Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 3 U 137/17
UWG § 3 Nr. 1 UWG, § 3a, § 5, § 8 Abs. 1; HWG § 3
1. Eine Arzneimittelwerbung in einer Fachzeitschrift für Ärzte wendet sich jedenfalls dann nicht an die Gesamtheit der Leserschaft dieser Zeitschrift, wenn sich die Werbung thematisch nur an einen engeren Kreis von Ärzten wendet, die sich mit der Behandlung der Erkrankung befassen, für die das beworbene Arzneimittel indiziert ist. In einem solchen Fall ist bei der Prüfung einer möglichen Irreführung durch eine Werbeangabe auf das Verständnis des engeren Kreises der angesprochenen Fachärzte abzustellen.
2. Eine als solche mehrdeutige Werbeangabe, die im werblichen Kontext erkennbar durch die – etwa in Form von Bulletpoints, Spiegelstrichen o.ä. – Auflistung verschiedener Informationen erläutert wird, ist in der Regel durch jene Informationen inhaltlich definiert, so dass der angesprochene Verkehr ein von jener Definition abweichendes Verkehrsverständnis grundsätzlich nicht entwickeln kann.
3. Ist dem ärztlichen Fachverkehr im Allgemeinen bekannt, dass bestimmte Patientengruppen, wie Schwangere oder Menschen unterhalb und oberhalb bestimmter Altersgruppen sowie Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen, in klinische Studien im Regelfall nicht eingeschlossen werden, dann verbinden sie mit einer Werbeaussage, die auf eine klinische Studie verweist, regelmäßig nicht die Erwartung, dass die beworbene Wirkung für alle – also auch für die regelmäßig von solchen Studien ausgeschlossenen – Patientengruppen klinisch belegt ist.
4. Dass Arzneimittel im Rahmen von Zulassungsstudien nicht stets hinsichtlich jeglicher Wechselwirkungen mit jedem anderen Arzneimittel untersucht werden, gehört zum allgemeinen Wissen von Ärzten.
5. Wird eine Werbeangabe zum Gegenstand eines separaten Unterlassungsantrags gemacht, muss diese Angabe bei der Prüfung, ob eine innerhalb der konkreten Verletzungsform ebenfalls gesondert angegriffene weitere Werbeangabe irreführend ist, hinweggedacht werden.
6. Das Verkehrsverständnis von einer mit Fußnoten versehenden Werbeangabe ist regelmäßig unter Heranziehung der Fußnotenangaben zu ermitteln, wenn die Werbeangabe aus der Verkehrssicht erläuterungsfähig erscheint.
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26.07.2016, Az. 416 HKO 26/16, abgeändert. Die Klage wird, soweit die Parteien nicht den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Kostenvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
1 I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen heilmittelrechtlicher Werbung auf Unterlassung, Auskunft und der Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Wettbewerbsrecht in Anspruch.
2 Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose (im Folgenden auch: „MS“). Die Beklagte vertreibt in Deutschland u.a. das verschreibungspflichtige Arzneimittel Q. zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose, sog. RRMS („Relapsing Remitting Multiple Sclerosis“, Wirkstoff: R. beta-1a). Nach Ziffer 4.2 der Fachinformation sollte die Behandlung unter Aufsicht eines Arztes eingeleitet werden, der Erfahrung in der Behandlung von Multipler Sklerose hat (vgl. Fachinformation in Anlage CC 9).
3 Die Klägerin hat sich zunächst gegen insgesamt 11 Angaben in Produktwerbungen für verschiedene Präparate der Beklagten gewandt. Hinsichtlich acht Angaben hat die Beklagte in erster Instanz Unterlassungsverpflichtungserklärungen abgegeben, woraufhin die Parteien insoweit den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben und die Beklagte die Kostenübernahme erklärt hat. Streitig geblieben sind drei Werbeangaben für das Arzneimittel Q. in der als Anlage CC 3 vorliegenden Werbeanzeige der Beklagten in der Zeitschrift „Der Nervenarzt“:
4 > 1 Jahr Q.
5 Eine Interferon-ReFORM:
6 Für erweiterte Möglichkeiten in der MS-Therapie
7 Das erste pegylierte Interferon für die MS-Therapie alle 2 Wochen s.c.1,2,3
8 – Gute Wirksamkeit (signifikant vs. Placebo im 1. Therapiejahr)
9 36% Reduktion der jährlichen Schubrate 2,3
54% Reduktion der Behinderungsprogression 3,4
86% Reduktion der Gd+-Läsionen 3,5
10 – Anhaltend gute Wirksamkeit über 3 Jahre 6
11 – Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil 2,7
12 Die Klägerin hat geltend gemacht, die Werbung gemäß Anlage CC 3 für Q. mit der Aussage „Gute Wirksamkeit“ sei irreführend. Es werde der Eindruck besonderer Wirksamkeit hervorgerufen, der aber unzutreffend sei. Die Wirkaussage ergebe sich weder aus den in Anlage CC 3 in Bezug genommenen Fundstellen noch aus der Fachinformation. Diese zeige vielmehr, dass die Wirksamkeit des Präparates in wesentlichen Therapiebereichen, wie bei Leberfunktionsstörungen und bei maßgeblichen Patientengruppen, z.B. bei älteren Menschen, Patienten mit Leberfunktionsstörung oder Kindern und Jugendlichen, noch gar nicht untersucht worden sei. Die Wirksamkeit sei damit nur für eine eingeschränkte Patientengruppe belegt. Ausweislich Ziffer 4.5 der Fachinformation sei das Präparat auf verschiedene Wechselwirkungen noch gar nicht untersucht worden. Die Hervorhebung einer guten Wirksamkeit sei damit wissenschaftlich nicht gesichert und irreführend. Dass ein Arzneimittel gut (und eben nicht schlecht) wirken müsse, um überhaupt eine Marktzulassung zu erhalten, sei eine Selbstverständlichkeit. Dabei müsse die Wirksamkeit nach klinischem Goldstandard auch insbesondere Placebo-kontrolliert festgestellt werden.
13 Die Klägerin hat auch die Aussage „54% Reduktion der Behinderungsprogression“ als irreführend beanstandet. Die von der Beklagten genannten Fundstellen enthielten keine wissenschaftlich belastbaren Belege, da sie allein auf einer Post-hoc-Analyse beruhten.
14 Die Klägerin hat weiter geltend gemacht, die Angabe „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ sei ebenfalls irreführend. Mit dieser Angabe werde der Eindruck erweckt, dass das beworbene Arzneimittel in besonderer Art und Weise über den im Rahmen der Zulassung ohnehin nachzuweisenden Grad hinaus wirksam, sicher und verträglich sei. Dies ergebe sich aber nicht aus den in der Werbung über die Fußnoten in Bezug genommenen Fundstellen. Irreführend werde der unzutreffende Eindruck hervorgerufen, dass Q. sich durch seine Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit auszeichne. Tatsächlich müssten Einschränkungen bei Wechselwirkungen, verschiedenen Patientengruppen und dem Therapiebereich Leberfunktionsstörung gemacht werden. Studien zu Wechselwirkungen seien ausweislich der Fachinformation gar nicht durchgeführt worden. Stattdessen enthalte die Fachinformation verschiedene Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen.
15 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
16 I. die Beklagte zu verurteilen,
17 1.1 es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen
18 1.1.3. für das Arzneimittel Q. mit den Aussagen
19 1.1.3.1 „Gute Wirksamkeit“;
20 und/oder
21 1.1.3.2 „54% Reduktion der Behinderungsprogression“;
22 und/oder
23 1.1.3.4 „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“;
24 zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies jeweils wie in Anlage CC 3 geschieht;
25 1.2. der Klägerin schriftlich Auskunft über Art, Umfang, Zeitpunkte und Dauer der unter vorstehender Ziffer 1.1 bezeichneten Handlungen zu erteilen, wobei die Auskunft nach Kalendervierteljahren, Werbeträgern, Verbreitungszeiträumen, Verbreitungsgebieten und Adressaten der jeweiligen Handlungen aufzuschlüsseln ist.
26 II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser aufgrund der in vorstehender Ziffer 1.1 beschriebenen Handlungen bereits entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
27 Die Beklagte hat beantragt,
28 die Klage abzuweisen.
29 Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, angesprochene Verkehrskreise seien Neurologen, die Patienten mit MS behandelten. Die mit dem Antrag 1.1.3.1 angegriffene Aussage „Gute Wirksamkeit“ für Q. sei von der Klägerin aus dem Zusammenhang gerissen worden und im Zusammenhang der Anlage CC 3 zutreffend. „Gute Wirksamkeit“ diene nur als Überschrift für die anschließende spiegelstrichartige Aufzählung von Prozentzahlen. Den angesprochenen Verkehrskreisen werde explizit mitgeteilt, warum die Beklagte meine, dass Q. eine gute Wirksamkeit habe. Eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten liege nicht vor, da die arzneimittelrechtliche Zulassung nur die Wirksamkeit eines Präparates, nicht aber eine „gute“ Wirksamkeit voraussetze. Dass die Wirksamkeit eines Arzneimittels nicht unter allen denkbaren Gesichtspunkten untersucht worden sei, sei üblich und werde von den angesprochenen Verkehrskreisen so erwartet.
30 Die Beklagte hat vorgetragen, die mit dem Antrag 1.1.3.2 beanstandete Angabe „54% Reduktion der Behinderungsprogression“ werde sowohl von der in der Fußnote in Bezug genommenen Veröffentlichung von N. et al. als auch von der Fachinformation für Q. getragen. Die Durchführung der post-hoc-Analyse sei von der EMA im Laufe des Verfahrens ausdrücklich gefordert worden. Mit Daten aus der Fachinformation, die die Zulassungsbehörde für zulassungsrelevant gehalten habe, dürfe die Beklagte werben.
31 Auch die mit dem Antrag 1.1.3.4 beanstandete Angabe „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ hat die Beklagte verteidigt. Das dokumentierte Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil von Q. ergebe sich aus den in den Fußnoten genannten Studien von C. (Anlage CC 16) und K. (Anlage CC 18). Die angesprochenen Ärzte wüssten, dass Sicherheit und Verträglichkeit zugelassener Arzneimittel praktisch nie unter jedem denkbaren Gesichtspunkt untersucht würden. Dass zum Beispiel Patienten in einem Alter von über 65 Jahren oder etwaige Wechselwirkungen nicht untersucht worden seien, bedeute daher nicht, dass man nicht von dokumentierter Sicherheit und Verträglichkeit sprechen könne. Kein Neurologe erwarte außerdem, dass im Rahmen klinischer Studien ein MS-Präparat an Schwangeren oder Säuglingen erprobt werde. Zudem sei die Auslobung „dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ ein neutraler und sachlicher Hinweis, der mit den referenzierten Fundstellen lediglich aussage, wo die Ärzte die betreffende Dokumentation finden könnten.
32 Die angesprochenen Verkehrskreise erwarteten unter einem dokumentierten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil kein besonders vorteilhaftes Profil, sondern verstünden die Werbeaussage nur als Hinweis darauf, dass das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil in den angegebenen Studien dokumentiert sei. Eine Irreführung trete nicht ein. Es handele sich auch nicht um eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten, weil die angesprochenen Ärzte die Aussage nicht dahin verstünden, dass Sicherheit und Verträglichkeit überhaupt untersucht worden seien.
33 Mit Urteil vom 27. Juni 2017, Az. 312 O 4/16, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
34 Gegen diese Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die sie frist- und formgerecht eingelegt und begründet hat.
35 Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie macht ergänzend geltend, angesprochene Verkehrskreise seien Neurologen, die Patienten mit MS behandelten. Auf das Verständnis sonstiger Leser der Zeitschrift „Der Nervenarzt“ komme es nicht an. Das Landgericht habe zudem verkannt, dass die streitgegenständliche Aussage in der angegriffenen Werbung keineswegs uneingeschränkt daherkomme, sondern ausweislich des Klammerzusatzes auf einen Vergleich gegen Placebo im ersten Therapiejahr bezogen sei. Dazu folgten weiter unmittelbar unterhalb der Aussage drei Unterpunkte, die konkretisierten, was mit der ausgelobten „guten Wirksamkeit“ gemeint sei, nämlich dass Q. im ersten Therapiejahr im Vergleich zu Placebo eine Reduktion der jährlichen Schubrate um 36%, der Behinderungsprogression um 54% und der Zahl der Gd+-Läsionen um 84% erzielt habe. Hierbei handele es sich um entscheidende Wirksamkeitsparameter von MS-Basistherapeutika.
36 Sie trägt vor, es sei grundsätzlich lebensfremd anzunehmen, die Wirksamkeit eines Arzneimittels sei für alle denkbaren Patientenpopulationen und unter Berücksichtigung aller denkbaren Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln wissenschaftlich abgesichert. Eine solche Erwartung habe kein Arzt. Dass bestimmte Patientengruppen in klinischen Studien nicht eingeschlossen würden, wie Schwangere oder Menschen unterhalb und oberhalb bestimmter Altersgruppen, wisse jeder Arzt. Auch wisse jeder Arzt, dass im Rahmen klinischer Studien meist keine zielgerichtete Untersuchung von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln durchgeführt werde. Es sei auch nicht selten, dass Patienten mit Leber- oder Nierenfunktionsstörungen nicht in klinische Studien aufgenommen werden könnten.
37 Die Angabe „54% Reduktion der Behinderungsprogression“ sei durch die Fachinformation abgesichert.
38 Schließlich ist die Beklagte der Auffassung, auch das Verbot der Aussage „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ sei zu Unrecht ergangen. Dass die Sicherheit und Verträglichkeit von Q. in den in den Fußnoten genannten Studien von C. (Anlage CC 16) und K. (Anlage CC 18) dokumentiert werde, sei zwischen den Parteien unstreitig. Bei C. et al. sei auf dessen Seite 662 eine umfangreiche Tabelle zu den in der Studie beobachteten Nebenwirkungen enthalten. Die Verträglichkeit werde zudem auf Seite 663 an mehreren Stellen im Text angesprochen. Für die Studie von K. ergebe sich der Inhalt schon aus dem Titel der Studie. Zudem seien auch hier Angaben zu Nebenwirkungen dargestellt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts verstoße die Werbeangabe auch nicht gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit. Dieser Grundsatz verlange nicht, dass die Werbeangabe wortwörtlich in der Studie enthalten sein müsse. Ob ein Studienergebnis auf einem primären oder sekundären Endpunkt der Studie beruhe, sei vorliegend nicht von Bedeutung, da die angegriffene Angabe nicht auf eine wissenschaftlich abzusichernde Angabe abziele.
39 Die Beklagte wiederholt ihr Vorbringen, dass die Klägerin keinen Vortrag zu einem konkreten kausalen Mindestschaden gehalten habe. Zudem sei der Auskunftsanspruch in jedem Fall abzuweisen, da die Klägerin selbst auch in der streitgegenständlichen Ausgabe von „Der Nervenarzt“ inseriert habe, so dass ihr die begehrten Informationen zu Art, Umfang und Verbreitung der angegriffenen Handlung bereits bekannt seien. Mehr könne auch die Beklagte nicht liefern.
40 Die Beklagte hat mit der Berufungsbegründung vom 06.10.2017 eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben, soweit in der Werbung gemäß Ziffer 1.1.3.2 mit der Fußnote 4 auf eine post-hoc-Analyse von N. et al. (Anlage CC 15) Bezug genommen ist. Diese hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.11.2017 unter Vorbehalt weitergehender Rechte angenommen. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit wegen des Klagantrags 1.1.3.2 insgesamt für erledigt erklärt. Die Beklagte hat insoweit die Kostenübernahme erklärt.
41 Die Beklagte beantragt im Übrigen,
42 das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. Juni 2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
43 Die Klägerin beantragt,
44 die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
45 Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil, soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.
46 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung, die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 23. Mai 2019 Bezug genommen.
47 II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat, soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben, Erfolg (Ziffern 1.1.3.1 und 1.1.3.4 nebst Annexansprüchen).
48 1. Die mit dem Antrag 1.1.3.1für das Arzneimittel Q. angegriffene Aussage „Gute Wirksamkeit“ gemäß der Anlage CC 3 ist entgegen der Annahme des Landgerichts nicht irreführend. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG iVm § 3 HWG insoweit nicht zu.
49 a) Streitgegenstand dieses Antrages ist Verwendung der Angabe „Gute Wirksamkeit“ in der Zeitschrift „Der Nervenarzt“ nach Anlage CC 3. Die Klägerin hat mit der Bezugnahme auf die Anlage CC 3 die konkrete Verletzungsform zum Gegenstand des Klageantrags gemacht. Damit greift die Klägerin richtigerweise nicht die Verwendung dieser Angabe isoliert an, denn eine solche Verwendung entspricht nicht der konkreten Verletzungshandlung. In der zum Streitgegenstand gemachten konkreten Verletzungsform folgen der angegriffenen Angabe ein Klammerzusatz und weitere Angaben als Aufzählung.
50 Als Klagegrund hat die Klägerin ein Verkehrsverständnis dergestalt vorgetragen, die Angabe vermittle den Eindruck besonderer Wirksamkeit und dies verstehe der Verkehr dahingehend, dass mehr als eine bloß marktübliche Wirksamkeit ausgelobt werde. Ein solches Verkehrsverständnis werde jedoch enttäuscht. Als weiteres Verkehrsverständnis hat die Klägerin vorgetragen, der Verkehr erwarte, dass die „besondere Wirksamkeit“ auch für alle Patientengruppen Geltung beanspruchen könne. Dies ergibt sich als Umkehrschluss aus dem Vortrag der Klägerin, die Irreführung folge daraus, dass die Wirksamkeit nur für eine eingeschränkte Patientengruppe belegt und zudem bei z.B. älteren Menschen, Patienten mit Leberfunktionsstörung oder Kindern und Jugendlichen, noch gar nicht untersucht worden sei. Zudem sei ausweislich Ziffer 4.5 der Fachinformation das Präparat auch auf verschiedene Wechselwirkungen noch gar nicht untersucht worden. Die Hervorhebung einer guten Wirksamkeit sei damit wissenschaftlich nicht gesichert und irreführend. Als drittes hat sich die Klägerin darauf gestützt, die Beklagte werbe unzulässig mit Selbstverständlichkeiten. Denn, dass ein Arzneimittel gut (und eben nicht schlecht) wirken müsse, um überhaupt eine Marktzulassung zu erhalten, sei eine Selbstverständlichkeit und daher irreführend.
51 b) Die angegriffene Angabe ist entgegen der Annahme des Landgerichts nicht irreführend.
52 aa) Nach § 3 S. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2017 – I ZR 53/16, GRUR 2018, 320, Rn. 18 – Festzins Plus). Nach § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.
53 (1) Ob eine Werbung irreführend ist, richtet sich maßgeblich danach, wie der angesprochene Verkehr diese Werbung auf Grund ihres Gesamteindrucks versteht (Senat, Urteil vom 2. März 2017 – 3 U 122/14, MMR 2017, 539, Rn. 34). Maßgebend für die Beurteilung einer streitgegenständlichen Angabe ist folglich das Verständnis des angesprochenen Verkehrs. Mit der Beklagten ist davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehrskreis sich im Streitfall nicht aus der Gesamtheit der Ärzte zusammensetzt und auch nicht aus der Gesamtheit der Leser der Zeitschrift „Der Nervenarzt“, sondern nur aus Ärzten, die mit der Behandlung von MS vertraut sind. Zwar richtet sich die Zeitschrift „Der Nervenarzt“ durchaus an ein breiteres Spektrum von Ärzten und damit auch an solche, die nicht mit der MS-Behandlung vertraut sind. Die hier streitgegenständliche Werbung wendet sich jedoch thematisch nur an Ärzte, die sich mit der Behandlung von Multipler Sklerose befassen. Denn die Überschrift nimmt Bezug auf die Wirkstoffe der „Interferone“ und wird ergänzt um die Angabe „Für erweiterte Möglichkeiten in der MS-Therapie“. Damit werden Ärzte angesprochen, die sich mit der Behandlung von Multipler Sklerose befassen, also in erster Linie Neurologen, die MS-Patienten behandeln. Dies deckt sich mit der Fachinformation von Q., wo auf einen Arzt mit Erfahrung in der Behandlung von MS abgestellt wird (vgl. Ziffer 4.2 der Fachinformation von Q., Anlage CC 9). Hierauf hat auch die Klägerin in ihrer Klageschrift (dort S. 7) abgestellt. Zudem ist Q. zur Behandlung der besonders schweren RRMS zugelassen, mithin zur Behandlung von (erwachsenen) Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose.
54 Diesen Ärzten sind sowohl der Verlauf der Krankheit als auch die verfügbaren Therapien, insbesondere mit Medikamenten, einschließlich deren Haupt-, Neben- und Wechselwirkungen und deren Vorbereitungs- und Überwachungsaufwand bekannt. Sie wissen, dass MS nicht heilbar ist und dass die verfügbaren Medikamente dazu dienen, bestimmte, wenn auch nicht alle, Ausprägungen der Erkrankung zu lindern oder aufzuschieben.
55 (2) Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Fachverkehrs, hier also der Ärzte, die sich mit der Behandlung von MS-Patienten beschäftigen, vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der angesprochene Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 21. Dezember 2006 – 3 U 77/06, PharmR 2007, 204, 206; Urteil vom 16. Februar 2017 – 3 U 194/15, GRUR-RR 2018, 27, Rn. 45 – HSA frei; Urteil vom 26. April 2018 – 3 U 96/17, GRUR-RR 2018, 479, Rn. 54).
56 bb) Die Angabe „Gute Wirksamkeit“ erweist sich nach dem Verständnis des angesprochenen Verkehrs nicht als irreführend.
57 (1) Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich die Klägerin im Streitfall nicht gegen die Verwendung der Aussage „Gute Wirksamkeit“ in abstrakter Form wendet, sondern bezogen auf die konkrete Verletzungsform. Die angegriffene Werbeaussage kommt im Streitfall nicht uneingeschränkt daher. In der konkreten Verletzungsform ist ausweislich des Klammerzusatzes für den angesprochenen Verkehr erkennbar die Aussage auf einen Vergleich gegen Placebo im ersten Therapiejahr bezogen:
58 – Gute Wirksamkeit (signifikant vs. Placebo im 1. Therapiejahr)
59 Für den Verkehr ist daher erkennbar, wie die Beklagte die Auslobung „gute Wirksamkeit“ definiert sieht. Dazu sind unmittelbar daran anschließend mit den nachfolgenden Reduktionsraten drei Parameter genannt, die nach dem Verständnis des Verkehrs diese Aussage weiter konkretisieren. Der Senat geht daher mit der Beklagten davon aus, dass die Angabe „Gute Wirksamkeit (signifikant vs. Placebo im 1. Therapiejahr)“ vom angesprochenen Verkehr wie eine Überschrift verstanden wird, die näher durch die nachfolgenden Angaben erläutert wird. Für die Annahme des Landgerichts, der Verkehr erwarte, dass eine gute Wirksamkeit in jeder Hinsicht bestünde, ist angesichts der konkreten Verletzungsform kein Raum. Der Verkehr erkennt vielmehr, dass mit der ausgelobten „guten Wirksamkeit“ gemeint sei, dass Q. im ersten Therapiejahr im Vergleich zu Placebo eine Reduktion der jährlichen Schubrate um 36%, der Behinderungsprogression um 54% und der Zahl der Gd+-Läsionen um 84% erzielt habe. Damit wird dem angesprochenen Verkehr mitgeteilt, warum die Beklagte meint, dass Q. eine gute Wirksamkeit habe. Ob die mitgeteilten Reduktionsraten aus Sicht des Verkehrs auch tatsächlich „gut“ sind, bleibt dem Leser überlassen; jedenfalls erkennt der angesprochene Verkehr, dass die Beklagte diese Reduktion für Belege einer guten Wirksamkeit hält.
60 (2) Das zweite von der Klägerin angeführte Verkehrsverständnis, der Verkehr erwarte bei der streitgegenständlichen Bewerbung einer guten Wirksamkeit, dass sie für alle Patientengruppen uneingeschränkt gelte und der Verkehr daher darüber in die Irre geführt werde, weil sie nur für eine eingeschränkte Patientengruppe belegt und z.B. bei älteren Menschen, Patienten mit Leberfunktionsstörung oder Kindern und Jugendlichen, noch gar nicht untersucht worden sei, trifft ebenfalls nicht zu. Mit der Beklagten ist vielmehr davon auszugehen, dass Ärzten – nicht zuletzt aufgrund ihres wissenschaftlichen Studiums – bereits im Allgemeinen bekannt ist, dass bestimmte Patientengruppen in klinischen Studien im Regelfall nicht eingeschlossen werden, wie Schwangere oder Menschen unterhalb und oberhalb bestimmter Altersgruppen. Den Behandlern von MS-Patienten ist zudem bekannt, dass in klinischen Untersuchung Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen von Leber, Nieren und Magen-Darm ausgeschlossen sind bzw. nicht eingeschlossen werden. Entgegen der Behauptung der Klägerin verbinden die angesprochenen Fachkreise daher nicht mit Blick auf die angegriffene Werbeaussage die Erwartung, die Wirksamkeit sei für alle Patientengruppen belegt. Die Klägerin hat im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die angesprochenen Verkehrskreise gerade die Berücksichtigung der ausgeschlossenen Patientengruppen erwarten würden. Solche Anhaltspunkte sind im Streitfall auch nicht ersichtlich. Soweit sich die Klägerin auch darauf gestützt hat, dass die Wirksamkeit für Kinder und Jugendliche nicht untersucht worden sei, ist dieser Umstand bereits vor dem Hintergrund der Zulassung von Q. für die Behandlung erwachsener Patienten erkennbar irrelevant.
61 (3) Soweit die Klägerin eine Irreführung darauf zu stützen sucht, dass sich die streitgegenständliche Auslobung einer guten Wirksamkeit auch auf das Wechselwirkungsprofil beziehen solle, lässt sich ein solches Verkehrsverständnis der konkreten Verletzungsform ebenfalls nicht entnehmen. Denn in der konkreten Verletzungsform ist, wie ausgeführt, der maßgebliche Vergleichsmaßstab dieser Auslobung genannt, nämlich im Vergleich zu Placebo. Dass im Rahmen der Zulassungsstudien Arzneimittel nicht hinsichtlich Wechselwirkungen mit jedem anderen Medikament geprüft werden, gehört im Übrigen zum allgemeinen Wissen von Ärzten. Den angesprochenen Fachkreisen, die sich mit der Behandlung von MS bzw. RRMS beschäftigen, wissen, dass MS nicht heilbar ist, und dass kein Arzneimittel stets in allen Anwendungen wirkt, weshalb der Vergleich mit Placebo – wie üblich – der maßgebliche Vergleichsmaßstab ist. Und dieser wird in der Werbung ausdrücklich in Bezug genommen. Der Verkehr unterliegt lediglich der Erwartung, dass die der angegriffenen Angabe in der Werbung nachfolgenden Angaben belegt sind. Und das trifft zu.
62 cc) Die angegriffene Werbeangabe ist auch nicht wegen einer etwaigen Werbung mit Selbstverständlichkeiten irreführend.
63 (1) Nach der Rechtsprechung kann eine Irreführung dann vorliegen, wenn Werbebehauptungen etwas Selbstverständliches in einer Weise hervorheben, dass der Adressat der Werbung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Ware oder Leistung vermutet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaften oder zum Wesen der angebotenen Ware oder Leistung gehörende Umstände besonders hervorgehoben werden, so dass die Werbeadressaten davon ausgehen, es werde mit einem Vorzug gegenüber anderen Waren gleicher Gattung oder Konkurrenzangeboten geworben, obwohl es sich tatsächlich um Merkmale handelt, die das Leistungsangebot des Werbenden gegenüber anderen Angeboten nicht auszeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2013 – I ZR 34/13, GRUR 2014, 498, Rn. 13; Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 5, Rn. 1.113, mwN).
64 (2) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, es stelle eine Selbstverständlichkeit dar, dass ein Arzneimittel gut – und eben nicht schlecht – wrken müsse, um überhaupt eine Marktzulassung zu erhalten und dass dies nach klinischem Goldstandard auch insbesondere Placebo-kontrolliert festgestellt werden müsse. Dieses Vorbringen geht am konkreten Fall vorbei, denn in diesem ist, wie bereits ausgeführt, in der angegriffenen Werbung für die „gute Wirksamkeit“ nicht nur Placebo als Referenzmaßstab mitgeteilt, sondern eben auch drei weitere, mit Prozentzahlen angegebene Reduktionsraten. Dass diese Reduktionsraten mit Blick auf die Zulassungsentscheidung Selbstverständlichkeiten darstellen, behauptet auch die Klägerin mit Recht nicht. Denn der für die Zulassung erforderliche Beleg der klinischen Wirksamkeit muss sich naheliegender Weise nicht mit den hier in der Werbung aufgeführten Parametern decken. Dass für die Zulassung zwingend eine 36%ige Reduktion der jährlichen Schubrate, eine 54%ige Reduktion der Behinderungsprogression und eine 86%ige Reduktion der Gd+-Läsionen erforderlich sei, ist weder vorgetragen noch aus anderen Gründen ersichtlich. Ein solches liegt auch fern.
65 dd) Soweit die Klägerin meint, die Angabe „54% Reduktion der Behinderungsprogression“ sei ihrerseits irreführend, kann dies zur Stütze des Verbots nach Ziffer 1.1.3.1 nicht herangezogen werden, da die Klägerin die Angabe zur Behinderungsprogression zum Gegenstand eines separaten Unterlassungsantrags gemacht hat, mit der Folge, dass diese Angabe bei der Prüfung der Zulässigkeit der innerhalb der konkreten Verletzungsform gesondert angegriffenen Angabe „Gute Wirksamkeit“ hinweggedacht werden muss.
66 2. Die mit dem Antrag 1.1.3.4 für das Arzneimittel Q. angegriffene Aussage „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ gemäß der Anlage CC 3 ist entgegen der Annahme des Landgerichts nicht irreführend. Der Klägerin steht dieser geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG iVm § 3 HWG ebenfalls nicht zu.
67 a) Streitgegenstand dieses Antrages ist Verwendung der Angabe „Dokumentiertes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“. Die Klägerin greift diese Angabe zutreffend ebenfalls nicht isoliert an, sondern in der konkreten Verletzungsform gemäß Anlage CC 3. Dort ist die streitgegenständliche Angabe gefolgt von zwei Fußnoten, die mit Verweisen auf die Publikationen von C. et al. und K. et al. aufgelöst sind.
68 Die Klägerin beanstandet, es werde der irreführende Eindruck erweckt, dass das beworbene Arzneimittel in besonderer Art und Weise über den im Rahmen der Zulassung ohnehin nachzuweisenden Grad hinaus wirksam, sicher und verträglich sei. Dies ergebe sich aber nicht aus den in der Werbung über die Fußnoten in Bezug genommenen Fundstellen. Tatsächlich müssten Einschränkungen bei Wechselwirkungen, verschiedenen Patientengruppen und dem Therapiebereich Leberfunktionsstörung gemacht werden. Studien zu Wechselwirkungen seien ausweislich der Fachinformation gar nicht durchgeführt worden. Stattdessen enthalte die Fachinformation (Anlage CC 9) verschiedene Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen.
69 b) Die angegriffene Angabe ist entgegen der Annahme des Landgerichts nicht irreführend.
70 aa) Maßstab für die Beurteilung der angegriffenen Angabe ist auch hier der Verkehrskreis von Ärzten, die mit der Behandlung von MS und RRMS vertraut sind. Nach deren Verständnis beinhaltet die angegriffene Angabe entgegen dem Vortrag der Klägerin kein Wirkversprechen, das dem strengen Maßstab der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis unterfällt. Der Verkehr versteht die Angabe in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht dergestalt, dass Q. in jeder Hinsicht sicher und verträglich sei. Vielmehr erwartet der Verkehr mit der Auslobung eines dokumentierten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofils, dass es Dokumentationen zur Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats gibt. Zudem enthält die Werbung eine Bezugnahme auf die zwei in der Fußnote genannten Studien, die für das Verkehrsverständnis maßgeblich sind. Der Verkehr erwartet in Bezug auf die Fußnoten, dass sich diese beiden klinischen Studien mit der Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats beschäftigen. Er versteht die Werbeangabe deshalb insgesamt dahin, dass in den in den Fundstellen angeführten Studien Feststellungen zur Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats Q. dokumentiert sind. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Verkehr dagegen keinen Anlass zu erwarten, dass die angegriffene Angabe wörtlich oder sinngemäß in der Studie wiedergegeben ist.
71 bb) Dieses Verkehrsverständnis wird nicht enttäuscht.
72 (1) Die Studie von C. (Anlage CC 16) trägt das Verständnis des Verkehrs, dass die Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats dort dokumentiert ist. Sie basiert auf der ADVANCE-Studie, einer randomisierten, doppelt verblindeten Phase-3-Studie des in Rede stehenden Wirkstoffs pegylated interferon beta-1a zur Behandlung von RRMS mit 1512 Probanden. Primärer Endpunkt der Studie war die jahresbezogene Rückfallquote (relapse rate) nach 48 Wochen. Dass nicht auch Sicherheit und Verträglichkeit der primäre Endpunkt dieser Studie war, steht ihrer Heranziehung zur Dokumentation des Sicherheits- und Verträglichkeitsprofils nicht entgegen. Denn, wie ausgeführt, verbindet der Verkehr mit der angegriffenen Angabe keine Wirkaussage, mit der Folge, dass sie nur mit einer Studie belegt werden kann, deren primärer Endpunkt die Ermittlung der Sicherheit und Verträglichkeit sein muss. Vielmehr genügt der Umstand für die Verkehrserwartung, dass sich die Studie explizit mit der Sicherheit (safety) und Wirksamkeit (efficacy) von pegylated interferon beta-1a beschäftigt und eine Dokumentation der Nebenwirkungen bietet. Und das ist hier der Fall. Die Beklagte hat insoweit zu Recht auf die umfangreiche Darstellung der in der Studie beobachteten Nebenwirkungen verwiesen (S. 662 der Anlage CC 16). Demnach zeigten sich bei 94% der mit dem Wirkstoff behandelten Patienten Nebenwirkungen und 83% in der Vergleichsgruppe (Placebo). Die Studie verhält sich zu den häufigsten Nebenwirkungen, wie Rötung der Injektionsstelle (62% zu 7% bei Placebo), grippeartigem Krankheitsgefühl (47% zu 13%), Fieber (45% [Behandlung alle zwei Wochen] bzw. 44% [Behandlung alle vier Wochen] zu 15% bei Placebo) und Kopfschmerzen (44% bzw. 41% zu 33% bei Placebo). Ernsthafte Nebenwirkungen hätten nach der Studie 11% bzw. 14% der Patienten erlitten gegenüber 15% in der Vergleichsgruppe, hiervon in erster Linie einen Rückfall der MS-Symptome (in allen Gruppen 5%). Schwerwiegende Nebenwirkungen seien bei 18% bzw. 16% der Patienten zu verzeichnen gewesen gegenüber 11% in der Vergleichsgruppe. Diese Nebenwirkungen werden im Studientext auf Seiten 662 und 663 näher diskutiert. Dort ist auch ausgeführt, dass die vier beobachteten Todesfälle unter den Patienten aller Gruppen keinen Bezug mit der Behandlung aufgewiesen hätten. Die Erwartung des Verkehrs, diese Publikation sei zur Dokumentation der Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats geeignet, wird daher nicht enttäuscht. Die angegriffene Angabe enthält keinen Hinweis auf die Qualität des Sicherheits- und Verträglichkeitsprofils und insinuiert eine besondere Güte des Mittels insoweit auch nicht.
73 (2) Auch die Publikation von K. (Poster in Anlage CC 18) trägt das Verständnis des Verkehrs, dass die Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats dokumentiert sei. Diese Publikation nimmt Bezug auf die o.g. zweijährige ADVANCE-Studie und die darauf aufbauende zweijährige ATTAIN-Studie. Auch diese Publikation wertet die Beobachtung von Nebenwirkungen aus und zwar im dritten Behandlungsjahr mit dem Wirkstoff pegylated interferon beta-1a. Nach der Publikation seien in drei Jahren in 93% Nebenwirkungen beobachtet worden, im dritten Jahr 75% bzw. 74%. Auch hier zeigten sich demnach in den Interventionsgruppen als hauptsächliche Nebenwirkungen Rötung der Injektionsstelle (62-64%), grippeartiges Krankheitsgefühl (55%), Fieber (43-45%) und Kopfschmerzen (45%). Als relevante ernsthafte Nebenwirkungen habe sich in erster Linie ein Rückfall der MS-Symptome oder ein grippeartiges Krankheitsgefühl gezeigt. Die Autoren der Publikation kommen zu dem Ergebnis, dass keine neuen Sicherheitsprobleme über eine dreijährige Behandlungszeit aufgetreten seien. Die Erwartung des Verkehrs, diese Publikation sei zur Dokumentation der Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats geeignet, wird daher ebenfalls nicht enttäuscht. Die Erwartung einer besonderen Qualität des Sicherheits- und Verträglichkeitsprofils des Mittels hat der Verkehr – wie ausgeführt – nicht.
74 cc) Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, der Verkehr erwarte, dass in diesen Studien auch Wechselwirkungen untersucht worden seien, teilt der Senat dieses Verkehrsverständnis nicht. Denn die konkrete Verletzungsform gibt dem Verkehr keinen Anlass, bei den in Bezug genommenen Studien und Publikationen, die der Verkehr als Beleg der angegriffenen Behauptung auffasst, zudem noch Untersuchungen zu Wechselwirkungen zu erwarten. Der Verkehr erwartet in Bezug auf die konkrete Werbeangabe, dass sich diese beiden klinischen Publikation mit der Sicherheit und Verträglichkeit des Präparats beschäftigen, was sie auch tun. Eine nähere Erwartung zu Art und Inhalt der Dokumentation ist mit der Angabe nicht verbunden.
75 3. Die Annexansprüche sind in Bezug auf die verbleibenden rückbezogenen Anträge (1.1.3.1 und 1.1.3.4) mangels Unterlassungsanspruchs in der Sache unbegründet. Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Antrags 1.1.3.2 insgesamt übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist diese Erklärung dahin auszulegen, dass – wie bereits bei den Erledigungserklärungen in erster Instanz – dies auch die jeweils rückbezogenen Annexansprüche erfasst.
76 4. Die Kostenentscheidung folgt, soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, der Kostenübernahmeerklärung der Beklagten. Soweit die Berufung erfolgreich ist, beruht die Kostenentscheidung auf § 91 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen ergeht die Kostenentscheidung wegen des streitigen Obsiegens und Unterliegens der Parteien nach § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.
77 5. Die Revision ist gemäß § 543 ZPO nicht zuzulassen, denn die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Streitfall erschöpft sich in der Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall.