Befreiungsvoraussetzung für die Versicherungspflicht bei pharmazeutischen Berufen
Sozialgericht München, Urteil vom 21. März 2016

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: S 15 R 10/16

SGB VI § 6 Abs. 4 Satz 1; SGG § 54 Abs. 2; BApO § 2 Abs. 3

Leitsätze des Gerichts:

1. Die von der Beklagen aufgestellte Befreiungsvoraussetzung, dass die Approbation als Apotheker zwingende Voraussetzung für die Ausübung einer apothekerlichen Tätigkeit sein muss, lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ableiten. Sie führte dazu, dass alleine Tätigkeiten in einer öffentlichen oder einer Krankenhaus Apotheke befreiungsfähig wären. (amtlicher Leitsatz)

 

2. Eine Befreiung ist vielmehr für alle Tätigkeiten zu erteilen, die zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehören. (amtlicher Leitsatz)

 

3. Die Voraussetzungen dafür sind anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. (amtlicher Leitsatz)

 

4. Die Betreuung von Pharmazie Famulanten oder Praktikanten spricht für eine zum Kernbereich einer apothekerlichen Tätigkeit gehörenden Berufsausübung. (amtlicher Leitsatz)

 

5. Anschluss an SG München Urteil vom 5. Februar 2015 S 15 R 928/14 juris. (amtlicher Leitsatz)

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Wirkung ab dem 01.01.2011.

 

Die im Jahre 1978 geborene Klägerin wurde mit Bescheid vom 13.07.2004 für ihre Tätigkeit als Pharmaziepraktikantin mit Wirkung ab dem 17.05.2004 befreit. Mit Antrag vom 14.10.2013 beantragte sie erneute Befreiung für die ab dem 01.10.2013 neu aufgenommene Tätigkeit als Apothekerin bei der Fa. R. Diagnostics GmbH (nunmehr: R.) in E.Stadt. Am 18.10.2013 wurde seitens der Bayerischen Apothekerversorgung bestätigt, dass die Klägerin seit dem 01.06.2007 Kammermitglied und Mitglied des Versorgungswerks ist.

 

Dem Antrag beigefügt war der Arbeitsvertrag zwischen der Fa. R. und der Klägerin vom 05.09.2013. Danach ist die Klägerin befristet bis zum 30.06.2015 als Study Manager Clinical Operations beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis wurde mit Stichtag vom 01.02.2015 unbestimmt verlängert. In der Stellenbeschreibung der Fa. R. wird unter anderem ausgeführt, dass die Klägerin das Studiendesign in Zusammenarbeit mit internen und externen Experten entwickelt, verantwortlich ist für die pharmakologischen Aspekte und Arzneimittelinteraktionen in Studien, die in E.Stadt durchgeführt werden (pharmazeutische Beraterin) und Trainings für F- Associates (CRAs) und für Studienzentren (d. h. im allgemeinen die an der Studie beteiligten Kliniken) bzgl. pharmakologischer Aspekte und Arzneimittelinteraktionen im Hinblick auf die Studienprojekte durchführt. Weiter stellt die Klägerin zum Beispiel sicher, dass alle Studien kompetent und in Einvernehmen mit den vereinbarten Zeit- und Kostenrahmen geplant, durchgeführt, begleitet, überprüft, fertiggestellt und dokumentiert werden. Sie betreut und leitet Pharmaziepraktikanten während des praktischen Jahres an. Als Qualifikation wird eine naturwissenschaftliche oder medizinische Promotion, ein Studium der Naturwissenschaften, der Pharmazie oder Biomedizin oder gleichwertige Qualifikationen im Bereich Labordiagnostik vorausgesetzt. Auch eine vorangehende Tätigkeit als Krankenpfleger sei ausreichend. Idealerweise sollte der Bewerber Erfahrung in einem pharmakologischen, biochemischen oder biophysikalischen Tätigkeitsfeld mit Detailwissen im Bereich der Diagnostik (zum Beispiel Koagulation, Homöostase) haben und Kenntnis der maßgeblichen Standards und Regelungen für klinische Studien und Durchführung in einem Labor besitzen. Drei bis fünf Jahre Erfahrung in allen Stadien des internationalen klinischen Studienmanagements sowie besonderes Wissen in einem therapeutischen oder in einem diagnostischen Bereich werden ebenso wie statistisches Wissen erwünscht. Zudem ist verhandlungssicheres Englisch Voraussetzung.

 

Die Bayerische Landesapothekenkammer (Beigeladene zu 1.) hat am 21.10.2013 Stellung genommen. Die in der Stellenbeschreibung beschriebene Tätigkeit sei nach dem Verständnis der Kammer eine auch im Berufsbild der Bundesapothekerkammer umschriebene pharmazeutische Tätigkeit, die nicht nur in öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken ausgeübt werden könne, sondern auch im Bereich der Verwaltung oder pharmazeutischen Industrie. Die Klägerin sei beitragsrechtlich in der Beitragsgruppe der pharmazeutisch tätigen Mitglieder gemäß § 3 Abs. 2 der Beitragsordnung einzustufen.

 

Vorgelegt wird ferner ein von der Bundesapothekerkammer erarbeitetes Skript zum Berufsbild des Apothekers. Danach stehen im Mittelpunkt der Tätigkeit des Apothekers in der pharmazeutischen Industrie die Entwicklung neuer Wirkstoffe, Darreichungsformen und Arzneimittel, die Zulassung neuer Arzneimittel, die Herstellung und Qualitätssicherung der Arzneimittel sowie die Erstellung der Informationen über Arzneimittel. Dabei übernehmen der Apotheker die Funktion des Herstellungsleiters, Kontrollleiters, Vertriebsleiters, Informationsbeauftragten, Stufenplanbeauftragten oder Pharmaberaters nach dem Arzneimittelgesetz sowie die Funktion des GMP- bzw. Qualitätssicherungsbeauftragten und der Qualified Person. (Vergleiche Blatt 18 der Verwaltungsakte). Eine weitere Umschreibung des Tätigkeitsbereichs erfolgt auf den nachfolgenden zwei Seiten (Blatt 18a und 19 der Verwaltungsakte).

 

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.07.2014 wurde die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung der Klägerin als Studienmanagerin ab dem 01.10.2013 abgelehnt, da es sich hierbei um keine berufsspezifische Tätigkeit als Apothekerin handeln würde. Nach der Rechtsprechung praktisch aller Landessozialgerichte liege eine befreiungsfähige Apothekertätigkeit nur vor, wenn die Tätigkeit objektiv zwingend die Approbation als Apotheker voraussetze und gleichzeitig dem typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden Hochschulabschluss geprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich des Apothekers entspreche. Eine berufsspezifische Tätigkeit sei nicht bereits gegeben, wenn noch Kenntnisse und Fähigkeiten der pharmazeutischen Ausbildung mitverwendet würden, vielmehr müsse es sich um eine approbationspflichtige Tätigkeit handeln.

 

Nach der Stellenbeschreibung vom 13.09.2013 sei für die Tätigkeit als Studienmanagerin eine Approbation als Apothekerin nicht unabdingbare Voraussetzung. Auch die Ausbildung als Krankenpfleger oder das Studium der Naturwissenschaften bzw. Biowissenschaften oder eine gleichwertige Qualifikation im Bereich der Labordiagnostik sei eine mögliche Qualifikation für diese Tätigkeit.

 

Mit Widerspruch vom 06.08.2014 machte die Klägerin geltend, dass ihre Tätigkeit berufsspezifisch sei. Sie würde ausschließlich bzw. weit überwiegend Tätigkeiten ausüben, die dem Berufsbild des Apothekers entsprechen. Sie sei verantwortlich für die pharmakologischen Aspekte und Arzneimittelstudien sowie für die Betreuung und Anleitung von Pharmaziepraktikanten. Diese Tätigkeiten dürften ausschließlich Apotheker ausüben. Sie trage Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung sämtlicher von ihr begleiteten Studien ihres Arbeitgebers.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Befreiung von der Versicherungspflicht sei tätigkeitsbezogen; nur berufsspezifische Tätigkeiten könnten befreit werden. Die Befreiungsfähigkeit beurteile sich bei Apothekern danach, ob für die konkrete Tätigkeit die Berufsausbildung notwendige Zugangsvoraussetzung sei. § 2 Abs. 3 der Bundesapothekerordnung (BApO) definiere als Apothekerberuf die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, diese Definition umfasse nicht allein den in einer Apotheke tätigen Apotheker, sondern auch Personen, die aufgrund der naturwissenschaftlichen Ausbildung in anderen Bereichen tätig sind und dort Verantwortung für die Sicherheit von Arzneimitteln und die Versorgung mit Arzneimitteln tragen (zum Beispiel in der pharmazeutischen Industrie). Dies setze voraus, dass zur Ausübung des Berufs eine pharmazeutische akademische Ausbildung und die Approbation als Apotheker zwingend erforderlich seien und dass zwischen der ausgeübten Tätigkeit und dem klassischen Berufsfeld ein enger sachlicher Zusammenhang bestehe. Bedenken bestünden im Hinblick auf solche Tätigkeiten, in denen pharmazeutische Fachkenntnisse verwendet werden können.

 

Die Tätigkeit als Studienmanagerin bei der Fa. R. sei nicht als berufsspezifisch anzusehen, weil diese Tätigkeit nicht zwingend die Approbation als Apothekerin voraussetze. Dies gehe eindeutig aus dem Anforderungsprofil der Stelle hervor, wonach ein erfolgreich abgeschlossenes Studium der Biomedizin, ein Studium der Naturwissenschaften oder eine gleichwertige Qualifikation im Bereich Labordiagnostik oder Krankenpflege gefordert waren. Es sei nicht ausgeschlossen, dass es bei der Ausübung der Tätigkeit dahingehend Überschneidungen gebe, als dass die pharmazeutischen Fachkenntnisse mitverwertet werden könnten. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit als Studienmanagerin nach objektiven Maßstäben eine Approbation als Apothekerin zwingend voraussetze. Ob im konkreten Einzelfall die Einstellung aufgrund der pharmazeutischen Qualifikation erfolgt sei, sei unerheblich und als rein unternehmerische Entscheidung zu werten.

 

Auch der Hinweis des Bevollmächtigten vom 18.11.2014 auf die Beteiligung an der Ausbildung von Pharmaziepraktikanten oder die Leitung diese Ausbildung führe zu keiner anderen Einschätzung. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 der Approbationsordnung für Apotheker (AAppO) müsse die Ausbildung von einem Apotheker, der hauptberuflich in der Ausbildungsstätte (hier: pharmazeutische Industrie) tätig ist, geleitet werden. Soweit diese Vorschrift wörtlich ausgelegt werde, könne diese Aufgabe nur einem Apotheker im jeweiligen Unternehmen zukommen. Bei allen weiteren Pharmazeuten, die in diesem Unternehmen tätig seien, komme es auf die Approbation nicht an. In Anbetracht dessen, dass die Beteiligung an der Ausbildung von Pharmaziepraktikanten oder die Leitung dieser Ausbildung nur eine von vielen Einzelausgaben sei, sei davon auszugehen, dass diese nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin bilde und bereits ein anderer Apotheker mit dieser Aufgabe betraut sei.

 

Mit Schriftsatz vom 04.01.2016 (Eingang am 05.01.2016) ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erheben. Die Approbation als Apothekerin sei zwingende Voraussetzung für die Tätigkeit der Klägerin. Die Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie gehöre ausdrücklich zum Berufsbild des Apothekers. Die Klägerin sei im Rahmen ihrer Tätigkeit verantwortlich für die pharmakologischen Aspekte und Arzneimittelstudien sowie die Betreuung und Anleitung/Ausbildung der Pharmaziepraktikanten. Diese Tätigkeit dürften ausschließlich Apotheker ausüben.

 

Die zwingende Notwendigkeit der Approbation beziehe sich nicht nur auf den Ausbildungsaspekt, sondern auch auf die Tätigkeit in Zusammenhang mit den von der Klägerin geleiteten und begleiteten Studien. Die Ergebnisse dieser Studien müssten unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben verwertet werden; dies sei nur möglich, wenn eine Approbation als Apotheker vorliege. Es gehe um die Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln, welche nur mit Kenntnissen eines approbierten Apothekers möglich seien. Die Beklagte habe im Hinblick auf die Berufsausübung der Klägerin lediglich Behauptungen aufgestellt. Die Beklagte habe gerade nicht eine Gesamtbewertung vorgenommen, sondern sich ausschließlich auf die Stellenbeschreibung gestützt.

 

Die Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat ergeben, das diese klinische Studien für Labortests (Planung, Durchführung und Auswertung) leitet. Die Klägerin beschäftigt sich in diesen Studien mit Labortests für Medikamente und für die Erhebung von klinischen Laborparametern mit dem Ziel, einen für die klinische Anwendung validen Wert zu erhalten. Als Beispiel nannte die Klägerin Medikamente, die auf die Blutgerinnung und solche, die auf die Abstoßungsreaktion des Immunsystems einwirken. Für diese Arbeit muss sie die Interferenz (das heißt den verfälschenden Einfluss anderer Medikamente auf das Messergebnis bezüglich der Wirksubstanz) und andere pharmazeutische Wechselwirkungen (zum Beispiel die Einwirkung von Stoffwechselprodukten der Wirksubstanz auf das Messergebnis) beurteilen. Hierzu muss die Klägerin klinisch-pharmazeutische Fragestellung beantworten, zum Beispiel wie lange die Einnahmeabstinenz des Patienten (in Bezug auf ein Medikament) sein muss, um den Messwert des gewünschten Parameters valide zu halten. Eine Fragestellung ist auch, welche Medikamenteneinnahme bei den Probanden wegen unerwünschter Wechselwirkung zum Ausschluss aus der Studie führt.

 

Die Klägerin hat zwei weitere Apothekerfachkollegen und 18 Kollegen aus anderen biomedizinischen Wissenschaften. Die oben genannten Fragestellungen werden nur von der Klägerin und ihren beiden Apothekerfachkollegen beantwortet.

 

Die Klägerin ist zudem zuständig für die Anleitung und Schulung von CRAs, die die Durchführung der Studie vor Ort (meist Kliniken) unterstützen. Die CRAs sind meist Biologen, Chemiker und MTAs. Die Klägerin hat eine fachliche Führungsposition bezüglich dieser Mitarbeiter. Die Klägerin leitet auch Pharmaziestudenten in deren Famulatur an. Sie legte ihre Approbationsurkunde vom 19.07.2005 vor.

 

Die Klägerin beantragt:

 

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.12.2015 verurteilt, die Klägerin ab dem 01.10.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit als Study Manager Clinical Operations bei der Firma R. Diagnostics GmbH zu befreien.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheids.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kl. ist durch die angegriffenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide waren aufzuheben und die Feststellung war zu treffen, dass die Klägerin mit Wirkung vom 01.10.2013 für die bei der Fa. R. ausgeübten Tätigkeit als Studienmanagerin zu befreien ist.

 

Die Befreiung ist bereits mit Beginn der Tätigkeit (01.10.2013) auszusprechen, da die Klägerin den Befreiungsantrag innerhalb der ersten drei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt hat (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI).

 

Die Klägerin ist zu befreien, da die bei R. ausgeübte Tätigkeit eine apothekerliche ist.

 

Ein Versicherter ist von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, wenn er wegen seiner Beschäftigung Pflichtmitglied in einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer war. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 Rn. 34 unter juris). Der Anknüpfungstatbestand ist hierbei die konkrete Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird.

 

Der Bundesgesetzgeber stellt mithin mit seiner Formulierung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI („wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.“) auf einen landesrechtlich geprägten Tätigkeitsbegriff ab. Die entscheidenden landesrechtlichen Rechtsvorschriften hierzu sind das Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz – HKaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 2002 sowie die Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker.

 

Gemäß Art. 53 Abs. 1 Nr. 1 HKaG sind Mitglieder der Landesapothekerkammer alle zur Berufsausübung berechtigten Apotheker, die in Bayern als Apotheker tätig sind oder ohne als Apotheker tätig zu sein, in Bayern ihre Hauptwohnung haben. Eine Legaldefinition, wann das Gesetz von einer Tätigkeit „als Apotheker“ ausgeht, fehlt. Die Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker legt auf der Grundlage des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes die Berufspflichten und die ethischen Grundsätze der Berufsausübung fest. Diese definiert auch in ihrem § 1 die apothekerliche Berufsausübung. Danach übt der Apotheker seinen Beruf in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen aus, insbesondere in der öffentlichen Apotheke, im Krankenhaus, im pharmazeutischen Großhandel, in der pharmazeutischen Industrie, in Prüfinstitutionen, bei der Bundeswehr, bei Behörden und Körperschaften, an der Universität und an Lehranstalten und Berufsschulen und ist dabei zum Dienst im Gesundheitswesen berufen. Der Auftrag des Apothekers umfasst je nach individuellem Tätigkeitsbereich die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln, insbesondere die Beratung und Betreuung der Patienten, die Beratung der Ärzte und anderer Beteiligter im Gesundheitswesen, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Umgangs mit Arzneimitteln, Forschung, Lehre und Verwaltung, die Tätigkeit als Sachverständiger sowie weitere pharmazeutische Leistungen. Er bezieht sich auch auf Medizinprodukte sowie sonstige apothekenübliche Waren und Tätigkeiten und beinhaltet auch die Mitarbeit bei qualitätssichernden und präventiven Maßnahmen. Der Apotheker hilft den Menschen dabei, ihre Gesundheit zu erhalten und Erkrankungen vorzubeugen.

 

Diese offene Definition der apothekerlichen Tätigkeit nach Landesrecht wirkt über § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unmittelbar ins Bundesrecht ein. Allerdings ist die Auffassung der Beklagten, bei der Berufsdefinition des Apothekers im Kontext der Frage nach der Befreiungsfähigkeit einer Tätigkeit auch Bundesrecht heranzuziehen, rechtsfehlerfrei. Denn die Auslegung der Tätigkeit als Apotheker kann unter Heranziehung von Bundesrecht (BApO) zulässig erfolgen (BVerwG, Urteil vom 30.01.1996, Aktenzeichen 1 C 9/93).

 

Nach § 2 Abs. 3 BApO ist Ausübung des Apothekerberufs die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung „Apotheker“ oder „Apothekerin“. Die apothekerliche Approbation im Sinne von § 2 Abs. 1 BApO ist hierbei für die Ausübung einer apothekerlichen Tätigkeit im Kontext der Kammerrechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht zwingend erforderlich (HessVGH, 29.09.1992, 11 UE 1829/90).

 

Nichts anderes gilt für die Frage der Befreiungsfähigkeit im Kontext vom § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, die gemäß der Rechtsprechung vom Bundessozialgericht wie oben dargelegt anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen ist.

 

Rechtsfehlerhaft ist in diesem Kontext die von der Bekl. aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung, dass die Approbation zwingende Voraussetzung für den Beruf in dem Sinne sein müsse, dass die Tätigkeit nur mit Approbation ausgeführt werden könne bzw. dürfe. Dies würde das befreiungsfähige Tätigkeitsprofil eines Apothekers letztlich auf die Tätigkeit in einer öffentlichen oder Krankenhausapotheke verengen, was weder mit § 2 Abs. 3 BApO noch mit der Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) in Einklang zu bringen ist. Sofern die Bekl. die Auffassung vertritt, sich hierbei auf die Judikatur der Landessozialgerichtsbarkeit, die zum Tätigkeitsprofil der Pharmaberater ergangen ist, stützen zu können, überzeugt dies nicht. Zwar wird in diesen Urteilen teilweise der missverständliche Ausdruck gebraucht, dass „die Tätigkeit als Pharmaberater nicht zwingend die Approbation als Arzt, Tierarzt bzw. Apotheker erfordert“ (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2009, Az. L 4 R 738/06, Rn. 29, juris; ähnlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09, Rn. 31, juris), andererseits wird aber in der gleichen Judikatur darauf abgestellt, ob die Tätigkeit „berufsspezifisch“ (LSG Hessen, Urteil vom 29.03.2007, Az. L 1 KR 344/04, Rn. 24, juris) bzw. „zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehört“ (LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Da die Approbation im Bereich der pharmazeutischen Industrie als Berufszugangsbedingung von Gesetz wegen nicht existiert, führte der missverständliche Ausdruck der „zwingend erforderlichen Approbation“ dazu, dass nur noch im Bereich der öffentlichen und Krankenhaus-Apotheke, für den die Approbation für die Berufsausübung vorausgesetzt wird (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über das Apothekenwesen – ApoG – bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ApoG), nicht aber für Tätigkeiten im pharmazeutisch-industriellen Komplex befreit werden könnte. Dass dies jedoch realitätsfern und sich mit den berufsständischen Vorschriften nicht in Einklang bringen lässt, zeigen bereits § 2 Abs. 3 BApO und § 1 Abs. 1 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer, die eine apothekerliche Tätigkeit im Hinblick auf die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten bzw. in der pharmazeutischen Industrie voraussetzen.

 

Die zitierte Rechtsprechung der Landessozialgerichtsbarkeit ist daher nur unter dem Gesichtspunkt mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang zu bringen, dass die zu beurteilende Tätigkeit zum Kernbereich des apothekerlichen Berufsbilds gehören muss. Dies wiederum ist anhand der einschlägigen kammerrechtlichen Vorschriften, insbesondere unter Beachtung der Berufsordnungen des jeweiligen verkammerten Berufs, zu beurteilen.

 

Dieses Prüfniveau vorausgesetzt, ist die Auffassung der Bekl., dass die Tätigkeit der Klägerin von vorneherein deswegen nicht berufsspezifisch sei, weil nach dem Stellenprofil auch andere akademische Berufe der Natur- und Biowissenschaften Zugang zu ihr haben können, rechtsfehlerhaft. Nach §§ 17-19 AAppO ist die Ausbildung der Apotheker interdisziplinär angelegt, so dass ein Zusammenarbeiten mit anderen Disziplinen (Chemiker, Biochemiker, ggf. sogar Physiker) bei der Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten im apothekerlichen Berufsbild angelegt ist und daher nicht gegen das Vorliegen einer berufsspezifischen Tätigkeit verwendet werden kann.

 

Die Klägerin ist als Studienmanagerin insbesondere für die Leitung klinischer Studien für Labortests (Planung, Durchführung und Auswertung) verantwortlich. Die Klägerin beschäftigt sich in diesen Studien mit Labortests für Medikamente und für die Erhebung von klinischen Laborparametern mit dem Ziel, einen für die klinische Anwendung validen Wert zu erhalten. Als Beispiel nannte die Klägerin Medikamente, die auf die Blutgerinnung und solche, die auf die Abstoßungsreaktion des Immunsystems einwirken. Für diese Arbeit muss sie die Interferenz (das heißt den verfälschenden Einfluss anderer Medikamente auf das Messergebnis bezüglich der Wirksubstanz) und andere pharmazeutische Wechselwirkungen (zum Beispiel die Einwirkung von Stoffwechselprodukten der Wirksubstanz auf das Messergebnis) beurteilen. Hierzu muss die Klägerin klinisch-pharmazeutische Fragestellung beantworten, zum Beispiel wie lange die Einnahmeabstinenz des Patienten (in Bezug auf ein Medikament) sein muss, um den Messwert des gewünschten Parameters valide zu halten. Eine Fragestellung ist auch, welche Medikamenteneinnahme bei den Probanden wegen unerwünschter Wechselwirkung zum Ausschluss aus der Studie führt.

 

Diese Tätigkeit benötigt profundes pharmazeutisches Wissen und ist somit dem Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit zuzuordnen. Es ist gerade nicht so, wie dies die Beklagte behauptet, dass pharmazeutisches Wissen „noch“ am Rande Verwendung findet. Dies zeigt sich auch darin, dass die oben genannten Fragestellungen nur von den Apothekerfachkollegen beantwortet werden.

 

Für eine apothekerliche Tätigkeit spricht zudem die Leitung der Famulatur von sich in Ausbildung befindenden Pharmaziestudenten. Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 AAppO bzw. gemäß § 4 Abs. 2 S. 4 AAppO erfolgen Famulatur und praktische Ausbildung unter Leitung eines Apothekers, wobei ausdrücklich geregelt ist, dass beide praktischen Bestandteile der Ausbildung in der pharmazeutischen Industrie ausgeübt werden können (§§ 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 c AAppO ). Die Auslegung der Beklagten, dass das Gesetz damit einen Apotheker im numerischen Sinne meint und alle anderen Apotheker in einem pharmazeutischen Betrieb daher nicht mehr ausbildungsberechtigt seien, ist nicht überzeugend. Alleine die schiere Anzahl von Mitarbeitern in einem großen pharmazeutischen Betrieb (Fa. H.-La R. 91.000 Mitarbeiter gem. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Hoffmann-La_ R.) macht die Vorstellung, dass ein Apotheker für die Ausbildung junger Pharmazeuten verantwortlich zeichnet, abwegig. Zudem ist diese Auslegung auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar. Dieser ist so zu verstehen, dass die Güte der Ausbildung durch die Leitung durch einen Apotheker gewährleistet sein soll, nicht aber, dass nur ein einziger Apotheker in einem Betrieb für die Ausbildung verantwortlich zeichnen darf. Für eine solche Auslegung gibt es schon keinen Anhalt im Wortlaut.

 

Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.