Oberlandesgericht Rostock, Urteil vom 13. Oktober 2023, Az.: 5 U 186/21

Schadensersatzansprüche eines Apothekers wegen Abrechnung fingierter ärztlicher Verordnungen

Entscheidungen in Leitsätzen

StGB § 263; BGB § 214 Abs. 1, § 421, § 426, § 823, § 826, § 831 Abs. 1 Satz 1, § 840 Abs. 2

Leitsätze des Gerichts:

1. Einem Apotheker entsteht kein Vermögensschaden im Sinne von § 263 StGB, wenn eine bei ihm beschäftigte Mitarbeiterin mit fingierten Verordnungen Krankenkassen betrügt. Ihm stehen deshalb keine eigenen deliktischen Ansprüche gegen seine Mitarbeiterin zu.

 

2. Der Apotheker kann als Gesamtschuldner von den weiteren an dem Betrug Beteiligten einen Ausgleich im Innenverhältnis verlangen, wenn er an die Geschädigten Schadensersatz leistet. Dabei besteht die in § 840 Abs. 2 BGB normierte Haftungsfreistellung des nach § 831 BGB verantwortlichen Geschäftsherrn nur im Verhältnis zum jeweiligen Mitarbeiter. Bei der Höhe der jeweiligen Haftungsanteile sind die Haftungseinheiten zu berücksichtigen.

 

3. Nach einem Geständnis im Strafverfahren trifft den Anspruchsgegner eine gesteigerte Erwiderungslast, in deren Rahmen er konkrete Umstände für die von ihm behauptete Unwahrheit seines im Strafverfahren abgelegten Geständnisses darlegen muss (Anschluss an: BGH, Urteil vom 26. August 2021 – III ZR 189/19, juris).

 

4. Der Geschäftsherr hat auch für vorsätzliche unerlaubte Handlungen seiner Gehilfen einzustehen, wenn diese noch im engen objektiven Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen, insbesondere dann, wenn die Gehilfen gerade die übertragenen Pflichten verletzen.

 

Gründe

 

I.

 

1 Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Abrechnung fingierter ärztlicher Verordnungen geltend.

 

2 Der Kläger ist Apotheker und betreibt eine Apotheke in A. Der Beklagte zu 3) ist Endokrinologe mit Praxissitz in A. Die Beklagte zu 2) war beim Beklagten zu 3) als Arzthelferin beschäftigt. Die ehemalige, jetzt gesondert in Anspruch genommene Beklagte zu 1) war als Apothekenhelferin beim Kläger beschäftigt.

 

3 Die ehemalige Beklagte zu 1) bestellte im Zeitraum vom 13.09.2012 bis zum 16.08.2013 mithilfe fingierter Verordnungen, die den Beklagten zu 3) als Aussteller auswiesen, im Namen des Klägers die in den Verordnungen genannten Medikamente bei einem Arzneimittelgroßhändler. Sie wusste, dass die Verordnungen fingiert waren. Um die Bestellung auszulösen und die beabsichtigte Entwendung der Medikamente zu verschleiern, gab sie die Verordnungen in das Abrechnungssystem des Klägers ein und löste so die Bestellung des jeweiligen Rezepts aus. Die ehemalige Beklagte zu 1) nahm die bestellten und über den Großhändler in die Apotheke gelieferten Medikamente entgegen, und markierte sie im System des Klägers als geliefert und an die jeweiligen Patienten abgegeben. Tatsächlich aber übergab sie einen Teil der gelieferten Medikamente an die Beklagte zu 2), welche diese ebenso wie die ehemalige Beklagte zu 1) an unbekannte Dritte gewinnbringend weiterverkaufte.

 

4 Die Medikamentenrechnungen wurden im Zeitraum vom 13.09.2012 bis 16.08.2013 über den Abrechnungsdienstleister der Apotheke des Klägers den jeweiligen Krankenkassen mit den Verordnungen in Rechnung gestellt und der in den Rechnungen ausgewiesene Betrag von den Krankenkassen an den Kläger gezahlt, der sodann die Rechnungen der Großhändler ausglich.

 

5 Die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) wurden wegen des vorstehenden Sachverhalts durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Schwerin vom 06.11.2018 – 32 Kls 12/14 – u.a. wegen gemeinschaftlich begangenen Betrugs zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und acht Monaten bzw. zwei Jahren verurteilt. Ausweislich der Entscheidungsgründe haben sich beide Angeklagte im Strafprozess geständig eingelassen.

 

6 Nachdem die Krankenkassen von dem gemeinschaftlichen Betrug erfuhren, ermittelten sie die fingierten ärztlichen Verordnungen und machten gegenüber dem Kläger Rückforderungsansprüche geltend. Die B nahm am 14.11.2014 und 14.12.2015 Abrechnungskorrekturen, sog. Retaxierungen, in Höhe von insgesamt 66.238,58 € vor und die C am 14.01.2015 eine solche in Höhe von 12.369,24 €. Gegen die Retaxierungsbescheide erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Schwerin Klage. Die D, die E und die F reichten ihrerseits wegen der fingierten Verordnungen gegen den Kläger unter dem 10.06.2016 Klage auf Rückzahlung in Höhe von insgesamt 111.126,37 € ein (Sozialgericht Schwerin – S 8 KR 203/16). Die D begehrte Rückzahlung in Höhe von 67.904,78 €, die E in Höhe von 40.129,60 € und die F in Höhe von 3.092,01 €. Entscheidungen des Sozialgerichts über die Klagen des Klägers und der Krankenkassen waren im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht ergangen.

 

7 Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.08.2015 forderte der Kläger die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 14.09.2015 erfolglos zur Zahlung von 189.734,21 € und außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.152,19 € auf.

 

8 Der Kläger hat behauptet, er habe im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.08.2013 insgesamt 62 fingierte ärztliche Verordnungen über Medikamente über sein Rechenzentrum zum Nettowert von insgesamt 189.734,21 € mit der D, der F, der B, der E und der C als zuständige Krankenkassen abgerechnet. Die Beklagte zu 2) habe die Verordnungen fingiert, indem sie diese entweder auf von dem Beklagten zu 3) unterzeichneten Blankoverordnungen oder aber durch Fälschung seiner Unterschrift ausgestellt habe. Die Beklagte zu 2) habe die fingierten Verordnungen an die ehemalige Beklagte zu 1) übergeben, damit diese die Bestellung der Medikamente auslösen könne. Die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) würden ihm daher auf Ersatz seines wegen der Betrugshandlungen entstandenen Schadens haften. Der Beklagte zu 3) hafte wegen Verletzung seiner Aufsichtspflichten und betrieblicher Organisationspflichten. Die Beklagten seien zum Ersatz der von B und der C vorgenommenen Abrechnungskorrekturen in Höhe von 78.607,82 € verpflichtet. Zudem könne er von ihnen Freistellung von den Rückerstattungsansprüchen der D, der E und der F sowie Feststellung der Ersatzpflicht von weiteren Schäden verlangen.

 

9 Nachdem der Kläger von den Beklagten ursprünglich gesamtschuldnerische Zahlung in Höhe von 189.734,21 € begehrte, hat er erstinstanzlich zuletzt beantragt,

 

10 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 78.607,82 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 53.496,93 € ab dem 14.11.2014, auf einen Betrag von 12.741,65 € ab dem 14.12.2014 und auf einen Betrag von 12.369,24 € ab dem 14.01.2015 zu zahlen,

 

11 2. die Beklagten zu verurteilen, ihn von Ansprüchen der D, der E und der F freizustellen, die aus der Abrechnung der von den Beklagten in der Zeit vom 01.01.2012 bis einschließlich 31.08.2013 durch die Erstellung, Entgegennahme und Belieferung fingierter Hilfsmittelrezepte der Medikamente Genotropin, Testosteron, Ibu 600, Zopiclon, Spiropent, Cipralex, Tilidin, Travex oder Zolpidem resultieren,

 

12 3. die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.152,19 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 15.09.2015 zu zahlen,

 

13 4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Abrechnung der von den Beklagten in der Zeit vom 01.01.2012 bis einschließlich 31.08.2013 durch die Erstellung, Entgegennahme und Belieferung fingierter Hilfsmittelrezepte der Medikamente Genotropin, Testosteron, Ibu 600, Zopiclon, Spiropent, Cipralex, Tilidin, Travex oder Zolpidem entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

 

14 Die Beklagten zu 2) und 3) haben beantragt, die Klage abzuweisen.

 

15 Die Beklagte zu 2) hat behauptet, weder Rezepte fingiert noch gefälscht oder an die ehemalige Beklagte zu 1) übergeben zu haben. Sie hat die Ansicht vertreten, dass das Strafurteil des Landgerichts Schwerin vom 06.11.2018 keine präjudizielle Wirkung habe, da sie sich allein aus prozesstaktischen Gründen geständig eingelassen habe, nachdem die Strafkammer bei nicht geständiger Einlassung eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung in Aussicht gestellt habe. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass sich ein Schaden des Klägers bislang nicht realisiert habe. Abrechnungskorrekturen würden noch keinen Schaden begründen. Der Schaden bestehe zudem allenfalls im Einkaufswert der Medikamente. Der den Krankenkassen vom Kläger in Rechnung gestellte Gewinnaufschlag sei schadensmindernd zu berücksichtigen. Ferner hat die Beklagte behauptet, dass sich der Kläger ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse, da er es zugelassen habe, dass die ehemalige Beklagte zu 1) entgegen der gesetzlichen Vorschriften pharmazeutische Tätigkeiten ausgeübt habe. Die Freistellungs- und Feststellungsansprüche hat die Beklagte zu 2) als zu unbestimmt beanstandet. Ein Feststellungsinteresse für zukünftige Ansprüche hat sie als nicht gegeben erachtet, da eine Bezifferung der Ansprüche längst hätte erfolgen können.

 

16 Der Beklagte zu 3) hat die Auffassung vertreten, weder gegenüber dem Kläger noch gegenüber den Krankenkassen zu haften. Die fingierten Rezepte seien vermutlich von der Beklagten zu 2) gefälscht worden. Er habe die fingierten Rezepte weder unterzeichnet noch habe er von ihm unterzeichnete Blankorezepte vorgehalten. Er habe auch keine betrieblichen Organisationspflichten oder Pflichten bei der Überwachung der Beklagten zu 2) verletzt. Der Beklagte zu 3) hat geltend gemacht, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, da er die von den Krankenkassen beanspruchten Zahlungen bislang nicht geleistet habe und die Ansprüche vor dem Sozialgericht bekämpfe. Zudem sei ein Schaden des Klägers um die den Krankenkassen in Rechnung gestellten Gewinnzuschläge zu reduzieren. Ferner müsse sich der Kläger ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er die ehemalige Beklagte zu 1) nicht ordnungsgemäß überwacht habe. Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs bestehe allenfalls eine Haftung nach Kopfteilen, jedoch trete eine Haftung aus § 831 BGB hinter der Haftung der Beklagten zu 2) zurück.

 

17 Nachdem der Kläger gegen die im Termin am 23.04.2021 nicht erschienene Beklagte zu 1) den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt hatte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.07.2021 das Verfahren hinsichtlich der Beklagten zu 1) gemäß § 145 ZPO zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und dieses Verfahren auf den Hilfsantrag des Klägers mit Beschluss vom 20.07.2021 an das Arbeitsgericht Schwerin verwiesen (LG Schwerin – 5 O 62/21).

 

18 Das Landgericht hat die Verfahrensakten des Landgerichts Schwerin (Strafkammer) – 32 Kls 12/14 – und des Sozialgerichts Schwerin – S 8 KR 203/16 – zu Informationszwecken beigezogen.

 

19 Mit Urteil vom 13.09.2021 hat das Landgericht der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagte zu 2) – unter Abweisung der gegen sie gerichteten weitergehenden Klage – als Gesamtschuldnerin neben der gesondert in Anspruch genommenen ehemaligen Beklagten zu 1) verurteilt, den Kläger von Ansprüchen der B in Höhe von bis zu 66.238,58 €, der C in Höhe von bis zu 12.369,24 €, der D in Höhe von bis zu 67.904,78 €, der E in Höhe von bis zu 40.129,60 € und der F in Höhe von bis zu 3.092,01 € freizustellen. Der Freistellungsanspruch beruhe auf §§ 426 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 826 BGB. Der Kläger hafte den geschädigten Krankenkassen aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB, da die von der ehemaligen Beklagten zu 1) verwirklichten Tatbestände der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB auch Vermögensschäden erfassen. Ob auch der Beklagte zu 3) den geschädigten Krankenkassen aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB wegen der Verletzung seiner ihm gegenüber der Beklagten zu 2) obliegenden Überwachungspflichten hafte, könne dahinstehen, da die Haftung des Beklagten zu 3) für die Beklagte zu 2) aus § 831 BGB – ebenso wie die Haftung des Klägers für die ehemalige Beklagte zu 1) aus § 831 BGB – im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB hinter der gemeinschaftlichen Haftung der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zurücktrete (§ 840 Abs. 2 BGB).

 

20 Gegen das Urteil haben der Kläger Berufung und die Beklagte zu 2) Anschlussberufung eingelegt.

 

21 Der Kläger verweist zunächst darauf, dass nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung die Verfahren vor dem Sozialgericht Schwerin durch Vergleichsabschlüsse beendet wurden. Er habe sich verpflichtet, an die D einen Betrag in Höhe von 33.952,38 € zzgl. Zinsen, an die E 20.064,80 € zzgl. Zinsen und an die F 1.546,00 € (jeweils 50 % der dortigen Klageforderungen) zzgl. Zinsen zu zahlen. Die B und die C, die die Retaxierung in Form der Aufrechnung mit seinen Abrechnungsforderungen bereits vorgenommen hatte, hätten sich im Vergleichswege verpflichtet, an ihn 33.119,29 € – B – sowie 6.184,62 – C (50 % der jeweiligen Retaxierungssumme) – zu erstatten. Im Ergebnis dessen belaufe sich sein Retaxierungsschaden nicht mehr auf den erstinstanzlich geltend gemachten Betrag in Höhe von ursprünglich 189.734,21 €, sondern nur noch auf 94.867,09 €. In Höhe eines Teilbetrages von 94.867,12 € hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

 

22 Im Übrigen verfolgt der Kläger mit der Berufung sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter, soweit das Landgericht seine Klage abgewiesen hat. Ausgenommen von seinem Rechtsmittel sei die Verurteilung der Beklagten zu 2) als Gesamtschuldnerin, ihn von Ansprüchen der D, der E und der F in einer Gesamthöhe von bis zu 111.126,39 € freizustellen sowie deren Verurteilung als Gesamtschuldnerin, seine außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in einer Höhe von 3.137,91 € nebst Zinsen ab dem 20.02.2017 zu zahlen.

 

23 Der Kläger ist der Ansicht, dass das Landgericht die Rechtsnatur der von ihm eingeklagten Ansprüche verkannt habe. Es sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass er sich in dem Verhältnis zu den Beklagten im Ergebnis lediglich auf Ansprüche aus einem Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis nach den §§ 426 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB berufen könne. Zwischen ihm und den Beklagten bestehe aber weder ein rechtsgeschäftlich noch gesetzlich begründetes Gesamtschuldnerverhältnis im Sinne des § 421 BGB, denn er hafte seinerseits gegenüber den Krankenkassen nicht für deren durch die unerlaubte Handlung der Beklagten zu 2) und der ehemaligen Beklagten zu 1) etwaig verursachten Schaden. Insbesondere hafte er nicht als Geschäftsherr für das Verhalten seiner Verrichtungsgehilfin, der ehemaligen Beklagten zu 1), denn es sei ihm – anders als vom Landgericht angenommen – möglich, sich gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu exkulpieren. Er habe im Verhältnis zu der ehemaligen Beklagten zu 1) seine Auswahl- und Überwachungspflichten erfüllt; die Mitarbeiterin habe sich bei Ausübung ihrer Verrichtungen jederzeit unter der Aufsicht eines Apothekers befunden, so dass selbst eine angenommene sorgfaltswidrige Auswahl der ehemaligen Beklagten zu 1) nicht mehr ins Gewicht fallen würde.

 

24 Der Kläger ist der Ansicht, selbst deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu haben, für die diese ihm als Gesamtschuldner haften würden. Neben der sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB ergebenden Haftung der rechtskräftig wegen Betruges verurteilten Beklagten zu 1) und 2) hafte auch der Beklagte zu 3) nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB gesamtschuldnerisch für den ihm entstandenen Schaden, da die Beklagte zu 2) dessen Angestellte war und er sich nicht nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpieren könne.

 

25 Das Landgericht habe unzutreffend allein die Krankenkassen als Geschädigte der unerlaubten Handlungen der Beklagten zu 2) und der ehemaligen Beklagten zu 1) angesehen. Durch die seitens der B und der C ihm gegenüber vorgenommenen Retaxierungen sei auch ihm ein konkreter Schaden in Höhe von 78.607,82 € entstanden. Auch habe er, soweit die D, die E und die F ihn auf Zahlung eines Gesamtbetrages in Höhe von 111.126,39 € in Anspruch genommen habe, für den Fall der Begründetheit dieser Ansprüche in entsprechender Höhe Freistellung von den Beklagten verlangen können. Da neben den genannten Krankenkassen auch weitere Krankenkassen von den irrtümlich erstellten Abrechnungen betroffen seien und daher zukünftig ebenfalls ihm gegenüber retaxieren oder ihn auf Rückzahlung in Anspruch nehmen könnten, seien die Beklagten auch zum Ersatz derartiger, momentan lediglich zukünftiger Schäden verpflichtet.

 

26 Der Kläger meint, dass das Urteil selbst bei Annahme, dass nicht er, sondern nur die jeweiligen Krankenkassen durch das Fehlverhalten der Beklagten zu 2) und der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) geschädigt worden seien und er selbst den Krankenkassen gegenüber als Gesamtschuldner nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB neben den hiesigen Beklagten für den entstandenen Schaden haften würde, jedenfalls in Teilen rechtsfehlerhaft sei. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Beklagte zu 3) ihm zu Ausgleichsleistungen verpflichtet, da er nicht gemäß § 840 Abs. 2 BGB haftungsprivilegiert sei. Diese Norm sei nur auf das Innenverhältnis (hier zwischen den Beklagten zu 2) und 3)) anwendbar und könne nicht im Außenverhältnis (hier zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 3)) geltend gemacht werden. Deshalb wäre der Beklagte zu 3) ihm jedenfalls – in Abweichung zu der Grundregel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB – zu 75 % gesamtschuldnerisch neben der Beklagten zu 2) und der ehemaligen gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) zum Ausgleich verpflichtet.

 

27 Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger ferner gegen die Abweisung seines Zahlungsantrages zu Gunsten eines bloßen Freistellungsanspruches. Das Landgericht habe die rechtliche Natur der von den Krankenkassen vorgenommenen Retaxierungen, bei denen es sich dem Wesen nach um grundsätzlich zulässige Aufrechnungen etwaiger Rückzahlungsansprüche mit seinen späteren Zahlungsansprüchen aus Arzneimittellieferungen im Sinne der §§ 387, 398 BGB handelt, verkannt. Auf die Tatsache, dass er die an ihn herangetragenen Ansprüche bekämpfte, komme es nicht an; allein das tatsächliche Bestehen etwaiger Ansprüche, von dem das Landgericht ausgegangen sei, wirke sich auf die Wirksamkeit der Aufrechnungen aus. Auch bei rein faktischer Betrachtung seien die B und die C befriedigt, indem diese seine späteren Monatsabrechnungen in der betreffenden Höhe kürzten.

 

28 Zur Begründung seiner Berufung gegen die Abweisung seines auf Freistellung von etwaigen Ersatzansprüchen anderer Krankenkassen gerichteten Feststellungsantrages verweist der Kläger darauf, dass eine zukünftige Inanspruchnahme hinreichend wahrscheinlich sei. Hierfür spreche bereits die Höhe der einzelnen Schadensbeträge sowie generell die Pflicht der Krankenkassen zum ordnungsgemäßen Umgang mit den Mitgliedsbeiträgen, die verletzt sein könnte, sollten diese falsche Abrechnungen von Apothekern dulden. Da die Gesamtschuld bereits mit Eintritt des Schadens bei den jeweiligen Krankenkassen im Außenverhältnis entstanden sei, stehe ihm – da eine zukünftige Inanspruchnahme hinreichend wahrscheinlich sei – der erstinstanzlich geltend gemachte Freistellungsanspruch im Wege des vorgezogenen Gesamtschuldnerausgleichs zu. Die Ansprüche seien noch nicht verjährt und könnten damit auch ohne Weiteres zukünftig geltend gemacht werden.

 

29 Der Kläger rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Landgericht. Dieses habe seinen in das Zeugnis der Frau P. gestellten Vortrag, er sei seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen, da sich die gesondert in Anspruch genommene Beklagte zu 1) stets unter Aufsicht eines Apothekers befunden habe, zu Unrecht als unsubstantiiert zurückgewiesen und seinen dahingehenden Beweisantrag willkürlich und ohne nähere Auseinandersetzung in der Sache übergangen. Dem Urteil sei auch nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass auch seitens weiterer Krankenkassen Ersatzansprüche gegen ihn vorgebracht werden können. Neben den Abrechnungen in Höhe von insgesamt 189.734,21 € habe es nach den Feststellungen des Strafurteils, auf das das Landgericht in seiner Entscheidung verweist, zahlreiche weitere Abrechnungen gegeben, die ihrerseits die Geltendmachung weiterer Ersatzansprüche gegen ihn befürchten lassen.

 

30 Schlussendlich wendet sich der Kläger gegen die teilweise Abweisung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Auf etwaige rechnerische Unklarheiten hätte das Gericht hinweisen müssen. Für die Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte im März 2014 sei eine Auslagenpauschale in Höhe von 12,00 € erhoben und gezahlt worden. Der darüberhinausgehende Differenzbetrag von 2,28 € und der ursprünglich frühere Zinsbeginn würden in der Berufungsinstanz nicht weiterverfolgt.

 

31 Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des am 13. September 2021 verkündeten Urteils des Landgerichtes Schwerin – Aktenzeichen: 5 O 32/16 –

 

32 1. die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 94.867,09 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen gesetzlichen Basiszinssatz zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 2) ab dem 15. September 2015 und der Beklagte zu 3) ab Rechtshängigkeit,

 

33 2. die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldnerin neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 12,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen gesetzlichen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2017 zu zahlen,

 

34 3. festzustellen, dass die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Abrechnung der von der Beklagten zu 2) und der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) in der Zeit vom 13. September 2012 bis zum 16. August 2013 durch die Erstellung, Entgegennahme und Belieferung fingierter Hilfsmittelrezepte der Medikamente Genotropin, Testosteron, Ibu 600, Zopiclon, Spiropent, Cipralex, Tilidin, Travex oder Zolpidem entstand und künftig noch entstehen wird,

 

35 4. festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in Höhe eines Teilbetrages von 94.867,12 € erledigt hat,

 

36 5. die Berufung der Beklagten zu 2) zurückzuweisen.

 

37 Die Beklagte zu 2) greift in ihrer innerhalb der verlängerten Erwiderungsfrist eingegangenen Anschlussberufung die Beweiswürdigung des strafrechtlichen Sachverhaltes durch das Landgericht an. Sie habe im Strafverfahren bis vor dem letzten Hauptverhandlungstag die Tatbegehung bestritten. Lediglich aufgrund des Umstandes, dass ansonsten eine Freiheitsstrafe angedroht wurde, die nicht zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, sei es zu dem Zweckgeständnis gekommen. Die Beklagte zu 2) rügt, dass das Landgericht Schwerin bei seiner Beweiswürdigung wesentliche Aspekte entlastender Art außer Betracht gelassen habe. Es habe keine Beweismittel dafür gegeben, dass sie tatsächlich die Tat begangen habe. Lediglich der Umstand, dass sie in der Arztpraxis gearbeitet hat und mit der Beklagten zu 1) befreundet war sowie weitere Indizien hätten dazu geführt, dass das Gericht im Strafverfahren ihre Schuld als erwiesen angesehen hat. Wegen ihres aktenkundigen Zweckgeständnisses wäre es für das Landgericht zumutbar gewesen, zumindest die Beweismittel und auch die Zeugenaussagen zu reflektieren. Dies hätte zu dem Ergebnis geführt, dass es keine Beweise gebe, die für eine strafbare Handlung sprechen würden, sondern dass lediglich Indizien quasi im Ausschlussverfahren vorlägen, die das Strafgericht veranlasst hätten, ihre geständige Zweckeinlassung als vermeintlich zutreffend anzusehen.

 

38 In der Berufungsverhandlung hat die Beklagte zu 2) die Zuständigkeit des Zivilgerichtes gerügt. Das Urteil würde im Ergebnis ihre Haftung als Arbeitnehmerin gegenüber dem Beklagen zu 3) als Arbeitgeber bejahen; insoweit aber sei die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts begründet.

 

39 Die Beklagte zu 2) beantragt,

 

40 das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

41 Der Beklagte zu 3), der Zurückweisung der Berufung des Klägers beantragt, verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Er hält die Berufung für unzulässig, soweit der Kläger die Entscheidung des Landgerichts, dass unmittelbare deliktische Ansprüche nicht gegeben sind, beanstandet. Das Landgericht habe einen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB mangels Rechtsgutsverletzung und einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB mangels Betroffenheit des Klägers vom Schutzbereich abgelehnt. Hierzu habe der Kläger in seiner Berufungsbegründung nichts vorgetragen. Richtigerweise habe das Landgericht Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten im Ergebnis lediglich aus einem Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis nach §§ 426 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. BGB i.V.m. § 263 StGB bejaht.

 

42 Der Beklage ist weiterhin der Ansicht, dass er sich nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpieren könne. Die sorgfältige Auswahl, Anleitung und Überwachung der Beklagten zu 2) durch ihn habe er erstinstanzlich umfassend und unter Beweisantritt dargelegt. Durch diese Maßnahmen habe er eine ausreichende Überwachung der nichtärztlichen Mitarbeiterinnen sichergestellt. Sofern es dennoch zu einer Fälschung seiner Unterschrift auf Verordnungen und der missbräuchlichen Verwendung dieser Verordnungen gekommen ist, könne ihm dies nicht angelastet werden. Ungeachtet dessen wäre der Schaden selbst bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt – unterstellt, diese habe nicht vorgelegen – entstanden. Die Beklagte zu 2) habe seine Sicherheitsmaßnahmen systematisch umgangen, weshalb es an der erforderlichen Ursächlichkeit der behaupteten Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden fehle. Für den geregelten Ablauf eines Praxisbetriebes sei es erforderlich, dass das nichtärztliche Personal Zugriff auf die EDV-Systeme sowie auf den Verordnungsblock habe. Selbst bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt wären – vor dem Hintergrund, dass es bisher keinerlei Probleme mit der Beklagten zu 2) gegeben habe – wietergehende Überwachungsmaßnahmen nicht geeignet gewesen, die Begehung der Straftaten durch die Beklagte zu 2) zu verhindern.

 

43 Der Beklagte zu 3) meint, dass zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1) und 2) ein gesetzlich begründetes Gesamtschuldnerverhältnis bestehe, da der Kläger im Verhältnis zu den Krankenkassen aufgrund der unerlaubten Handlungen der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) selbst deliktisch gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB hafte. Bei dem Versuch, sich gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu exkulpieren, habe der Kläger nur unsubstantiiert vorgetragen, indem er lediglich auf die jederzeitige Aufsicht durch einen Apotheker verwiesen habe. Er habe weder die Auswahlentscheidung noch die tatsächlichen Einzelheiten einer Überwachung dargelegt. Vor dem Hintergrund, dass die ehemalige, gesondert in Anspruch genommene Beklagte zu 1) über einen Zeitraum von einem Jahr mit fingierten Verordnungen Medikamente mit einem Verkaufswert in Höhe von insgesamt 370.712,94 € bestellen und beiseiteschaffen konnte und dies dem Kläger trotz erheblichem vermeintlichen Umsatzanstiegs nicht aufgefallen ist, könne dieser den ihm obliegenden Überwachungspflichten nicht gerecht geworden sein.

 

44 Unterstellt, es bestünde ein Schadensersatzanspruch der Krankenkassen gegen ihn aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB, könne der Kläger ihn dennoch nicht in Anspruch nehmen, da er im Verhältnis zu diesem nach § 840 Abs. 2 BGB haftungsprivilegiert sei.

 

45 Lediglich vorsorglich weist der Beklagte zu 3) darauf hin, dass seine Haftungsquote jedenfalls nicht 75 %, sondern allenfalls 50 % betrage. Einen Ausgleichsanspruch habe der Kläger zudem nur, wenn seine Leistung den Anteil der gesamten Schuld übersteige, den er selbst zu erbringen verpflichtet ist. Vor dem Hintergrund, dass der Retaxationsschaden nach dem Vortrag des Klägers 189.734,21 € betragen habe und dass der Kläger selbst – im Verhältnis der unterstellten Haftungseinheit des Klägers und der Beklagten insgesamt – grundsätzlich zu 25 % hafte, könne sein Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte zu 2) und gegen ihn nur geltend gemacht werden, soweit die tatsächlich geleistete Zahlung 47.433,55 € übersteige. Im ungünstigsten Fall – der indes nicht vorliege – wäre er verpflichtet, 50 % hiervon, mithin maximal 23.716,52 €, auszugleichen. Die mit den Krankenkassen abgeschlossenen Prozessvergleiche würden insoweit mangels Beteiligung der übrigen Gesamtschuldner keine Wirkung entfalten.

 

46 Der Beklagte zu 3) ist der Ansicht, dass das Landgericht zu Recht den Zahlungsantrag des Klägers zugunsten eines Freistellungsanspruches abgewiesen habe. Der Kläger habe einen konkreten Schaden nicht substantiiert vorgetragen, sondern er habe lediglich Monatsabrechnungen für die B und die C sowie eine auszugsweise Klage gegen die D, E Gesundheit und die F vorgelegt. Die entsprechenden Angaben habe er mit Nichtwissen bestritten. Vor diesem Hintergrund sei unabhängig von der rechtlichen Einordnung der Retaxierungen als Aufrechnung der Zahlungsantrag zugunsten eines Freistellungsanspruches im Sinne eines vorgezogenen Gesamtschuldnerausgleiches abzuweisen gewesen, denn es hätte das Risiko bestanden, dass eine Verurteilung zur Zahlung in einer Höhe erfolgt, die die tatsächlichen Retaxierungen überschreitet. Es werde zudem mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Retaxierungen oder danach gegen die betreffenden Krankenkassen Vergütungsansprüche gehabt habe, welche sich aus späteren Abrechnungen korrekter Verordnungen in den Monaten November 2014 und Januar 2015 speisten. Der diesbezügliche Vortrag sei verspätet.

 

47 Den Feststellungsantrag des Klägers habe das Landgericht beanstandungsfrei abgewiesen. Auch wenn entsprechend der klägerischen Ausführungen eine Gesamtschuld bereits entstanden sein sollte, sei eine Inanspruchnahme des Klägers aufgrund der gefälschten Verordnungen durch weitere Krankenkassen ausgeschlossen. Denn gemäß § 17 Abs. 1 des seinerzeit geltenden Arzneiversorgungsvertrags (i.d.F. vom 01.08.2013) sei eine Retaxierung durch die Krankenkassen nur innerhalb von 12 Monaten möglich. Im Übrigen dürften etwaige Forderungen der Krankenkassen verjährt sein.

 

48 Der Erledigungserklärung des Klägers vom 20.12.2021 hat der Beklagte zu 3) widersprochen.

 

II.

 

49 Sowohl die Berufung des Klägers als auch die Anschlussberufung der Beklagten zu 2) haben in der Sache teilweise Erfolg. Nach Teilerledigung des Rechtsstreits schulden die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) dem Kläger Zahlung in Höhe von 47.433,55 € und die Beklagte zu 2) neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) Zahlung in Höhe weiterer 23.716,77 € nach den Grundsätzen des Gesamtschuldnerausgleichs (§ 426 Abs. 1 BGB). Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich weiterer materieller Schäden und der auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten sind unbegründet.

 

50 1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist für die gegen die Beklagten zu 2) und 3) gerichtete Schadensersatzklage zulässig.

 

51 Streitgegenstand sind Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner. Die Beklagte zu 2) war unstreitig nicht Arbeitnehmerin des Klägers, weshalb eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nach § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG nicht begründet ist. Der Umstand, dass sie Angestellte des ebenfalls gesamtschuldnerisch in Anspruch genommenen Beklagten zu 3) war und dass sie wegen des Vorwurfs, fingierte Rezepte ausgestellt zu haben, dem Beklagten zu 3) als ihrem Arbeitgeber ggf. aus unerlaubter Handlung haftet, berührt die Zuständigkeit des Zivilgerichts nicht, denn im vorliegenden Verfahren ist nicht zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte zu 2) im (Innen)Verhältnis zum Beklagten zu 3) haftet. Etwaige Ausgleichsansprüche des Beklagten zu 3) gegen die Beklagte zu 2) sind allenfalls Folge der Feststellung, dass die beiden Beklagten als Arbeitnehmerin und Arbeitgeber im Verhältnis zum Kläger eine Haftungseinheit bilden. Das aber reicht für die Begründung der Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht aus.

 

52 2. Die Beklagten zu 2) und 3) haften dem Kläger neben der ehemaligen gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) dem Grunde nach auf Ersatz der durch die Betrugshandlungen der Beklagten zu 1) und 2) entstandenen Schäden.

 

53 2.1. Allerdings hat das Landgericht einen deliktischen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten zu Recht verneint. Die gegen diese Wertung gerichteten Berufungsangriffe des Klägers erweisen sich als unbegründet.

 

54 a) Zwar hat der Senat – anders als der Beklagte zu 3) – keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des diesbezüglichen Berufungsvorbringens des Klägers.

 

55 Für die Zulässigkeit der Berufung bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der rechtlichen Wertung der erstinstanzlichen Entscheidung, sondern es reicht die Bezeichnung der Umstände und Tatsachen, auf die der Berufungsführer seine abweichende rechtliche Wertung stützt. Insoweit reicht der Berufungsangriff des Klägers, ihm sei wegen der Retaxierungen der Krankenkassen ein eigener Schaden entstanden, weshalb er selbst deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten habe, für die diese ihm als Gesamtschuldner haften würden, aus. Dass sich die Berufung in der Sache ggf. als unbegründet erweist, steht der Zulässigkeit seines Rechtsmittels nicht entgegen.

 

56 b) Zu Recht ist das Landgericht aber davon ausgegangen, dass ein eigener Anspruch des Klägers gegen die Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB mangels Rechtsgutsverletzung und ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB mangels Betroffenheit des Klägers vom Schutzbereich nicht gegeben ist.

 

57 aa) Das Vermögen als solches ist kein sonstiges geschütztes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1964 – VI ZR 25/63 -, juris Rn. 11; Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl., § 823 Rn. 11).

 

58 Das Vermögen ist auch kein „sonstiges Recht“ im Sinne dieser Regelung. Im Hinblick auf die Nennung hinter „Eigentum“ sind „sonstige Rechte“ als Rechte zu verstehen, die denselben rechtlichen Charakter wie das Eigentum haben und ebenso wie Leben, Gesundheit, Freiheit von jedermann zu beachten sind. Es müssen folglich Rechte mit Ausschließlichkeitscharakter sein, die eine absolute, gegenüber jedermann wirkende Rechtsposition begründen, die dem Inhaber die Nutzung dieser Rechtsposition gewährt und andere davon ausschließt (vgl. Grüneberg/Sprau, a.a.O.). Der Berufungseinwand des Klägers, dass er wegen der Retaxierungen der Krankenkassen einen eigenen Vermögensschaden erlitten habe, begründet deshalb keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten.

 

59 bb) Einen eigenen Anspruch gegen die Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB hat das Landgericht ebenfalls zu Recht verneint, weil der Kläger vom Schutzbereich der Strafnorm nicht betroffen ist.

 

60 Gemäß § 263 Abs. 1 StGB begeht einen Betrug, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Schwerin, auf das der Kläger seinen Vortrag stützt, hat die Beklagte zu 2) nach vorheriger gemeinsamer Tatplanung mit der ehemaligen Beklagten zu 1) zwischen dem 13.09.2012 und 16.08.2013 unrechtmäßig insgesamt 165 Verordnungen über verschreibungspflichtige Medikamente erstellt und diese an die ehemalige Beklagte zu 1) übergeben, worauf diese die Medikamente über die klägerische Apotheke bei Großhändlern bestellt und die Bestellung und Lieferung in das Abrechnungssystem der Apotheke eingegeben hat. Die ehemalige Beklagte zu 1) hat die gelieferten Medikamente beiseitegeschafft, um diese gemeinsam mit der Beklagten zu 2) gewinnbringend auf dem Schwarzmarkt zu veräußern. Die Medikamentenrechnungen sind über den Abrechnungsdienstleister der Apotheke des Klägers den jeweiligen Krankenkassen mit den Verordnungen in Rechnung gestellt und der in den Rechnungen ausgewiesene Betrag von den Krankenkassen an den Kläger gezahlt worden, der sodann die Rechnungen der Großhändler ausgeglichen hat.

 

61 Ausgehend von diesen Feststellungen haben die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) nicht den Kläger, sondern die Krankenkassen betrogen, denn die Krankenkassen haben dem Kläger die unrechtmäßig beschafften Medikamente bezahlt und dadurch einen Vermögensschaden erlitten.

 

62 Dem Kläger ist hingegen durch die Handlungen der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) kein Vermögensschaden im Sinne von § 263 StGB entstanden. Es entspricht herrschender Meinung, dass die Vermögensverfügung unmittelbar mindernd in das Vermögen des Geschädigten eingreifen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2005 – 4 StR 559/04, juris Rn. 17 m.w.N.). Die Feststellung des Vermögensschadens beurteilt sich nach den negativen Auswirkungen dieser Vermögensverfügung auf das Gesamtvermögen des Geschädigten unter Einbeziehung möglicher aus der Verfügung erwachsener Vorteile (Saldierung). Das Vermögen erleidet einen Schaden, wenn der wirtschaftliche Gesamtwert des Vermögens durch die Vermögensverfügung im Ergebnis vermindert wird. Bezugspunkt der Saldierung ist damit nicht der von der Verfügung betroffene konkrete Vermögensgegenstand, sondern das wirtschaftliche Gesamtvermögen des Vermögensinhabers (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, juris Rn. 12 m.w.N.). Der Kläger hat durch die strafbaren Handlungen der Beklagten deshalb keinen wirtschaftlichen Nachteil erlangt, weil er die von der Beklagten zu 1) widerrechtlich bestellten und in sein Abrechnungssystem eingegebenen Medikamente von den Krankenkassen bezahlt bekommen hat.

 

63 Der Einwand des Klägers, dass ihm wegen der Retaxierungen der Krankenkassen ein eigener Vermögensschaden entstanden sei, rechtfertigt keine abweichende Wertung. Aus dem durch die Bereicherungsabsicht vorgegebenen Charakter des Betruges als Vermögensverschiebungs- und Bereicherungsdelikt folgt, dass zwischen dem Vermögensschaden des Opfers und dem Vermögensvorteil des Betrügers ein spezifischer Zusammenhang bestehen muss (vgl. Saliger in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 263 StGB Rn. 245). Das bedeutet, dass Vermögensschaden und Vermögensvorteil einander entsprechen müssen bzw. der Vorteil die Kehrseite des Schadens ist (Kehrseitentheorie). Das Bild der Kehrseite wird überwiegend dahin konkretisiert, dass der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens gehen und auf ein und derselben Vermögensverfügung beruhen muss, d.h. unmittelbar durch sie bewirkt wird. Die dem Kläger durch die Retaxierungen entstandenen „Folge“-Schäden sind aber erst nach den täuschungsbedingten Vermögensverfügungen der Krankenkassen entstanden.

 

64 cc) Auch einen Anspruch gegen die Beklagten aus § 826 BGB bzw. §§ 831 Abs. 1 Satz 1, 826 BGB hat das Landgericht zu Recht verneint.

 

65 (1) Ersatzberechtigt ist der durch die konkrete Tathandlung unmittelbar Geschädigte (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2016 – VI ZR 158/14 -, juris Rn. 17); hier die geschädigten Krankenkassen.

 

66 (2) Der Kläger als mittelbar Geschädigter wäre nur ersatzberechtigt, wenn sich Bewusstsein und Willen der Schädigung zumindest bedingt auch auf ihn bezogen hätten und diese Schädigung auch im Verhältnis zwischen ihm und den Schädigerinnen sittenwidrig gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 – VI ZR 189/78 -, juris Rn. 16 ff.). Das aber hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen verneint.

 

67 Die gesondert in Anspruch genommene Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) haben in Bezug auf die Schädigung der Krankenkassen – so auch das strafgerichtliche Urteil, auf das sich der Kläger stützt – zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Ein Schädigungsvorsatz in Bezug auf den Kläger lässt sich hingegen nicht feststellen. Während eine Schädigung der Krankenkassen für den erstrebten Vermögensvorteil der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) zwingende Voraussetzung war, gilt dies nicht für den Kläger, da diesem unbeschadet der Betrugshandlungen die unberechtigt bestellten und über den Abrechnungsdienstleister der Apotheke des Klägers den jeweiligen Krankenkassen mit den Verordnungen in Rechnung gestellten Medikamente von den Krankenkassen bezahlt wurden. Die gesondert in Anspruch genommene Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) sind offensichtlich davon ausgegangen, dass ihre unerlaubten Handlungen unbemerkt bleiben und die Krankenkassen entsprechend des üblichen Abrechnungssystems zahlen. Dass sie eine Schädigung des Klägers in Betracht gezogen haben, ist deshalb nicht anzunehmen. Selbst wenn sie diese in Betracht gezogen hätten, wäre davon auszugehen, dass sie allein schon aus eigenem Interesse auf das Ausbleiben einer solchen Schädigung des Klägers vertraut haben, weshalb sie eine mittelbare Schädigung des Klägers auch nicht bedingt vorsätzlich in Kauf genommen haben. Ob es sich – wie der Kläger meint – der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) aufdrängen musste, dass sich die schädigende Handlung auch gegen den Kläger richten kann, ist vor diesem Hintergrund unbeachtlich.

 

68 2.2. Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht – mangels Vorliegen eines deliktischen Anspruchs folgerichtig – lediglich einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten nach den Grundsätzen des Gesamtschuldnerausgleichs gemäß § 426 BGB bejaht.

 

69 Neben der ehemaligen Beklagten zu 1) haften sowohl die Beklagten zu 2) und 3) als auch der Kläger als Gesamtschuldner auf Ersatz der den Krankenkassen durch die Handlungen der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) entstandenen Vermögensschäden.

 

70 a) Die Haftung der ehemaligen Beklagen zu 1) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB steht aufgrund des rechtskräftigen Strafurteils des Landgerichts Schwerin fest.

 

71 b) Neben der ehemaligen Beklagten zu 1) haftet die Beklagte zu 2) den Krankenkassen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB auf Ersatz der durch die Betrugshandlungen entstandenen Schäden.

 

72 aa) Gestützt auf das rechtskräftige Strafurteil des Landgerichts Schwerin ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte zu 2) nach vorheriger gemeinsamer Tatplanung mit der ehemaligen Beklagten zu 1) zwischen dem 13.09.2012 und 16.08.2013 unrechtmäßig insgesamt 165 Verordnungen über verschreibungspflichtige Medikamente erstellt und diese an die ehemalige Beklagte zu 1) übergeben habe, worauf diese die Medikamente über die klägerische Apotheke bei Großhändlern bestellt und die Bestellung und Lieferung in das Abrechnungssystem der Apotheke eingegeben habe. Die gelieferten Medikamente habe die ehemalige Beklagte zu 1) beiseitegeschafft, um diese gemeinsam mit der Beklagten zu 2) gewinnbringend auf dem Schwarzmarkt zu veräußern. Die Medikamentenrechnungen seien im Zeitraum vom 13.09.20212 bis 16.08.2013 über den Abrechnungsdienstleister der Apotheke des Klägers den jeweiligen Krankenkassen mit den Verordnungen in Rechnung gestellt und der in den Rechnungen ausgewiesene Betrag von den Krankenkassen an den Kläger gezahlt worden, der sodann die Rechnungen der Großhändler ausgeglichen habe.

 

73 bb) Die mit der Anschlussberufung ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erhobenen Einwendungen der Beklagten zu 2) sind nicht durchgreifend.

 

74 Die Verwertung eines strafgerichtlichen Urteils ist im Wege des Urkundenbeweises zulässig. Wird ein deliktischer Schadensersatzanspruch auf eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung wegen Betruges gestützt, trifft den Anspruchsgegner eine gesteigerte Erwiderungslast, in deren Rahmen er konkrete Umstände für die von ihm behauptete Unwahrheit seines im Strafverfahren abgelegten Geständnisses darlegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 26. August 2021 – III ZR 189/19 -, juris Rn. 12). Dabei ist zwar keine den Darstellungen im Strafurteil spiegelbildliche, in sich geschlossene Schilderung des Gesamtgeschehens erforderlich. Auch bei Vorlage eines Strafurteils kann sich der Beklagte darauf beschränken, einzelne, den geltend gemachten Anspruch tragende Behauptungen des Klägers herauszugreifen und diese zu bestreiten (BGH, a.a.O., m.w.N.). Denn grundsätzlich genügt eine Partei bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen, wobei es nicht darauf ankommt, wie wahrscheinlich ihre Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht.

 

75 Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten zu 2) nicht. Sie hat sowohl erstinstanzlich als auch in der Berufungsinstanz lediglich behauptet, dass ihr Geständnis im Strafverfahren auf prozesstaktischen Gründen beruhe. Umstände, die begründete Zweifel an ihrer Mittäterschaft begründen könnten, indem sie z.B. aufzeigt, wie die ehemalige Beklagte zu 1) ohne ihre Mithilfe an die fingierten Rezepte gelangen konnte, hat die Beklagte zu 2) nicht dargelegt. Sie hat lediglich erklärt, dass sie sich die Ausführungen des Beklagten zu 3) zu eigen mache, sofern es ihr nutze. Abgesehen davon, dass eine pauschale Bezugnahme auf Schriftsätze eines weiteren Beteiligten den Anforderungen an den Inhalt eines Schriftsatzes nach § 130 ZPO nicht genügt, ist das Gericht auch nicht verpflichtet, sich aus Schriftsätzen eines anderen Beklagten erheblichen, für die Beklagte zu 2) günstigen Vortrag „herauszufiltern“. Im Übrigen hat der Beklage zu 3) nichts vorgetragen, was Zweifel an den im Strafurteil festgestellten Betrugshandlungen der Beklagten zu 2) begründet.

 

76 c) Der Beklagte zu 3) haftet den Krankenkassen gemäß § 831 BGB i.V.m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB auf Ersatz der durch die Betrugshandlungen seiner Mitarbeiterin, der Beklagten zu 2), entstandenen Schäden.

 

77 aa) § 831 BGB ist ein eigenständiger Haftungstatbestand. Der Geschäftsherr haftet, wenn sein Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt und einem Dritten in Ausführung der Verrichtung rechtswidrig einen Schaden verursacht hat (vgl. Grüneberg/Sprau, a.a.O., § 831 Rn. 1, 8). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte zu 2) war Mitarbeiterin des Beklagten zu 3) und in ihrer Funktion als Arzthelferin auch für die Ausstellung von Verordnungen über Medikamente zuständig.

 

78 Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein vorsätzlich verbotswidriges und kriminelles Handeln ein Handeln in Ausführung der Verrichtung nicht ausschließt und dass der Geschäftsherr auch für vorsätzliche unerlaubte Handlungen seiner Gehilfen einzustehen hat, wenn diese noch im engen objektiven Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen, insbesondere dann, wenn die Gehilfen gerade die übertragenen Pflichten verletzen (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.1997 – I ZR 36/95, juris Rn. 31; Grüneberg/Sprau, a.a.O., Rn. 9). Das war hier der Fall. Bei dem Ausstellen von Verordnungen über Medikamente handelte die Beklagte zu 2) innerhalb der ihr vom Beklagten zu 3) übertragenen Aufgaben.

 

79 bb) Der Beklagte zu 3) hat den ihm nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB möglichen Entlastungsbeweis, wonach die Ersatzpflicht für den Verrichtungsgehilfen nicht eintritt, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und – sofern er die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat – bei der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde, nicht geführt.

 

80 (1) Das Landgericht hätte es nicht dahinstehenlassen dürfen, ob der Beklagte zu 3) für die Betrugshandlungen seiner Mitarbeiterin, der Beklagten zu 2), haftet. Denn wegen der unterschiedlichen Haftungseinheiten kommt es hier – worauf nachfolgend noch einzugehen ist – entscheidend darauf an, ob sich der Beklagte zu 3) nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten kann.

 

81 (2) Der Beklagte zu 3) hat den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt.

 

82 Er hat hierzu vorgetragen, dass die Beklagte zu 2) bereits seit mehreren Jahren in der Arztpraxis tätig gewesen und auch bislang nicht negativ aufgefallen sei. Ferner hat er dargelegt, dass und wie die Überwachung der Arzthelferinnen durch die elektronisch angelegten Karteikarten sowie durch die automatische Erstellung sog. Tageslisten gewährleistet sei. Diese Tageslisten, die pro Tag etwa 70 – 100 Patienten umfassen und die einen direkten Zugriff auf die Karteikarte des jeweiligen Patienten ermöglichen, sichte er jeden Tag nach Beendigung der Sprechstunde und bei Auffälligkeiten überprüfe er unverzüglich die entsprechende Patientenkarteikarte. So könne er auf Auffälligkeiten im Rahmen der Rezeptausstellung sofort reagieren. Sofern es dennoch zu einer Fälschung seiner Unterschrift gekommen sei, könne ihm dies nicht angelastet werden.

 

83 Ob diese Maßnahmen ausreichten, was der Kläger im Hinblick auf eine standardgemäße Arbeitserleichterung in Arztpraxen durch die elektronische Bearbeitung und Speicherung von Patientendaten verneint, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Kläger hat unter Bezugnahme auf das Strafurteil darauf verwiesen, dass der Beklagte zu 3) unterzeichnete Blankoverordnungen vorgehalten habe, wodurch die Beklagte zu 2) die fingierten Rezepte problemlos habe ausstellen können. Diesen Vorwurf konnte der Beklagte zu 3) nicht entkräften.

 

84 Mit seinem Einwand, die Formulierung im Strafurteil, „… druckte das Rezept aus und versah die Rezepte mit der leicht zu fälschenden Unterschrift des Arztes N., sofern sie nicht bereits von Herrn N. unterzeichnete Blankorezepte für den Ausdruck verwendet hatte“, beruhe darauf, dass die im Strafverfahren vorliegenden Originalrezepte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr auf Fingerabdrücke hätten geprüft werden können und das Strafgericht davon abgesehen habe, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um auch eine Urkundenfälschung der Beklagten zu 2) durch Hinzusetzen der gefälschten Unterschrift des Beklagen zu 3) nachzuweisen, dringt der Beklagte zu 3) nicht durch. Denn im vorliegenden Verfahren muss er gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu seiner Entlastung beweisen, dass die Beklagte zu 2) keinen Zugang zu von ihm bereits unterzeichneten Blankoverordnungen hatte. Diesen Beweis hat er nicht geführt.

 

85 Auch die von ihm als Anlagen zum Schriftsatz vom 28.08.2023 zur Akte gereichten Abschriften der rechtskräftigen Urteile des Sozialgerichts Schwerin vom 14.06.2023 in den Verfahren S 6 KA 14/20 (E ./. Gem. Beschwerdeausschuss) bzw. S 6 KA 15/20 (D ./. Gem. Beschwerdeausschuss), sind dem Beklagten zu 3) nicht behilflich. Das Sozialgericht hat jeweils ausgeführt, dass die Ausstellung von Blankorezepten, d.h. nur vom Arzt unterschriebenen, aber ansonsten nicht ausgefüllten Rezeptvordrucken und deren unkontrollierte Aufbewahrung in den Praxisräumen einen gröblichen Pflichtverstoß des Vertragsarztes darstelle. Im vorliegenden Fall sei aber nicht feststellbar, dass die streitigen Verordnungen, auf die die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch stützt, als Blankorezepte ausgestellt worden waren, was zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin gehe. Im Hinblick auf den Vorwurf der schadensverursachenden Vorratshaltung von Blankorezepten liege eine non-liquet-Situation vor. Es sei trotz Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen bei teilweise widerstreitenden Angaben der am Strafverfahren Beteiligten nicht aufzuklären, ob und in welchem Umfang in der Praxis des Beigeladenen zu 2 – hier der Beklagte zu 3) – Blankorezeptformulare zirkulierten und bevorratet wurden. Im vorliegenden Verfahren geht diese non-liquet-Situation zu Lasten des Beklagten zu 3).

 

86 Der Beklagte zu 3) kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass der Schaden selbst bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre, weil die Beklagte zu 2) seine Sicherheitsmaßnahmen systematisch umgangen habe. Zwar ist ihm zuzustimmen, dass eine lückenlose Überwachung von Mitarbeitern weder möglich noch gewollt ist. Allerdings steht der vom Beklagten zu 3) nicht zu entkräftende Vorwurf des Vorhaltens unterzeichneter Blankorezepte im Raum, die die Betrugshandlungen der Beklagten zu 2) mindestens ermöglicht haben.

 

87 d) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass auch der Kläger gemäß § 831 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB gesamtschuldnerisch den Krankenkassen auf Ersatz der durch die Betrugshandlungen entstandenen Schäden haftet.

 

88 Dass die Voraussetzungen des § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen, stellt der Kläger nicht in Frage. Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB hat er auch aus Sicht des Senats nicht geführt.

 

89 Der Kläger behauptet lediglich, dass die ehemalige Beklagte zu 1) nur für die Bestellungen und die Entgegennahme von Medikamenten zuständig gewesen sei, was keine pharmazeutische Tätigkeit im Sinne von § 3 Abs. 5 ApBetrO sei und dass sie sich ständig unter Aufsicht eines Apothekers befunden habe. Ob dies zutrifft, kann hier aber dahinstehen, weshalb eine Vernehmung der hierzu bereits erstinstanzlich angebotenen Zeugin P. Nicht erforderlich ist. Denn das Landgericht hat zu Recht dieses Vorbringen als für eine Entlastung nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausreichend erachtet. Der allgemeine Vortrag des Klägers, die ehemalige Beklagte zu 1) habe ständig unter der Aufsicht eines Apothekers gestanden, ist vor allem im Hinblick auf deren Betrugshandlungen, die diese unbemerkt und damit offensichtlich unkontrolliert über das Abrechnungssystem der Apotheke begangen hat, unsubstantiiert, deshalb einer Beweisaufnahme nicht zugänglich und damit unerheblich. In Anbetracht des Umstands, dass die ehemalige Beklagte zu 1) über einen Zeitraum von einem Jahr vom Kläger unbemerkt mit fingierten Verordnungen Medikamente im Verkaufswert von insgesamt 370.712,94 € bestellen und beiseiteschaffen konnte, bestehen auch aus Sicht des Senats keine ernsthaften Zweifel, dass der Kläger seinen ihm obliegenden Überwachungspflichten nicht gerecht geworden ist. Dass die aus den Betrugshandlungen der ehemaligen Beklagten zu 1) resultierenden erhöhten Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen neben den üblichen Abrechnungsbeträgen nicht ins Gewicht gefallen sind und deshalb der damit verbundene Umsatzanstieg für ihn nicht auffällig war, hat der Kläger nicht behauptet.

 

90 3. Der Kläger kann im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs von den Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) dem Grunde nach Ersatz in Höhe von 50 % der von den geschädigten Krankenkassen geforderten Schadensersatzleistungen beanspruchen und von der Beklagten zu 2) in Höhe weiterer 25 % als Gesamtschuldnerin mit der ehemaligen Beklagten zu 1).

 

91 3.1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass – da die geschädigten Krankenkassen den Schaden von jedem Schuldner in voller Höhe, insgesamt aber nur einmal verlangen können – eine Gesamtschuld im Sinne von § 421 BGB vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Leistungspflicht aus unterschiedlichen Rechtsgründen ergibt, sofern die Leistungen der einzelnen Schuldner dasselbe Leistungsinteresse befriedigen würden (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 421 Rn. 6), was hier der Fall ist.

 

92 Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs sind die Gesamtschuldner nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Grundsätzlich haften die Gesamtschuldner im Innenverhältnis daher zu gleichen Teilen, was hier bedeuten würde, dass der Kläger, die ehemalige Beklagte zu 1), die Beklagte zu 2) und der Beklagte zu 3) zu jeweils 25 % haften.

 

93 3.2. Ebenfalls zutreffend ist der Ansatz des Landgerichts, dass sich im vorliegenden Fall eine andere Bestimmung im Sinne von § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB aus dem Gesetz, und zwar aus § 840 Abs. 2 BGB ergibt. Allerdings folgt aus der Anwendung dieser Norm hier – anders als das Landgericht meint – nicht, dass aufgrund der unterschiedlichen Haftungsverantwortlichkeiten der Kläger und der Beklagte zu 3) von der Haftung freigestellt sind und die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) alleine haften.

 

94 a) Nach § 840 Abs. 2 BGB ist, sofern neben demjenigen, welcher nach §§ 831, 832 BGB zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der Andere für Schaden verantwortlich ist, in ihrem Verhältnis zueinander der Andere allein verpflichtet. § 840 Abs. 2 BGB normiert mithin eine Haftungsfreistellung des nach § 831 BGB verantwortlichen Geschäftsherrn im Innenverhältnis zu seinem Mitarbeiter, der im Rahmen der ihm übertragenen Verrichtung den Schaden verursacht hat. Dies beruht auf dem Grundgedanken, dass in den Fällen, in denen auf der einen Seite nur eine Gefährdungshaftung oder eine Haftung aus vermutetem Verschulden, auf der anderen Seite jedoch erwiesenes Verschulden vorliegt, im Innenverhältnis derjenige den ganzen Schaden tragen soll, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2003 – VI ZR 13/03 -, juris Rn. 17; Grüneberg/Sprau, a.a.O., § 840 Rn. 10). Derjenige, der selbst pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, kann sich im Innenverhältnis nicht erfolgreich darauf berufen, bei der Erfüllung seiner eigenen Pflichten nicht hinreichend überwacht worden zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1990 – VI ZR 209/89 -, juris Rn. 17).

 

95 b) Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass die in § 840 Abs. 2 BGB normierte Haftungsfreistellung des nach § 831 BGB verantwortlichen Geschäftsführers nur im Verhältnis zum jeweiligen Mitarbeiter besteht.

 

96 aa) Kommen – wie hier – mehr als zwei Gesamtschuldner in Betracht und hat – wie hier der Kläger – einer der Gesamtschuldner geleistet, so kann er die übrigen Gesamtschuldner nur nach ihren jeweiligen Haftungsanteilen in Anspruch nehmen.

 

97 bb) Vorliegend bilden die gegenüber den Krankenkassen Ersatzverpflichteten drei Haftungseinheiten. Der Kläger und die ehemalige Beklagte zu 1) haften den Krankenkassen aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB, § 831 BGB. Eine weitere Haftungseinheit bilden die Beklagten zu 2) und der Beklagte zu 3), deren Haftung ebenfalls aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB, § 831 BGB folgt. Eine dritte Haftungseinheit bilden die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2), die den Krankenkassen wegen des vorsätzlichen gemeinschaftlichen Betrugs gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB auf Schadensersatz haften.

 

98 cc) Im Hinblick auf die bestehenden drei Haftungseinheiten greift die Haftungsfreistellung nach § 840 Abs. 2 BGB lediglich in den jeweiligen (Innen)Verhältnissen des Klägers zur ehemaligen Beklagten zu 1) sowie des Beklagten zu 3) zur Beklagten zu 2), nicht aber im Verhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) und zum Beklagten zu 3).

 

99 Das hat zur Folge, dass

 

100 – sich der Kläger im Verhältnis zu den Beklagten zu 2) und 3) seinen Haftungsanteil von 25 % anrechnen lassen muss,

 

101 – der Beklagte zu 3) als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 2) lediglich für den auf diese Haftungseinheit entfallenden Anteil von (25 % + 25 %) 50 % haftet,

 

102 – die Beklagte zu 2) dem Kläger als Gesamtschuldnerin weitere 25 % aus ihrer Haftungseinheit mit der ehemaligen Beklagten zu 1) ausgleichen muss und schließlich

 

103 – dass sich der Kläger von seinem Haftungsanteil von 25 % allenfalls gegenüber der ehemaligen Beklagten zu 1) nach § 840 Abs. 2 BGB freistellen lassen kann.

 

104 dd) Die Ansicht des Klägers, der Beklagte zu 3) hafte als Gesamtschuldner auch für den Haftungsanteil der Beklagten zu 2), der sich aus deren gesamtschuldnerischen Haftung mit der ehemaligen Beklagten zu 1) ergebe, weshalb dessen Haftungsquote im Ergebnis 75 % betrage, teilt der Senat nicht. Bei dieser Betrachtungsweise würde der Beklagte zu 3) gesamtschuldnerisch auch für die strafbaren Handlungen der Beklagten zu 1) einzustehen haben, obwohl er mit dieser keine Haftungseinheit bildet, weil er für deren Verrichtungen nicht nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB einzustehen hat.

 

105 Seine abweichende Ansicht kann der Kläger auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des OLG Hamm vom 7. Oktober 2010 (I-6 U 157/09, juris) stützen. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass Haftungseinheiten grundsätzlich als eine Person zu betrachten sind. Deshalb haftet der Beklagte zu 3) als Geschäftsherr gemäß § 831 BGB auch für den sich aus § 426 Abs. 1 BGB ergebenden Haftungsanteil der Beklagten zu 2) von 25 %, mithin insgesamt 50 %, da er mit ihr eine Haftungseinheit bildet und folglich gegenüber dem Kläger als eine Person zu betrachten ist. Diese Betrachtungsweise hat aber – auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Argumentation in der in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Hamm – nicht zur Folge, dass der Beklagte zu 3) auch für den Haftungsanteil der ehemaligen Beklagten zu 1) einzustehen hat, mit der er keine Haftungseinheit bildet.

 

106 ee) Eine über 50 % hinausgehende Ausgleichspflicht des Beklagten zu 3) ergibt sich auch nicht aus § 254 Abs. 1 BGB. Entsprechend dem Rechtsgedanken dieser Norm bestimmt sich bei einer Haftung auf Schadensersatz das Innenverhältnis der Gesamtschuldner regelmäßig danach, inwieweit die einzelnen Gesamtschuldner zur Verursachung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beigetragen haben und in welchem Maß sie ein Verschulden trifft (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 284/19 -, juris Rn. 23 m.w.N.). Maßgeblich ist in erster Linie das Maß der Verursachung, in zweiter Linie das Verschulden und die Verteilung des widerrechtlich erlangten Vermögensvorteils.

 

107 Vorliegend bestehen zwei Haftungseinheiten, die durch das Verhältnis Geschäftsherr zu Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen geprägt sind. In der Haftungseinheit des Klägers, der gemäß § 831 BGB gesamtschuldnerisch haftet, befindet sich die ehemalige Beklagte zu 1), die vorsätzlich handelte. In der Haftungseinheit des (auch nur) gemäß § 831 BGB gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten zu 3) befindet sich die Beklagte zu 2), die ebenfalls vorsätzlich handelte. Schnittstelle dieser beiden Haftungseinheiten sind die vorsätzlich handelnden Mitarbeiterinnen, die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2), die ihrerseits eine weitere Haftungseinheit bilden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sieht der Senat den Schwerpunkt der Haftung in der Haftungseinheit der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2). Damit aber ergibt sich keine Haftungsquote der aus dem Beklagten zu 3) und der Beklagten zu 2) gebildeten Haftungseinheit von mehr als 50 % gegenüber der aus dem Kläger und der ehemaligen Beklagen zu 1) gebildeten Haftungseinheit, denn es ist kein Grund ersichtlich, einer dieser beiden Haftungseinheiten ein größeres Gewicht beizumessen.

 

108 3.3. Da aus den vorstehenden Erwägungen die Beklagte zu 2) im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs dem Kläger lediglich nach einer Quote von 75 % auf Schadensersatz haftet, hat auch ihre Anschlussberufung teilweise Erfolg. Dass sich die Beklagte zu 2) mit ihrem Rechtsmittel lediglich gegen die Verwertung des Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises wendet, ist unschädlich.

 

109 Die Beklagte zu 2) hat mit ihrer Anschlussberufung den Haftungsgrund vollumfänglich zulässig angegriffen, was ausreicht. Denn die Frage, in welchem Umfang sie letztlich dem Kläger zum Schuldnerausgleich verpflichtet ist, betrifft die Schlüssigkeit der Klage, weshalb es keines (vorsorglichen) Einwandes der Beklagten zu 2) bedurfte, dass und aus welchen Gründen ihr Haftungsanteil im Ergebnis jedenfalls geringer ist als vom Kläger beansprucht.

 

110 4. Ausgehend von den vorstehenden im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs bestehenden Haftungsquoten des Beklagten zu 3) von 50 % und der Beklagten zu 2) in Höhe von insgesamt 75 % ist nach dem in der Berufungsinstanz zu berücksichtigenden neuen Sachstand festzustellen, dass

 

111 – der Rechtsstreit in der Hauptsache betreffend den Beklagten zu 3) in Höhe eines Teilbetrages von (50 % von 94.867,12 €) 47.433,56 € und betreffend die Beklagte zu 2) in Höhe eines Teilbetrages von (75 % von 94.976,12) 71.150,34 € erledigt ist,

 

112 – Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner mit der ehemaligen gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) in Höhe von (50 % von 94.867,09) 47.433,55 € sowie

 

113 – Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu 2) gesamtschuldnerisch mit der ehemaligen gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) in Höhe von weiteren 23.716,77 € begründet sind.

 

114 4.1. Das Landgericht hat Freistellungsansprüche bis zu einer Höhe von insgesamt 189.734,21 € ausgeurteilt, und zwar

 

115 B bis zu 66.238,58 €

 

116 C bis zu 12.369,24 €

 

117 D zu 67.904,78 €

 

118 E bis zu 40.129,60 € sowie

 

119 F bis zu 3.092,01 €.

 

120 a) Die Höhe der den genannten Krankenkassen durch die betrügerischen Handlungen der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) entstandenen Schäden ist unstreitig.

 

121 Soweit der Beklagte zu 3) bestritten hat, dass dem Kläger durch die Tathandlungen ein Schaden entstanden sei, hat das Landgericht diesen Vortrag für den Freistellungsanspruch im Hinblick auf die vorliegenden Abrechnungskorrekturen der B und der C über insgesamt 78.607,82 € sowie der vorliegenden Klageschrift der D vom 10.06.2016 über eine Klageforderung der D, der E und der F in Höhe von insgesamt 111.126,37 € zu Recht als nicht durchgreifend angesehen, was auch der Beklagte zu 3) in der Berufungsinstanz nicht beanstandet.

 

122 b) Zu Recht ist das Landgericht zumindest hinsichtlich der Ersatzforderungen der D, der E und der F über 111.126,37 € davon ausgegangen, dass der Kläger, da er die klageweise gegen ihn geltend gemachten Erstattungsansprüche bekämpft, insoweit aktuell – d.h. zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung – keine Zahlung an sich, sondern nur eine Freistellung von diesen Verbindlichkeiten verlangen kann. Der Kläger hat dies mit seiner Berufung auch nicht angegriffen; in seiner Berufungsbegründung hat er vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Verurteilung der Beklagten zu 2), ihn als Gesamtschuldnerin von Ansprüchen der D, der E und der F in einer Gesamthöhe von bis zu 111.126,39 € freizustellen, nicht zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werde.

 

123 c) Ob das Landgericht die Zahlungsansprüche über weitere 78.607,82 € zu Recht nur als Freistellungsansprüche ausgeurteilt hat, bedarf hier wegen der Beendigung der Verfahren vor dem Sozialgericht und dem sich daraus ergebenden geänderten Sachverhalt keiner abschließenden Entscheidung mehr. Die Höhe der Inanspruchnahme des Klägers durch die C steht aufgrund der in den Verfahren vor dem Sozialgericht Schwerin geschlossenen Vergleiche fest. Soweit teilweise lediglich ein Vergleichsvorschlag des Sozialgerichts zur Akte gereicht wurde, geht der Senat mangels abweichenden Vortrags davon aus, dass auch dieser Vergleich entsprechend dem Vorschlag des Sozialgerichts zustande gekommen ist. Zudem hat der Kläger in der Berufungsinstanz seine gegen die Beklagten zu 2) und 3) gerichtete Forderung um 50 % reduziert und im Übrigen die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits beantragt.

 

124 4.2. Durch die vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleiche haben die Krankenkassen ihre gegen den Kläger zum Ausgleich des ihnen durch die Betrugshandlungen der ehemaligen Beklagen zu 1) und der Beklagten zu 2) entstandenen Schäden geltend gemachten Forderungen auf jeweils 50 % reduziert. Die B und die C, die die Retaxierung in Form einer Aufrechnung mit Abrechnungsforderungen des Klägers bereits vorgenommen hatten, haben sich zur teilweisen Rückerstattung der Retaxierungssummen verpflichtet.

 

125 Da der Kläger in der Berufungsinstanz nunmehr einerseits seine Forderung in Höhe von 94.867,09 € als Zahlungsanspruch verfolgt, andererseits aber die Verurteilung der Beklagten zu 2), ihn als Gesamtschuldner von Ansprüchen der D, der E und der F in einer Gesamthöhe von bis zu 111.126,39 € freizustellen, ausdrücklich nicht zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt hat, legt der Senat sein Berufungsvorbringen dahin aus, dass er wegen der geänderten Sachlage seinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) als Zahlungsanspruch in Höhe von 94.867,09 € und als Feststellung der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 94.867,12 € anstelle (nicht neben) des erstinstanzlich ausgeurteilten Freistellungsanspruchs geltend macht.

 

126 4.3. Hinsichtlich der gegen den Beklagten zu 3) geltend gemachten Ansprüche ist festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von (50 % von 94.867,12 €) 47.433,56 € erledigt hat. Ferner stehen dem Kläger gegen den Beklagten zu 3) als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 2) und neben der ehemaligen Beklagten zu 1) begründete Zahlungsansprüche in Höhe von (50 % von 94.867,09 €) 47.433,55 € zu.

 

127 a) Wie vorstehend unter 3. ausgeführt, beträgt der im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs auf den Beklagten zu 3) entfallende Haftungsanteil lediglich 50 %. Im Verhältnis zu ihm ist der Kläger aufgrund seiner mit der ehemaligen Beklagten zu 1) bestehenden Haftungseinheit ebenfalls nach einem Anteil von 50 % zum Ersatz der den Krankenkassen entstandenen Schäden verpflichtet.

 

128 b) Die vor dem Sozialgericht Schwerin geschlossenen Prozessvergleiche beinhalten im materiell-rechtlichen Sinne Teilerlasse der beteiligten Krankenkassen in Höhe von jeweils 50 % der gegen den Kläger erhobenen Ansprüche im Sinne von § 397 Abs. 1 BGB.

 

129 Ob ein Vergleich eine Gesamtwirkung haben soll, ist durch Auslegung des Vertrages zu ermitteln. Im Zweifel kommt einem Vergleich mit einem von mehreren Gesamtschuldnern grundsätzlich keine Gesamtwirkung zu (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 7/11 -, juris Rn. 21 m.w.N.). Eine Gesamtwirkung kann aber angenommen werden, wenn sich aus dem Vergleich ausdrücklich oder den Umständen nach ergibt, dass der Gläubiger den Willen hatte, auch gegenüber den nicht am Vergleich beteiligten Gesamtschuldnern auf weitergehende Ansprüche zu verzichten und sie deshalb nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Dies ist hier unter Berücksichtigung der Umstände des Falles anzunehmen.

 

130 Die Krankenkassen haben von Beginn an nur den Kläger auf Ersatz ihrer durch die Betrugshandlungen der ehemaligen Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) entstandenen Schäden in Anspruch genommen. Gemäß § 421 Abs. 1 BGB war der Kläger verpflichtet, die ganze Leistung zu bewirken. Soweit gemäß § 421 Abs. 1 Satz 2 BGB bis zur Bewirkung der Leistung durch den Kläger auch die übrigen Gesamtschuldner verpflichtet blieben, wurden diese von den Krankenkassen bisher nicht in Anspruch genommen. Da die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) bereits seit mehreren Jahren verstrichen ist, wären die übrigen Gesamtschuldner im Falle ihrer Inanspruchnahme durch die Krankenkassen zudem gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, den Schadensausgleich zu verweigern. Folglich ist nicht anzunehmen, dass der Kläger und die Krankenkassen davon ausgegangen sind, dass mit der vergleichsweise vereinbarten Reduzierung der Schadensersatzforderungen nur der Haftungsanteil des Klägers abgegolten sein sollte. Vielmehr sollte mit dem Vergleich (auch) die Haftung der übrigen Gesamtschuldner reduziert werden, was sich auch aus dem Umstand ergibt, dass der Kläger stets – auch im hiesigen Verfahren – der Ansicht war, gegenüber den Krankenkassen überhaupt nicht zu haften, weil er seiner aus § 831 BGB ergebenden Aufsichtspflicht gegenüber der ehemalige Beklagten zu 1) nachgekommen sei.

 

131 Den vor dem Sozialgericht geschlossenen Prozessvergleichen kommt deshalb eine beschränkte Gesamtwirkung in dem Sinne zu, dass der Anspruch der Krankenkassen gegen die am Vergleich nicht Beteiligten übrigen Gesamtschuldner im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter in dem Umfang aufgehoben wird, in welchem der durch den Erlass begünstigte Kläger, der von den Krankenkassen auf den Ersatz des gesamten Schadens in Anspruch genommen worden ist, Ausgleich von den anderen Gesamtschuldner verlangen könnte.

 

132 c) Seinen in den Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen und damit auch in deren Schadensersatzforderungen enthaltenen Gewinnanteil muss der Kläger nicht anteilig von seinen jeweiligen Ausgleichsforderungen gegen die Beklagten zu 2) und 3) absetzen, sondern er kann sich diesen im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs auf den ihm verbliebenen Haftungsanteil von 25 % anrechnen.

 

133 d) Der in Höhe von 47.433,55 € begründete Zahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 3) ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, mithin seit dem 04.03.2017 zu verzinsen.

 

134 4.4. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 2) geltend gemachten Ansprüche festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von (75 % von 94.867,12 €) 71.150,34 € erledigt hat. Ferner stehen dem Kläger gegen die Beklagte zu 2) begründete Zahlungsansprüche in Höhe von (50 % von 94.867,09 €) 47.433,55 € als Gesamtschuldnerin mit dem Beklagten zu 3) und neben der ehemaligen Beklagten zu 1) und weitere (25 % von 94.867,09 €) 23.716,77 € als Gesamtschuldnerin neben der ehemaligen Beklagten zu 1) zu.

 

135 Die gegen die Beklagte zu 2) begründete Forderung in Höhe von insgesamt (47.433,55 + 23.716,77) 71.150,32 € ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.02.2017 zu verzinsen.

 

136 5. Den Antrag festzustellen, dass die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner neben der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der Abrechnung der von der Beklagten zu 2) und der gesondert in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) in der Zeit vom 13.09.2012 bis zum 16.08.2013 durch die Erstellung, Entgegennahme und Belieferung fingierter Hilfsmittelrezepte der Medikamente Genotropin, Testosteron, Ibu 600, Zopiclon, Spiropent, Cipralex, Tilidin, Travex oder Zolpidem entstand und künftig noch entstehen wird, hat das Landgericht zu Recht abgewiesen.

 

137 Zwar hat der Kläger aufgezeigt, dass die ehemalige Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) durch die Betrugshandlungen zahlreiche weitere Krankenkassen geschädigt haben. Voraussetzung für den Feststellungsanspruch ist indes, dass seine Inanspruchnahme aufgrund der gefälschten Verordnungen durch weitere Krankenkassen möglich ist. Das ist nicht mehr der Fall.

 

138 a) Mangels anderweitigen Vortrags des Klägers ist davon auszugehen, dass die strafbaren Handlungen der Beklagten zu 1) und 2) jedenfalls im Zeitpunkt der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin beendet waren. Die Auflistung des Klägers in seiner Berufungsbegründung endet dementsprechend im August 2013. Etwaige Ansprüche der anderen Krankenkassen (vgl. Bl. 26 d.A.) sind daher verjährt, was zur Folge hat, dass der Kläger und auch die übrigen Gesamtschuldner gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt sind, den Schadensausgleich gegenüber diesen Krankenkassen zu verweigern.

 

139 Der Einwand des Klägers, es komme für den Verjährungsbeginn auf die subjektive Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des anspruchsberechtigten Dritten an, erweist sich nicht als durchgreifend, denn die von ihm zur Begründung seines Feststellungsanspruches aufgelisteten weiteren Abrechnungen anderer Krankenkassen, aus denen sich die Befürchtung der Geltendmachung von Rückforderungen ergebe, entspricht dem in der Anklageschrift vom 09.10.2014 zum Az. 176 Js 24791/13 dargestellten Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Schwerin. Dass die betroffenen Krankenkassen seinerzeit keine Kenntnis von diesen Ermittlungen und den Ermittlungsergebnissen erlangt haben, ist auszuschließen.

 

140 b) Dass eine Retaxierung durch die Krankenkassen, d.h. eine Aufrechnung der ohne Rechtsgrund gezahlten Vergütungen im Wege der Aufrechnung gegen spätere Forderungen aus Arzneimittellieferungen droht, hat der Kläger nicht vorgetragen.

 

141 aa) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet § 129 SGB V im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an die Versicherten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R -, juris). Sofern die abgebenden Apotheken die gesetzlichen Vorschriften einhalten, erwerben sie im Gegenzug einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkasse.

 

142 Für Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen gegen Apotheker aus rechtsgrundlos erfolgten Vergütungszahlungen ist der aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch einschlägig, der sich in weitgehender Analogie zu den §§ 812 BGB entwickelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 – B 3 KR 21/03 R -, juris Rn. 16). Der Rückerstattungsanspruch wird regelmäßig durch die sog. Taxberichtigung geltend gemacht. Die jeweilige Retaxierung stellt dem Erklärungswert nach lediglich eine Aufrechnung dar, nicht aber eine hoheitliche Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 3 KR 2/05 R -, juris Rn. 14). Dies entspricht auch dem zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV (VE) und dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband eV (AEV) einerseits und dem – für die Landesapothekerverbände handelnden – Deutschen Apothekerverband eV (DAV) andererseits abgeschlossenen, bundesweit geltenden Arzneilieferungsvertrag (ALV) vom 4. Mai 1995 (i.d.F. vom 1. Januar 1999) (vgl. BSG, Urteil vom 3. August 2006 – B 3 KR 6/06 -, juris Rn. 13).

 

143 bb) Grundsätzlich stünde zwar die Verjährung der Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen einer solcher Aufrechnung nicht entgegen. Denn die Regelung aus § 390 BGB, wonach mit einer Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht aufgerechnet werden kann, betrifft nur materielle, nicht aber Prozesseinreden (Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 390 Rn. 1, 2), mithin auch nicht die Einrede der Verjährung (vgl. a.a.O., § 214 Rn. 2).

 

144 cc) Der Senat geht indes davon aus, dass hier eine Retaxierung durch die vom Kläger aufgelisteten Krankenkassen wegen Zeitablaufs von mehr als zehn Jahren nicht mehr möglich ist.

 

145 Die vom Beklagten zu 3) benannte rechtliche Grundlage – § 17 Abs. 1 des damals geltenden Arzneilieferungsvertrags (i.d.F. vom 01.08.2013), wonach eine Retaxation nur innerhalb einer Ausschlussfrist von 12 Monaten möglich ist –, gilt zwar für das Land Hessen. Mangels anderweitigen Vortrags des Klägers geht der Senat aber davon aus, dass es auch in Mecklenburg-Vorpommern eine Frist für Rechnungskorrekturen gibt, da die auf der Grundlage des § 129 SGB V geschlossenen diversen Arzneilieferungsverträge als Landesverträge (§ 129 Abs 5 SGB V) zwar in der Regel länderbezogen, teilweise aber auch mit für alle Länder gleichem Inhalt und somit bundesweit abgeschlossen worden sind. Danach beträgt die Retaxierungsfrist für Primärkassen (z.B. AOK) meistens 12 Monate. Für alle Ersatzkassen gilt eine Retaxierungsfrist von 12 Monaten, wobei zu beachten ist, dass diese Frist meist bis zu X Monaten nach Ende des Kalendermonats beginnt, in dem die Lieferung erfolgte.

 

146 Dass für das Land Mecklenburg-Vorpommern keine entsprechende vertragliche Ausschlussfrist für Retaxierungen von 12 Monaten gilt, die in Arzneilieferverträgen nach § 129 SGB V zulässig vereinbart werden können (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R -, Rn. 36), hat der Kläger nicht behauptet, obwohl – jedenfalls im Hinblick auf den vom Beklagten zu 3) erhobenen Einwand der Ausschlussfrist von 12 Monaten – ein entsprechender Vortrag zur schlüssigen Darlegung eines begründeten Feststellungsanspruchs erforderlich gewesen wäre.

 

147 c) Letztlich gilt für alle in der Auflistung des Klägers erfassten Krankenkassen, dass sie gemäß § 242 BGB ihr Recht verwirkt haben, ihre Forderungen wegen der weiteren Schäden, die sie durch die bis August 2013 begangenen betrügerischen Handlungen der ehemaligen Beklagte zu 1) und der Beklagten zu 2) erlitten haben, gegen den Kläger geltend zu machen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 242 Rn. 87). Der Kläger selbst verweist zu Recht auf die generelle Pflicht der Krankenkassen zum ordnungsgemäßen Umgang mit den Mitgliedsbeiträgen, die verletzt sein könnte, sollten diese falsche Abrechnungen von Apothekern dulden. Er muss daher, nachdem die fingierten Verordnungen vor über zehn Jahren ausgestellt und abgerechnet wurden, nicht mehr mit Rückforderungen seitens der anderen geschädigten Krankenkassen rechnen.

 

148 6. Dem Kläger steht gegen die Beklagten zu 2) und 3) kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten zu.

 

149 Das erstinstanzliche Urteil ist insoweit widersprüchlich, als das Landgericht einerseits einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2) aus unerlaubter Handlung zutreffend verneint, andererseits aber einen Anspruch auf Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 263 StGB, 826 BGB bejaht.

 

150 Da die Beklagte zu 2) und der Beklagte zu 3) lediglich im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs haften, könnte der Kläger den Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nur als Verzugsschaden beanspruchen. Dass sich die Beklagte zu 2) und/oder der Beklagte zu 3) im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts durch ihn in Zahlungsverzug befunden hat, hat er nicht dargelegt und ist auch sonst nicht festzustellen.

 

III.

 

151 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO, und zwar erstinstanzlich ausgehend von einem Streitwert von bis zu 200.000,00 € und für die Berufungsinstanz ausgehend von einem Streitwert von bis zu 112.000,00 €.

 

152 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 9, 711 ZPO.

 

153 Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

154 Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 48 GKG. Der Wert setzt sich zusammen aus dem Wert der restlichen Hauptforderung mit bis 95.000,00 €, den des Feststellungsantrages betreffend die Ersatzpflicht für künftige materielle Schäden mit 10.000,00 € und den Wert für die einseitige Teilerledigungserklärung, den der Senat ausgehend von dem Kosteninteresse des Klägers entsprechend der Höhe des auf den erledigt erklärten Teil der Hauptsache entfallenden Kostenbetrages (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2018 – VI ZB 26/17 -, juris Rn. 7 m.w.N.). mit bis zu 7.000,00 € bemisst.