, GRUR 2017, 635 – Freunde werben Freunde, in denen die Teilnahme an dem Gewinnspiel mit der Einsendung eines Rezepts verknüpft war bzw. der Kunde auch durch eine Bestellung nicht-rezeptpflichtiger Waren im Wert von mindestens 25,00 € in den Genuss einer Prämie kommen konnte, ein Produktbezug vorlag, hat das OLG Nürnberg ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen (Urteil vom 16.02.2021 – 3 U 2204/20, juris Rdnr. 15 und17). So liegt der Fall jedoch auch hier.

 

106 (c) Dass die Werbung sich auf ein Kundenbindungssystem bezieht, führt im Streitfall ebenfalls nicht dazu, dass nur von einer Imagewerbung auszugehen wäre.

 

107 Der Bundesgerichtshof hat zwar in einer Reihe von Urteilen vom 09.09.2010 die Werbung für Bonussysteme von Apotheken als „Imagewerbung“ bezeichnet (GRUR 2010, 1133 Rdnr. 21 – Bonuspunkte; GRUR 2010, 1136 Rdnr. 24 – Unser Dankeschön für Sie; I ZR 37/08, juris Rdnr. 21; I ZR 125/08, juris Rdnr. 20 – Bonussystem; I ZR 26/09, juris Rdnr. 22 – Bonus-Taler). Zudem hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung GRUR 2017, 641 Rdnr. 38 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln, in der es um die Werbung mit der Aussage „Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!“ ging, ausgeführt, dass das Berufungsgericht zu Recht eine produktbezogene Werbung bejaht habe und sich aus der Entscheidung BGH, GRUR 2010, 1136 Rdnr. 24 f. – Unser Dankeschön für Sie keine abweichende Beurteilung ergebe, da es anders als in jener Entscheidung vorliegend schon nicht um ein Kundenbindungssystem des Leistungserbringers gehe, in dem beim Bezug verschreibungspflichtiger Produkte erhaltene Einkaufsgutscheine erst beim späteren Erwerb beliebiger nicht verschreibungspflichtiger Produkte eingelöst werden könnten.

 

108 Aus dieser Formulierung kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass deshalb jede Werbung für ein solches Kundenbindungssystem zulässige Imagewerbung wäre. In der Entscheidung BGH, GRUR 2017, 635 Rdnr. 32 f. – Freunde werben Freunde hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf seine Urteile vom 09.09.2010 vielmehr klargestellt:

 

109 „Soweit im Schrifttum die Ansicht vertreten wird, der Senat sei in diesen Entscheidungen von der DeguSmiles & more-Entscheidung abgerückt (Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG, 5. Aufl., § 7 Rdnr. 15), trifft dies nicht zu.

 

110 Zwar hat der Senat in diesen Entscheidungen eine auf das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel einer Apotheke bezogene Zuwendung als ‚Imagewerbung‘ bezeichnet. Er hat damit jedoch nicht in Abkehr von den Maßstäben der ‚DeguSmiles & more‘-Entscheidung zum Ausdruck gebracht, eine Werbung mit Zuwendungen oder Werbegaben, die sich auf das gesamte Sortiment erstrecke, stehe ihrer Bewertung als Absatzwerbung stets entgegen.“

 

111 Nach Auffassung des Senats steht es mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deshalb in Einklang, Werbung, die für den Fall des Kaufs von Produkten Werbegaben verspricht, auch dann als produktbezogen anzusehen, wenn die Werbung die Werbegaben als Teil eines Kundenbindungssystems darstellt, an dem der Werbende beteiligt ist.

 

112 ee) Bei der Gewährung von PAYBACK-Punkten handelt es sich um eine Werbegabe im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG.

 

113 (1) Der Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist mit Blick auf den Zweck der dortigen Regelung, durch eine weitgehende Eindämmung von Werbegeschenken im Heilmittelbereich der abstrakten Gefahr einer hiervon ausgehenden unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, weit auszulegen. Er erfasst grundsätzlich jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung. Eine Werbegabe setzt demnach voraus, dass die Zuwendung aus der Sicht des Empfängers unentgeltlich gewährt wird; er muss diese als ein Geschenk ansehen (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 25 – Gutscheinwerbung). Das trifft auf PAYBACK-Punkte zu.

 

114 (2) Eine Werbegabe im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG liegt zudem nur dann vor, wenn ihr Anbieten, Ankündigen oder Gewähren zumindest die abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung des Werbeadressaten begründet. Diese teleologische Einschränkung des Begriffs der Werbegabe gilt nicht nur für die Fachkreiswerbung, sondern auch für die Publikumswerbung (BGH, GRUR 2020, 659 Rdnr. 24 – Gewinnspielwerbung I).

 

115 Im Streitfall kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verbraucher, der ein Hörgerät benötigt, durch die Werbung der Beklagten, bei jedem Einkauf PAYBACK-Punkte sammeln zu können, veranlasst wird, das Hörgerät gerade deswegen bei ihr zu kaufen. Das reicht für die abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung aus. Es kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Aussicht, PAYBACK-Punkte sammeln zu können, einen Kunden nicht veranlassen kann, weniger intensiv nach für ihn geeigneten Hörgeräten zu suchen (vgl. BGH, GRUR 2015, 813 Rdnr. 18 f. – Fahrdienst zur Augenklinik).

 

116 ff) Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG, wonach Zuwendungen oder Werbegaben zulässig sind, die in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag gewährt werden, liegen nicht vor.

 

117 Entgegen der Auffassung der Beklagten ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfassend geklärt, dass die Gewährung betragsmäßig oder mit einer Prozentangabe bezeichneter Rabattgutscheine für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte dem Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a HWG nicht unterfällt, und zwar sowohl wenn es sich um einen Rabatt für den nächsten Einkauf beim Werbenden handelt als auch um einen Rabatt bei einem Online-Marktplatz (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 32 – Gutscheinwerbung). Der Ausnahmetatbestand ist demnach dahin auszulegen, dass ihm allein unmittelbar wirkende Preisnachlässe und Zahlungen, nicht aber auf einen Geldbetrag oder einen prozentualen Rabatt lautende Gutscheine für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte unterfallen (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 36 – Gutscheinwerbung). Soweit durch einen solchen Rabattgutschein ein Anreiz für den Erwerb weiterer Heilmittel geschaffen wird, ist der Schutzzweck des Heilmittelwerberechts berührt, einer unkritischen Selbstmedikation und einem womöglich gesundheitsgefährdenden Zuviel- und Fehlgebrauch von Heilmitteln entgegenzuwirken. Durch die Zuordnung von Rabattgutscheinen für zukünftige Erwerbsvorgänge unter den Begriff der Zuwendung oder Werbegabe im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Fall 2 HWG, die nur als geringwertige Kleinigkeit zulässig sind, wird diesem weiteren Schutzzweck in besonderer Weise Rechnung getragen, weil von geringwertigen Rabattversprechen auch nur eine verminderte Anreizwirkung ausgeht. Mit Blick auf für den Heilmittelerwerb ausgelobte Rabattgutscheine für den Einkauf bei Anbietern anderer Waren vermindert diese Einordnung schon die Gefahr einer unsachlichen Motivation des Erstkaufs von Heilmitteln (BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 37 – Gutscheinwerbung).

 

118 Es spielt folglich keine Rolle, ob mit den PAYBACK-Punkten ein späterer Rabatt bei der Beklagten oder bei einem Dritten erzielt werden kann. Allein ausschlaggebend ist, dass die PAYBACK-Punkte nicht sofort den fälligen Kaufpreis mindern.

 

119 gg) Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Fall 2 HWG liegen nicht vor.

 

120 (1) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Fall 2 HWG sind Zuwendungen oder Werbegaben zulässig, wenn es sich um geringwertige Kleinigkeiten handelt. Die Wertgrenze für eine geringwertige Kleinigkeit in diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vor dem Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 HWG, der seit dem 13.08.2013 jegliche Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel verbietet, die entgegen den auf Grund des Arzneimittelgesetzes geltenden Preisvorschriften gewährt werden, bei 1,00 € gezogen (BGH, GRUR 2015, 813 Rdnr. 21 – Fahrdienst zur Augenklinik; BGH, GRUR 2023, 1318 Rdnr. 27 – Gutscheinwerbung). Hintergrund dieser Grenzziehung war, dass bei fehlendem Preiswettbewerb auch kleinere Zuwendungen leicht ins Bewusstsein des Verbrauchers treten und diesen dadurch zu nutzenmaximierenden Marktreaktionen veranlassen können (BGH, GRUR 2013, 1264 Rdnr. 20 – RezeptBonus).

 

121 (2) Ob angesichts dieser Begründung die Wertgrenze von 1,00 € auf Publikumswerbung für nicht-preisgebundene Heilmittel, insbesondere Medizinprodukte, zu übertragen ist, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt (BeckOK.HWG/Doepner/Reese, 11. Edition, Stand: 01.10.2023, § 7 Rdnr. 563 ff.). Der Bundesgerichtshof hat diese Frage offengelassen und angenommen, dass gegebenenfalls eine höher anzusetzende Wertgrenze in Betracht komme, die allenfalls bei 5,00 € liege (BGH, GRUR 2015, 813 Rdnr. 21 – Fahrdienst zur Augenklinik). Dem hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung zum Teil angeschlossen (OLG Köln, WRP 2016, 1388, juris Rdnr. 48; KG, WRP 2020, 495, juris Rdnr. 30). Das OLG Brandenburg hat bzgl. einer Publikumswerbung angenommen, dass die Übernahme eines Eigenanteils von 2,00 € für die Abnahme von sechs Schutzmasken, also 0,33 € je Schutzmaske, die Schwelle, bis zu der eine geringwertige Kleinigkeit angenommen werden könne, nicht überschreite (OLG Brandenburg, GRUR-RR 2021, 392, juris Rdnr. 15; offenlassend OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 374, juris Rdnr. 54).

 

122 In Bezug auf Fachkreiswerbung hat der erkennende Senat die unentgeltliche Abgabe einer Tube Schmerzgel mit einem Verkaufspreis von 9,97 € nicht mehr für geringwertig gehalten (HansOLG, GRUR-RR 2015, 76, juris Rdnr. 28). Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Wertgrenze von 1,00 € in gleicher Weise für die Angehörigen der Fachkreise gelte und dass eine Werbegabe mit einem Einkaufspreis von 27,47 € deshalb nicht mehr geringwertig sei (OLG Stuttgart, GRUR-RR 2018, 377, juris Rdnr. 42 ff.). Das OLG Hamm hat angenommen, dass gegenüber Fachkreisen als Zugabe beworbene Boxen mit Süßigkeiten im Wert von 4,89 € nicht mehr geringwertig seien (OLG Hamm, GRUR-RR 2021, 238, juris Rdnr. 35). Das OLG Köln ist demgegenüber davon ausgegangen, dass Werbegaben an Fachkreise im Gesamtwert von 13,00 € bei einem Einkaufspreis von 1.553,00 € noch eine geringwertige Kleinigkeit darstellten (OLG Köln, GRUR-RR 2019, 393, juris Rdnr. 29).

 

123 (3) Nach Auffassung des Senats ist die im Fall einer Publikumswerbung für preisgebundene Arzneimittel geltende Wertgrenze von 1,00 € nicht auf den Fall einer Publikumswerbung für nicht- preisgebundene Heilmittel, insbesondere Medizinprodukte, zu übertragen. Wegen des in diesen Fällen bereits möglichen Preiswettbewerbs und der allgemeinen Preissteigerung ist eine gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG zu verhindernde Lenkungswirkung vielmehr erst bei einem Wert von mehr als 5,00 € zu befürchten.

 

124 (4) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser Betrag nicht die Wertgrenze, die für einen einzelnen PAYBACK-Punkt gilt, sondern für die Summe der gewährten PAYBACK-Punkte. Denn wenn für sich allein als geringwertig anzusehende Zuwendungen gebündelt gewährt werden, ist regelmäßig auf den Summeneffekt abzustellen (BGH, GRUR 2021, 628 Rdnr. 30 – Apothekenmuster II). Aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 09.09.2010 ergibt sich nichts anderes. Dort hat der Bundesgerichtshof die Geringwertigkeit zwar je Taler bzw. Bonuspunkt geprüft (GRUR 2010, 1133 Rdnr. 22 – Bonuspunkte; I ZR 125/08, juris Rdnr. 21 – Bonussystem; I ZR 26/09, juris Rdnr. 23 – Bonus-Taler). Soweit ersichtlich wurden die Taler bzw. Punkte dort allerdings nicht – wie hier – proportional zum Umsatz ausgegeben, sondern nur ein einziger Taler bzw. Punkt für jedes Arzneimittel (KG, GRUR-RR 2008, 450, juris Rdnr. 3 als Vorinstanz zu BGH, GRUR 2010, 1133 – Bonuspunkte) bzw. für einen Einkauf ab 10,00 € (LG Offenburg, Urteil vom 12.09.2007 – 5 O 107/06, BeckRS 2009, 489 als erste Instanz zu BGH, Urteil vom 09.09.2010 – I ZR 26/09, juris – Bonus-Taler).

 

125 Der Betrag von 5,00 € ist zudem die Wertgrenze für die PAYBACK-Punkte, die für den Kauf jedes einzelnen Medizinprodukts, hier Hörgeräteprodukts, gewährt werden dürfen. Dies folgt aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Wertgrenze von 1,00 € für jedes verschreibungspflichtige Präparat gilt und nicht etwa für jedes Rezept, auf dem auch mehrere verschreibungspflichtige Arzneimittel verschrieben werden können (BGH GRUR 2013, 1262 Rdnr. 9 – Rezept-Prämie; BGH, GRUR 2015, 813 Rdnr. 21 – Fahrdienst zur Augenklinik).

 

126 hh) Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern spürbar im Sinne von § 3a UWG zu beeinträchtigen. Bei Vorschriften, die dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, kann die Spürbarkeit von Verstößen nur ganz ausnahmsweise verneint werden (BGH, GRUR 2015, 813 Rdnr. 25 – Fahrdienst zur Augenklinik). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

 

127 ii) Soweit der Kläger die Werbung der Beklagten mit der Gutschrift von PAYBACK-Punkten angreift, besteht Wiederholungsgefahr gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG. Soweit der Kläger beantragt, der Beklagten zu verbieten, die Gutschrift dieser Punkte ankündigungsmäßig zu veranlassen, besteht auf Grund der Werbung Erstbegehungsgefahr gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG.

 

128 jj) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt das Verbot, die Gutschrift von PAYBACK-Punkten im Gesamtwert von mehr als 5,00 € pro Einkauf eines Hörgeräteprodukts zu bewerben und die Gutschrift zu gewähren, keinen schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit oder Wettbewerbsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG dar. Das Verbot ist vielmehr eine geeignete und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der Gesundheitsinteressen, denen § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG dient.

 

129 b) Der Kläger kann gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in der bis zum 01.12.2020 gültigen Fassung, die maßgeblich ist, weil sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung in Kraft war (vgl. BGH, GRUR 2022, 930 Rdnr. 54 – Knuspermüsli II), Ersatz einer Abmahnkostenpauschale in Höhe von 299,60 € verlangen. Die mit der Abmahnung angegriffene Fassung der Werbung gemäß Anlage K 4 war aus denselben Gründen unlauter wie die Werbung gemäß Anlage I. Auch wenn die Abmahnung insoweit unberechtigt war, als es darin an einer Begrenzung auf die Gutschrift von PAYBACK-Punkten im Gesamtwert von mehr als 5,00 € je Einkauf eines Hörgeräteprodukts fehlte, ist die Pauschale in voller Höhe zu ersetzen. Die einem Verband zustehende Kostenpauschale richtet sich nach den Kosten des Verbandes. Sie fällt daher auch bei einer nur teilweise berechtigten Abmahnung in voller Höhe an und ist deshalb in voller Höhe zu erstatten (BGH, GRUR 2010, 744 Rdnr. 51 – Sondernewsletter).

 

130 Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

 

131 4. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der ersten Instanz aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO und hinsichtlich des Berufungsverfahrens aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

 

132 5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711, § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung der Beklagten wird unter Einschluss der erstinstanzlichen Verurteilung zuzüglich Kosten bestimmt (Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 709 Rdnr. 11; KG, Urteil vom 20.02.2019 – 26 U 29/18, juris). Im Gegensatz zum Gläubiger hat der Schuldner keine Möglichkeit, Teilsicherheiten (zur teilweisen Abwendung einer Vollstreckung) zu leisten (BGH, NJW 2015, 77 Rdnr. 16).

 

133 6. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO unbeschränkt zuzulassen, da der Bundesgerichtshof bislang offengelassen hat, welche Wertgrenze gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Fall 2 HWG im Fall einer Publikumswerbung für andere Heilmittel als verschreibungspflichtige Arzneimitteln gilt.

 

134 7. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 51 Abs. 2 GKG.