Werbung mit Gratis-Tabletten
Oberlandesgericht Jena, Urteil vom 9. September 2015

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 2 W 204/15

HWG § 7 Abs. 1; UWG § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11

Leitsätze der Redaktion:

Die Werbung einer Apotheke für Schüssler-Salze mit der Ankündigung „2 x 400 Tabletten kaufen + 100 Tabletten gratis!“ verstößt gegen § 7 HWG. Bei der angekündigten Zuwendung handelt es sich weder um eine geringwertige Kleinigkeit gemäß § 7 Abs. Satz 1 Nr. 1 HWG noch um einen Barrabatt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a HWG.

Gründe

I.

 

1 Der Verfügungskläger ist ein rechtsfähiger Verband zur Förderung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder. Der Verfügungsbeklagte ist Apotheker in M und B und warb im A vom 18.2.2015 (Ausgabe M ) für eine bis zum 31.2.2015 befristete Aktion für S-​Salze wie folgt: "2 x 400 Tabletten kaufen + 100 Tabletten gratis!". Der Verfügungskläger hält diese Werbung für einen Verstoß gegen § 7 HWG.

 

2 Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers. Der Verfügungsbeklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

 

II.

 

3 Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers ergibt sich aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 4 Nr. 11, 3 Abs. 1 UWG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG.

 

1.

 

4 Der Verfügungskläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 antragsbefugt. Ihm gehören insbesondere eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern an, die zum Verfügungsbeklagten in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, weil sie Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Der Verfügungsbeklagte betreibt eine Apotheke mit Geschäftslokal in M . Er steht aber nicht nur mit Apotheken aus einem bestimmten regionalen Umfeld von M in einem Wettbewerbsverhältnis, sondern auch mit bundesweit tätigen Apotheken, wovon (vgl. Seite 24 der Mitgliederliste) sieben Mitglieder des Klägers sind. Außerdem steht er in einem Wettbewerbsverhältnis zu den bundesweit tätigen Händlern von Medizinprodukten, Heilmitteln, Naturheilmitteln und Gesundheitsartikeln (Seiten 15 ff. ff. der Mitgliederliste). Die von diesen gehandelten Produkten sind regelmäßig in vergleichbarer Form auch in Apotheken erhältlich. Damit sind, unter Anlegung des gebotenen großzügigen Maßstabes, eine ausreichende Anzahl von Wettbewerbern Mitglieder des Verfügungsklägers, so dass ein missbräuchliches Vorgehen ausgeschlossen werden kann (BGH GRUR 1998, 489 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III).

 

2.

 

5 Die streitgegenständliche Werbung verstößt gegen § 7 HWG. § 7 HWG ist eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. § 4 Nr. 11 UWG ist im Bereich des Heilmittelwerberechts uneingeschränkt anwendbar. Dieser Bereich unterfällt nach Art. 3 Abs. 3 der UGP-​RL nicht dem vollharmonisierten Bereich der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken.

 

3.

 

6 Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist auf dem Gebiet des Heilwesens die Werbung mit Zuwendungen oder sonstigen Werbegaben grundsätzlich unzulässig, es sei denn einer der in Ziff. 1 bis 5 genannten Ausnahmetatbestände liegt vor. § 7 HWG ist auch anwendbar, weil es sich unzweifelhaft um eine produktbezogene Werbung (für S-​Salze) handelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG), und nicht etwa bloß um eine Imagewerbung für die Apotheke des Verfügungsbeklagten.

 

7 Eine Ausnahme von diesem grundsätzlichen Verbot liegt nicht vor. § 7 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 3 bis 5 HWG kommen dabei im vorliegenden Falle ersichtlich schon nicht in Betracht.

 

8 a) Der Ausnahmetatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 HWG ist nicht einschlägig, weil die angekündigte Zuwendung keine geringwertige Kleinigkeit ist. Die als Gratiszugabe angebotenen 100 Tabletten der S-​Salze haben unstreitig bei einer Abgabe durch den Verfügungsbeklagten einen Wert von € … (vgl. Seite 4 der Schutzschrift bzw. Testkaufbeleg Bl. 102). Ob sie, wie das Landgericht ermittelt hat, anderweitig im Internet zu günstigeren Preisen erhältlich sind, spielt keine Rolle, da es um eine Zugabe seitens des Verfügungsbeklagten geht, der für den Erwerb von 100 Tabletten einen entsprechenden Preis verlangen würde bzw. unstreitig auch verlangt hat. Eine Zugabe im Wert von € … stellt keine geringwertige Kleinigkeit dar, da die vom Bundesgerichtshof entwickelte Ein-​Euro-​Grenze überschritten ist (vgl. BGH GRUR 2010, 1133 Rn. 21, 22 – Bonuspunkte).

 

9 Ob es sich bei als Zugaben ausgelobten apothekenpflichtigen Arzneimitteln überhaupt um geringwertige Kleinigkeiten im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG handeln kann, woran der Senat zweifelt, kann für die Entscheidung des vorliegenden Falles dahinstehen.

 

10 Stellt die Zugabe keine geringwertige Kleinigkeit dar, liegt auch eine spürbare Beeinträchtigung im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG vor. Eine relevante unsachliche Beeinflussung der Werbeadressaten kann bei der Ankündigung einer Gratiszugabe von 100 Tabletten S-​Salze im Wert von € nicht ausgeschlossen werden, weil der angesprochene Verbraucher dies nicht als kleinere Zugabe ansieht, die der Apotheker als Ausdruck allgemeiner Kundenfreundlichkeit weitergibt. Auch wenn der Verbraucher den Preis für die 2×400 Tabletten erfährt (nämlich € …), erkennt er, dass eine Gratiszugabe von 100 Tabletten keine geringwertige Kleinigkeit mehr darstellt.

 

11 b) § 7 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 HWG ist in Bezug auf die streitgegenständliche Werbung nicht anwendbar. Der Verfügungsbeklagte kündigt keinen Barrabatt im Sinne von lit. a) dieses Ausnahmetatbestandes an. Vielmehr kommt nur lit. b) in Betracht, der jedoch ausweislich des Folgesatzes  in § 7 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 HWG nicht für Arzneimittel gilt, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist. Dies ist bei S-​Salzen unstreitig der Fall.

 

12 Da der Verfügungsbeklagte gerade keinen Barrabatt, sondern eine Gratiszugabe ankündigt, kann er sich auch nicht darauf berufen, ein Barrabatt sei bei nicht preisgebundenen S-​Salzen möglich gewesen. Schließlich handelt es sich entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten bei der streitgegenständlichen Werbung auch nicht um ein Komplettangebot für 900 Tabletten S-​Salze, sondern um die eindeutige Ankündigung eines Naturalrabatts in Form einer Gratiszugabe desselben Arzneimittels.

 

13 Die Differenzierung zwischen Bar- und Naturalrabatten ist bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln gesetzlich ausdrücklich geregelt. Art. 12, 3 GG sowie Art. 34 AEUV stehen dieser vom Gesetzgeber gewählten Differenzierung nicht entgegen. Rechtfertigungsgrund für eine Differenzierung der gesetzgeberischen Bewertung von Gratiszugaben (Naturalrabatten) gegenüber Barrabatten ist die wesentlich höhere Anlockwirkung, die regelmäßig von der Bewerbung mit "Gratis" ausgeht. Dies orientiert sich an dem Verständnis des relevanten Durchschnittsverbrauchers, das der Senat selbst beurteilen kann (anders: Mand in: Prütting, Medizinrecht, 3. Aufl. § 7 HWG Rn. 24). Starke Anlockwirkungen sollen im Bereich des Konsums von apothekenpflichtigen Arzneimitteln gerade vermieden werden. Eine – unterstellte – Handelsbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV wäre deshalb auch durch Art. 36 AEUV gerechtfertigt.

 

14 c) Der Verbotstatbestand des § 7 Abs. 1 UWG umfasst beide im Antrag genannten Handlungsformen, nämlich das Werben ("ankündigen") und das "Gewähren".

 

4.

 

15 Die nach § 12 Abs. 2 UWG vermutete Dringlichkeit ist nicht widerlegt.

 

5.

 

16 Daher war auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers der landgerichtliche Beschluss abzuändern und die einstweilige Verfügung wie beantragt zu erlassen.