Arzneimittelrechtliche Auflage – Warnhinweis
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Januar 2016

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 13 A 2319/14
AMG § 28 Abs. 2 Nr. 2

Leitsatz der Redaktion

Die behördliche Anordnung eines Warnhinweises wegen einer „bei Anwendung des Arzneimittels“ drohenden Gefährdung der Gesundheit ist zulässig, wenn die Wahrscheinlichkeit der Gesundheitsgefährdung bei bestimmungsgemäßer Anwendung zwar gering ist, die drohende Gefahr aber eine schwere Erkrankung wie eine nicht heilbare Autoimmunerkrankung ist.

Gründe

1 I. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilte der Klägerin durch Bescheid vom 18. Februar 2010 gemäß § 31 AMG die Verlängerung der 1998 ergangenen (Nach-​)Zulassung für das homöopathische Arzneimittel „M. -H“. Das Arzneimittel enthält als Wirkstoffe unter anderem Echinacea angustifolia Urtinktur und Echinacea purpurea Urtinktur. Die Anwendungsgebiete werden wie folgt bezeichnet: „Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Grippe und grippeähnliche fieberhafte Erkrankungen.“ Gegenstand des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln waren verschiedene Teilversagungen und Auflagen in dem Bescheid vom 18. Februar 2010. Die Beteiligten streiten nunmehr nur noch über die Auflage M5 mit dem in der mündlichen Verhandlung geänderten Inhalt. Danach ist unter der Überschrift „Vorsichtsmaßnahmen“ folgender Text in die Gebrauchsinformation aufzunehmen:

 

2 Die Einnahme von Arzneimitteln mit Zubereitungen aus Sonnenhut wird in Einzelfällen mit dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht. Bei einer Langzeitanwendung (länger als 8 Wochen) wurde in einem Einzelfall eine Verminderung der weißen Blutzellen berichtet.

 

3 Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und die Klägerin daraufhin die Zulassung der Berufung beantragt.

 

4 II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

 

5 Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

 

6 Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die auf § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a i. V. m. Nr. 1 lit. a AMG, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. d AMG gestützte Auflage sei rechtmäßig. Danach kann angeordnet werden, dass in der Packungsbeilage Hinweise oder Warnhinweise angegeben werden müssen, soweit sie erforderlich sind, um bei Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit zu verhüten. Der Hinweis auf Autoimmunerkrankungen (Satz 1 der Auflage) sei geeignet, erforderlich und angemessen, um Gesundheitsgefahren abzuwenden, weil die Gefahr der Auslösung einer Autoimmunerkrankung durch die Einnahme des Arzneimittels bestehe. Zwar sei bei bestimmungsgemäßer Anwendung nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial nur eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit einer autoimmunen Reaktion anzunehmen. Wegen der Schwere von Autoimmunerkrankungen, die nicht heilbar seien, bestehe jedoch ein berechtigtes Interesse der Patienten, informiert zu werden. Der Hinweis auf die Verminderung der weißen Blutzellen in einem Einzelfall sei aufgrund der Erheblichkeit der Schädigung ebenfalls zulässig, auch wenn nur ein einziger Fallbericht die Grundlage bilde.

 

7  Der Kläger meint, der erste Satz der Auflage sei schon unzulässig, weil es an einer Gesundheitsgefährdung fehle. Zur bloßen Risikovorsorge dürften Hinweise nicht angeordnet werden. Es lägen keine entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und lediglich einzelne UAW-​Meldungen vor. Das führt nicht zur Zulassung der Berufung. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht nicht den Gefahrbegriff verkannt, sondern aufgrund der Schwere des drohenden Schadens eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ausreichen lassen. Dies steht auch nicht im Widerspruch zur Senatsrechtsprechung, insbesondere zu dem vom Kläger angeführten Urteil vom 11. Februar 2009 – 13 A 976/07 -, juris. Die Einschätzung zur Gesundheitsgefährdung hat das Verwaltungsgericht auf eine Würdigung zahlreicher Erkenntnisse gestützt. Dem setzt der Kläger seine eigene Bewertung entgegen, woraus sich aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts ergeben. Insbesondere der Umstand, dass in der aktuellen Fassung der EMA-​Monographie zu Echinacea purpurea vom 27. März 2012 anders als zuvor kein Hinweis auf Autoimmunerkrankungen unter „Gegenanzeigen“ oder „Nebenwirkungen“ mehr zu finden ist, erfordert nicht den Schluss, dass ein (bloßer) Hinweis nicht erforderlich ist, um bei der Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit zu verhüten. Auch die weiteren Einwände des Klägers gegen die Verhältnismäßigkeit begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Der Hinweis ist ungeachtet seiner zurückhaltenden Formulierung geeignet, den Zweck zu fördern, eine Gesundheitsgefährdung zu verhüten. Hierfür bedarf es nicht der präzisen Bezeichnung einzelner Autoimmunerkrankungen. Er ist auch erforderlich, da ein milderes Mittel nicht ersichtlich ist. Gerade wegen seiner Formulierung, die verdeutlicht, dass Autoimmunerkrankungen nicht bei dem streitgegenständlichen Arzneimittel aufgetreten sind, es sich nur um Einzelfälle handelt und der kausale Zusammenhang nicht sicher ist, ist er mit Blick auf die Interessen des Klägers einerseits und die der Verbraucher andererseits angemessen.

 

8 Die Einwände gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum zweiten Satz der Auflage greifen ebenfalls nicht durch. Der Auffassung des Klägers, die Verminderung der weißen Blutzellen sei nach der Veröffentlichung von Kemp/Franco auf die gleichzeitige Einnahme von Bupropion zurückzuführen, ist nicht zu folgen. Dies ergibt sich daraus nicht. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass die Beendigung der Therapie mit Echinacea – während der Fortführung der Anwendung von Bupropion – zum Anstieg der zuvor erheblich verringerten Zahl weißer Blutzellen geführt hat. Danach besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Einnahme von Echinacea und der Reduzierung weißer Blutzellen. Diesen hat auch die EMA in ihrem Assessment Report vom 6. März 2008 als „sicher“ bezeichnet. Ein verstärkender Effekt des weiteren Arzneimittels lässt einen Kausalzusammenhang zu Echinacea nicht entfallen. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen, die hier entsprechend gelten.

 

9 Die Berufung ist ferner nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die aufgeworfene Rechtsfrage, „ob ein Warnhinweis erforderlich im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AMG ist, wenn die Zulassungsbehörde zur Begründung lediglich auf einen bzw. einzelne UAW- Fallberichte verweisen kann, die sich nicht auf das verfahrensbetroffene Arzneimittel beziehen“ ist einer Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich. Die Verhältnismäßigkeit eines Hinweises ist, wie auch die umfassende Würdigung des Verwaltungsgerichts verdeutlicht, eine Frage des Einzelfalles. Sie erfordert eine Auswertung sämtlichen Erkenntnismaterials und hängt insbesondere vom Schweregrad der Schädigungen ab. Deshalb kann auch nicht pauschal gesagt werden, dass und wie viele UAW-​Meldungen einen Hinweis nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a i. V. m. Nr. 1 lit. a AMG rechtfertigen.

 

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

 

11 Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).