Grippeimpfstoffvereinbarung zwischen Krankenkasse und Apothekerverband
2. Vergabekammer des Bundes am Bundeskartellamt, Beschluss vom 15. Mai 2018

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: VK 2 – 30/18

Leitsätze der Redaktion:

GWB § 103 Abs. 5 Satz 2, § 155, § 168 Abs. 1; SGB V § 129 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 3

 

Eine Rahmenvereinbarung zwischen einer Krankenkasse und einem Apothekerverband, in der der Preis für eine Dosis generisch verordneten Grippeimpfstoffs festgelegt ist, ist wie ein öffentlicher Auftrag einer vergaberechtlichen Überprüfung zugänglich.

 

Verpflichtet sich die Krankenkasse in dieser Rahmenvereinbarung, die Durchsetzung einer Liefervereinbarung mit einem Hersteller über ein besonders günstiges Produkt „aktiv zu fördern“, ist eine tatsächliche Lenkungswirkung anzunehmen.

 

Eine solche Lenkungswirkung zum günstigsten Produkt ist legitim und dient der mit hohem Rang ausgestatteten Gemeinwohlaufgabe der Sicherstellung der finanziellen Stabilität des GKV-Systems – allerdings nur auf Basis einer vergaberechtlich korrekten Behandlung. Es müsste also ein Vergabeverfahren oder ein Open-House-Verfahren gegenüber Apotheken oder Herstellen durchgeführt werden.

 

Die Streichung von § 132e Abs. 2 SGB V a. F. führt nicht zu einem vergaberechtlichen Ausschreibungsverbot den Herstellern gegenüber.

Gründe:

I.

 

1. Die Antragsgegnerin zu 2) (Ag zu 2)), eine Tochtergesellschaft der Beigeladenen zu 1) (Bg zu 1)), hat am […] eine „Kooperationsvereinbarung Grippeimpfstoff Saison 2018/2019“ mit der Beigeladenen zu 4) (Bg zu 4)), einem Impfstoffhersteller, abgeschlossen. Nach den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen […] wird Grippeimpfstoff nach den Grundsätzen des Sprechstundenbedarfs abgewickelt, ohne selbst originär Sprechstundenbedarf zu sein; nach den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen wird der Sprechstundenbedarf und hier konkret der Grippeimpfstoff generell über die Antragsgegnerin zu 1) (Ag zu 1)) für alle gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam beschafft und abgewickelt.

 

Gemäß der Kooperationsvereinbarung, deren Laufzeit am 1. Februar 2018 begonnen hat und am 30. Juni 2019 endet, wird den Apotheken, die Mitglieder der Apothekerverbände […], also bei den Beigeladenen zu 1) bis 3) (Bg zu 1) bis 3)) sind, ermöglicht, für den Fall, dass sie Grippeimpfstoffe für die Saison 2018/2019 über die Ag zu 2) bestellen wollen, die Impfstoffe zu den im Vertrag festgelegten Sonderkonditionen zu einem festgelegten Preis pro Impfdosis vom Impfstoffanbieter, der Vertragspartner der Ag zu 2) ist, hier konkret die Bg zu 4), zu beziehen. Die Ag zu 2) verpflichtet sich, die Kooperationsvereinbarung bei den Mitgliedsapotheken bekannt zu machen. Die bei der Ag zu 2) einzureichenden Bestellungen werden bis spätestens 31. März 2018 an den Impfstoffhersteller weitergeleitet. Nachbestellungen sind bis zu einem gewissen Prozentsatz (vgl. Ziffer 6. der Kooperationsvereinbarung, von der Ag zu 2) der Ag zu 1) gegenüber als Geschäftsgeheimnis deklariert) der bis zum 31. März 2018 georderten Menge zu identischen Konditionen möglich. Die Kooperationsvereinbarung begründet keine Abrufverpflichtung durch die Ag zu 2); die Apotheken können frei entscheiden, ob sie die Bestellmöglichkeit über die Ag zu 2) nutzen wollen und können unabhängig von der Vereinbarung abweichende Konditionen vereinbaren. Die Abrechnung erfolgt direkt zwischen Bg zu 4) und der belieferten Apotheke, die Ag zu 2) fungiert nur als Vermittler und erhält nach einer separaten Provisionsvereinbarung Provisionszahlungen von der Bg zu 4).

 

Die Antragsgegnerin zu 1) (Ag zu 1)) hat am […] mit der Bg zu 1), am […] mit der Bg zu 2) sowie am […] mit der Bg zu 3) weitgehend identische „Vereinbarungen über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen (…)“ für die Saison 2018/2019 abgeschlossen. Dort ist zusammengefasst vorgesehen, dass die Ag zu 1) den Apotheken einen bestimmten, dort festgelegten Betrag pro Impfdosis erstattet, wenn der Arzt ohne Nennung eines konkreten Produkts, also nur wirkstoffbezogen Grippeimpfstoff für seinen Sprechstundenbedarf vorbestellt (z.B. § 2[…]

 

„Verordnung eines Grippeimpfstoffs mit Beschränkung der Auswahlmöglichkeit für den Apotheker“). Verordnet der Arzt indes unter Nennung eines konkreten Produkts, so gilt die Erstattungsvereinbarung und der dort vereinbarte Erstattungsbetrag nicht; in diesem Fall ist vielmehr vorgesehen, dass die Apotheke Rücksprache nimmt mit dem Arzt, ob wirklich ausschließlich die auf ein konkretes Produkt ausgestellte Verordnung gewünscht ist. Wenn der Arzt dies bestätigt, so reicht die Apotheke einen Kostenvoranschlag bei der Ag zu 1) ein, welcher der Genehmigung bedarf, um erstattungsfähig zu sein. Ferner verpflichtet sich die Ag zu 1) in den Erstattungsvereinbarungen dazu, die Kassenärztlichen Vereinigungen „sowie die Vertragsärzte über die Ziele dieser Vereinbarung und die Bestimmung zur Verordnung von Grippeimpfstoffen zu informieren und deren Umsetzung aktiv zu fördern.“

 

2. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 13. März 2018, Eingang bei der Vergabekammer am selben Tag, stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag.

 

a) Die ASt beanstandet allgemein und vor der dezidierten rechtlichen Erörterung, dass die Ag zu 2) ihrer Pflicht zur Vorlage der Vergabeakte, § 163 Abs. 2 S. 4 GWB, für welche nach § 163 Abs. 2 S. 5 i.V.m. § 59 Abs. 2 GWB der Geschäftsführer persönlich verantwortlich sei, nicht nachgekommen sei. Jedenfalls müsse eine ungeschwärzte Fassung der Festpreis-Liefervereinbarung mit der Bg zu 4) vorgelegt werden. Gründe, welche dem Einsichtsrecht nach § 165 Abs. 2 GWB entgegenstünden, seien – was die ASt anbelange – weder ersichtlich noch vorgetragen, insbesondere da der ASt angeblich ein jederzeitiges Beitrittsrecht zu dieser Liefervereinbarung zustehen solle. Die Vermutung liege hier nahe, dass die Liefervereinbarung Tatsachen enthalte, die den beiden Ag im vorliegenden Nachprüfungsverfahren nachteilig sein könnten. Die Vergabekammer müsse dem Recht der ASt auf ungeschwärzte Einsicht in die Liefervereinbarung Geltung verschaffen, um das rechtliche Gehör der ASt sicherzustellen.

 

a) Das von den Ag und den Bg zu 1) bis 3) vorgenommene formaljuristische Auseinanderdividieren von Festpreis- Erstattungsvereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) auf der einen Seite und der Festpreis-Liefervereinbarung zwischen Ag zu 2) und Bg zu 4) auf der anderen Seite gehe erkennbar fehl. Zum Zustandekommen der gesamten Festpreisvereinbarung sei festzustellen, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang bestünde: Festpreis-Liefervereinbarung zwischen Ag zu 2) und Bg zu 4) am […], Festpreis-Erstattungsvereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) am […] unterschrieben durch Ag zu 1), gegengezeichnet am […] durch die Bg zu 1) bis 3). Die Liefervereinbarung sei erkennbare conditio sine qua non für die Festpreis-Erstattungsvereinbarung. Dieser zeitliche Zusammenhang werde bestätigt durch den materiell- wirtschaftlichen Zusammenhang; zunächst habe nämlich die Ag zu 2) in direkten Verhandlungen mit der Bg zu 4) die Einkaufskonditionen gesichert, damit die Bg zu 1) bis 3) diese im Anschluss und postwendend an die Ag zu 1) weitergeben habe können. Ein offener Wettbewerb auf der Ebene des Impfstoffeinkaufs gegenüber den Herstellern habe entgegen den Einlassungen der Ag zu 2) zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Auch dieser materiell-wirtschaftliche Zusammenhang beider Elemente der Festpreisvereinbarung belege, dass die Liefervereinbarung conditio sine qua non für die Erstattungsvereinbarung sei. Die Apotheken seien damit gerade nicht einem eigenen Risiko auf der Ebene des Impfstoffeinkaufs ausgesetzt, zumal es sich ausweislich der Ziffer 1 der Festpreis-Liefervereinbarung um „Sonderkonditionen“ handle. In der Durchreichung der Einkaufskonditionen an die Ag zu 1) liege eine rahmenvereinbarungsgegenständliche Einkaufskondition über die Lieferung von Impfstoff zur Versorgung der Kassenpatienten. Zeitliche und wirtschaftliche Abfolge ds Zustandekommens der beiden Vereinbarungen belegten gleichzeitig den engen rechtlichen Zusammenhang, denn die Festpreis-Liefervereinbarung bilde die Geschäftsgrundlage für die Festpreis-Erstattungsvereinbarung i.S.v. § 59 Abs. 1 S. 1 SGB X. Umgekehrt gelte dasselbe, denn nach Ziffer 15 der Festpreis-Liefervereinbarung stünden den bestellenden Apotheken Schadenersatzansprüche gegen die Bg zu 4) für den Fall des Lieferausfalls oder des Verzugs zu, was bezüglich der Entstehung eines Schadens sinnlogisch an die Festpreis-Erstattungsvereinbarung anknüpfe. Die Interessenlage sei entgegen der Aussagen der anderen Verfahrensbeteiligten nicht etwa dahin zu charakterisieren, dass die Apothekenseite vorrangig eigene privatwirtschaftliche Ziele verfolge; im Gegenteil ziele das Festpreismodell allein darauf ab, der Ag zu 1) die Versorgung ihrer Versicherten mit Impfstoff zu möglichst günstigen Konditionen zu ermöglichen, indem die herstellerseitigen Preiskonditionen an die Ag zu 1) durchgereicht würden. Dominierender Regelungsgegenstand seien vorrangig die herstellerseitigen Preiskonditionen, was allein die verhältnismäßigen Anteile am Erstattungsbetrag –[…] mit der Beigeladenen zu 2) am […] abgeschlossene „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […] nebst „Vereinbarung zur Regelung von Einzelheiten der Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […]

 

b) mit der Beigeladenen zu 2) am […] abgeschlossene „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […] nebst „Vereinbarung zur Regelung von Einzelheiten der Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […] entfielen auf den Hersteller, […] auf den Apothekerzuschlag – deutlich machten. Die Ag zu 2) habe gleichsam einer Vergabestelle für die Ag zu 1) zwecks Beschaffung von quadrivalentem Grippeimpfstoff agiert. Beide Verträge müssten aufgrund ihrer funktionalen Wirkung als zusammenhängend und als Ganzes betrachtet werde, sie hätten dieselbe Wirkung wie ein Rabattvertrag zwischen Ag zu 1) und Bg zu 4) i.S. der kraft gezielter Entscheidung des Bundesgesetzgebers gestrichenen Bestimmung des § 132 e SGB V a.F.

 

Die Einlassung der Ag zu 1), auch andere Grippeimpfstoffhersteller – insgesamt nur drei für den quadrivalenten Impfstoff – könnten sich in gleicher Weise der Festpreis- Liefervereinbarung anschließen, sei lebensfremd; da es ausgeschlossen gewesen sei, dass die beiden anderen Hersteller sich der Festpreis-Liefervereinbarung anschließen würden, sei vorgezeichnet, dass die Apotheken ausschließlich und exklusiv bei der Bg zu 4) bestellen würden, da sie ansonsten nicht nur keine Marge erzielen würden, sondern die Impfstoffe unterhalb ihrer eigenen Kosten abgeben müssten. Das Zusammenwirken beider Vereinbarungen führe damit zu faktischer Exklusivität, was allen Beteiligten bekannt und auch gewollt gewesen sei.

 

Ganz abgesehen davon, dass sich der sozialrechtliche Rechtsrahmen bei der Grippeimpfstoffversorgung geändert habe, wonach der Gesetzgeber die Versorgungssicherheit und die Anbietervielfalt gewährleisten wolle, könnten sich die Ag und der Bg zu 3) nicht auf eine quasi-gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Ausschreibungspflicht infolge bislang geübter de-facto-Vergabepraxis berufen. Das Festpreismodell verstoße damit auch gegen die sozialrechtlichen Rahmenvorgaben, die exklusive Lieferbeziehungen mit einem Anbieter gerade vermeiden wollten.

 

Die ASt wolle der Ag zu 1) auch nicht jede Möglichkeit abschneiden, mit den Apotheken Vergütungsvereinbarungen bezüglich der Grippeimpfstoffe abzuschließen; ebenso wie die Ag zu 1) dies mit den Bg zu 1) bis 3) für alle anderen Impfstoffe vereinbart habe, bestünde im Rahmen des geltenden Sozialrechts die Möglichkeit, in derartigen Vereinbarungen eine Vergütung vorzusehen, die aus einem prozentualen Zuschlag auf den Apothekeneinkaufspreis des jeweiligen Impfstoffs bestehe. Das sozialrechtliche Versorgungsmodell müsse sich dem höherrangigen Vergaberecht anpassen, und nicht – wie das OLG Düsseldorf bereits entschieden habe (Beschluss vom 14. September 2016 – VII Verg 1/16) – umgekehrt. Die Apotheken seien unter Geltung von § 132 e Abs. 2 SGB V als auch unter dem Festpreismodell als reine Intermediäre zu betrachten. Wirtschaftlich betrachtet seien die Impfstoffhersteller ebenso wie bei den Rabattverträgen nach § 130 a Abs. 8 SGB V die Marktgegenseite. Der Vertriebsweg über die Apotheken bliebe hiervon unberührt.

 

In rechtlicher Hinsicht hält die ASt den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet.

 

aa) Im Rahmen der Zulässigkeit legt die ASt folgende Punkte dar: (1) Öffentliche Auftraggebereigenschaft von Ag zu1) und zu 2):

 

Bei beiden Ag handle es sich um öffentliche Auftraggeber.

 

Die Ag zu 1) sei als gesetzliche Krankenkasse öffentlicher Auftraggeber. Es liege eine faktische Beschaffung der Ag zu 2) für die Ag zu 1) vor.

 

Was die Ag zu 2) anbelange, so sei es richtig, den Nachprüfungsantrag ebenfalls gegen diese als mittelbaren Stellvertreter der Ag zu 1) zu richten, was sich aus den Besonderheiten der mittelbaren Stellvertretung ergäbe, wonach das Vertretungsgeschäft im eigenen Namen abgeschlossen werde. Die Unwirksamkeit des Geschäfts könne aufgrund der formaljuristischen Dispositionsbefugnis des Vertreters im Verhältnis zum Geschäftspartner im kontradiktorischen Nachprüfungsverfahren nur festgestellt werden, wenn der Vertreter auch unmittelbarer Antragsgegner sei. Ansonsten bestünde kein effektiver Rechtsschutz, denn die ASt habe ausdrücklich auch die Feststellung der Unwirksamkeit der Festpreis-Liefervereinbarung beantragt. Die Ag zu 2) möge bei isolierter Betrachtung zwar nicht als öffentlicher Auftraggeber anzusehen sein. Unter folgenden Gesichtspunkten sei diese Eigenschaft der Ag zu 2) vorliegend jedoch zu bejahen:

 

Die Ag zu 2) habe bei Abschluss der Festpreis-Liefervereinbarung mit der Bg zu 4) in mittelbarer Stellvertretung für die Ag zu 1) gehandelt, da die Ag zu 2) den Vertrag mit der Bg zu 4) im eigenen Namen, aber im Interesse und für Rechnung der Ag zu 1) abgeschlossen habe. Bei der gebotenen funktionalen Betrachtung des Festpreismodells bestünde eine funktionsgleiche Wirkung mit einem Rabattvertrag zwischen der Ag zu 1) und der Bg zu 4). Es liege dem Grunde nach eine Beschaffung der Ag zu 2) für die Ag zu 1) vor. Die Verordnung von Impfstoffen im System der GKV erfolge nämlich erstens nach den Impfvereinbarungen, welche die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den gesetzlichen Krankenkassen getroffen hätten, den sog. Impfvereinbarungen, zu Lasten der Ag zu 1). Zweitens würden Impfstoffe gemäß diesen Impfvereinbarungen nach den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen, die ebenfalls zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den gesetzlichen Krankenkassen geschlossen worden seien, wie Sprechstundenbedarf bezogen. Danach erfolge die Bestellung von Sprechstundenbedarf durch die Vertragsärzte stets an die Ag zu 1) und werde durch diese veranlasst, so dass die Beschaffung von Sprechstundenbedarf originäre Angelegenheit der Ag zu 1) sei. Die Apothekerschaft, hier repräsentiert durch die Bg zu 1) bis 3), sei danach bei der Beschaffung von Impfstoff lediglich zwischengeschaltet und habe somit faktisch als Intermediärin der Ag zu 1) und auf deren Veranlassung, wie in den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen vorgesehen, gehandelt. Ferner habe die Ag zu 2) jedenfalls im weit überwiegenden Interesse der Ag zu 1) gehandelt sowie letztlich auf deren Rechnung. Zwar habe die 1. Vergabekammer des Bundes im Verfahren VK 1-12/11 mit Beschluss vom 23. März 2011 in einer vergleichbaren Konstellation die öffentliche Auftraggebereigenschaft verneint. Zu Unrecht sei die Vergabekammer davon ausgegangen, dass die Apotheken die Marktgegenseite der Krankenkassen bei der Abgabe von Grippeimpfstoff darstellten; diese seien vielmehr lediglich als zwischengeschaltete Intermediäre anzusehen. Marktgegenseite der Ag zu 1) seien richtigerweise die Impfstoffhersteller.

 

Das OLG Düsseldorf habe diese Frage in der Rechtsmittelinstanz aber offen gelassen, allerdings mit einer Andeutung dahin, dass das OLG die Annahme einer mittelbaren Stellvertretung dem Grunde nach keineswegs als fernliegend angesehen haben dürfte (Beschluss vom 3. August 2011 – VII-Verg 33/11). Ebenfalls übersehen habe die 1. Vergabekammer des Bundes, dass das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 17. Januar 2011 (Az.: VII-Verg 3/11) einen sehr eindeutigen Hinweis gegeben habe, wonach eine mittelbare Stellvertretung durch die Apotheken für möglich gehalten worden sei, wenn diese die Lieferantenpreise zuzüglich eines Zuschlags an die gesetzliche Krankenkasse weitergeben dürfte. Genauso verhalte es sich hier, denn hier sei die Weitergabe des mit der Bg zu 4) vereinbarten Lieferantenfestpreises an die Ag zu 1) zuzüglich eines absolut bestimmten und in der Festpreis-Erstattungsvereinbarung festgelegten Aufschlags für die Apotheke vorgesehen. Damit würden sich die Festpreis-Liefervereinbarung und die Festpreis- Erstattungsvereinbarung gegenseitig bedingen, denn das Festpreismodell ziele maßgeblich darauf ab, die von der Ag zu 2) mit der Bg zu 4) vereinbarten Preise unter Berücksichtigung des bloßen Apothekenaufschlags wirtschaftlich unmittelbar an die Ag zu 1) durchzureichen. Vergleichbar mit Rabattverträgen nach § 130 a Abs. 8 SGB V würden damit Beschaffungskonditionen zugunsten eines öffentlichen Auftraggebers geregelt. Die Festpreis-Liefervereinbarung sei von der Ag zu 2) mithin jedenfalls im weit überwiegenden Interesse sowie insbesondere auf Rechnung der Ag zu 1) abgeschlossen worden, so dass es sich um ein Eigengeschäft der Ag zu 2) handle, dessen wirtschaftliche Folgen – was kennzeichnend für die mittelbare Stellvertretung sei – die Ag zu 1) träfen.

 

Das Festpreismodell diene des Weiteren einzig und allein der Umgehung sowohl der sozialrechtlichen Gesetzeslage als auch zur Umgehung der kartellvergaberechtlichen Ausschreibungspflichten, was die Ag zu 1) mit ihrem Hinweis darauf, das Festpreismodell sei seit der Streichung von § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. alternativlos. Das Ansinnen der Ag zu 1), sich den kartellvergaberechtlichen Bindungen zu entziehen, werde über ein kollusives Zusammenwirken mit den Bg zu 1 bis 3) und deren Beschaffungsdienstleistern, der Ag zu 2), erreicht. Die Konstellation im Festpreismodell unterscheide sich nicht von der Sachlage, welche der Entscheidung des OLG Düsseldorf zur integrierten Versorgung im Verfahren VII-Verg 15/12 zugrunde gelegen habe. Die Ag zu 2) und die Bg zu 1) bis 3) hätte der Ag zu 1) in Gestalt der Bg zu 4) einen alleinigen Lieferanten für Grippeimpfstoffe vermittelt. Die – rein formelle – Freiwilligkeit der Mitwirkung an der Festpreisvereinbarung seitens der Apotheken und seitens der Ärzte sowie der fehlende Rechtsanspruch der Bg zu 4) auf exklusive Belieferung würden keine andere Beurteilung gebieten, denn die Einbindung in die Festpreisvereinbarung lasse erwarten, dass die Bg zu 4) ganz überwiegend zur Belieferung herangezogen werde. Damit würden öffentliche Lieferaufträge am Wettbewerb vorbei an die Bg zu 4) vergeben. Die Vermeidung jeglichen Vergabewettbewerbs sowohl auf Ebene der Apothekerschaft als auch auf Ebene der Hersteller stelle eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts dar; die Ag zu 1) müsse entweder selbst die Lieferung von Grippeimpfstoff ausschreiben oder zumindest die Bg zu 1) bis 3) verpflichten, die Lieferanten in einem geregelten Vergabeverfahren auszuwählen.

 

Zusammenfassend müsse sich die Ag zu 2) aufgrund mittelbarer Vertretung der Ag zu 1), die öffentlicher Auftraggeber sei, dem Vergaberecht unterwerfen, ferner ergäbe sich die Bindung an das Vergaberecht auch aus der ansonsten gegebenen Umgehung des Vergaberechts infolge einer Ausgliederung auf einen privaten Dritten.

 

(2) Öffentlicher Auftrag:

 

Die beiden Verträge seien isoliert betrachtet möglicherweise kein öffentlicher Auftrag, jedoch aufgrund der gebotenen funktionalen Gesamtbetrachtung als Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Grippeimpfstoffen zu qualifizieren, denn die Konditionen der Festpreis-Liefervereinbarung und der Festpreis-Erstattungsvereinbarung seien derart eng aufeinander abgestimmt, dass der Bezug von Grippeimpfstoff bei der Bg zu 4) durch die Apotheken wirtschaftlich der Ag zu 1) zuzurechnen sei. Die Festpreisvereinbarung habe den Zweck, die Bedingungen für öffentliche Lieferaufträge festzulegen, insbesondere den Preis; dies entspreche den Merkmalen der Rahmenvereinbarung nach § 103 Abs. 5 S. 1 GWB. Beide Verträge unterlägen dem Vergaberecht und würden mit dem vorliegenden Nachprüfungsantrag zur Überprüfung gestellt; die Nichtigkeitsfeststellung müsse sich auf beide Verträge erstrecken, denn die Unwirksamkeitserkärung eines Vertrags entzöge dem anderen Vertrag jeweils die wesentlichen Vertragsgrundlagen.

 

Ein nicht dem Vergaberecht unterliegendes Open-House-Modell sei nicht gegeben, die vom OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 11. Januar 2012 formulierten Mindestanforderungen an ein diskriminierungsfreies Zulassungsverfahren lägen nicht vor, da es an klaren Regeln über den Vertragsbeitritt als auch am Ausschluss einer Einflussnahme einzelner Unternehmen auf den Vertrags- und Vereinbarungsinhalt fehle, denn nicht die Ag hätten ihrerseits einen Festpreis aufgestellt, sondern dieser Festpreis sei erst in direkten Verhandlungen mit der Bg zu 4) ermittelt worden. Kein Zulassungsverfahren läge vor, sondern eine Preisabfrage mit Auswahlentscheidung, die in einem ordnungsgemäßen Vergabewettbewerb hätte durchgeführt werden müssen. Die Behauptung der Ag zu 2), auch die beiden anderen Anbieter quadrivalenten Impfstoffs neben der Bg zu 4), also auch die ASt, könnten sich der Festpreis-Liefervereinbarung anschließen, werde konterkariert dadurch, dass die Ag zu 2) nicht einmal bereit sei, eine ungeschwärzte Fassung der Vereinbarung vorzulegen, welcher die ASt angeblich jederzeit beitreten könne.

 

(3) Schwellenwert:

 

Nach den Berechnungen der ASt belaufe sich der Auftragswert auf Basis des mit der Bg zu 4) vereinbarten Lieferpreises auf ca. […] Mio. €.

 

(4) Antragsbefugnis, § 160 Abs. 2 GWB:

 

Die ASt habe ein erhebliches Interesse an einer Beteiligung an einem Vergabeverfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung, die der Festpreisvereinbarung entspricht. Beide Verträge, insbesondere auch der Festpreis-Liefervertrag, seien ohne Vergabeverfahren abgeschlossen worden, worin der maßgebliche Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften läge. Die ASt hätte sich mit guten Erfolgsaussichten an einem formalisierten, den Grundsatz des Geheimwettbewerbs beachtenden Vergabewettbewerb beteiligen können, zumal sozialrechtlich mindestens zwei Grippeimpfstoffhersteller in eine Festpreisvereinbarung hätten einbezogen werden müssen.

 

Die Antragsbefugnis werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Geschäftsführer der Ag zu 2) am 26. Januar 2016 telefonisch mit dem […] der ASt in Verbindung gesetzt habe, um sich nach der Kooperationsbereitschaft der ASt zur Lieferung unter obligatorischer Nutzung eines kostenpflichtigen Marketingtools der Ag zu 2), eines sog. Vorbestellservices, zu erkundigen. Im Telefonat sei deutlich geworden, dass die Ag zu 2) sich bereits in Kooperationsverhandlungen mit einem bereits in den Vorjahren kooperationsbereiten kleineren Unternehmen befände, so dass für die ASt der Eindruck entstanden sei, der eigentliche Preiswettbewerb sei längst gelaufen gewesen. Es sei absurd, der ASt vor diesem Hintergrund einen Schaden infolge der de facto zustande gekommenen Festpreis-Liefervereinbarung abzusprechen. Ein diskriminierungsfreier Wettbewerb auch für die ASt und mit gleichen Chancen für sie habe nämlich gerade nicht stattgefunden, im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme habe die Ag zu 2) bereits unter maßgeblichem Einfluss der von der Bg zu 4) entwickelten Vorstellungen gestanden. Richtigerweise hätten gar keine Verhandlungen stattfinden dürfen, die im gebotenen offenen oder nichtoffenen europaweiten Vergabeverfahren zulässig seien. Ein Grund für ein Verhandlungsverfahren mit der Bg zu 4) habe nicht bestanden.

 

(5) Rügeobliegenheit, § 160 Abs. 3 GWB:

 

Bezüglich der Pflicht zur vorherigen Veröffentlichung einer Bekanntgabe bestehe keine Rügeobliegenheit, § 160 Abs. 3 S. 2 GWB. Soweit die beiden Ag gegen ihre Pflicht verstoßen hätten, die Festpreisvereinbarung im offenen oder nichtoffenen Verfahren auszuschreiben, so habe die ASt von diesem Verstoß erst nach anwaltlicher Beratung Kenntnis im Rechtssinne über diesen rechtlich hochkomplexen Sachverhalt erlangt.

 

(6) Ausschlussfrist, § 135 Abs. 2 GWB:

 

Diese Frist sei gewahrt, denn die ASt habe lediglich am […] eine gemeinsame Presseinformation der Ag zu 1) und der Bg zu 1) bis 3) erhalten, die sich nur auf den Abschluss der Festpreis-Erstattungsvereinbarung bezogen habe. Von der Liefervereinbarung mit der Bg zu 4) habe die ASt erst durch eigene Recherchen erfahren. Die 30-Tages-Frist sei damit nicht in Gang gesetzt worden, so dass die kenntnisunabhängige sechsmonatige Frist greife. Vorsorglich sei der Nachprüfungsantrag aber innerhalb der 30-Tages-Frist gestellt worden.

 

bb) Die Begründetheit des Nachprüfungsantrags ergebe sich daraus, dass die Absicht zur Vergabe einer Festpreisvereinbarung EU-weit hätte bekannt gemacht und im offenen oder nichtoffenen Verfahren hätte vergeben werden müssen. Beide Komponenten der Festpreisvereinbarung seinen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam zu erklären. Die ASt beantragt,

 

1. das Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten;

 

2. die Unwirksamkeit gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB festzustellen im Hinblick auf a) die von der Antragsgegnerin zu 1) mit dem

 

(i) Beigeladenen zu 1) am […] abgeschlossene „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […],

 

(ii) Beigeladenen zu 2) am […] abgeschlossene „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen [..],

 

(iii) Beigeladenen zur 3) am […] abgeschlossene „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […],

 

sowie

 

b) die von der Antragsgegnerin zu 2) mit der Beigeladenen zu 4) am […] abgeschlossene „Kooperationsvereinbarung“, von der Antragsgegnerin zu 2) mit Schriftsatz datierend vom 26. März 2018 in teilweise geschwärzter Kopie vorgelegt als Anlage AG 1.

 

3. den Antragsgegnerinnen aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die entsprechenden Rahmenvereinbarungen und Verträge über die Lieferung von Grippeimpfstoffen […] für die Impfsaison 2018/2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschreiben, soweit dies nicht durch andere gesetzliche Vorschriften ausgeschlossen ist;

 

4. Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren;

 

5. auszusprechen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin notwendig gewesen ist;

 

6. den Antragsgegnerinnen die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

 

b) Die Ag zu 1) beantragt,

 

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

 

2. die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwenidgen Aufwendungen der Ag zu 1) der ASt aufzuerlegen,

 

3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Ag zu 1) für notwendig zu erklären.

 

Die Ag zu 1) habe bereits in den Vorjahren ganz ähnliche Verträge wie den vorliegenden abgeschlossen. Rechtsgrundlage hierfür sei § 129 Abs. 5 S. 1 SGB V, wonach die Krankenkassen mit den Apothekerverbänden ergänzende Vereinbarungen auf Landesebene zu den nach Absatz 2 dieser Vorschrift auf Bundesebene geschlossenen Vereinbarungen abschließen könnten. Diese Bestimmungen stellten den rechtlichen Rahmen für die Arzneimittelversorgung durch die Apotheken. Die Arzneimittellieferverträge müssten Preisregelungen für die Produkte enthalten, für die die Preisregelungen der Arzneimittelpreisverordnung nicht gelten würden, was bei Impfstoffen der Fall sei, so § 1 Abs. 3 Nr. 3 AMPreisV. Solche Arzneimittelliefer- und Versorgungsverträge könnten nach dem Willen des Normgebers ausschließlich zwischen den in § 129 Abs. 5 SGB V genannten Parteien geschlossen werden. Exklusive Rabattverträge mit den Impfstoffherstellern dürfe die Ag zu 1) seit der Streichung von § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. nicht mehr abschließen, wobei die Ag zu 1) auch in der Vergangenheit die kollektivvertragliche Lösung für vorzugswürdig gehalten habe.

 

Die Vertragslage in […], welcher die Verträge in […]sehr ähnlich seien, sei wie folgt zu charakterisieren: Die Ag zu 1) habe am […] für sich selbst und dür die Landesverbände der GKV mit der Bg zu 1) die „Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen […] sowie eine weitere Vereinbarung mit Einzelheiten hierzu geschlossen. Dort werde differenziert nach den ärztlichen Verodnungen mit und ohne Auswahlmöglichkeit für die Apotheke:

 

 In der ersten Variante sei ein Preis für quadrivalenten Impfstoff in Höhe von […] incl. MwSt. festgelegt worden. Eine sachliche Rechtfertigung für die Festlegung auf quadrivalenten Impfstoff ergebe sich aus der STIKO-Empfehlung. Die Vereinbarung mit den Apothekerverbänden sei produktneutral ausgestaltet, bei der sog. „Wirkstoff-Verordnung“ durch den Arzt überlasse dieser der Apotheke die Wahl des konkreten Produkts. Dabei zeigten die Erfahrungen aus der Vergangenheit, dass die Apotheker tatsächlich ganz verschiedene Produkte auswählten. Regelmäßig sei es auch so gewesen, dass im Vergleich zum Listenpreis der Lauer-Taxe Einsparungen hätten erzielt werden können. Mit welchen Herstellern die Ag zu 2) kooperiere und welchen Einkaufsweg die Apotheken beschritten (z.B. Direktvertrieb der Hersteller, Großhändler, andere Einkaufsgemeinschaften), sei deren Sache; die Apotheken könnten sich von der Ag zu 2) beliefern lassen, müssten dies aber nicht. Es könnten sich der bislang allein bestehenden Kooperation zwischen der Ag zu 2) und der Bg zu 4) noch weitere Hersteller anschließen. Für die Ag sei ausschließlich wichtig, dass die Apotheker sich bei den Wirkstoff-Verordnungen an den vereinbarten Preis und an die vereinbarten Verfahrensregelungen hielten.

 

 Bei der zweiten Variante, der ärztlichen Verordnung unter Beschränkung der Auswahlmöglichkeit für die Apotheke, habe die Apotheke durch Rücksprache mit dem Arzt aufzuklären, ob ausschließlich diese Verordnung gewünscht sei, und vermerke dies auf dem Verordnungsblatt. Hier sei kein Preis vereinbart und es bedürfe einer Einigung zwischen der jeweiligen Apotheke und der Ag zu 1) über die Vergütungshöhe. Die Einreichung von Kostenvorschlägen sei seit 2010 gängige Praxis. Nach Eingang des Kostenvoranschlags bestätige die Ag zu 1) zeitnah die Kostenübernahme.

 

Ausschreibungsverpflichtungen zu Lasten der Bg zu 1) bis 3) enthielten die Verträge nicht. Die Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllten selbstverständlich ihre gesetzliche Verpflichtung, Ärzte auf günstige Bezugsquellen hinzuweisen. Wie die Bg zu 1) bis 3) die vereinbarte Vergütung von […] bei der Variante mit Auswahlmöglichkeit sicherstellten, obliege allein ihnen und sei nicht Sache der Ag zu 1), die weder Verträge mit der Ag zu 2) noch mit der Bg zu 4) geschlossen habe und Informationen über die Kooperationsverträge der Ag zu 2) mit Herstellern auch lediglich aus der Presse bezogen habe. Danach sähen diese Kooperationsverträge keine garantierten Abnahmemengen vor. Zustande gekommen sei ein Vertrag bislang offenbar nur mit der Bg zu 4), er stünde aber auch allen anderen Herstellern quadrivalenten Impfstoffs offen. Es handle sich nicht um exklusive Verträge, weder die Apotheken noch die Ärzte würden zu einem bestimmten Bestellverhalten gezwungen; Ärzte blieben wie in der Vergangenheit frei, Impfstoffe jedes Herstellers zu verordnen und jede Apotheke ihrer Wahl zu beauftragen. Mit der Streichung von §132 e Abs. 2 SGB V sei die Rechtsgrundlage für den Abschluss von exklusiven Verträgen mit den Impfstoffherstellern entfallen. U.a. auch deshalb, weil weder die Ag zu 1) noch die Ag zu 2) eine Bieterselektion planten, habe auch keine Notwendigkeit bestanden, EU-weite Ausschreibungsmechanismen in die angegriffenen Vertragswerke zu inkorporieren. Zielsetzung der Vereinbarungen sei einerseits die Wirtschaftlichkeit und andererseits die Sicherheit der Versorgung mit Grippeimpfstoffen für die Saison 2018/2019. Da die ärztlichen Verordnungen über das Vorabbestellverfahren bis März/April vorliegen müssten, könnten die Apotheken so rechtzeitig bestellen, dass die bis zu sechsmonatige Herstellungsdauer, welche die Hersteller für die Produktion benötigten, eingehalten und damit die Versorgungssicherheit trotz der Umstellung von trivalenten auf quadrivalente Impfstoffe gegeben sei. Lieferengpässe habe es damit in der Region noch nie gegeben. Ein Wegfall des Vorabbestellverfahrens würde zu Versorgungsunsicherheit führen; dieses Szenario würde die ASt im Fall eines erfolgreichen Nachprüfungsantrags herbeiführen.

 

In rechtlicher Hinsicht sei der Nachprüfungsantrag bereits nicht statthaft. Auch die ASt anerkenne, dass isoliert beide Vertragskonstellationen nicht dem Vergaberecht unterworfen seien. Ebenso wenig eröffne eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung den Anwendungsbereich des Vergaberechts. Mittelbare Stellvertretung sei nicht gegeben, wie bereits die 1. Vergabekammer des Bundes im Verfahren VK 1-12/11 ausführlich begründet habe. Auch wenn die Ag zu 1) unbestritten letztlich Vergütungsschuldner bezüglich der Grippeimpfstoffe sei, so handle die Ag zu 2) als privatrechtliche Tochtergesellschaft der Bg zu 1) überwiegend eigennützig, indem sie versuche, den Apotheken einen Einkaufskanal unter mehreren, die den Apotheken daneben offen stünden, aufzuzeigen, mit dem der mit den Kassen vereinbarte Impfstofferstattungsbetrag inklusive Marge realisierbar sei. Die Apotheken seien im Verhältnis zu den Kassen die Marktgegenseite, die eigenständig sei. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 3. August 2011 (Az.: VII-Verg 33/11) habe das Vorliegen einer mittelbaren Stellvertretung als nicht vorliegend charakterisiert. Eine mit § 130 a Abs. 8 SGB V vergleichbare Situation entstünde hier nicht, denn es gäbe gerade keine vertraglichen Beziehungen zwischen Kassen und pharmazeutischen Unternehmen, insbesondere entstünde keine Exklusivstellung eines Herstellers. Die ASt habe nicht dargelegt, warum entgegen sonstiger Grundsätze der mittelbare Stellvertreter als Antragsgegner herangezogen worden sei, nicht der Vertretene selbst. Ein Umgehungsfall liege ebenso wenig und weder in Bezug auf das Vergaberecht noch auf den effet utile vor, was das OLG Celle mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 (Az.: 13 Verg 6/16) überzeugend dargelegt habe. Danach gäbe es für juristische Personen des Privatrechts keinen weiteren, über § 99 Nr. 2 und 4 GWB hinausgehenden Regelungsbedarf. Was die Ag zu 1) anbelange, so sei diese zwar öffentlicher Auftraggeber, führe jedoch keine Auftragsvergabe durch und sei auch nicht verpflichtet, die Bg zu 1) bis 3) oder die Ag zu 2) vertraglich zur Anwendung des Kartellvergaberechts anzuhalten, denn im Verhältnis der Ag zu 1) zu den Bg zu 1) bis 3) werde schon nichts beschafft, im Gegenteil dürfe die Ag zu 1) aufgrund der Streichung von § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. im Impfstoffbereich gar nicht mehr exklusiv mit den pharmazeutischen Unternehmen kontrahieren. Ausserdem sei keine Anbieterauswahl notwendig und auch nicht intendiert, so dass es auch aus diesem Grund an einer Auftragsvergabe mangele; ideal wäre es gewesen, wenn die Ag zu 2) alle Hersteller quadrivalenten Impfstoffs zur Belieferung der Apotheken zu den vereinbarten Preisen hätte bewegen können. In einem solchen Zulassungsverfahren, das die Richtlinie 2014/24/EU ausweislich des Erwägungsgrunds (4) gerade für Arzneimittel eröffne, liege mangels Auswahlentscheidung gerade keine Auftragsvergabe. Nach den Erkenntnissen der Ag zu 1) habe die Ag zu 2) ein Verfahren durchgeführt, an welchem sich alle interessierten Marktteilnehmer hätten beteiligen können; jedenfalls hätte aber für die Ag zu 2) die Möglichkeit bestanden, ein in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehendes Open-house-Modell durchzuführen. Die Auferlegung des Vergaberechts auf die Ag zu 2) sei in einer solchen Situation geradezu widersinnig. Die Impfstoffversorgung zur Krankheitsprävention sei Teil der Gestaltung sozialer Sicherungssysteme und werde durch EU-Vergaberecht nach der Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten explizit nicht berührt. Jedenfalls habe aber die Ag zu 1) bei den Verträgen, welche sie selbst anbahnen und schließen habe können, wohl unstreitig keine Ausschreibungspflicht getroffen, worin ein zentraler Unterschied zu der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 1. August 2011 (Az.: VII-Verg 15/12) liege, auf welche die ASt sich beziehe; das Alleinstellungsmerkmal der Landesapothekerverbände, die für die Ag zu 1) bei Impfstoffen allein als Vertragspartner in Betracht kämen, ergäbe sich aus § 129 Abs. 5 SGB V und damit aus dem Gesetz, was nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV zur Durchführung eines nicht wettbewerblichen Verfahrens berechtige. Damit habe die Ag zu 1) weder einer Ausschreibungspflicht unterlegen, die sie hätte delegieren können, noch habe sie sich einer sie trefffenden Ausschreibungspflicht entledigt, was aber Kern der Kritik des OLG Düsseldorf im genannten Verfahren gewesen sei.

 

Ausweislich des Vortrags der ASt, wonach der Geschäftsführer der Ag zu 2) die ASt am 26. Januar 2018 habe wegen der Anfrage, ob die ASt sich an der Kooperationsvereinbarung beteiligen wolle, habe die ASt die von ihr geltenden Vergaberechtsverstöße bereits Ende Januar 2018 erkannt, so dass ein Verstoß gegen die Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 S. 1 GWB vorläge.

 

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet, denn sollten Vergaberechtsverstöße vorliegen, so hätten diese sich nicht kausal zu Lasten der ASt ausgewirkt. Die Feststellung einer zumindest nicht ausschließbaren Rechtsverletzung sei aber Voraussetzung für einen begründeten Nachprüfungsantrag, so ausführlich das OLG Düsseldorf in der Entscheidung vom 3. August 2011 im Verfahren VII-Verg 6/11. Hier habe der ASt die Möglichkeit offen gestanden, ebenfalls mit der Ag zu 2) zu kontrahieren, sie habe sich jedoch aufgrund eigener unternehmerischer Entscheidungen, konkret ihrer Hochpreispolitik, dagegen entschieden. Dies sei nicht zu beanstanden, werde aber durch vergaberechtliche Bestimmungen nicht geschützt.

 

c) Die Ag zu 2) beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten,

 

1. den Nachprüfungsantrag abzulehnen,

 

2. der ASt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

 

3. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Ag zu 2) gemäß § 182 Abs. 4 S. 1 GWB für notwendig zu erklären.

 

– Die Ag zu 2 hält den Nachprüfungsantrag bereits für unstatthaft. Sie ist der Ansicht, die Ag zu 2 erfülle nicht die Voraussetzungen für einen öffentlichen Auftraggeber. Sie sei als Tochtergesellschaft der Bg zu 1 ein rein privates Unternehmen, ohne die Anforderungen des § 99 Nr. 2 GWB zu erfüllen. Eine Auftraggebereigenschaft sei aber auch nicht bei funktionaler Gesamtbetrachtung gegeben. Weder sei die Ag zu 2 mittelbarer Stellvertreter der Ag zu 1 noch sei sie mit öffentlichen Aufgaben betraut. Die gegebenen vertraglichen Grundlagen stellten auch keine Umgehung des Vergaberechts dar.

 

o An einer mittelbaren Stellvertretung durch die Ag zu 2 fehle es bereits deshalb, weil die Ag zu 1 und die Ag zu 2 keine dementsprechende Vereinbarung getroffen hätten. Die Ag zu 2 verfolge zudem keine wirtschaftlichen Interesse der Ag zu 1 und werde auch nicht auf eigene Rechnung tätig. Mit der Vereinbarung zwischen der Ag zu 2 und der Bg zu 4 werde den Apotheken lediglich eine günstige Bezugsquelle eröffnet, ohne dass die Ag zu 2 in die Geschäftsbeziehungen zwischen den Bg und der Ag einbezogen sei. Da die Ag zu 2 als Servicegesellschaft von der Bg zu 4 eine Provision erhalte, werde sie zudem nur im eigenen wirtschaftlichen Interesse tätig. Die Ag zu 2 fungiere lediglich als Großeinkäufer der Apotheken als relevanter Marktgegenseite der Ag zu 1. Eine Verpflichtung zur Anwendung des Vergaberechts durch einen Vorlieferanten der Apotheken, wie es die Ag zu 2 sei, bestehe in diesem Verhältnis grundsätzlich nicht und sei dort allenfalls unter den engen Voraussetzungen der § 99 Nr. 4 und § 97 Abs. 4 GWB denkbar, die hier nicht gegeben seien. Die Ag zu 2 führe daher auch keine faktische Beschaffung für die Ag zu 1 als Krankenasse durch.

 

o Die Ag zu 2 sei auch kein öffentlicher Auftraggeber infolge einer Betrauung mit öffentlichen Aufgaben durch die Ag zu 1. An einer solchen Betrauung fehle es bereits, da die Beschaffung von Impfstoffen wegen § 43 AMG originäre Aufgabe der Apotheken sei. Die Ag zu 2 werde lediglich als eine Art Vermittlerin der Bg zu 1 bis 3 tätig.

 

o Es liege auch keine Umgehung des Vergaberechts vor, so dass die Ag zu 2 auch nicht deshalb zu einem öffentlichen Auftraggeber werde. Es fehle schon eine Umgehungsabsicht zwischen den beiden Ag. Die Ag zu 1 und die Bg zu 1 bis 3 hätten auf der Grundlage von § 129 Abs. 5 SGB V eine offene Vereinbarung über die Preise für Grippeimpfstofflieferungen im Allgemeinen getroffen, die Ag zu 2 mit der Bg 4 eine Liefervereinbarung zugunsten der Apotheken. Insofern komme jede Seite den ihnen obliegenden Aufgaben nach. Eine direkte Beschaffung der Ag zu 1 als Krankenkasse bei den Herstellern wie der Bg zu 4 sei lediglich nach § 132e Abs. 2 SGB V möglich gewesen, der aber aufgehoben worden sei.

 

– Es liege bei den Vereinbarungen zwischen der Ag zu 1 und den Bg zu 1 bis 3 sowie der Ag zu 2 und der Bg zu 4 auch kein öffentlicher Auftrag nach § 103 Abs. 1 GWB vor. Beiden Vereinbarungen fehle der Beschaffungsbezug. Zwischen der Ag zu 1 und den Bg zu 1 bis 3 werde lediglich die Höhe der Vergütung geregelt, es fehle überdies an den Voraussetzungen für eine Rahmenvereinbarung. Zwischen der Ag zu 2 und der Bg zu 4 gehe es lediglich um Rahmenbedingungen für den konkreten Bezug von quadrivalentem Grippeimpfstoff der Apotheken bei einzelnen Herstellern. Die Apotheken seien zudem frei, ihren Impfstoffbedarf auch anderweitig zu decken. Auch sei die Ag zu 2 offen, die Kooperationsvereinbarung auch mit weiteren Herstellern zu schließen. Die ASt sei hierzu im Übrigen, was näher ausgeführt wird, aufgefordert worden, sich zu beteiligen. Eine Parallele zum Arzneimittelrabattvertrag nach § 130a Abs. 8 SGB V liege nicht vor.

 

– Im Ergebnis wiesen die Vereinbarungen zwischen der Ag zu 1 und den Bg zu 1 bis 3 auf der einen und der Ag zu 2 und der Bg zu 4 auf der anderen Seite allenfalls Parallelen zu einer vergaberechtsfreien Open-House-Vereinbarung auf.

 

– Die Ag zu 2 ist des Weiteren der Meinung, der ASt fehle die Antragsbefugnis nach§ 160 Abs. 2 GWB. Der ASt fehle bereits das wirtschaftliche Interesse am Erhalt eines Lieferauftrages. Das resultiere daraus, dass die ASt, wie näher ausgeführt, auf mehrfache Aufforderung der Ag zu 2, sich an der Kooperationsvereinbarung mit der Bg zu 4 zu beteiligen, abgelehnt habe. Außerdem drohe der ASt kein Schaden. Der ASt stehe eine Beteiligung an der Kooperationsvereinbarung mit der Ag zu 2 jederzeit nach wie vor offen.

 

– Schließlich hält die Ag zu 2 den Nachprüfungsantrag aus den von ihr dargelegten Gründen für unbegründet.

 

d) Die Bg zu 1) bis 4) wurden mit Beschluss vom 14. März 2018 zum Verfahren hinzugezogen.

 

aa) Die Bg zu 1) hat in Abstimmung mit den Bg zu 2) und zu 3) Stellung genommen; Bg zu 2) und zu 3) haben sich der Stellungnahme der Bg zu 1) angeschlossen.

 

Die Vereinbarungen zwischen der Ag zu 1) und den Bg zu 1) bis 3) stellten keine öffentlichen Aufträge dar. Sie dienten der Sicherstellung einer wirtschaftlichen und sicheren Versorgung der Versicherten und würden in ähnlicher Form bereits seit 2011 geschlossen. Die Vereinbarungen regelten die Vergütung, welche die gesetzlichen Krankenkassen in der Saison 2018/2019 den Apotheken für Grippeimpfstoff zu bezahlen hätten. Die Impfstoffe, die auf Grundlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarung direkt an die Arztpraxen abgegeben würden, unterlägen nach § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 a AMPreisV nicht der Preisbindung nach der AMPreisV, ebenso wenig enthielten die Arzneimittelversorgungsverträge […]eine ausdrückliche Regelung über die Höhe der Vergütung für die Apotheken. Aus diesem Grund bedürfe es einer Einigung zwischen Kassen und Apotheken über die Vergütungshöhe. Für den Fall einer Wirkstoffverordnung, in welcher der Arzt dem Apotheker die Auswahl des Impfstoffs überlasse, sei ein pauschaler Festpreis von […] netto vereinbart worden, und zwar unabhängig davon, welches Produkt der Apotheker auswähle. Im Fall einer namentlichen Verordnung, in welcher der Arzt ein konkretes Produkt vorgebe oder die Auswahlmöglichkeit des Apothekers anderweitig einschränke, z.B. durch die Vorgabe einer Applikationsart, müsse die Apotheke sich zunächst durch Rücksprache beim Arzt vergewissern, ob tatsächlich nur das durch die Verordnung bestimmte Produkt gewünscht sei; falls ja, so gelte der Festpreis nicht und könne auch nicht gelten, da der Impfstoff zu diesem Preis möglicherweise nicht erhältlich sei. Dann müsse der Apotheker z.B. über Fax oder E-Mail mittels eines Kostenvoranschlags eine Einigung über die Höhe des Preises herbeiführen. Diese Regelungen hätten zur Folge, dass die Impfstoffkosten in der weit überwiegenden Zahl der Fälle auf den Festpreis beschränkt blieben. Es sei unter Beachtung der einschlägigen Vorgaben der WHO medizinisch im Regelfall ohne weiteres möglich und entspreche daher dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V, dass der Arzt dem Apotheker die Auswahl des Impfstoffes überlasse. Für die Apotheken seien die Regelungen insoweit von Vorteil, als sie durch einen preisgünstigen Einkauf im Regelfall etwas bessere Margen erzielen könnten als nach den in vielen anderen Bundesländern praktizierten Erstattungsmodellen, die eine Vergütung auf Grundlage des Apothekeneinkaufspreises zuzüglich eines festen oder prozentualen Aufschlags vorsähen. Ferner hätte das hier praktizierte Modell den Vorteil einer gleichmäßigen Beteiligung aller Apotheker im Versorgungsgebiet und die Verordnung nicht wie mittels sog. Apothekenausschreibungen auf einige wenige Apotheken konzentriere. Die Vereinbarungen dienten auch der Versorgungssicherheit, indem die Apotheken frühzeitig ihre Bestellungen bei den Herstellern platzieren könnten und diese mit der bis zu sechs Monaten dauernden Produktion beginnen könnten. Die Impfstoffhersteller würden über die Vergütungsregelung einem Preiswettbewerb ausgesetzt, denn die Apotheken hätten zwecks Steigerung ihrer Margen einen Anreiz, die Impfstoffe möglichst kostengünstig einzukaufen. Für Hersteller mit niedrigem Preis sei dies vorteilhaft, für Anbieter mit hohen Preisen wie die ASt nachteilig. Dabei entscheide jeder Hersteller selbst, für welchen Preis er seinen Impfstoff anbiete; die direkten und indirekten Produktionskosten lägen weit unterhalb des tatsächlichen Abgabepreises und sollten bei allen Herstellern ähnlich sein. Die einzige Begrenzung für die frei vom Hersteller festzulegende Gewinnspanne bilde der EU-Referenzpreisrabatt nach § 130 a Abs. 2 SGB V. Dennoch hätten auch Hersteller hochpreisiger Impfstoffe vorliegend weiter gute Absatzchancen, wenn nämlich Ärzte aus medizinischen Gründen eine namentliche Verordnung für ein bestimmtes Produkt ausstellten, was gerade bei der ASt aufgrund der Zulassung ihres Medikaments auch für Kinder ab sechs Monaten eine gute Absatzchance generiere; das Produkt der Bg zu 4) sei nur für Erwachsene zugelassen. Ferner hätten die Hersteller hochpreisiger Impfstoffe auch in solchen Bundesländern gute Möglichkeiten, in denen andere, keinen Preiswettbewerb generierende Modelle gälten. Da es auch für die in der kommenden Saison, in der erstmals eine Regelversorgung mit quadrivalentem Impfstoff erfolge, drei Hersteller gäbe, sei aus Sicht der Bg zu 1) kein Grund zur Annahme gegeben, dass eine ausreichende Versorgung nicht gesichert sein könne. Rechtsgrundlage für die Vereinbarungen sei § 129 Abs. 5 SGB V, wonach auch die Vergütung für die Abgabe bestimmter Arzneimittel geregelt werden könne. Die Vergabekammer dürfte nicht zuständig sein für die Frage, ob die Vergütungsvereinbarung vereinbar sei mit dem SGB V.

 

Die Kooperationsvereinbarung zwischen der Ag zu 2) und der Bg zu 4) eröffne den Apotheken eine günstige Bezugsmöglichkeit, wobei die Apotheken das Angebot der Bg zu 4) nicht nutzen müssten; das Produkt der Bg zu 4) könne nach Kenntnis der Bg zu 1) zu einem im Wesentlichen gleichen Preis wie dem der Kooperationsvereinbarung direkt bei der Bg zu 4) oder im Großhandel bezogen werden. Auch würden andere Impfstoffhersteller nicht ausgeschlossen durch die Kooperationsvereinbarung; diese hätten die Möglichkeit, an die Apotheken heranzutreten. Es sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, welcher Nachteil sich aus der Kooperationsvereinbarung ergebe. Soweit die ASt ihre Absatzchancen beeinträchtigt sehe, liege das daran, dass ihr Produkt teurer sei als das der Bg zu 4); hätte die Ag zu 2) die Kooperationsvereinbarung nicht abgeschlossen, so sei die Situation für die ASt nicht anders. Ferner habe die Ag zu 2) der ASt eine Kooperationsvereinbarung angeboten, die ASt sei dazu aber nicht bereit gewesen.

 

Die Bg zu 1) beantragt:

 

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

 

2. der ASt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

 

3. der ASt die der Bg zu 1) entstandenen Aufwendungen zu erstatten,

 

4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Bg zu 1) gemäß § 182 Abs. 4 S. 1 GWB für notwendig zu erklären.

 

bb) Die Bg zu 4) hat mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, der nach Ablauf der hierfür gesetzten Stellungnahmefrist bei der Vergabekammer einging, Stellung genommen. Die ASt konstruiere ein gemeinsames Agieren der beiden Ag und der vier Bg zwecks angeblicher Umgehung des Vergaberechts, um ein seit vielen Jahren etabliertes Modell zu kippen, wobei der gesamte Vortrag der ASt auf der unzutreffenden Annahme beruhe, dass die Festpreisvereinbarung zu einem faktischen Bezugszwang für die Apotheken führe, den Impfstoff bei der Bg zu 4) zu beziehen. Eine solche Exklusivität gäbe es aber weder rechtlich noch faktisch, wie die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigten, wonach die Apotheken ebenfalls beim Großhandel, beim Direktvertrieb der Hersteller oder bei anderen Einkaufsgemeinschaften beziehen könnten. Sie könnten auch die Produkte anderer Mitbewerber auswählen.

 

Der Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft. Die Ag zu 2) sei schon kein öffentlicher Auftraggeber. Eine mittelbare Stellvertretung scheide aus, denn die Ag zu 2) handle nicht im wirtschaftlichen Interesse der Ag zu 1), sondern im originären Eigeninteresse, das darin bestehe, den Mitgliedsapotheken eine weitere Option zum möglichst günstigen Einkauf von Grippeimpfstoff zu bieten. Es zähle zu den Kernaufgaben der Ag zu 2), Vorteile und attraktive Angebote für die Mitgliedsapotheken zu akquirieren. Für die Ag zu 1) sei es ohne Belang, welche Preise die Ag zu 2) mit den Herstellern vereinbare, denn die Bg zu 1) bis 3) trügen das wirtschaftliche Risiko, dass die Marge zwischen dem mit der Ag zu 1) vereinbarten Erstattungspreis auskömmlich sei; der Erstattungspreis der Ag zu 1) variiere nicht im Sinne eines absolut oder relativ bestimmten Zuschlags auf die Lieferantenpreise. Allein der Umstand, dass bislang allein die Bg zu 4) bereit gewesen sei, dem Preisdruck nachzugeben und den Apotheken über die Ag zu 2) ein attraktives Angebot zu unterbreiten, führe nicht dazu, dass nunmehr ein fixer Aufschlag vereinbart sei. Nicht ersichtlich sei, dass die Ag zu 1) Einfluss genommen hätte auf die Vereinbarung mit der Bg zu 4) oder dass die Ag zu 1) hieran ein Interesse gehabt habe. Die von der ASt vorgetragene Umgehung des Vergaberechts liege nicht vor; aus dem allgemeinen Grundsatz, das Vergaberecht zu beachten, könne sich keine Auftraggebereigenschaft für die Ag zu 2) ergeben.

 

Ferner liege kein öffentlicher Auftrag nach § 103 GWB vor, denn es fehle am Beschaffungselement. Seit der ersatzlosen Streichung von § 132 e Abs. 2 SGB V dürfe die Ag zu 1) auch keine exklusiven Verträge mit den pharmazeutischen Herstellern über die Lieferung von Impfstoff mehr schließen. Die Vergütungsvereinbarung der Ag zu 1) mit den Bg zu 1) bis 3) stelle keinen Austauschvertrag dar, sondern nur eine ausschreibungsfreie öffentlich-rechtliche Vereinbarung. Selbst wenn es sich um einen öffentlichen Auftrag handelte, so wäre die Ag zu 1) nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV befugt, direkt mit den Landesapothekerverbänden zu verhandeln, denn nur diese seien taugliche Vertragspartner nach § 129 Abs. 5 SGB V. Auch die Ag zu 2) habe keinen öffentlichen Auftrag mit der Bg zu 4) geschlossen, da es an der erforderlichen Selektivität fehle; eine Beschränkung auf das Produkt der Bg sei nicht vorgesehen. Eine Auswahlentscheidung sei aber Voraussetzung für einen vergabepflichtigen Vorgang, wie der 4. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU zeige. Beide Vertragskonstruktionen existierten sowohl rechtlich als auch tatsächlich unabhängig voneinander, wie z.B. die unterschiedlichen Preise deutlich machten.

 

Die ASt sei auch nicht antragsbefugt, denn sie habe schon kein Interesse an dem behaupteten Auftrag dargelegt. Die ASt beabsichtige die Verhinderung von Wettbewerb, um die eigene Preispolitik durchsetzen zu können. Die Ag zu 2) sei nach deren Vortrag seit Jahresbeginn wiederholt auf die ASt zugegangen mit der Anfrage, ob Interesse am Abschluss einer Vereinbarung bestehe, was die ASt abgelehnt habe. Das Interesse der ASt sei vorgeschoben.

 

Die Bg zu 4) beantragt,

 

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

 

2. der ASt die Kosten und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Bg zu 4) aufzuerlegen,

 

3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Bg zu 4) für notwendig zu erklären.

 

3. Der Sachverhalt wurde in der ersten mündlichen Verhandlung am 10. April 2018 umfassend erörtert. Soweit die ASt beanstandet hatte, dass die Ag zu 2) die mit der Bg zu 4) getroffene Vereinbarung zunächst nicht in ungeschwärzter Form vorgelegt hatte, so hat die Ag zu 2) die Vereinbarung in ungeschwärzter Form der ASt am 12. April 2018 übermittelt. Auf die ausgetauschten Schriftsätze und auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird ergänzend Bezug genommen. Vergabeakten im üblichen Sinne haben die Ag zu 1) und zu 2) nicht vorgelegt, da sie kein Vergabeverfahren durchgeführt haben; es wurden die streitgegenständlichen Vereinbarungen vorgelegt, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.

 

Mit Schreiben vom 16. April 2018 hat die Vergabekammer die Ag zu 2) aufgefordert, mitzuteilen, wie sich die bislang bei der Ag zu 2) eingegangenen ärztlichen Bestellungen aufteilen auf generische Verordnungen auf der einen Seite sowie auf namentlich benannte Produkte anderer Hersteller auf der anderen Seite. Diese Nachfrage führte zu Irritationen, ob die Vergabekammer den Sachverhalt korrekt eingeschätzt hat. Daraufhin hat die Vergabekammer auf Wunsch insbesondere der Ag zu 1), der Ag zu 2), der Bg zu 1) und der Bg zu 4) den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung vorgenommen. Ein zweiter Verhandlungstermin fand am 7. Mai 2018 statt. Aufgrund dieses Wiedereintritts in die Verhandlung wurde die Entscheidungsfrist verlängert bis zum 12. Juni 2018 einschließlich. Auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Verfahrensakte der Vergabekammer wird Bezug genommen.

 

II.

 

Der Nachprüfungsantrag ist erfolgreich, soweit die ASt die Verträge zwischen der Ag zu 1) mit den Bg zu 1) bis 3) angreift. In Bezug auf den Vertrag der Ag zu 2) mit der Bg zu 4) ist der Nachprüfungsantrag unzulässig.

 

1. Was die Verträge der Ag zu 1) mit den Bg zu 1) bis 3) anbelangt, so ist der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet.

 

a) Die allgemeinen und die individuellen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben.

 

aa) Die genannten Vereinbarungen stellen Rahmenvereinbarungen dar, die gem. § 103 Abs. 5 S. 2 GWB nach denselben Grundsätzen zu behandeln sind wie ein öffentlicher Auftrag. Die Rahmenvereinbarung ist daher ebenso wie ein öffentlicher Auftrag der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen zugänglich, § 155 GWB.

 

(1) Vertragspartner der Ag zu 1) sind mit den Bg zu 1) bis 3) die Apothekerverbände […]. In den Verträgen wird insbesondere eine Vereinbarung über den Preis getroffen, den die Ag zu 1) in der Saison 2018/2019 für den Grippeimpfstoff für Erwachsene, der zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen an deren Versicherte abgegeben wird, erstatten wird. Diese Vereinbarung wirkt nach § 129 Abs. 5 S. 2, Abs. 3 SGB V unmittelbar für die durch die Apothekerverbände vertretenen Apotheken. In der Preisvereinbarung liegt die Festlegung einer Bedingung i.S.v. § 103 Abs. 5 S. 1 GWB.

 

(2) Allerdings muss eine Rahmenvereinbarung nach der Legaldefinition auf einen „öffentlichen Auftrag“ ausgerichtet sein, der als Einzelabruf aus der Rahmenvereinbarung zu deren Konditionen abgerufen wird. Der öffentliche Auftrag seinerseits ist wiederum legaldefiniert in § 103 Abs. 1 GWB, wonach ein „entgeltlicher Vertrag“ vorliegen muss.

 

Das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit ist dabei problemlos zu bejahen.

 

Erörterungsbedürftig ist allerdings das Tatbestandsmerkmal des Vertrages. Es ist zu konstatieren, dass das Bundessozialgericht seine Rechtsprechung aufgegeben hat, wonach die ärztliche Verordnung einen Kaufvertrag zwischen der Apotheke und der gesetzlichen Krankenkasse auslöst, indem der Arzt mit Ausstellen der Verordnung, die sodann in der Apotheke eingelöst wird, als Vertreter der Krankenkasse handelt. Das Bundessozialgericht geht nunmehr aufgrund einer Neufassung von § 69 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2000 davon aus, dass es sich im Verhältnis zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern einschließlich der Apotheken um eine öffentlich-rechtlich geprägte Beziehung handelt (Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R, RdNr. 15 der Entscheidung; vgl. a. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 17/14 R, dort RdNr. 12; vgl. a. die Kommentierung von Schneider, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016; BeckOK Sozialrecht/von Dewitz SGB V § 129 Rn. 4 – 7 mit Stand vom 1.12.2017). § 129 SGB V begründet danach im Zusammenspiel mit den ergänzenden Vereinbarungen nach § 129 Abs. 2, 5 SGB V eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten und setzt eine Vergütungspflicht der Krankenkassen als selbstverständlich voraus. Im Gegenzug erwerben danach die Apotheken einen gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen, der durch die Vereinbarungen nach § 129 Abs. 2, 5 SGB V näher ausgestaltet wird. Rechtsnatur und Struktur des Vergütungsanspruchs der Apotheken folgen damit, so das Bundessozialgericht, der Einbindung der Apotheken in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der Krankenkassen (Urteil vom 17. Dezember 2009, a.a.O., RdNr. 17); der Vertragsarzt konkretisiert das Rahmenrecht des Versicherten auf Arzneimittelversorgung als Sachleistung für den jeweiligen Versicherungsfall. Als Pendant, so ebenfalls das Bundessozialgericht, folgt daraus der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse dem Grunde nach und wird durch das Kassenrezept als das für die Abrechnung zwischen Apotheker und Krankenkasse maßgebliches Dokument konkretisiert. Dies zugrunde legend, ist festzuhalten, dass es an einem Kaufvertrag im Verhältnis zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Apotheken fehlt, das Gericht geht vielmehr von einer öffentlich-rechtlichen Leistungsberechtigung und -verpflichtung aus. Die Vereinbarung zwischen der Ag zu 1) und den Bg zu 1) bis 3), die den Preis festsetzt, ist danach mithin rein formal nicht auf einen Vertrag gerichtet.

 

Diese neuere Betrachtungsweise durch das Bundessozialgericht, wonach „die Konstruktion über einen in jedem Einzelfall abzuschließenden, den Versicherten begünstigenden öffentlich-rechtlichen Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkasse (…) entbehrlich“ ist, „weil sich schon aus § 129 SGB V i.V.m. den Verträgen nach § 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V eine tragfähige Rechtsgrundlage ergibt“, kann aber vergaberechtlich keine Wirkung entfalten. Wollte man allein aufgrund einer Änderung des nationalen Sozialrechts und dieser folgend einer geänderten Sichtweise der Einordnung der Leistungsbeziehungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbringern durch die insoweit zuständigen nationalen Obergerichte diese Beziehungen dem Vergaberecht entziehen, indem der öffentliche Auftrag verneint wird, so wäre der grundlegenden Entscheidung, wonach die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber anzusehen sind (EuGH, Urteil vom 11.6.2009 – C-300/07), der Boden entzogen, denn es bliebe kaum noch ein Anwendungsbereich offen, der dann als öffentlicher Auftrag respektive als Rahmenvertrag zu qualifizieren wäre. Insbesondere die Rabattverträge nach § 130 a Abs. 8 SGB V, welche die Kassen mit den pharmazeutischen Herstellern abschließen, wären nicht als öffentlicher Auftrag anzusehen, da die Rabattvereinbarung als Rahmenvereinbarung ebenso wenig wie vorliegend bezüglich des Einzelabrufs, also der Abgabe durch die Apotheke nach ärztlicher Verordnung, auf einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1 GWB ausgerichtet wären. Das nationale Recht ist hier richtigerweise europarechts- und richtlinienkonform dahin anzuwenden, dass ein öffentlicher Auftrag unabhängig davon anzunehmen ist, ob man die Leistungsbeziehungen zwischen Kasse und Leistungserbringern – hier den Apotheken – als vertraglich oder als originär einer öffentlich-rechtlichen Leistungsbeziehung entspringend ansieht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass § 69 SGB V, auf dessen Änderung mit Wirkung zum 1. Januar 2000 das Bundessozialgericht die Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung stützt, seit diesem Zeitpunkt erneut geändert wurde. In seiner aktuellen Fassung verweist § 69 Abs. 3 SGB V ausdrücklich auf das Vergaberecht des GWB, das auf öffentliche Aufträge Anwendung finden soll. Damit hat auch der Sozialgesetzgeber erkennbar zum Ausdruck bringen wollen, dass die Beziehungen zwischen Kassen und Leistungserbringern öffentliche Aufträge darstellen sollen, auch wenn sie – die Entscheidung des Bundessozialgerichts zugrunde legend – rein formal betrachtet keinen Vertrag darstellen. Wollte man in Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in vergaberechtlicher Hinsicht einen öffentlichen Auftrag verneinen, so würde dies folglich auch der erkennbaren Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass der Sachverhalt, über den das Bundessozialgericht zu entscheiden hatte, keinen Bezug zum Vergaberecht aufwies; es ging vielmehr um einen Rechtsstreit zwischen einer klagenden Krankenkasse gegen die beklagte Apotheke, gerichtet auf die Rückzahlung einer Vergütung von Arzneimitteln, die aufgrund ärztlicher Verordnungen abgegeben worden waren. Es kann nicht angenommen werden, dass das Bundessozialgericht hier implizit vergaberechtliche Aussagen treffen wollte. Die Richtlinienkonformität eines Transfers der dortigen, konkrete Rückzahlungsansprüche betreffenden Sichtweise auf vergaberechtliche Zusammenhänge wäre fraglich. Die funktionale Betrachtungsweise im europäischen Vergaberecht sowie der Grundsatz des effet utile gebieten es vielmehr, unabhängig von der Qualifikation der Leistungsbeziehungen zwischen Kassen und Leistungserbringern durch die nationale Rechtsprechung das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags zu bejahen.

 

Damit beinhaltet die Vereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) die Festlegung eines wesentlichen Parameters für spätere öffentliche Aufträge und erfüllt die Legaldefinition von § 103 Abs. 5 SGB V. Damit ist – die für die europaweite Vergabe einschlägigen Auftragsschwellenwerte sind unstreitig überschritten – das europaweite Vergaberecht einschlägig und der Auftrag hätte im Grundsatz nach den entsprechenden Regeln des Vierten Teils des GWB sowie der VgV behandelt werden müssen.

 

(3) § 129 Abs. 5 SGB V mit der dort vorgesehenen Möglichkeit, „ergänzende Vereinbarungen“ zu schließen, ändert hieran nichts. Auch wenn, wie die Ag zu 1) vorgetragen hat, diese Vorschrift in sozialrechtlicher Hinsicht die Möglichkeit abdeckt, konkrete Preise für solche Arzneimittel, die nicht der Arzneimittelpreisverordnung unterliegen, zu vereinbaren, so bedeutet dies nicht, dass die Pflicht zur Anwendung des Vergaberechts entfällt. Aus vergaberechtlicher Perspektive kommt es allein darauf an, dass – wie dargelegt – in diesen Vereinbarungen zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) gleichzeitig eine vergaberechtliche Rahmenvereinbarung liegt, auch wenn sie auf § 129 Abs. 5 SGB V basiert. § 129 Abs. 5 SGB V impliziert keine Freistellung vom Vergaberecht.

 

bb) Die ASt ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB.

 

Der Sichtweise der beiden Ag, wonach es sich bei der Liefervereinbarung zwischen Ag zu 2) und Bg zu 4) einerseits und den Erstattungsvereinbarungen zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) andererseits um eine übliche Lieferkette handeln soll, ist grundsätzlich zuzustimmen und im Anschluss die insbesondere in der ersten mündlichen Verhandlung ausführlich diskutierte Frage aufzuwerfen, ob die ASt sich vorliegend auf ein vergaberechtswidriges Unterlassen einer Ausschreibung berufen kann. Bei Grippeimpfstoffen handelt es sich gem. § 43 AMG nämlich um apothekenpflichtige Arzneimittel. Danach sind ausschließlich Apotheken befugt, Grippeimpfstoff abzugeben. Diese stellen damit erst einmal die Marktgegenseite der Krankenkassen dar (vgl. 3. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – VK 3-120/10). Die Erstattungsvereinbarungen wurden hier ja tatsächlich und konsequent auch zwischen den Apotheken und den gesetzlichen Krankenkassen getroffen und müssten auf einer ersten Betrachtungsebene folglich auch bei einer vergaberechtskonformen Abwicklung, also im Fall eines rechtmäßigen Alternativverhaltens über einen Vergabewettbewerb mit den Apotheken als Ausschreibungsadressaten erfolgen. Die ASt ist jedoch keine Apotheke, sondern Impfstoffhersteller. Nach herkömmlichem Verständnis und nach der regelmäßigen Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen ist aber Voraussetzung der Antragsbefugnis, die ein „Interesse am Auftrag“ erfordert, ein eigenes Interesse des jeweiligen Antragstellers am Auftrag. Anderen, lediglich mittelbar am Auftrag interessierten Unternehmen wie Subunternehmern oder Lieferanten des eigentlichen Bieters wird danach kein im Rechtssinne des § 160 Abs. 2 GWB eigenes Interesse am Auftrag zuerkannt. Danach wäre bereits die Befugnis der ASt zu verneinen, mit einem Nachprüfungsantrag die Unwirksamkeitserklärung eines De-facto-Vertrags zu beantragen, an dessen Ausschreibung sie sich gar nicht beteiligen könnte. Jedenfalls wäre eine – freilich der Begründetheitsebene zuzuordnende – Rechtsverletzung der ASt, § 168 Abs. 1 GWB, nicht selbsterklärend.

 

Für die Prüfung der Antragsbefugnis ist aber auf den konkreten Sachverhalt abzustellen. Und dieser konkrete Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verträge der Ag zu 1) mit den Bg zu 1) bis 3) sich nicht darauf beschränken, eine reine Preiserstattungsvereinbarung mit den Bg zu 1) bis 3), also mit den Apotheken zu treffen. Die Ag zu 1) verpflichtet sich vielmehr mit diesen Verträgen gleichzeitig, Einfluss auf die Durchsetzung der Liefervereinbarung zwischen Ag zu 2) und Bg zu 4) zu nehmen. Es ist in § 6 Ziffer 2 z.B. der Vereinbarung mit der Bg zu 1) nämlich vorgesehen, dass die Ag zu 1) sich verpflichtet, „die Vertragsärzte über die Ziele dieser Vereinbarung und die Bestimmungen zur Verordnung von Grippeimpfstoffen zu informieren und deren Umsetzung aktiv zu fördern“. Diese aktive Förderung bedeutet konkret, dass die Ärzte seitens der Ag zu 1) angehalten werden, Grippeimpfstoff generisch, also nur wirkstoffbezogen und ohne Nennung eines konkreten Produkts zu bestellen. Bestellt der Arzt für seine erwachsenen Patienten dennoch ein konkretes Produkt als Sprechstundenbedarf, verordnet er also nicht generisch, sondern namentlich, so verpflichtet § 2 Ziffer 2 der Vereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) die Apotheke zunächst dazu, eine Rücksprache beim Arzt durchzuführen, ob ausschließlich diese Verordnung gewünscht ist. Wenn der Arzt bei seiner Auffassung bleibt und dies bestätigt, so bringt die Apotheke einen entsprechenden Vermerk auf dem Verordnungsblatt an. Da die mit der Ag zu 1) getroffenen Erstattungsvereinbarungen mit dem dort geregelten Erstattungsbetrag in diesem Fall nicht greifen, muss die Apotheke sodann einen Kostenvoranschlag unter Beifügung einer Rezeptkopie bei der Ag zu 1) einreichen. Der Kostenvoranschlag bedarf der Genehmigung durch die Ag zu 1), um erstattungsfähig zu sein, was der Ag zu 1) die Möglichkeit eröffnet, diese Genehmigung zu versagen. Die vorausgehende Information der Ag zu 1) über die Liefervereinbarung, die die Ag zu 2) abgeschlossen hat, sowie das weitere, in den Erstattungsvereinbarungen zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) geregelte Prozedere dürfte beim Arzt dazu führen, dass er sich gehalten sieht, eine generische Bestellung in seiner Verordnung vorzunehmen. Wird generisch verordnet, so wird die Apotheke regelmäßig das Produkt liefern, über welches die Ag zu 2) einen Liefervertrag abgeschlossen hat, da dieses am preisgünstigsten ist und der Apotheke die beste Gewinnmarge ermöglicht. Damit nimmt die Ag zu 1) über die in den Erstattungsvereinbarungen getroffenen Regelungen Einfluss auf die Durchsetzung darauf, dass das Produkt zum Einsatz kommt, welches Gegenstand der Vereinbarung zwischen der Ag zu 2) und der Bg zu 4) ist. Eine tatsächliche Lenkungswirkung liegt vor.

 

Die Ag zu 1) hat in der Sache auch bestätigt, dass eine Lenkung hin auf die Liefervereinbarung vorläge, allerdings in Abrede gestellt, dass diese ihr zuzurechnen sei. Sie hat aber gleichzeitig betont, dass es ihr höchst willkommen wäre, wenn sich auch die ASt an der Liefervereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 4) beteiligen würde, ebenso wie der dritte Marktteilnehmer für quadrivalente Impfstoffe. Diese Ausführungen sind in der Sache nachvollziehbar und überzeugend, vermögen aber die rechtliche Beurteilung nicht zu ändern. Denn die Problematik, wonach auf ein bestimmtes, nämlich auf das Produkt hingelenkt wird, welches Gegenstand der Liefervereinbarung ist, entsteht nur und gerade dann, wenn sich eben nicht alle Marktteilnehmer an der Liefervereinbarung zwischen Ag zu 1) und Bg zu 4) beteiligen. Wie die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend dargelegt haben, haben sich in der Vergangenheit an dem streitgegenständlichen Modell, das bereits seit mehreren Jahren in Bezug auf trivalenten Impfstoff praktiziert wurde, tatsächlich auch alle Hersteller trivalenten Impfstoffs beteiligt; die ASt gehörte nicht dazu und war auch in der Sache nicht tangiert, weil sie keinen trivalenten Impfstoff im Portfolio hat. Eine Herstellerbetroffenheit ergibt sich aber dann, wenn sich – wie hier – gerade nicht alle Hersteller beteiligen. Der dargelegte Durchgriff auf die Herstellerebene und die Lenkungswirkung auf das Produkt, das Gegenstand der seitens der Ag zu 2) getroffenen Liefervereinbarung ist, wird nur in diesem, hier gegebenen Fall relevant. Die Lenkungswirkung war aber der maßgebliche Gesichtspunkt dafür, Rabattverträge nach § 130 a Abs. 8 SGB V als öffentliche Aufträge zu qualifizieren, denn sie bedingt eine Auswahlentscheidung (grundlegend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2007 – Verg 51/07; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf der Bundesregierung betr. den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15. Oktober 2008, Bundestags-Drs. 16/10609, S. 52 betr. § 69 SGB V (zu Buchstabe b)). Die im vorliegenden Rechtsstreit einzig zu klärende Frage ist, ob eine solche Lenkung und damit ein Durchgriff auf die Herstellerebene und mithin eine Art Obliegenheit der ASt, sich an der Liefervereinbarung zu beteiligen – diese Möglichkeit wurde ihr durch die Ag zu 2) eröffnet –, ohne Anwendung des Vergaberechts zulässig ist.

 

Aufgrund der Einflussnahme auf die Durchsetzung der Liefervereinbarung zwischen der Ag zu 2) und der Bg zu 4) in den Erstattungsvereinbarungen zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) ist die Antragsbefugnis der ASt zu bejahen. Diese Einflussnahme der Ag zu 1) manifestiert sich darin, dass die Ag zu 1) – wie sie selbst ausgeführt hat – auf eine „privatautonom organisierte Versorgung“ zwischen den Bg. zu 1 bis 3), der Ag zu 2) und der Bg zu 4) zurückgreift, die mit dem in der Erstattungsvereinbarung zwischen der Ag zu 1) und den Bg zu 1) bis 3) implementierten Anreizsystem gesteuert wird, um die Grippeimpfstoffversorgung sicherzustellen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu genügen. In diesem Sinn setzt die Ag zu 1) nicht einfach nur auf die Kräfte des Marktes, sondern bezweckt die hier festgestellte Steuerung, so dass den Vereinbarungen zwischen ihr und den Bg zu 1) bis 3) ein der Ag zu 1) zurechenbarer mittelbarer Beschaffungsbezug beizumessen ist.

 

cc) Die ASt beantragt die Unwirksamkeitserklärung der geschlossenen Verträge nach § 135 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GWB, so dass gemäß § 160 Abs. 3 S. 2 GWB keine Rügeobliegenheit bestand.

 

dd) Die Fristen des § 135 Abs. 2 GWB sind eingehalten.

 

b) Der Nachprüfungsantrag ist in Bezug auf die Erstattungsvereinbarungen zwischen Ag zu 1) und Bg zu 1) bis 3) begründet.

 

aa) Der Vergabefehler ergibt sich aus den bereits erfolgten Darlegungen im Rahmen der Zulässigkeit, so dass eine Wiederholung im Einzelnen hier nicht erforderlich ist. Zusammenfassend liegt der Fehler darin, dass die Ag zu 1) mit der in den Erstattungsvereinbarungen übernommenen aktiven Förderpflicht etc. in der Sache und im vorliegenden Fall, wo sich nicht alle Marktteilnehmer an der Liefervereinbarung beteiligt haben, eine Lenkung hin auf das Produkt auslöst, welches Gegenstand der Liefervereinbarung ist, und damit eine indirekte Auswahlentscheidung trifft, was einem öffentlichen Auftrag gleichkommt, ohne Vergaberecht angewandt zu haben.

 

Eine solche Lenkungswirkung hin auf das günstigste Produkt ist legitim und dient der mit hohem Rang ausgestatteten Gemeinwohlaufgabe der Sicherstellung der finanziellen Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. BVerfGE 68, 193, 218), allerdings nur auf der Basis einer vergaberechtlich korrekten Behandlung. Dafür stehen aus Sicht der Vergabekammer rein vergaberechtlich betrachtet mehrere Alternativen offen:

 

Vergabeverfahren mit den Apotheken als Ausschreibungsadressaten, die mangels öffentlicher Auftraggebereigenschaft ihrerseits ohne Anwendung des Vergaberechts (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.1.2011 – Verg 3/11) beispielsweise mit den Herstellern selbst, mit Großhändlern und/oder anderen zugelassenen Lieferanten verhandeln und beschaffen können, wobei die Möglichkeit zur Bildung von Bietergemeinschaften, auch bundeslandübergreifend, besteht;

 

Vergabeverfahren den Herstellern gegenüber: Dies wäre ohne Verstoß gegen die Apothekenpflicht nach § 43 AMG möglich, denn wenn es einen Ausschreibungsgewinner auf Herstellerebene gäbe, so könnte die Ag zu 1), was in der mündlichen Verhandlung von ihr bestätigt wurde, die Apotheken entsprechend informieren, dass ausschließlich dieses Produkt, zuzüglich des üblichen Apothekenaufschlags, an die Ärzte abzugeben ist. In der Streichung von § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. liegt jedenfalls kein vergaberechtliches „Ausschreibungsverbot“ den Herstellern gegenüber. Will eine gesetzliche Krankenkasse eine Rahmenvereinbarung mit einem Leistungserbringer wie hier den Grippeimpfstoffherstellern abschließen, so bedarf es für ein entsprechendes Vergabeverfahren keiner gesonderten sozialrechtlichen Rechtsgrundlage; es verhält sich vielmehr umgekehrt, dass sich nämlich die Notwendigkeit, ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen, unmittelbar aus der Rechtsordnung ergibt, § 97 Abs. 1 GWB (3. Vergabekammer des Bundes, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.1.2011 – Verg 3/11 im Eilverfahren sowie vom 11. Mai 2011 – Verg 3/11 in der Hauptsache);

 

Durchführung eines Open-house-Verfahrens gegenüber Apotheken oder Herstellern, sofern die Voraussetzungen für eine entsprechende Ausnahme vom Grundsatz der Vergaberechtspflicht vorliegen.

 

bb) Eine Rechtsverletzung der ASt, § 168 Abs. 1 GWB, ist zu bejahen. Die Tatsache, dass der ASt die Möglichkeit offen gestanden hätte, sich ebenso wie die Bg zu 4) an dem Festpreismodell zu beteiligen, denn unstreitig wurde seitens der Ag zu 2) im Januar telefonisch Kontakt zur ASt mit einer entsprechenden Anfrage aufgenommen, steht der Rechtsverletzung der ASt nicht entgegen. Eine formlose telefonische Kontaktaufnahme durch die Ag zu 2) kann ein von der Ag zu 1) als öffentlichem Auftraggeber durchgeführtes förmliches Vergabeverfahren oder ein ebenfalls von der Ag zu 1) durchgeführtes Open-house-Verfahren nach den entsprechenden, vom OLG Düsseldorf bereits im Vorlagebeschluss an den EuGH und sodann vom EuGH bestätigten Voraussetzungen und Anforderungen nicht ersetzen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.8.2014 – Verg 13/14; EuGH, Urteil vom 2.6.2016 – Rs. C-410/14). Das förmliche Vergabeverfahren erfordert beispielsweise notwendig, dass den Bietern bestimmte Informationen an die Hand gegeben werden müssen. Dazu gehören bei Rahmenvereinbarungen möglichst genaue Angaben über das Auftragsvolumen, § 21 Abs. 1 S. 2 VgV, die unmittelbar kalkulationsrelevant sind und auf deren Erhalt ein Bieter vor Abgabe seines Angebots Anspruch hat. Ferner sieht das Vergaberecht vor, dass angemessene Fristen für die Angebotserstellung einzuhalten sind, jedenfalls gewisse Mindestfristen sind vorgegeben, §§ 15, 20 VgV.

 

c) Mit der Erklärung der Erstattungsvereinbarungen zwischen der Ag zu 1) und den Bg zu 1) bis 3) als unwirksam beseitigt die angeordnete Rechtsfolge die Rechtsverletzung der ASt, § 168 Abs. 1 GWB. Denn damit entfällt die aktive Förderungspflicht der Ag zu 1) in Bezug auf die Liefervereinbarung und das Produkt, das Gegenstand dieser Vereinbarung ist, ebenso wie das Prozedere für den Fall, in dem der Arzt ein Produkt ohne Auswahlmöglichkeit für den Apotheker, also nicht nur wirkstoffbezogen, sondern ein konkretes Produkt bestellt. Die Ag zu 1) löst keine Lenkungswirkung mehr aus und greift damit nicht mehr auf die Herstellerebene durch. Ob die ASt ihre wirtschaftlichen Interessen letztendlich durchsetzen kann oder nicht, ergibt sich in der Folge ausschließlich aus dem sozialrechtlichen Rahmen des SGB V, also ohne eine irgendwie geartete Einflussnahme seitens der Ag zu 1).

 

2. In Bezug auf die Ag zu 2) ist der Nachprüfungsantrag unzulässig. Die Ag zu 2) ist weder selbst öffentlicher Auftraggeber, denn es handelt sich um eine juristische Person des Privatrechts, die nicht die Voraussetzungen von § 99 Nr. 2 GWB erfüllt. Gesellschafter der Ag zu 2) ist die Bg zu 1), es stehen also Apotheken hinter der Ag zu 2), die ihrerseits unstreitig keine öffentlichen Auftraggeber sind (vgl. bereits OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.1.2011 – Verg 3/11). Die Ag zu 2) ist ebenso wenig als mittelbare Stellvertreterin der Ag zu 1) anzusehen; die Verträge, welche die Apotheken – hier über ihre Gesellschaft, die Ag zu 2) – abschließen, schließen sie nicht auf Rechnung der Ag zu 1) ab (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Ob die Erstattungsvereinbarungen und die Liefervereinbarung in einem Verhältnis der wechselseitigen Geschäftsgrundlage zueinander stehen, ist eine rein zivilrechtliche, inter partes zwischen den Vertragsbeteiligen zu klärende Fragestellung. Es liegt daher keine dem öffentlichen Auftrag gleichzustellende Rahmenvereinbarung nach § 103 Abs. 5 GWB vor. Die Nachprüfungsmöglichkeit ist nach § 155 GWB nicht eröffnet und auch in der Sache gibt es ungeachtet der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit durch die Vergabenachprüfungsinstanzen keinen Anlass, diese Liefervereinbarung zu beanstanden. Die ASt hat keinen Anspruch darauf, Eingriff zu nehmen in Verträge, die ihre Wettbewerber über deren Produkte abschließen. Lösen Verträge von Wettbewerbern vor dem Hintergrund des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes, § 12 SGB V, mittelbar auch einen Preisdruck auf andere Marktteilnehmer wie die ASt aus, so ist dies allein Konsequenz der sozialrechtlichen Vorgaben und klarer Ausdruck des Wettbewerbs, aufgrund der Unwirksamkeit der Erstattungsvereinbarungen, aber ohne Einflussnahme seitens der Ag zu 1), dem durch das Sozialrecht geprägten, wettbewerblichen Marktgeschehen zuzuschreiben.

 

III.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 und 5, Abs. 4 S. 1, 2 GWB.

 

Die Quote von 50 % zulasten der ASt einerseits und zulasten der Ag zu 1) sowie der Bg zu 1) andererseits entspricht dem Maß des Obsiegens und Unterliegens. Eine der beiden angegriffenen Vertragsbeziehungen wurde für unwirksam erklärt, die andere, von der Ag zu 2) abgeschlossene Vereinbarung nicht. Ag zu 1) und Bg zu 1) sind dabei demselben Lager zugeordnet, die Bg zu 1) ist als mit der Ag zu 1) obsiegend bzw. unterliegend anzusehen. Die Bg zu 2) und zu 3) sind nicht an der Kostenentscheidung zu beteiligen, denn sie haben sich nicht aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Sie haben lediglich am Anfang des Verfahrens mitgeteilt, dass sie sich den Ausführungen der Bg zu 1) anschließen, was für eine Beteiligung an der Kostenentscheidung nicht ausreicht. Anders verhält es sich bezüglich der Bg zu 1), die sich aktiv eingebracht, das Verfahren wesentlich gefördert und Anträge gestellt hat.

 

Was die Bg zu 4) anbelangt, so gilt dasselbe wie in Bezug auf die Bg zu 1). Sie hat sich durch Schriftsätze am Verfahren beteiligt und Anträge gestellt. Es entspricht der Billigkeit, der insoweit unterliegenden ASt die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen.

 

Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch alle Beteiligten war angesichts der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen notwendig.

 

IV.

 

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. […]

 

Anm. der Redaktion: Sofortige Beschwerde wurde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt (Az.: VII Verg 40/18).