Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2023, Az.: 13 S 517/23
Entscheidungen in Leitsätzen
StVG § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 2 Abs. 4 Satz 1; FeV § 11 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 2 Satz 5, § 20 Abs. 1, Anl. 4 Nr. 9.2.1 und Nr. 9.6.2; BtMG § 13 Abs. 1 Satz 2; SGB V § 31 Abs. 6
1. Die Anwendung des Arzneimittelprivilegs (vgl. Nr. 9.6 der Anlage 4 der FeV) kommt bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis nur in Betracht, wenn für den Einsatz von Medizinal-Cannabis eine Indikation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht oder die Verschreibung zumindest ärztlich vertretbar sowie dessen Verabreichung zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich (ultima ratio) ist.
2. Für die Beurteilung, ob die Behandlung mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz genügt, kann auf die hierzu in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinen Urteilen vom 10.11.2022 (u. a. B 1 KR 28/21 R, juris) entwickelten Maßstäbe zurückgegriffen werden.
3. Wird im Straßenverkehr ein drogentypischer Fahrfehler begangen und dabei ein THC-Wert festgestellt, der ein Vielfaches den Wert von 1,0 ng/ml übersteigt, bei dem für die nicht vom Arzneimittelprivileg umfasste gelegentliche Einnahme von Cannabis eine betäubungsmittelbedingte Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden kann, so begründet dies Zweifel, ob bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt wird.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Neuerteilung seiner ihm im Jahr 2020 entzogenen Fahrerlaubnis.
2 Der Kläger verursachte am 02.05.2019 einen Auffahrunfall, bei dem ein Sachschaden von ungefähr 1.000,– EUR entstand. Bei der Aufnahme des Unfalls gab der Kläger an, er konsumiere Cannabis als Medikament, und legte zwei Rezepte des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. …, …, vom 05.02. und vom 15.11.2018 vor. Eine anschließend veranlasste Blutprobe erbrachte den Nachweis von THC (ca. 55 ng/ml) und THC-COOH (195 ng/ml). Der den Unfall aufnehmende Polizeikommissar gab im Untersuchungsauftrag zur Blutprobe unter Ausfallerscheinungen unter anderem eine verlangsamte Pupillenreaktion, gerötete Augenbindehäute und Redseligkeit an. Im Untersuchungsbericht des die Blutabnahme durchführenden Arztes wurden die Bindehäute als klar und die Pupillen als unauffällig beschrieben. Mit Verfügung vom 19.07.2019 stellte die Staatsanwaltschaft Tübingen das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung (48 Js 11477/19) gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und führte zur Begründung aus, dass es sich um einen üblichen Verkehrsvorgang und ein alltägliches Unfallgeschehen gehandelt habe und vor diesem Hintergrund nicht von einer relativen Fahruntüchtigkeit des Klägers ausgegangen werden könne, zumal die Polizei insofern keine Ausfallerscheinungen festgestellt habe.
3 In dem vom Landratsamt Calw eingeleiteten Verfahren auf Entziehung der Fahrerlaubnis legte der Kläger ein ärztliches Attest des Dr. … vom 21.11.2019 vor, in dem unter anderem ausgeführt wurde, dass sich der Kläger in dessen regelmäßiger ambulanten psychiatrischen Behandlung befinde und bei ihm seit August 2018 nach Kostenzusage durch die Krankenkasse eine Cannabistherapie wegen ADHS durchgeführt werde. Die dem Kläger verordnete Menge betrage 40 g/Monat. Der Kläger habe sich im Behandlungszeitraum stets zuverlässig gezeigt und die ärztlichen Anweisungen gewissenhaft befolgt; eine Beeinträchtigung der Fahreignung liege aus ärztlicher Sicht nicht vor.
4 Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 08.12.2020 entzog das Landratsamt Calw dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, C1, C, BE, C1E, CE, L und T mit der Begründung, der Kläger habe das mit Blick auf bestehende Bedenken gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen angeforderte ärztliche Gutachten nicht fristgerecht beigebracht, sodass gemäß § 11 Abs. 8 FeV der Schluss auf dessen Nichteignung gerechtfertigt sei.
5 Am 08.02.2021 beantragte der Kläger die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, C, C1, BE, C1E, L und T. Mit Schreiben vom 30.03.2021 forderte das Landratsamt Calw ihn auf, zum Nachweis seiner Kraftfahreignung gemäß § 46 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 FeV ein von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellendes Gutachten bis spätestens 30.09.2021 vorzulegen. Daraufhin reichte der Kläger ein ärztliches Attest des Dr. … vom 30.04.2021 ein. In diesem wird ausgeführt, dass nach den von ihm erhobenen Befunden beim Kläger keine Einschränkungen hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen der alten Fahrerlaubnisklassen I und II bestünden. Es bestehe keine Notwendigkeit für Beschränkungen und Auflagen beim Führen entsprechender Fahrzeuge. Hinweise auf einen Beigebrauch sonstiger psychoaktiver Substanzen neben dem medizinisch verordneten Cannabis hätten im Rahmen der Behandlung nicht entdeckt werden können. Nachdem das Landratsamt Calw dem Kläger mitgeteilt hatte, dass das Attest des ihn behandelnden Arztes nicht genüge, um die Bedenken an seiner Kraftfahreignung auszuräumen, teilte der Kläger mit Schreiben vom 26.07.2021 mit, dass er sich einer Begutachtung nicht unterziehen werde.
6 Mit Bescheid vom 11.10.2021 lehnte das Landratsamt Calw den Antrag des Klägers auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, C, C1, C1E, L und T unter Hinweis auf die Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens ab. Es sei anzunehmen, dass der Kläger erhebliche Eignungsmängel verbergen möchte.
7 Der Kläger legte am 19.10.2021 Widerspruch ein und machte unter anderem geltend, dass die Ablehnung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht hinreichend begründet sei. Im Übrigen seien nach Vorlage des ärztlichen Attests vom 30.04.2021 weitere Fahreignungsüberprüfungsmaßnahmen nicht zulässig gewesen.
8 Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2022 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück. Die Ausgangsverfügung genüge den Anforderungen des § 39 Abs. 1 LVwVfG. Die Gutachtensanordnung sei rechtmäßig gewesen. Bei der hier gegebenen Dauerbehandlung mit psychoaktiv wirkenden und betäubungsmittelhaltigen Medikamenten sei zur Aufklärung, ob der Betroffene noch über das erforderliche Leistungsvermögen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen verfüge, ermessensfehlerfrei die Beibringung eines fachärztlich-verkehrsmedizinischen Gutachtens angeordnet worden. Belastbare klinische (Meta-)Studien über den Einfluss einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabisblüten auf die Fahreignung lägen nicht vor. Das von dem Kläger vorgelegte ärztliche Attest des ihn behandelnden Arztes Dr. … besitze nur geringe Aussagekraft und sei lückenhaft.
9 Der Kläger hat am 24.02.2022 Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Calw vom 11.10.2021 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 01.02.2022 zu verpflichten, ihm die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
10 Mit Urteil vom 14.06.2022 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen. Der Kläger habe schon deshalb keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis, weil seine mangelnde Fahreignung feststehe. Beim Kläger könne mit Blick auf die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln von einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis im Sinne der Nummer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV ausgegangen werden. Auf die privilegierende Spezialregelung für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln in Nummer 9.6 der Anlage 4 der FeV könne sich der Kläger nicht berufen. Es fehle bereits an Anhaltspunkten für die medizinische Indikation. Es könne nicht erkannt werden, dass der mit der Anwendung des Medizinal-Cannabis beabsichtigte Zweck nicht auf andere Weise erreicht werden könne. Zu Ausmaß und Schwere der Grunderkrankung sei nichts Näheres bekannt. Es sei auch keine dauerhafte medizinische Überwachung der Einnahme zu erkennen. Es sei nicht bekannt, mit welcher Frequenz und unter welchen Modalitäten der Kläger bei seinem Arzt vorstellig und nach welchen Modalitäten die Einnahme kontrolliert werde. Es sei auch nicht zu erkennen, dass keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen seien und die Grunderkrankung eine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtige, nicht aufweise. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger auch und gerade unter Einfluss der verordneten Menge an Cannabis hinreichend leistungsfähig zum Führen eines Kraftfahrzeugs sei. Eine Privilegierung als Cannabis-Patient sei ausgeschlossen, da prognostisch davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt sei, am Straßenverkehr teilnehme. Eine solche Prognose könne sich auf die polizeilichen Feststellungen am 02.05.2019 stützen, ausweislich derer der Kläger unter Ausfallerscheinungen gelitten habe. Sie werde durch das Gutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 27.05.2019 bestätigt, nach dem das dem Kläger in zeitlicher Nähe zum Führen eines Kraftfahrzeugs entnommene Blut eine – vor allem im Verhältnis zu dem für die Einhaltung des Trennungsgebots maßgeblichen Risikogrenzwert von 1 ng/ml – massive THC-Konzentration von 55 ng/ml aufgewiesen habe. Dass der Kläger drogenbedingte Einschränkungen im Sinne der Nummer 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 der FeV kompensieren könne, sei nicht dargelegt. An hierfür sprechenden Umständen fehle es schon deshalb, weil der Kläger am 02.05.2019 ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe, obwohl seine THC-Blutkonzentration mit 55 ng/ml den für die Einhaltung des Trennungsgebots maßgeblichen Risikogrenzwert um mehr als das 50fache überschritten und der vorangegangene Konsum zu diesem Zeitpunkt auch noch Einschränkungen der Steuerungsfähigkeit bewirkt habe.
11 Im Berufungszulassungsverfahren hat der Kläger das sozialmedizinische Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 und ärztliche Atteste des Dr. … vom 17.05.2018, vom 05.02. und vom 30.04.2021 vorgelegt. Hinsichtlich des Inhalts dieser Unterlagen wird auf Blatt 69 bis 75 sowie Blatt 59 f., 62 und 128 der Akte des Zulassungsverfahrens hingewiesen.
12 Mit Beschluss vom 22.03.2023 – 13 S 1480/22 – hat der Senat die Berufung zugelassen. Innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger die Berufung begründet und im Wesentlichen geltend gemacht: Die regelmäßige Einnahme von Cannabis sei in seinem Fall nicht nach Nummer 9.2.1, sondern nach Nummer 9.6.2 in Verbindung mit der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 der FeV zu bewerten. Er habe mit dem sozialmedizinischen Gutachten vom 10.07.2018 und dem Attest des Dr. … vom 05.02.2021 dargelegt, dass er auf Grund der gesicherten Diagnose einer ADHS-Erkrankung im Erwachsenenalter in Kombination mit einer sekundären depressiven Störung die tatsächlichen Voraussetzungen für die medizinische Indikation von Medizinal-Cannabis mitbringe. Vernünftige Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit der Verabreichung von Medizinal-Cannabis bestünden daher nicht. Mit dem Attest vom 05.02.2021 habe er zudem glaubhaft gemacht, dass die ärztliche Verordnung von Medizinal-Cannabis dauerhaft medizinisch überwacht werde. Für die Prognose des Verwaltungsgerichts, dass er in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt sei, am Straßenverkehr teilnehme, würden keine tragfähigen Tatsachen benannt. Vielmehr habe Dr. … am 30.04.2021 attestiert, dass er aus medizinischer Sicht unter keinem Gesichtspunkt Einschränkungen hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen erkennen könne. Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf die Fahrt am 02.05.2019 sei nicht tatsachenbasiert. Zwar seien anlässlich der polizeilichen Kontrolle eine verlangsamte Pupillenreaktion, gerötete Augenbindehäute und Redseligkeit festgestellt worden. Ob hierdurch tatsächlich die Fahrsicherheit beeinträchtigt gewesen sein könnte, habe das Verwaltungsgericht nicht dargelegt. Es handele sich bei diesen Anzeichen allenfalls um Intoxikationssymptome ohne Fahreignungsrelevanz. Ihre Feststellung schließe nicht die Annahme aus, dass er in seiner Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt gewesen sein könnte. Es könne allein aus der Überschreitung des THC-Werts von 1,0 ng/ml, der zur Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG ausreiche, nicht abgeleitet werden, dass er in fahreignungsrelevanten Leistungsparametern deutlich herabgesetzt gewesen sei.
13 Der Kläger beantragt,
14 das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14.06.2022 – 14 K 604/22 – zu ändern, den Bescheid des Landratsamts Calw vom 11.10.2021 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 01.02.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die beantragte Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, C, C1, C1E, L und T zu erteilen.
15 Der Beklagte beantragt,
16 die Berufung zurückzuweisen.
17 Er führt aus: Die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen stehe noch nicht fest. Es lägen vielmehr Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigten. Die Fragen der medizinischen Indikation des Medizinal-Cannabis als ultima ratio und der zuverlässigen Einnahme nach ärztlicher Verordnung ließen sich weiterhin nicht abschließend beurteilen. Dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg sei nicht zu entnehmen, dass eine eigene Untersuchung des Klägers oder eine Anamnese stattgefunden habe oder dass Vorbefunde oder Dokumente zu einer vorhergehenden Therapie vom Kläger vorgelegt worden seien. In allen vorgelegten Dokumenten fehlten letztlich hinreichende Ausführungen dazu, inwieweit die geltend gemachte Grunderkrankung (ADHS) die Behandlung mit Medizinal-Cannabis rechtfertige. Darüber hinaus fehlten ein detaillierter Behandlungsplan und Informationen zur Überwachung der Einnahme. Es sei weiterhin unbekannt, mit welcher Frequenz der Kläger bei seinem Arzt vorstellig und nach welchen Modalitäten dort die Einnahme kontrolliert werde. Des Weiteren schließe nach Nummer 9.6.2 der Anlage 4 der FeV auch die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln die Fahreignung aus, wenn dadurch die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß sinke. Es bestehe hier Klärungsbedarf, ob die aktuelle Einnahme von Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit des Klägers fahreignungsrelevant herabsetze. Bei einer ärztlich verordneten Therapie mit Medizinal-Cannabis sei eine einzelfallorientierte Beurteilung oder Würdigung der individuellen Aspekte erforderlich. Hierfür reichten die vorgelegten Atteste des behandelnden Arztes Dr. Widmann nicht aus. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits eine Vorgeschichte mit illegalem Cannabiskonsum, Alkoholabhängigkeit und posttraumatischen Belastungsstörungen habe. Letztlich fehle ein substanzieller Vortrag dazu, wie der Kläger sicherstelle, trotz des Cannabiskonsums nicht am Straßenverkehr teilzunehmen, wenn seine Leistungsfähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs auf Grund der Medikation gegebenenfalls beeinträchtigt sei.
18 Mit Schreiben vom 25.09.2023 hat der Kläger ein ärztliches Attest des Dr. … nachgereicht, in dem dieser ausführt, dass sich der Kläger in vierwöchentlichen Abständen in der Praxis vorstelle und jeweils ein Rezept über Cannabis-Blüten 40 g für 30 Tage erhalte. Eine Dosissteigerung sei im Behandlungszeitraum nicht zu beobachten gewesen. Zu den Terminen sei der Kläger stets psychopathologisch unauffällig erschienen.
19 Dem Senat liegen die Akte des Landratsamts Calw, die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe und die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die im Zulassungs- und Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands verwiesen.
Entscheidungsgründe
20 I. Das persönliche Schreiben des Klägers vom 19.10.2023 und der Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom gleichen Tag konnten nicht mehr berücksichtigt werden, nachdem der Entscheidungstenor bereits am 27.09.2023 der Geschäftsstelle gemäß § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO übergeben und die Geschäftsstelle mit Verfügung vom selben Tag schriftlich angewiesen wurde, den Tenor auf telefonische oder schriftliche Anfrage den Beteiligten bekanntzugeben (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2016 – 2 S 2506/14 – juris Rn. 19 f. m. w. N.).
21 II. Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig.
22 III. Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Klage des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuerteilung der Fahrterlaubnis abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts Calw vom 11.10.2021 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 01.02.2022 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis noch auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
23 1. Maßgeblich für die Beurteilung des von dem Kläger verfolgten Begehrens auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, Urteil vom 17.03.2021 – 3 C 3.20 – juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 24; BayVGH, Urteil vom 18.01.2023 – 11 B 22.1153 – juris Rn. 17).
24 Im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten nach § 20 Abs. 1 FeV die Vorschriften über die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisinhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 der FeV vorliegt. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV).
25 Das Bestehen der Fahreignung wird vom Gesetz als positive Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Ist die Fahreignung nicht festzustellen, geht dies zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf die Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, die die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 26 m. w. N.).
26 2. Hiervon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis.
27 a. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil zutreffend ausgeführt, dass im Hinblick auf die Dauerbehandlung des Klägers mit Medizinal-Cannabis von einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis im Sinne der Nummer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV und damit von einer Fahrungeeignetheit des Klägers auszugehen ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat und dem von ihm im Nachgang zur Verhandlung vorgelegten ärztlichen Attest des ihn behandelnden Psychiaters Dr. Widmann vom 25.09.2023 zu entnehmen ist, wird der Kläger weiterhin mit Cannabis-Blüten (40 g für 30 Tage; zur Dosierung vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 317 f.) behandelt. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis im Rahmen dieser Behandlung hat der Kläger in der Berufungsverhandlung auch nicht in Abrede gestellt.
28 b. Der Kläger kann die privilegierende Sonderregelung der Nummer 9.6.2 der Anlage 4 der FeV für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln nicht für sich in Anspruch nehmen.
29 Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 06.03.2017 (BGBl I S. 403) Cannabis, das aus einem Anbau stammt, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Artikeln 23 und 28 Abs. 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 erfolgt, in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen. Dadurch wurde (ausschließlich) Medizinal-Cannabis zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel. Dessen Verordnung ist auf Grundlage eines Privatrezepts möglich. Zusätzlich zur Verschreibungsfähigkeit schaffte der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 6 SGB V die Möglichkeit der Erstattung der Behandlung mit Medizinal-Cannabis in der gesetzlichen Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich geboten, den Konsum von Medizinal-Cannabis aus dem Anwendungsbereich der Nummer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV herauszunehmen, wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne der Nummer 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.01.2014 (Verkehrsblatt S. 110) in der Fassung vom 17.02.2021 (Verkehrsblatt S. 198, in Kraft getreten am 01.06.2022) handelt (sog. Arzneimittelprivileg). Insoweit enthalten die Nummern 9.4 und 9.6 der Anlage 4 der FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiven Arzneimitteln resultieren (vgl. BayVGH, Urteile vom 31.05.2023 – 11 ZB 23.152 – juris Rn. 16 und vom 29.04.2019 – 11 B 18.2482 – juris Rn. 23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.07.2019 – 16 B 1544/18 – juris Rn. 2; VG Würzburg, Urteil vom 01.12.2021 – W 6 K 21.638 – juris Rn. 39; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVG Rn. 62a; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl., § 11 FeV Rn. 51, 59; zur Cannabiseinnahme im Rahmen einer ärztlich begleiteten Selbsttherapie vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn. 14). Auf dieses Arzneimittelprivileg kann sich der Kläger nicht berufen.
30 aa. Die Dauerbehandlung des Klägers mit Medizinal-Cannabis führt grundsätzlich nur dann nicht im Sinne von Nummer 9.6 der Anlage 4 der FeV zum Verlust der Fahreignung wegen regelmäßigen Konsums (Nummer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV), wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (Beschlüsse des Senats vom 16.01.2023 – 13 S 330/22 – juris Rn. 6 [hierzu Thielmann/Dietrich, GuP 2023, 100] und vom 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – juris Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn. 8; BayVGH, Beschluss vom 02.05.2023 – 11 CS 23.78 – juris Rn. 15; OVG Saarland, Beschluss vom 08.11.2021 – 1 B 180/21 – juris Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVG Rn. 62a). Der Kläger, dem die Fahrerlaubnis mit bestandskräftigem Bescheid vom 08.12.2020 entzogen wurde und der nunmehr deren Neuerteilung begehrt, trägt die materielle Beweislast dafür, dass diese Voraussetzungen gegeben sind (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 08.11.2021 – 1 B 180/21 – juris Rn. 15; BayVGH, Beschluss vom 16.01.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 22).
31 bb. Der Senat konnte sich bereits nicht davon überzeugen, dass bei dem Kläger eine Indikation zur Behandlung mit Medizinal-Cannabis besteht. Zwar ist der Einsatz von Medizinal-Cannabis als Heilmittel für das Leiden des Klägers geeignet (dazu unter (1).). Jedoch konnte der Kläger unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht hinreichend darlegen, dass die Verabreichung des Betäubungsmittels im Sinne einer ultima ratio zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich ist (dazu unter (2).).
32 (1). Der verordnende Arzt muss aufgrund eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangen, dass für den Einsatz von Medizinal-Cannabis eine Indikation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht oder die Verschreibung zumindest ärztlich vertretbar ist (BSG, Urteil vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – juris Rn. 27). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Betäubungsmittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist (BGH, Urteile vom 28.01.2014 – 1 StR 494/13 – juris Rn. 39 und vom 17.05.1991 – 3 StR 8/91 – juris Rn. 2). Von einer solchen Geeignetheit der Verschreibung des Medizinal-Cannabis kann hier für den Kläger ausgegangen werden.
33 Nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren, dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 und dem ärztlichen Attest des den Kläger behandelnden Dr. … vom 05.02.2021 wird ihm Medizinal-Cannabis wegen einer ADHS-Erkrankung im Erwachsenenalter in Kombination mit einer sekundären depressiven Störung verschrieben und von ihm in einer Menge von 1,5 g/Tag, verteilt über 6 Gaben je 0,25 mg eingenommen.
34 Die S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ vom 02.05.2017 (AWMF-Registriernummer 028-045; https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-045), die allerdings seit 5 Jahren nicht mehr aktualisiert wurde (vgl. dazu Leitlinienreport der Leitlinie (S. 36; https://register.awmf.org/assets/guidelines/028-045m_S3_ADHS_2018-06-abgelaufen.pdf), empfiehlt im Rahmen eines Expertenkonsenses unter Punkt 1.4.5.8, dass Cannabis für die Behandlung der ADHS nicht eingesetzt werden soll. Jedoch werden Cannabisarzneimittel in der ärztlichen Praxis durchaus zur ADHS-Behandlung verwendet (vgl. Borgmann, Blutalkohol, Band 55, S. 105, 118; Thielmann/Dittrich, GuP 2023, 100, 104) und wird die Behandlung von ADHS mit einem prozentualen Anteil von 14 % als eine der Hauptdiagnosegruppen für eine vom Bundesamt für Arzneimittel genehmigte Therapie mit cannabishaltigen Medikamenten, Cannabisblüten oder -extrakten genannt (BT-Drs. 18/11701, S. 3), sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Verschreibung von Medizinal-Cannabis für die Behandlung von ADHS zumindest ärztlich vertretbar ist. Eine solche Sichtweise liegt für den Kläger auch dem ärztlichen Attest des behandelnden Arztes Dr. … vom 05.02.2021 und dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 zu Grunde.
35 (2). Eine Indikation zur Behandlung mit Betäubungsmitteln (vgl. dazu allgemein Bohnen/Schmidt in BeckOK BtMG, § 13 Rn. 22 ff.) setzt nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG weiterhin voraus, dass die Anwendung von Betäubungsmitteln zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich ist. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie etwa eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben. Betäubungsmittel dürfen immer nur die ultima ratio sein (Beschluss des Senats vom 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – juris Rn. 19; BayVGH, Beschluss vom 16.01.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 23; VG Würzburg, Urteil vom 01.12.2021 – W 6 K 21.638 – juris Rn. 44; Bohnen/Schmidt in BeckOK BtMG, § 13 Rn. 25; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 13 Rn. 20 ff.; Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien (StAB), abgedruckt in der aktualisierten Fassung August 2018 bei Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 440, 441). Diese Vorgaben ergeben sich für die Behandlung mit Medizinal-Cannabis auch aus § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V (vgl. Begründung zum Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 06.03.2017, BT-Drs. 18/8965, S. 13, nach der der verschreibende Arzt in rechtlicher Hinsicht insbesondere das Vorliegen der – auch schon nach geltender Rechtslage – für alle übrigen verschreibungspflichtigen Betäubungsmittel geltenden Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG zu berücksichtigen hat). Nach dieser Vorschrift haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn unter anderem eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann (zum Ganzen vgl. Beschluss des Senats vom 16.01.2023 – 13 S 330/22 – juris Rn. 8). Vor diesem Hintergrund kann zur Prüfung der Frage, ob die Behandlung mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz genügt, auf die hierzu entwickelten Maßstäbe in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinen Urteilen vom 10.11.2022 (B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 9/22 R), die der Senat für zutreffend hält, zurückgegriffen werden.
36 Danach steht eine Standardtherapie nicht zur Verfügung, wenn es sie generell nicht gibt, sie im konkreten Fall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim Patienten angestrebte Behandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – juris Rn. 22 m. w. N.). Für die Behandlung der ADHS stehen Methoden zur Verfügung, die dem medizinischen Standard entsprechen (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.07.2022 – L 4 KR 95/22 ER- B – juris Rn. 27; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.11.2020 – L 4 KR 490/19 – juris Rn. 26 ff.). Unter Bezugnahme auf die bereits zitierte S3-Leitlinie vom 02.05.2017 verweist das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 auf mögliche Optionen der Pharmakotherapie der ADHS. Zudem nennt die S3-Leitlinie auch die Möglichkeit psychosozialer Interventionen bei Erwachsenen (Punkt 1.3.1.4); dabei wird vor allem die Psychoedukation (Punkt 1.3.1.4.3.1) und die Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie (Punkt 1.3.1.4.3.2) empfohlen.
37 Weder die ärztliche Einschätzung des den Kläger behandelnden Arztes Dr. …, wie sie sich aus dessen von dem Kläger vorgelegten Attesten ergibt (dazu unter (a).), noch die Beurteilung im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 (dazu unter (b).) sind ausreichend, um den Schluss zuzulassen, dass die Behandlung der Erkrankung des Klägers mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz entspricht; Anlass zu weiterer Aufklärung dieser Frage besteht für den Senat nicht (dazu unter (c).).
38 (a). In seinem ärztlichen Attest vom 05.02.2021, dem von den insoweit vorgelegten Attesten die größte Aussagekraft im Hinblick auf die Behandlung der Erkrankung des Klägers mit Medizinal-Cannabis beizumessen ist, bestätigt Dr. …, dass zahlreiche medikamentöse Behandlungsversuche mit verschiedenen Antidepressiva, Ritalin und Strattera ohne nennenswerten Erfolg durchgeführt worden seien; auch eine begleitende Psychotherapie habe keine anhaltende Verbesserung erreichen können. Zwar ist dem behandelnden (Vertrags)Arzt – mit Blick auf § 31 Abs. 6 Nr. 1b SGB V – eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Anwendbarkeit einer Standardtherapie einzuräumen. An die begründete Einschätzung des behandelnden Arztes sind aber hohe Anforderungen zu stellen, die sich insbesondere durch die Geltung des Betäubungsmittelgesetzes, die durch § 31 Abs. 6 SGB V nicht aufgehoben ist (vgl. BT-Drs. 18/8965, S. 13), ergeben. § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG schließt die Anwendung von Betäubungsmitteln bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten der Zweckerreichung im Sinne einer ultima ratio aus, wenn auch andere, den Patienten weniger gefährdende Heilmaßnahmen in Betracht kommen. Der Arzt muss unter Beachtung der medizinischen Sorgfalt bei Anamnese, Untersuchung, Diagnose und Behandlungsplanung zu der Überzeugung gelangen, dass für den Patienten das angestrebte Behandlungsziel nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sollen im Sinne des Gesundheitsschutzes sicherstellen, dass Betäubungsmittel nur bei unumgänglicher medizinischer Notwendigkeit eingesetzt werden, um der Entstehung und der Aufrechterhaltung einer Sucht entgegenzuwirken. Aus § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG folgt damit für den behandelnden Arzt die Notwendigkeit einer Abwägung, ob im konkreten Behandlungsfall andere, den Patienten weniger gefährdende oder weniger belastende, gegebenenfalls nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Behandlungsmethoden bei vergleichbarem Erfolg zur Anwendung kommen können. Insofern stellt § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V klar, dass es zwar auf die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes ankommt, ob Cannabis die (einzig) verbleibende Behandlungsalternative ist. Die Beachtlichkeit seiner Einschätzung ist aber an das Erfordernis einer von ihm zu erbringenden Begründung gebunden, die eine Prüfung ihrer objektiven Grundlagen ermöglicht. Insoweit muss die begründete Einschätzung des Arztes die mit Cannabis zu behandelnde Erkrankung und das Behandlungsziel benennen, die für die Abwägung der Anwendbarkeit verfügbarer Standardtherapien mit der Anwendung von Cannabis erforderlichen Tatsachen vollständig darlegen und eine Abwägung unter Einschluss möglicher schädlicher Wirkungen von Cannabis beinhalten (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – juris Rn. 20 ff.). Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Einzelnen von folgenden Maßstäben auszugehen (Urteil vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – juris Rn. 32 ff.):
39 Der behandelnde Arzt hat den Krankheitszustand mit den bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten und gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte zu beschreiben, wozu auch ein eventueller Suchtmittelgebrauch in der Vergangenheit sowie das Bestehen oder der Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit gehört. Der Arzt muss die mit Cannabis zu behandelnde Erkrankung, ihre Symptome und das angestrebte Behandlungsziel sowie die bereits angewendeten Standardbehandlungen, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen benennen. Die Abwägung der Anwendbarkeit von Standardtherapien erfordert es, dass der behandelnde Arzt überdies alle noch verfügbaren Standardtherapien benennt und deren zu erwartenden Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und die zu erwartenden Nebenwirkungen darlegt. Im Ergebnis müssen sämtliche verfügbare Standardtherapien entweder durch den Arzt bereits erfolglos angewendet worden sein oder in die Abwägung einbezogen werden. Auf der Grundlage der dargelegten Tatsachen ist die Abwägung der Nebenwirkungen der noch verfügbaren Standardtherapien mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis vorzunehmen. In die Abwägung einfließen dürfen dabei nur Nebenwirkungen, die das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung erreichen. Aus der Abwägung des Arztes muss hervorgehen, warum zu erwartende Nebenwirkungen bei dem beschriebenen Krankheitszustand des Patienten auch im Hinblick auf das mögliche Erreichen des angestrebten Behandlungsziels nicht tolerierbar sind oder warum keine hinreichende Aussicht auf Erreichen des Behandlungsziels besteht, weil etwa Arzneimittel mit vergleichbarem Wirkmechanismus erfolglos geblieben sind. Die Abwägung schließt ein, auch bei dem Krankheitszustand des Patienten mögliche schädliche Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis, wie das Entstehen, Unterhalten oder Verfestigen einer Abhängigkeit oder das Auftreten von Psychosen, zu erfassen und mit den Nebenwirkungen einer Standardtherapie abzuwägen. Der Arzt muss in seine Abwägung einbeziehen, in welcher Darreichungsform die Anwendung von Cannabis das geringste Risiko in Bezug auf schädliche Wirkungen und auf einen möglichen Missbrauch des verordneten Cannabis in sich birgt. Das gilt insbesondere bei einem vorbestehenden Suchtmittelkonsum oder einer vorbestehenden Suchtmittelabhängigkeit.
40 Diesen Anforderungen werden die dem Senat vorliegenden ärztlichen Atteste des Dr. … nicht gerecht.
41 Es fehlt schon an einer hinreichenden Beschreibung des Krankheitszustands des Klägers. Es werden nur die Diagnosen einer ausgeprägten Aufmerksamkeitsstörung und die Entwicklung sekundärer depressiver Symptome benannt, ohne die bestehende Symptomatik näher zu umschreiben. Unklar bleibt zudem, ob der Kläger auch (weiterhin) unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und auch deswegen die Einnahme des Medizinal-Cannabis erfolgt. Die im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste des Dr. Widmann führen eine solche Erkrankung nicht auf; das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018 stellt in seiner Beurteilung nicht (auch) auf eine posttraumatische Belastungsstörung des Klägers ab. In der Sachverhaltsdarstellung des sozialmedizinischen Gutachtens wird hingegen erwähnt, der behandelnde Psychiater Dr. … habe in dem unter dem Datum vom 09.03.2018 ausgefüllten Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V ausgeführt, dass „die Behandlung der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und der ADHS im Rahmen eines Behandlungsversuchs mit Bedrocan erfolgen solle“. Auch der Kläger selbst erwähnt in der mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14.12.2022 im Berufungszulassungsverfahren übermittelten persönlichen Stellungnahme im Zusammenhang mit der Einnahme von Medizinal-Cannabis mehrmals eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und wies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf die Behandlung mit Medizinal-Cannabis ebenfalls deutlich auf eine posttraumatische Belastungsstörung hin. Auf den Vorhalt, der ihn behandelnde Arzt Dr. … habe eine solche Belastungsstörung in seinen dem Senat vorliegenden Attesten nicht erwähnt, führte der Kläger aus, Dr. … habe ihm gegenüber gesagt, dass man dem Landratsamt nicht alles mitteilen müsse. Auch dies weckt Zweifel daran, dass der behandelnde Arzt in den vorgelegten Attesten das Krankheitsbild des Klägers hinreichend umschrieben hat.
42 Das (genaue) Behandlungsziel des medikamentösen Einsatzes von Cannabis wird in den ärztlichen Attesten des Dr. … ebenfalls nicht hinreichend beschrieben. Darüber hinaus werden die bereits angewandten Standardbehandlungen nicht hinreichend genau benannt. Die Art der verabreichten Antidepressiva wird nicht angegeben. Hinsichtlich der Medikamente zur Behandlung der ADHS (Ritalin und Strattera) fehlen Angaben zum Zeitraum und zur Dosis. Entsprechendes gilt für Art und Zeitraum einer begleitenden Psychotherapie. Warum die angewandten Standardtherapien erfolglos geblieben sind (etwa keine oder nur geringe Wirkung, nicht mehr tolerable Nebenwirkungen), wird nicht näher ausgeführt. Zur Frage, ob es für den Kläger noch (weitere) verfügbare Standardtherapien gibt, etwa auch zur Kombination verschiedener pharmazeutischer Wirkstoffe (vgl. Punkt 1.4.5.5 der S3-Leitlinie), finden sich in den ärztlichen Attesten des Dr. … keine hinreichend brauchbaren Hinweise. Soweit medikamentöse Standardtherapien wegen der damit verbundenen Nebenwirkungen, auf die das bereits erwähnte persönliche Schreiben des Klägers hindeutet, nicht erfolgreich (gewesen) sein sollten, fehlt es bereits an einer Darstellung der zu erwartenden bzw. bereits aufgetretenen Nebenwirkungen und darüber hinaus an einer Abwägung, die mögliche schädliche Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis, wie das Entstehen, Unterhalten oder Verfestigen einer Abhängigkeit oder das Auftreten von Psychosen, erfasst und mit den Nebenwirkungen einer Standardtherapie ins Verhältnis setzt.
43 (b). Auch das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 10.07.2018, das zu dem Ergebnis kommt, dass die in § 31 Abs. 6 SGB V genannten Voraussetzungen, die die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Cannabisprodukte begründen, „überwiegend“ vorliegen und die Anwendung eines Medikaments nach § 31 Abs. 6 SGB V bei dem Kläger nach den vorgelegten Unterlagen „nachvollzogen werden“ könne, bietet keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass die Behandlung des Klägers mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz entspricht. Zwar kann ein sozialmedizinisches Gutachten, das bestimmten Mindestanforderungen genügt, der richterlichen Überzeugungsbildung zu Grunde gelegt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.07.2021 – 2 S 1182/21 – juris Rn. 17). Eine – wie auch immer geartete – Bindung an die Ausführungen eines solchen Gutachtens, hier für die Fahrerlaubnisbehörde und nachfolgend das Verwaltungsgericht, besteht indes nicht (vgl. Ulrich in Deinert/ Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Aufl., Stichwort Gutachten Rn. 20 m. w. N.). Das Gutachten unterliegt vielmehr der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 86 Satz 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
44 Bei dieser Würdigung zieht der Senat insbesondere in Betracht, dass das im Jahr 2018 ergangene sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg die Urteile des Bundessozialgerichts vom 10.11.2022 (B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 9/22 R), die zur Klärung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V ergangen sind (vgl. dazu Knispel, NZS 2023, 327), nicht berücksichtigen konnte. Auch der Sache nach hat das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg die Anforderungen, die das Bundessozialgericht zum ultima-ratio-Grundsatz aufgestellt hat, nicht berücksichtigt. Unter Punkt 3. („Steht eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung als Alternative zur Verfügung? Wenn ja, gibt es unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen Gründe, warum diese nicht zur Anwendung kommen können?“) wird in dem Gutachten lediglich ausgeführt, dass aus „dem o. a. Verlauf“ hervorgehe, dass Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) und Atomoxetin – als einzig in Deutschland zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter zugelassene Medikamente – eingesetzt worden seien und eine ambulante Psychotherapie erfolgt sei, weswegen bestätigt werden könne, dass keine weitere medikamentöse, dem medizinischen Standard entsprechende Alternative zur Verfügung stehe. Dieser Einschätzung hat das Gutachten neben den Angaben des Klägers im Widerspruchsverfahren das ärztliche Attest des Dr. … vom 17.05.2018 zu Grunde gelegt, das nach den obigen Ausführungen gerade nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genügt. Eine eigenständige Anamnese und Untersuchung des Klägers durch den Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg fand nach den im sozialmedizinischen Gutachten vom 10.07.2018 aufgeführten Beurteilungsgrundlagen nicht statt. Darüber hinaus kann das Gutachten zu der Frage, ob die Behandlung mit Medizinal-Cannabis für den Kläger auch zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zur Erreichung des Therapieziels (weiterhin) unerlässlich ist, keine aussagekräftige Auskunft mehr geben, nachdem seit seiner Erstellung im Juli 2018 mehr als fünf Jahre vergangen sind.
45 (c). Anlass zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich der Frage, ob die Behandlung des Klägers mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz entspricht, sieht der Senat nicht. Mit Verfügung vom 11.08.2023 hat der Senat dem – insoweit beibringungspflichtigen – Kläger anheimgegeben, eine aktuelle Bescheinigung des ihn behandelnden Arztes vorzulegen, in der sich dieser zu den im Beschluss des Senats vom 16.01.2023 (13 S 330/22, juris) genannten Voraussetzungen für die Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis verhält, und hinsichtlich des (notwendigen) Inhalts der ärztlichen Einschätzung zur Indikation der Behandlung mit Betäubungsmitteln auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.11.2022 (B 1 KR 28/21 R, juris) hingewiesen. Eine entsprechende ärztliche Stellungnahme hat der Kläger im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens nicht vorgelegt. Das von dem Kläger im Anschluss an die Berufungsverhandlung nachgereichte ärztliche Attest des Dr. … vom 25.09.2023 enthält im Wesentlichen lediglich Ausführungen zur Ausstellung aktueller ärztlicher Verordnungen über die Einnahme von Medizinal-Cannabis und zur (zuverlässigen) Einnahme des Medizinal-Cannabis und dessen ärztliche Überwachung (zu diesen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Arzneimittelprivilegs vgl. Beschluss des Senats vom 16.01.2023 – 13 S 330/23 – juris Rn. 6, 11). Nachdem auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich ist, was den behandelnden Arzt Dr. … an der Abfassung einer aktuellen ärztlichen Einschätzung, die die in der Verfügung des Senats vom 11.08.2023 genannten Aspekte berücksichtigt, gehindert hätte, sieht sich der Senat auch unter Berücksichtigung der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. aber auch BSG, Urteil vom 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – juris Rn. 39, nach dem die begründete ärztliche Einschätzung die Abwägung des Vertragsarztes dokumentiert, die als Ergebnis seines Entscheidungsprozesses keine Tatsache darstellt, die durch das Gericht mit den zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln erforscht werden könnte), nicht veranlasst, bei Dr. … – eine entsprechende Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorausgesetzt – eine Ergänzung seiner ärztlichen Einschätzung anzufordern. Denn die in § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO angeordnete Einbeziehung der Beteiligten ist ein Aufklärungsmittel, dessen sich der Senat bedienen kann, um seine gerichtliche Ermittlungspflicht zu erfüllen (vgl. Dawin/Panzer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 86 VwGO Rn. 69 m. w. N.).
46 cc. Der Anspruch des Klägers auf Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis scheitert zudem daran, dass er das Arzneimittelprivileg auch deswegen nicht in Anspruch nehmen kann, weil Zweifel daran bestehen, ob infolge der Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis dessen Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen das erforderliche Maß erreicht. Diese Zweifel umfassen zugleich auch die Frage, ob der Kläger in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird.
47 Nach Nummer 9.6.2 der Anlage 4 der FeV hat die dauerhafte Behandlung mit Cannabis als Arzneimittel die Fahrungeeignetheit zur Folge, wenn die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt ist. Zu berücksichtigen hinsichtlich der Fahreignung ist dabei auch die Grunderkrankung, die der Behandlung mit Cannabis zugrunde liegt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 31.03.2022 – 11 CS 22.158 – juris Rn. 12).
48 (1). Die ADHS-Erkrankung des Klägers begründet trotz eines statistisch deutlich erhöhten Risikos für problematische und gefährliche Verhaltensweisen im Straßenverkehr bei Personen, die an ADHS leiden (vgl. dazu BayVGH, Beschluss vom 25.03.2020 – 11 CS 20.203 – juris Rn. 15; VG München, Beschluss vom 24.01.2022 – M 19 S 21.5836 – juris Rn. 45; Dittmann/Strohbeck-Kühner in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 411 f.; S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ vom 02.05.2017, (AWMF-Registriernummer 028-045; https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-045), S. 114 m. w. N.), keine generellen und durchgreifenden Zweifel an der Fahreignung. Denn Zusammensetzung und Schweregrad der Symptome können sehr unterschiedlich sein (BayVGH, Beschluss vom 25.03.2020 – 11 CS 20.203 – juris Rn. 15 m. w. N.; Dittmann/Strohbeck-Kühner in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 412). Allerdings besteht Anlass zur weiteren Aufklärung in Form einer Begutachtung, wenn Verstöße gegen Verkehrsvorschriften vorliegen oder wenn durch die Erkrankung oder die verordneten Medikamente fahreignungsrelevante Ausfallerscheinungen aufgetreten sind (BayVGH, Beschluss vom 25.03.2020 – 11 CS 20.203 – juris Rn. 15; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 11 FeV Rn. 27b).
49 (2). Ob bei einer Dauermedikation mit Medizinal-Cannabis regelmäßig Anlass besteht, die Frage der Leistungsfähigkeit durch ein ärztliches Gutachten oder durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären (in diese Richtung wohl Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 318 f.; Koehl, DAR 2017, 313, 315, DAR 2020, 74, 76 f., DAR 2022, 6, 9; Borgmann, Blutalkohol, Band 55, S. 120 f.; einschränkend Mußhoff/Graw, Blutalkohol, Band 56, S. 73, 82; vgl. zum Ganzen auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn. 8; BayVGH, Beschlüsse vom 01.07.2022 – 11 CS 22.860 – juris Rn. 22 und vom 30.03.2021 – 11 ZB 20.1138 – juris Rn. 20), bevor – bei einem entsprechenden Gutachtenergebnis – davon ausgegangen werden kann, dass der medizinisch indizierte Cannabiskonsum keine Auswirkungen auf das Leistungsvermögen hat, bedarf hier keiner näheren Erörterung.
50 (3). Denn es bestehen konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des Klägers. Der Kläger hat am 02.05.2019 unter Cannabis-Einfluss einen Auffahrunfall verursacht. Auch wenn – worauf sich der Kläger persönlich in der Berufungsverhandlung berufen hat – im Untersuchungsbericht des die Blutabnahme durchführenden Arztes die Bindehäute als klar und die Pupillen als unauffällig beschrieben wurden und es in dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Tübingen vom 09.05.2019 (48 Js 11477/19) heißt, dass die Polizei insofern (nämlich im Hinblick auf eine relative Fahruntüchtigkeit) keine Ausfallerscheinungen festgestellt hat, wird in der Führerscheinvorausmeldung des Polizeireviers Nagold vom 03.05.2019 davon berichtet, dass bei der Anhörung des Klägers Anzeichen auf einen Betäubungsmitteleinfluss festgestellt werden konnten, und werden in dem Untersuchungsauftrag zur Blutprobe des den Unfall aufnehmenden Polizeikommissars als Ausfallerscheinungen unter anderem eine verlangsamte Pupillenreaktion, gerötete Augenbindehäute und Redseligkeit angegeben. Die polizeiliche Feststellung solcher Ausfallerscheinungen legte zunächst auch die schriftliche Berufungsbegründung vom 17.05.2023 ausdrücklich zu Grunde, die dann die Frage nach der Fahreignungsrelevanz solcher Symptome stellt.
51 Unabhängig von der Feststellung von Intoxikationssymptomen lässt der von dem Kläger am 02.05.2019 verursachte Auffahrunfall sowohl Zweifel daran aufkommen, ob die Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt, als auch daran, ob der Kläger in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. So ist bei einem Konsum von Cannabis als einer dämpfenden Droge unter anderem das Auffahren auf (unbewegliche) Hindernisse ein drogentypischer Fahrfehler (vgl. Koehl, DAR 2022, 9; Haase/Sachs, NZV 2011, 584, 585; Wagner/Brenner-Hartmann/Kirsten/Löhr-Schwaab, Blutalkohol, Band 59, S. 412, 415). Es kommt hinzu, dass bei der infolge des Auffahrunfalls veranlassten Blutprobe ein THC-Wert von ca. 55 ng/ml im Blutserum des Klägers festgestellt wurde, der um ein Vielfaches den Wert von 1,0 ng/ml übersteigt, bei dem für eine nicht vom Arzneimittelprivileg umfasste gelegentliche Einnahme von Cannabis eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11.04.2019 – 3 C 14.17 – juris Rn. 25 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012 – 10 S 3174/11 – juris Rn. 30; BayVGH, Beschluss vom 22.04.2020 – 11 CS 19.2434 – juris Rn. 18). Selbst wenn man Forderungen in den Blick nimmt, den Grenzwert für THC im Blutserum zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 24a Abs. 2 StVG auf 3 ng/ml zu erhöhen (vgl. dazu Wagner/Perlich/DeVol/Uhlmann/Bartels, Blutalkohol, Band 58, S. 301) oder gar einen „Toleranzgrenzwert“ von 10 ng/ml im Blutserum anzunehmen (Gesetzesantrag der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 19/17612 vom 05.03.2020), werden diese Werte im Fall des Klägers um ein (deutlich) Mehrfaches überschritten (zur Betrachtung der Unfallrisiken in Abhängigkeit von der THC-Konzentration im Blut vgl. Auwärter/Daldrup/Graw/Hartung/Knoche/Musshoff/Peters/Skopp/Thierauf-Emberger/Toennes [Gemeinsame Arbeitsgruppe für Grenzwertfragen und Qualitätskontrolle – Grenzwertkommission], Blutalkohol, Band 59, S. 331, 333 ff.).
52 Das Vorbringen des Klägers in der Berufungsverhandlung, die Fahrerin, auf deren Fahrzeug er aufgefahren sei, habe sich vor dem Auffahrunfall ihm gegenüber im Straßenverkehr provokant verhalten, ist nicht geeignet, die dargelegten Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen und an seiner Adhärenz zu beseitigen. Das von dem Kläger geschilderte provokante Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmerin im Vorfeld des Auffahrunfalls vermag den von ihm verursachten Auffahrunfall nicht zu erklären; ein abruptes und nicht vorhersehbares Abbremsen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht geschildert. Vielmehr hat ausweislich der Verkehrsunfallanzeige des Polizeireviers Nagold vom 03.05.2019 die dem Kläger vorausfahrende Verkehrsteilnehmerin einem anderen Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt eingeräumt, was der Kläger zu spät bemerkt hat; dem Kläger ist die festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit (Außer-Acht-Lassen der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt mit der Folge des Auffahrens auf ein stehendes Fahrzeug) mitgeteilt worden und dieser hat die Ordnungswidrigkeit zugegeben. Darüber hinaus hätte ein provokantes oder gar verkehrsordnungswidriges Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers im Vorfeld des Unfalls dem Kläger Anlass zu besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht (vgl. § 1 Abs. 1 StVO) geben müssen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 1 StVO Rn. 24 m. w. N.).
53 Die für den Kläger gegebenen Eignungsbedenken können auch nicht durch die Bescheinigungen des ihn behandelnden Arztes Dr. … ausgeräumt werden. Dieser ist nach der in § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV zum Ausdruck kommenden Wertung der Rechtsordnung wegen des insoweit bestehenden Rollenkonflikts bereits grundsätzlich nicht dazu berufen, ein fachliches Urteil über die Fahreignung des Klägers, der sein Patient ist, abzugeben (vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 30.01.2019 – 11 C 18.1532 – juris Rn. 19 und vom 16.05.2011 – 11 ZB 11.567 – juris Rn. 17). Zudem hat sich Dr. … in seinen ärztlichen Bescheinigungen nicht mit den konkret gegebenen Zweifeln an der Fahreignung des Klägers auseinandergesetzt und ist auch nicht ersichtlich, dass er eine besondere verkehrsmedizinische Qualifikation aufweist. Vielmehr sind die für den Kläger bestehenden Fahreignungszweifel vor Erteilung der Fahrerlaubnis nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen gutachtlich weiter abzuklären (zur Rechtsgrundlage für die Überprüfung der Fahreignung bei bestimmungsgemäßen Gebrauch von Cannabis als Arzneimittel vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 16.05.2022 – 11 ZB 21.1964 – juris Rn. 16; OVG Saarland, Beschluss vom 12.02.2021 – 1 B 380/20 – juris Rn. 16; Borgmann, VGT 2018, 167, 184 f.; Koehl, DAR 2020, 74, 76 f.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVG Rn. 62c; vgl. auch Beschlüsse des Senats vom 25.10.2022 – 13 S 1641/22 – juris Rn. 15 und vom 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – juris Rn. 26).
54 c. Letztlich kommt dem Kläger auch nicht die Ausnahmeregelung in Nummer 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 der FeV zugute. Danach ist eine Ausnahme von der Regel, dass der regelmäßige Konsum von Cannabis die Fahreignung ausschließt, grundsätzlich nur dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, sowie sein Vermögen, erforderlichenfalls zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft sind in Satz 2 der Nummer 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 der FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und Verhaltensumstellungen genannt, durch die ggf. drogenbedingte Einschränkungen kompensiert werden können. Es ist Sache des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers, das Bestehen solcher atypischen Umstände in seiner Person substantiiert darzulegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn. 11 m. w. N.). Belastbare Anhaltspunkte, dass solche besonderen Umstände hier vorliegen könnten, hat der Kläger – wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat – nicht aufgezeigt. Insbesondere reichen die von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen des Dr. … hierfür nicht aus. In diesen wird ohne weitere Begründung und ohne Erwähnung und Auseinandersetzung mit dem Unfallgeschehen vom 02.05.2019 und dem dabei festgestellten THC-Wert von ca. 55 ng/ml im Blutserum des Klägers lediglich ausgeführt, dass eine Beeinträchtigung der Fahreignung aus ärztlicher Sicht nicht vorliege bzw. dass beim Kläger keine Einschränkungen hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen bestünden.
55 3. Nachdem der Kläger das Arzneimittelprivileg nach der Nummer 9.6.2 der Anlage 4 der FeV bereits deswegen nicht in Anspruch nehmen kann, weil sich der Senat nach Ausschöpfung der ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung nicht davon überzeugen konnte, dass bei dem Kläger eine Indikation zur Behandlung mit Medizinal-Cannabis besteht, kommt ein Anspruch auf Verpflichtung, über den Antrag des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, nicht in Betracht (zu einem solchen Anspruch bei Eignungszweifeln, die auf Grund einer rechtswidrigen Gutachtensanordnung nicht ausgeräumt werden können vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 57 und vom 18.06.2012 – 10 S 452/10 – juris Rn. 66). Damit bedarf keiner weiteren Entscheidung, ob die Gutachtensanordnung des Landratsamts Calw vom 30.03.2021 in jeder Hinsicht den an sie zu stellenden formellen Anforderungen genügt. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei entsprechenden Eignungszweifeln durch ein Fahreignungsgutachten geklärt werden soll, ob die der Einnahme von Medizinal-Cannabis zugrundeliegende Erkrankung verkehrsrelevant ist, ein Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Stoffe vorliegt, die dauerhafte Einnahme von Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs beeinträchtigt und der Betroffene Auswirkungen gegebenenfalls kompensieren kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.01.2013 – 10 S 243/12 – juris Rn. 12; VG Würzburg, Beschluss vom 27.07.2016 – W 6 S 16.680 – juris Rn. 36; Koehl, DAR 2017, 315; Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation – Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien (StAB), aktualisierte Fassung August 2018, abgedruckt bei Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. S. 440, 444). Jedoch könnte insoweit fraglich sein, ob ein bloß ärztliches Gutachten für die Beantwortung der in der Gutachtensanforderung auch gestellten Fragen zur psycho-physischen Leistungsfähigkeit des Klägers geeignet ist (dazu vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.08.2015 – 10 S 444/14 – juris Rn. 39; BayVGH, Beschluss vom 11.03.2015 – 11 CS 15.82 – juris Rn. 17; VG München, Beschluss vom 07.02.2017 – M 26 S 17.87 – juris Rn. 30; VG Würzburg, Beschluss vom 27.07.2016 – 27.07.2016 – juris Rn. 39; Koehl, NZV 2017, 459, 462; Pause-Münch in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 14 FeV Rn. 79).
56 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
57 Beschluss
58 vom 27. September 2023
59 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.500,– EUR festgesetzt (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in den Nummern 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider, VwGO, unter § 163).
60 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.