Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 13 A 3079/15
BtMG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 6; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 4, Art. 6 Abs. 1 GG; MRK Art 8, Art. 2
Leitsätze des Gerichts:
1. Der Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegen.
2. Ein Anspruch auf Zugang zu tödlichen Betäubungsmitteln zur Durchführung eines Suizids mittels einer behördlichen Erlaubnis steht zu den Wertungen des Gesetzgebers, wie sie in dem Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des neuen § 217 StGB (erneut) zum Ausdruck gekommen sind, in Widerspruch.
3. Ein Anspruch des Einzelnen auf staatliche Hilfe zur Umsetzung eines Suizidwunsches auf eine konkrete Art und Weise lässt sich unmittelbar aus den Grundrechten oder aus den Rechten der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ableiten.
1 Die 1944 geborene Klägerin zu 1. und der 1937 geborene Kläger zu 2. sind seit dem Jahr 1968 verheiratet. Sie haben drei erwachsene Söhne und mehrere Enkelkinder. Sie leben beide im Ruhestand.
2 Mit Schreiben vom 12. Juni 2014 beantragten sie gegenüber dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Abgabe von jeweils 15 g Natrium- Pentobarbital zum Zweck der Durchführung eines gemeinsamen Suizids. Zur Begründung führten sie aus, sie befassten sich seit langem mit der Idee des selbstbestimmten Sterbens, der Kläger zu 2. habe hierzu auch mehrere Publikationen verfasst. Sie hätten im Freundes- und Bekanntenkreis schlimme Schicksale miterleben müssen. Sie hätten zusehen müssen, wie Menschen mit einer Krebserkrankung qualvoll gestorben seien, und hätten gesehen, wie verheerend sich ein jahrelanger demenzieller Verfall auswirken könne. Ihr Bestreben sei es, dass ihnen ein solches Schicksal erspart bleibe. Sie hätten gemeinsam eine schöne und erfüllte Zeit erlebt und wünschten sich, keinen beschwerlichen Lebensabend zu haben und den Lebensabend auch nicht ohne den anderen verbringen zu müssen. Insbesondere bei dem Kläger zu 2. hätten seit dem Jahr 2011 die körperlichen und geistigen Kräfte nachgelassen. Ähnliche Symptome hätten sich, wenn auch in geringerem Ausmaß, bei der Klägerin zu 1. gezeigt. Seit Sommer 2013 habe sich deshalb der Wunsch konkretisiert, das Leben gemeinsam zu beenden. Sie sähen keinen Sinn darin, ihrem eigenen Verfall zuzusehen. Ihr Leben solle in einem Zeitpunkt enden, in dem sie noch handlungsfähig seien und in dem sie noch von einem rundherum gelungenen Leben sprechen könnten. Sie stünden niemandem gegenüber mehr in der Pflicht.
3 Ihrer Auffassung nach habe der Staat dafür Sorge zu tragen, dass Bürger den freiwilligen Selbsttod ohne unzumutbare Risiken, ohne Schmerzen und ohne Zwang wählen dürften. Das Grundgesetz als rechtliche Grundlage des Zusammenlebens gebiete es, dem Einzelnen diese Freiheit unter menschenwürdigen Umständen zu ermöglichen. Dies ergebe sich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 6 GG. Zudem sei der Staat nach Art. 8 EMRK verpflichtet, das Privatleben seiner Rechtsunterworfenen zu achten. Zu diesem Privatleben gehöre auch das Recht, das eigene Leben zu beenden. Diese im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Rechte dürften nicht nur theoretisch gewährt werden, sondern müssten wirksam und praktisch sein. Die Bürger dürften nicht an der Ausübung des Rechts, das eigene Leben schmerzfrei und ohne Risiko zu beenden, gehindert werden, indem ihnen dieses Recht zwar als abstrakter Anspruch offen gehalten, faktisch aber jeglicher Zugang zu sicheren und schmerzlosen Suizidmitteln verweigert werde.
4 Ihre Entscheidung sei über viele Jahre herangereift und wohlerwogen. Ihre Geschäftsfähigkeit hätten zwei Psychiater bestätigt.
5 Ihrem Antrag fügten die Kläger die genannten psychiatrischen Gutachten von PD Dr. med. K. F. T. vom 15. Januar 2014 und von Dr. med. X. U. vom 23. März 2014 bei, in denen jeweils die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Kläger im Hinblick auf einen Suizid begutachtet werden.
6 Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 lehnte das BfArM den Antrag der Kläger auf Erteilung von Erlaubnissen nach § 3 BtMG zum Erwerb von jeweils 15 g Natrium- Pentobarbital zu Suizidzwecken ab. Er sei unbegründet, weil der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG der Erteilung der Erlaubnis entgegenstehe. Eine Erlaubniserteilung zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung verstoße gegen den Gesetzeszweck, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Diesen Zweck erfüllten nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 13. Mai 2014 (7 K 254/13) nur solche Verwendungen eines Betäubungsmittels, die therapeutischen Zwecken dienten, nicht aber solche, die gegen das Leben selbst gerichtet seien. Die Ausführungen der Kläger zum Grundgesetz und zur Europäischen Menschenrechtskonvention führten im Rahmen der betäubungsmittelrechtlichen Regelungen nach der aktuellen Rechtsprechung nicht zu einer anderen Entscheidung. Soweit die Kläger hilfsweise die Gestattung der Verschreibung des Betäubungsmittels durch Ärzte und die Abgabe durch Apotheker begehrten, sei der Antrag bereits unzulässig. Es fehle an der Antragsbefugnis der Kläger, soweit es um die Abgabe des Betäubungsmittels auf Verschreibung durch einen Apotheker gehe.
7 Hiergegen legten die Kläger am 31. Oktober 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie aus, dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht gegeben sei. Auch die Abgabe eines Betäubungsmittels zu lebensvernichtenden Zwecken unterfalle der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Die medizinische Versorgung am Lebensende müsse auch der Vermeidung von Krankheit und Leiden dienen und respektieren, dass sie, die Kläger, ihr Leben beenden wollten. Selbst wenn das Betäubungsmittelgesetz im Sinne der Beklagten verstanden werden sollte, so verstoße ein derartiges Verständnis gegen das Grundgesetz und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Würde und das Selbstbestimmungsrecht des Menschen geböten es, ihrem Antrag stattzugeben. Sie, die Kläger, müssten nicht begründen, aus welchen Gründen sie ein Betäubungsmittel zum Zweck des Suizids erwerben wollten, vielmehr müsse der Staat argumentieren, warum der Erwerb nicht erfolgen könne. Der Staat habe ihren Wunsch zu respektieren. Weil er es versäumt habe, die Abgabe von Betäubungsmitteln zu lebensvernichtenden Zwecken einem Kontrollverfahren zu unterwerfen oder Ausnahmetatbestände zu schaffen, sei die Abgabe uneingeschränkt zulässig.
8 Durch Widerspruchsbescheid vom 28. November 2014, den Bevollmächtigten der Kläger zugestellt am 3. Dezember 2014, wies das BfArM den Widerspruch zurück. Unter Verweis auf den Ausgangsbescheid hielt das BfArM an seiner Auffassung fest, dass der Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Pentobarbital-Natrium der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegenstehe, der auch nicht durch eine Auslegung im Lichte des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention überwunden werden könne.
9 Am 2. Januar 2015 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Da es weder im niedergelassenen Arztbereich noch in Krankenhäusern oder auf privater Ebene die Möglichkeit gebe, ihr Leben auf die begehrte Art und Weise zu beenden, und der Gesetzgeber bislang untätig geblieben sei, bleibe ihnen lediglich die Möglichkeit, Suizid auf brutale Art und Weise und unter belastender Einbeziehung Dritter zu begehen, andernfalls sie ihr Vorhaben im Ausland durchsetzen müssten. Sie seien der Auffassung, dass dies von ihnen nicht verlangt werden könne. Aus grundrechtlichen Erwägungen sowie aus Art. 8 EMRK stehe ihnen ein Anspruch auf Selbstbestimmung am Lebensende zu, den der deutsche Gesetzgeber zu achten habe und den er nicht dadurch beeinträchtigen dürfe, indem er ihnen die Möglichkeit verwehre, ihr Suizidvorhaben umzusetzen.
10 Die Kläger haben beantragt,
11 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014 zu verpflichten,
12 den Erwerb von jeweils 15 g Natrium- Pentobarbital jeweils zum Zweck der Durchführung eines Suizids zu gestatten,
13 hilfsweise, den Erwerb von jeweils 15 g Natrium- Pentobarbital zum Zwecke der Durchführung eines begleiteten Suizids zu gestatten,
14 hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, dass sie jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital von Ärzten verschrieben und von Apothekern ausgehändigt erhalten,
15 weiter hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital von Ärzten verschrieben und Apothekern für die Durchführung eines begleiteten Suizids ausgehändigt bekommen zu dürfen, insbesondere zur Durchführung eines jeweiligen Suizids in Begleitung/ Obhut eines in Deutschland bestehenden Vereins, der Gewähr für die Durchführung von Freitodbegleitungen bietet, sofern dieser erklärt, dafür Gewähr zu leisten, dass das Mittel jeweils lediglich zum Zwecke der Durchführung eines gemeinsamen oder jeweils einzelnen Suizids der Antragsteller eingesetzt wird,
16 weiter hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, dass Ärzte ihnen zum Zwecke der Durchführung eines Suizids jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital verschreiben und Apotheker ihnen aus-händigen dürfen zu Händen eines Notars, sofern dieser gegenüber dem Arzt und Apotheker die notarielle Erklärung dafür abgibt, Gewähr zu leisten, dass die Antragsteller einzeln oder gemeinsam ihm gegenüber erklärt haben, das Mittel zur Durchführung eines Suizids erhalten zu wollen.
17 Die Beklagte hat beantragt,
18 die Klage abzuweisen.
19 Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig, soweit die Kläger die Erteilung einer Erlaubnis zur Abgabe oder zur Verschreibung von Pentobarbital- Natrium durch Dritte beantragt hätten. Insoweit fehle es an der Klagebefugnis der Kläger. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, weil der begehrten Erlaubniserteilung der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegenstehe. Die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung beinhalte die Heilung von Krankheiten oder die Linderung von belastenden Symptomen wie zum Beispiel Schmerzen oder Luftnot. Die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels, das der Selbsttötung dienen solle, lasse das Betäubungsmittelgesetz dagegen nicht zu. Ein Verstoß gegen Grundrechte oder gegen Art. 8 EMRK liege nicht vor.
20 Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 1. Dezember 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage habe sowohl mit dem Haupt- als auch mit den Hilfsanträgen, mit denen bestimmte Modalitäten der Beschaffung des begehrten Betäubungsmittels beschrieben würden, keinen Erfolg. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der gemeinschaftlichen oder getrennten Selbsttötung. Dieser Anspruch bestehe auch nicht, wenn der Erwerb mit den Sicherungsmaßnahmen erfolge, die mit den Hilfsanträgen beschrieben seien. Für den Erwerb des Mittels sei gemäß § 3 Abs. 1 BtMG eine Erlaubnis des BfArM erforderlich, da es sich um ein in der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführtes Betäubungsmittel handele. Der Erteilung der erforderlichen Erlaubnis stehe aber der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegen. Die von den Klägern erstrebte Nutzung des Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung sei mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes nicht vereinbar. Diese Verwendung sei jedenfalls kein Bestandteil der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung, die nur die therapeutische Behandlung umfasse, d. h. den Einsatz von Betäubungsmitteln zum Zweck der Heilung von Krankheiten oder Linderung von Schmerzen oder anderen Beschwerden. Dies schließe auch die Verwendung von Betäubungsmitteln im Rahmen der palliativen Versorgung von sterbenden Schmerzpatienten ein, selbst wenn der Eintritt des Todes hierdurch unabsichtlich beschleunigt werde. Die zielgerichtete Herbeiführung des eigenen Todes gehöre jedoch nicht zur notwendigen medizinischen Versorgung.
21 Diese Annahme werde nunmehr gestützt durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch Beschluss des Deutschen Bundestages am 6. November 2015. Auch wenn mit diesem Gesetz das Betäubungsmittelgesetz nicht geändert worden sei, habe die Entscheidung eine Abwägung des Gesetzgebers zwischen den betroffenen Rechtsgütern, nämlich dem Selbstbestimmungsrecht des Suizidwilligen einerseits und dem Schutz des Lebens von verletzbaren Personengruppen andererseits erfordert. Die Bewertung des Gesetzgebers in dieser Abwägungsfrage könne im Sinne einer Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch zur Auslegung der Bestimmung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG herangezogen werden. Der Gesetzgeber habe es als erforderlich angesehen, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod einzuschränken. Ein Anspruch auf Zugang zu tödlichen Betäubungsmitteln mittels einer behördlichen Erlaubnis stünde zur Zielsetzung des Gesetzgebers in einem unauflöslichen Wertungswiderspruch. Das neue Gesetz habe eine Verbreitung des Suizids als eine gleichwertige Option neben dem natürlichen Tod gerade verhindern wollen.
22 Das restriktive Verständnis des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK oder gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 oder Art. 6 GG. Aus diesen Schutzgarantien und Grundrechten folge auch keine Pflicht des Gesetzgebers, einen "Ausnahmetatbestand" für die Fälle eines autonomen Suizidentschlusses und entsprechende Verfahrensregeln für die Erteilung einer Erlaubnis durch das BfArM festzulegen. Die Verweigerung des Zugangs zu einem tödlichen Betäubungsmittel verletze nicht die aus Art. 8 EMRK folgenden Schutzpflichten des Staates. Die gesetzliche Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG halte sich im Rahmen des dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zustehenden Ermessensspielraums bei der Abwägung der unterschiedlichen betroffenen Interessen. Ein Recht auf Hilfe des Staates zu einer bestimmten selbstgewählten Form des Suizids folge auch nicht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG oder unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG. Art. 4 GG sei nicht verletzt, es liege kein Eingriff in den Schutzbereich vor. Die Verwirklichung einer Selbsttötung könne nicht als Ausübung einer Religion oder Weltanschauung eingeordnet werden. Art. 6 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Aus diesem Grundrecht folge kein Recht zur Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Suizid eines Ehepartners oder durch gemeinschaftlichen Suizid.
23 Gegen das Urteil haben die Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung tragen sie – ihr bisheriges Vorbringen erneut wiederholend und vertiefend – im Wesentlichen vor: Sie hätten einen Anspruch auf Abgabe des beantragten Mittels, weil ein Versagungsgrund nicht gegeben sei. Es gehöre zur notwendigen medizinischen Versorgung, sie mit dem beantragten Mittel zu versorgen. Sie seien auf diese medizinische Versorgung angewiesen, um ihr Lebensende möglichst schonend wie von ihnen gewünscht zu gestalten. Im Gesetz sei nicht geregelt, dass die Abgabe medizinischer Versorgungsmittel nicht auch zu lebensbeendenden Zwecken bzw. am Lebensende erfolgen dürfe. Gerade am Lebensende, im Rahmen palliativer Versorgung, würden Betäubungsmittel Verwendung finden. Das vom Verwaltungsgericht herangezogene Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung tangiere ihr Begehren nur indirekt. Sie wollten keine geschäftsmäßige Hilfe Dritter annehmen, sondern vielmehr eigenhändig Suizid begehen. Der neue § 217 StGB stelle zudem nur die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Ein Vorgehen, wie sie es anstrebten, sei also nicht strafbar und damit zulässig. Die Zulässigkeit der Selbsttötung erfordere aber, dass der Staat den Betroffenen den Zugang zu den dafür notwendigen Mitteln nicht verweigere. Die Gefahr einer gesellschaftlichen Normalisierung der Sterbehilfe bestehe schon angesichts der hohen Hemmschwelle hinsichtlich einer Selbsttötung nicht. Der vom Staat zu gewährleistende Lebensschutz finde seine Grenze am wohlerwogenen, von einem klaren Verstand getragenen Sterbewillen, jedenfalls dann, wenn der Betreffende sich, wie sie, aus seinen Solidarpflichten gegenüber der Gesellschaft als entlassen betrachten dürfe. Es stehe mit dem deutschen Verfassungsrecht nicht in Einklang, wenn es einem Sterbewilligen verwehrt werde, an ein geeignetes Suizidmittel zu gelangen, mit dessen Hilfe er seinem Leben ein humanes Ende setzen könne. Das vom Verwaltungsgericht angesprochene staatliche Ermessen habe der Staat vorliegend gar nicht ausgeübt, sondern ausnahmslos das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens vereitelt. Regelungen zur Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende fehlten in Deutschland. Anders als das Verwaltungsgericht meine, sei auch Art. 6 GG berührt, wenn die Eheleute nach einer gemeinsamen Lösung am Lebensende suchten und diese staatlicherseits vereitelt werde.
24 Die Kläger beantragen,
25 unter Abänderung des angegriffenen Urteils
26 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014 zu verpflichten,
27 den Erwerb von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital jeweils zum Zwecke der Durchführung eines Suizids zu gestatten,
28 hilfsweise, den Erwerb von jeweils 15 g Natrium- Pentobarbital zum Zwecke der Durchführung eines begleiteten Suizids zu gestatten,
29 hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, dass sie jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital von Ärzten verschrieben und von Apothekern ausgehändigt erhalten,
30 weiter hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital von Ärzten verschrieben und Apothekern für die Durchführung eines begleiteten Suizids ausgehändigt bekommen zu dürfen, insbesondere zur Durchführung eines jeweiligen Suizids in Begleitung/ Obhut eines in Deutschland bestehenden Ver-eins, der Gewähr für die Durchführung von Freitodbegleitungen bietet, sofern dieser erklärt, dafür Gewähr zu leisten, dass das Mittel jeweils lediglich zum Zweck der Durchführung eines gemeinsamen oder jeweils einzelnen Suizids der Antragsteller eingesetzt wird,
31 weiter hilfsweise, den Antragstellern zu gestatten, dass Ärzte ihnen zum Zwecke der Durchführung eines Suizids jeweils 15 g Natrium- Pento-barbital verschreiben und Apotheker ihnen aus-händigen dürfen zu Händen eines Notars, sofern dieser gegenüber dem Arzt und Apotheker die notarielle Erklärung dafür abgibt, Gewähr zu leisten, dass die Antragsteller einzeln oder gemeinsam ihm gegenüber erklärt haben, das Mittel zur Durchführung eines Suizids erhalten zu wollen.
32 Die Beklagte beantragt,
33 die Berufung zurückzuweisen.
34 Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG hätten, weil der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegenstehe. Die Erteilung einer Erlaubnis zum Zweck der Selbsttötung diene nicht der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Das verwendete Wort "medizinisch" stelle klar, dass der Zweck des Gesetzes die Versorgung der Bevölkerung mit Betäubungsmitteln sei, welche im Rahmen und nach den Regeln der ärztlichen Heilkunst angewendet würden. Die ärztliche Heilkunst sei jedoch immer auf die Heilung von Krankheiten oder zumindest die Linderung von Krankheitssymptomen gerichtet, niemals aber auf die Beendigung des Lebens. Dieses Verständnis des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entspreche dem Willen des Gesetzgebers, der sich auch in neueren Gesetzgebungsverfahren aus den Jahren 2012 und 2015 widerspiegele. Eine Auslegung der Vorschrift im Sinne der Kläger führe zudem zu einer Durchbrechung des Prinzips der Gewaltenteilung. Verwaltung und Gerichte würden mit einer von den Klägern gewünschten Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG neues Recht setzen anstelle des originär hierfür zuständigen Gesetzgebers. Eine Auslegung der Vorschrift im Lichte des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Versagung der Erlaubnis stelle weder eine Verletzung von Art. 8 EMRK noch von Grundrechten dar.
35 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
36 Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat gemäß §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.
37 Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
38 Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg. Mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag ist die Klage als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insoweit jedoch unbegründet (I.). Mit den weiteren Hilfsanträgen ist die Klage bereits unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet (II.)
39 I. Die Klage hat mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag keinen Erfolg.
40 1. Beide Anträge sind ihrem Wortlaut nach auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, den Klägern den Erwerb von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Durchführung eines Suizids (ohne Begleitung bzw. mit Begleitung) zu gestatten. Diese Anträge sind gemäß § 88 VwGO dahingehend zu verstehen, dass die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zum Erwerb des genannten Mittels begehren.
41 Mit diesem Begehren ist die Klage unbegründet.
42 Der den entsprechenden Antrag der Kläger vom 12. Juni 2014 ablehnende Bescheid des BfArM vom 1. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2014 ist rechtmäßig. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pento- barbital zum Zweck einer Selbsttötung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Erwerb dieses Mittels ist erlaubnispflichtig (2.). Der Erteilung der erforderlichen Erlaubnis steht ein zwingender Versagungsgrund entgegen (3.).
43 2. Für den Erwerb des beantragten Natrium-Pentobarbitals bedürfen die Kläger einer Erlaubnis des BfArM gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Nach dieser Vorschrift bedarf einer Erlaubnis des BfArM, wer Betäubungsmittel (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG) anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen oder erwerben will. Natrium-Pentobarbi- tal zählt zu den verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG; der Erwerb des Betäubungsmittels unterfällt mithin grundsätzlich der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG normierten Erlaubnispflicht.
44 Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 4 BtMG liegt nicht vor. Insbesondere greift die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und lit. c BtMG nicht ein, weil die Kläger mit ihrem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag – im Unterschied zu den weiteren Hilfsanträgen – den unmittelbaren Erwerb des Betäubungsmittels ohne ärztliche Verschreibung und nicht direkt von einem Arzt, sondern vielmehr über eine Erlaubnis des BfArM begehren. Deutlich wird dies auch aus dem sich wiederholenden Vortrag der Kläger, "der Staat" müsse ihnen das Betäubungsmittel zur Verfügung stellen.
45 3. Der Erteilung der Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 BtMG zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
46 a. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 19. August 2015,
47 vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 = NVWBl. 2016, 153 = juris,
48 entschieden, dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG, die dem Zweck der Selbsttötung dient, ausschließt. Denn eine Erlaubnis, die auf eine Nutzung von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung oder in anderweitig gesundheitsschädlicher Art und Weise gerichtet ist, dient nicht dazu, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dies ergibt eine an Wortlaut, Systematik und am Willen des Gesetzgebers orientierte Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
49 Vgl. hierzu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1589 ff.) = NVWBl. 2016, 153 (155 ff.) = juris, Rn. 52 ff.
50 An dieser Auffassung hält der Senat fest.
51 Für ein solches Verständnis der Norm sprechen – ergänzend zu den im oben genannten Urteil des Senats gemachten Ausführungen – aus systematischen Erwägungen inzwischen auch die Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des Straftatbestands "Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter der Vorschrift des § 217 StGB (in Kraft getreten am 10. Dezember 2015). Hierauf hat das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen.
52 Anders als die Kläger meinen, lassen sich diesen Materialien durchaus Anhaltspunkte für die Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entnehmen – auch wenn das Gesetzgebungsverfahren nicht die Änderung von Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes und nicht unmittelbar die Frage betraf, ob der Staat generell Suizidwilligen den Zugang zu tödlichen Betäubungsmitteln zu gewähren hat. Dennoch hat sich der Gesetzgeber im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens umfassend mit dem Themenkreis Sterbehilfe, Selbstbestimmung und Entscheidungen am Lebensende befasst, sich mithin mit Fragen beschäftigt, die das Anliegen der Kläger betreffen. Durch die Berücksichtigung des in den entsprechenden Materialien zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens bei der Auslegung auch des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG lässt sich daher eine unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung anzustrebende Wertungsgleichheit zwischen dem Strafrecht einerseits und dem Betäubungsmittelrecht andererseits herstellen.
53 Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass ein Anspruch auf Zugang zu tödlichen Betäubungsmitteln zur Durchführung eines Suizids mittels einer behördlichen Erlaubnis zu den Wertungen des Gesetzgebers, wie sie in dem genannten Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des neuen § 217 StGB (erneut) zum Ausdruck gekommen sind, in Widerspruch steht.
54 Aus der Begründung des Gesetzentwurfs, für den sich letztlich die Mehrheit der Abgeordneten ausgesprochen hat, ergibt sich, dass dem Gesetzgeber Anlass zur Sorge bereitet hat, dass in Deutschland zunehmend Organisationen und Personen auftraten, die das Modell eines sogenannten assistierten Suizids nachhaltig öffentlich als Alternative zum natürlichen, medizinisch und menschlich begleiteten Sterben propagiert und Unterstützung bei der Selbsttötung angeboten haben, etwa durch die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung eines tödlichen Medikaments. Dadurch drohe eine "gesellschaftliche Normalisierung", ein "Gewöhnungseffekt" an solche Formen des organisierten assistierten Suizids. Es könne der fatale Anschein einer Normalität und einer gewissen gesellschaftlichen Akzeptanz, schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen. Insbesondere in Verbindung mit dem Empfinden, man sei im Alter eine Last, könnten sich gerade alte Menschen dadurch zu einem assistierten Suizid verleiten lassen oder gar direkt oder indirekt gedrängt fühlen, um die eigene Familie oder die Gesellschaft von dieser "Last" zu befreien. Ohne die Verfügbarkeit solcher Angebote würden sie eine solche Entscheidung nicht erwägen, geschweige denn treffen.
55 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 2, 8 ff.
56 Der Gesetzgeber sah dies als beunruhigende Entwicklungen an, denen wirksam Einhalt geboten werden müsse.
57 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 8.
58 Zwar streben die Kläger nicht in erster Linie (jedenfalls aber auch) die Durchführung eines assistierten Suizids an. Dennoch geht es ihnen der Sache nach um die Ermöglichung eines Suizids als Alternative zum natürlichen Sterben. Die – wie auch immer ausgestaltete – Schaffung und Anbietung einer solchen Alternative sieht der Gesetzgeber jedoch mit den genannten, erheblichen Gefahren verbunden. Vor diesem Hintergrund stünde, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, eine Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG in dem Sinne, dass die Vorschrift eine Erlaubnis nach § 3 BtMG zum Erwerb eines Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung ermöglichte, zur Zielsetzung des Gesetzgebers in Widerspruch .
59 b. Die Berücksichtigung der Grundrechte des Grundgesetzes sowie der Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention steht der dargestellten Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht entgegen. Es ist keine hiervon abweichende grundrechtskonforme bzw. EMRK- konforme Auslegung,
60 zur grundsätzlich bestehenden Möglichkeit einer solchen Auslegung vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1591) = NVWBl. 2016, 153 (157) = juris, Rn. 81,
61 geboten. Der Senat hält auch insoweit an seiner im genannten Urteil vom 19. August 2015 dargelegten Rechtsauffassung fest.
62 Der Senat stellt danach das Recht eines jeden Einzelnen, mithin auch der Kläger, selbstbestimmt und frei über das Ende des eigenen Lebens entscheiden zu dürfen, nicht in Frage. Ein Anspruch des Einzelnen auf staatliche Hilfe zur Umsetzung eines Suizidwunsches auf eine konkrete Art und Weise lässt sich allerdings unmittelbar aus den Grundrechten oder aus den Rechten der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ableiten.
63 aa. Das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 EMRK gewährleistete Recht auf Leben gewährt weder in seiner subjektiven Dimension als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe noch im Rahmen der sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflicht ein "Recht zur Selbsttötung", einschließlich der Bestimmung des Zeitpunktes sowie der Umstände des Todes. Es gebietet nicht die Möglichkeit einer Erlaubnis zum Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung.
64 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand: September 2016, Art. 2 Abs. 2 Rn. 47 m. w. N.; EGMR, Urteil vom 29. April 2002 – Nr. 2346/02 – (Pretty gegen Vereinigtes Königreich), NJW 2002, 2851 (2852).
65 bb. Das Selbstbestimmungsrecht über den Zeitpunkt und die Umstände des eigenen Todes ist nach der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt. Danach hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Art. 8 EMRK umfasst auch das Recht eines Menschen, zu entscheiden, in welcher Weise und zu welcher Zeit sein Leben enden soll, vorausgesetzt, dass er in der Lage ist, seinen eigenen Willen frei zu äußern und dementsprechend zu handeln. In die Ausübung dieses durch Art. 8 EMRK geschützten Rechts darf eine Behörde nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 EMRK).
66 Vgl. hierzu EGMR Urteil vom 29. April 2002 – Nr. 2346/02 -, (Pretty gegen Vereinigtes Königreich), NJW 2002, 2851 ff.; Urteil vom 20. Januar 2011 – Nr. 31322/07 -, (Haas gegen Schweiz), NJW 2011, 3773 ff.; Urteil vom 19. Juli 2012 – Nr. 497/09 -, (Koch gegen BRD), NJW 2013, 2953 ff. = juris; Urteil vom 14. Mai 2013 – Nr. 67810/10 -, (Gross gegen Schweiz), Rn. 58 ff.
67 Mit der Entscheidung, Suizidwilligen den Zugang zu Betäubungsmitteln in tödlicher Dosis zum Zweck der Selbsttötung nicht zu gewähren, verletzt der Staat nicht die sich aus Art. 8 EMRK ergebenden positiven Schutzpflichten. Er ist nicht verpflichtet, einen solchen Zugang zu gewähren. Vielmehr steht dem Staat nach der Rechtsprechung des EGMR ein erheblicher Ermessensspielraum bei der insoweit zu treffenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen, nämlich des Selbstbestimmungsrechts von Menschen mit Selbsttötungsabsicht einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit andererseits, zu. Diesen Spielraum hat der nationale Gesetzgeber mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht überschritten.
68 Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1592) = NVWBl. 2016, 153 (158) = juris, Rn. 52 ff.
69 In Ausübung seiner Schutzpflicht für Leben und Gesundheit hat sich der nationale Gesetzgeber in Deutschland dafür entschieden, dass niemand Betäubungsmittel zur Durchführung eines Suizids erhalten soll. Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit der Abgabe tödlicher Betäubungsmittel zu Selbsttötungszwecken zulassen will, ist es an ihm, entsprechend tätig zu werden und die erforderlichen Regelungen zu schaffen. Es ist weder Sache der Verwaltung noch der Gerichte, eine derartige Entscheidung zu treffen.
70 Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1592, 1594) = NVWBl. 2016, 153 (158, 159) = juris, Rn. 97 und 119.
71 Die Auffassung der Kläger, der nationale Gesetzgeber habe das ihm zustehende Ermessen gar nicht ausgeübt, er vereitele vielmehr das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende, trifft nicht zu. Der Gesetzgeber hat die notwendige Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden Interessen (Recht auf Selbstbestimmung sowie Schutz des Lebens und der Gesundheit) vorgenommen, zuletzt – ausdrücklich – im Rahmen der Entscheidung zur Einführung des neuen § 217 StGB. In der Begründung zum Gesetzentwurf bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass seine Entscheidung im Spannungsfeld der grundlegenden Schutzgarantien der menschlichen Selbstbestimmung einerseits und des menschlichen Lebens andererseits steht. Er erkennt ein umfassendes, verfassungsrechtliches Selbstbestimmungsrecht an, das auch das Recht erfasse, über den eigenen Tod zu entscheiden. Hieraus folge aber nicht, dass staatliche Schutzmaßnahmen in diesem Bereich ausgeschlossen seien. Im Übrigen bestehe, auch wenn die autonome Entscheidung über das Lebensende als grundrechtsbasiert anerkannt werde, deshalb nicht etwa eine verfassungsrechtliche Pflicht, rechtliche Mechanismen zur Umsetzung dieser Entscheidung bereitzustellen.
72 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 10.
73 Dass die gesetzgeberische Abwägungsentscheidung damit nicht im Sinne der Kläger ausgefallen ist, sondern der Gesetzgeber der Schutzpflicht für das Leben einen besonders hohen Stellenwert einräumt, bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber keine Entscheidung getroffen hätte. Er hat sie nur nicht nach den Vorstellungen der Kläger getroffen.
74 Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum auch nicht deshalb überschritten, weil er sich mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG für ein ausnahmsloses Verbot der Abgabe von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung entschieden hat. Er ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, zur Schaffung von Ausnahmeregelungen allenfalls berechtigt, nicht aber verpflichtet.
75 Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1592) = NVWBl. 2016, 153 (158) = juris, Rn. 95 ff.
76 cc. Hinsichtlich des verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts gilt nichts Abweichendes. Es besteht nur insoweit, als nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird (Art. 2 Abs. 1 GG). Ein Anspruch auf Zugang zu einem konkreten Betäubungsmittel in tödlicher Dosis zur Durchführung eines Suizids lässt sich daraus nicht ableiten. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit eines (einfach-gesetzlichen) Ausschlusses des Zugangs zu tödlichen Betäubungsmitteln, wird Bezug genommen (Urteilsabdruck, S. 18 unten bis 19).
77 dd. Durch den zwingenden Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG werden Menschen mit Selbsttötungsabsicht wie die Kläger, die auf dieser Grundlage kein Natrium-Pentobarbital oder ein anderes Betäubungsmittel in tödlicher Dosis mittels einer behördlichen Erlaubnis erhalten können, nicht in ihrer Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Sie werden dadurch nicht zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert.
78 Im Übrigen gilt, dass eine verhältnismäßige und auch ansonsten verfassungsmäßige Einschränkung eines Grundrechts, hier des Selbstbestimmungsrechts eines suizidwilligen Menschen, durch den Gesetzgeber die Menschenwürde, deren Gewährleistungsgehalt durch die spezielleren Grundrechte konkretisiert wird, regelmäßig – und so auch hier – nicht antastet. Entsprechendes gilt für eine gesetzliche Regelung in einem Mitgliedstaat des Europarats in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens gemäß Art. 8 EMRK, die mit dieser Gewährleistung vereinbar und insbesondere verhältnismäßig ist. Auch sie konkretisiert den Schutzgehalt der Menschenwürde regelmäßig ebenfalls in zulässiger Weise. Eine derartige, (auch) den Gehalt der Menschenwürde konkretisierende Regelung ist § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
79 Vgl. hierzu insgesamt OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1593) = NVWBl. 2016, 153 (158) = juris, Rn. 98 ff.
80 Der Umstand, dass die Kläger für sich selbst den einzig gangbaren Weg einer Selbsttötung in der Verwendung des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital sehen und alle anderen Handlungsalternativen als unzumutbar erachten, führt nicht zu der Annahme, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, den Zugang zu diesem Betäubungsmittel zu verwehren, sie in ihrer Menschenwürde verletzt. Sowohl der Senat in seiner Entscheidung vom 19. August 2015 als auch das Verwaltungsgericht (etwa Urteilsabdruck, S. 21) haben bereits darauf hingewiesen, welchem Zweck die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG dient und dass Menschen mit Suizidabsicht, so auch die Kläger, trotz dieser Regelung weiterhin über ihre Personalität begründende Handlungsalternativen (auch im Bereich der Selbsttötung) verfügen. Wenn die Kläger diese Alternativen zur Gestaltung des Lebensendes aus persönlichen Gründen nicht wählen wollen, ist das eine zu respektierende Entscheidung, begründet allerdings keine Verletzung ihrer Menschenwürde. Insbesondere teilt der Senat nicht die Auffassung der Kläger, der natürliche Tod – den die Kläger ablehnen durch Suizid verhindern wollen – sei eine die Würde des Menschen verletzende Art des Sterbens.
81 ee. Art. 4 GG erfordert keine andere Betrachtung. Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG vermittelt ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die Glaubens- bzw. Bekenntnisfreiheit. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet die Religionsausübungsfreiheit. Weder die Glaubensfreiheit noch die Freiheit der Religionsausübung werden allerdings durch die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG tangiert. Ein Leistungsrecht im Sinne eines Anspruchs auf Zugang zu tödlichen Betäubungsmitteln zur Selbsttötung können die Kläger aus Art. 4 GG nicht ableiten. Unabhängig von der Frage, ob und inwiefern überhaupt der Schutzbereich berührt wäre – möglicherweise betrachten die Kläger, die sich auf Art. 4 GG berufen, ihre beabsichtigte Selbsttötung als Ausübung einer Religion oder Weltanschauung -, gewährt Art. 4 GG jedenfalls anerkanntermaßen keinen über den Charakter als Abwehrrecht hinausgehenden Inhalt. Insbesondere ist der Staat nicht verpflichtet, dem Einzelnen die faktischen Möglichkeiten der Religionsausübung zu verschaffen.
82 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand: September 2016, Art. 4 Rn. 86 und 108.
83 ff. Schließlich gebietet Art. 6 Abs. 1 GG keine andere Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung; geschützt wird das eheliche Zusammenleben und die freie Entscheidung darüber, wie dieses eheliche Leben ausgestaltet wird. Nicht von diesem grundgesetzlichen Schutz von Ehe von Familie umfasst ist jedoch die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Suizid eines oder beider Ehepartner.
84 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2008 – 1 BvR 1832/07 -, juris, Rn. 6.
85 4. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG – und auch ein sonstiger in § 5 BtMG normierter Versagungsgrund – nicht vorliegt, so ist der ablehnende Bescheid des BfArM vom 1. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2014 gleichwohl rechtmäßig. Denn dann hatte das BfArM über den Antrag der Kläger nach Ermessen zu entscheiden; das Ermessen ist jedoch in der Weise auf Null reduziert, dass allein die Ablehnung des Antrags rechtmäßig und ein etwaiger Ermessensausfall unschädlich ist.
86 Vgl. hierzu bereits OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1593 f.) = NVWBl. 2016, 153 (158 f.) = juris, Rn. 102 ff.
87 Die Ermessensreduktion auf Null folgt in diesem Fall aus dem Zweck der Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 BtMG i. V. m. den zwingenden Versagungsgründen des § 5 Abs. 1 BtMG, insbesondere § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Dieser besteht darin, dem Schutz der Gesundheit der Menschen zu dienen. Eine Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung läuft diesem Zweck zuwider. Sollten daran Zweifel bleiben, ist es weder Sache der Verwaltung noch der Gerichte, diese weit reichende Entscheidung zu treffen. Hierzu berufen ist vielmehr der demokratisch legitimierte Gesetzgeber.
88 Vgl. mit weiterer Begründung OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1594) = NVWBl. 2016, 153 (159) = juris, Rn. 119.
89 II. Die Klage hat auch mit dem zweiten, dritten und vierten Hilfsantrag keinen Erfolg. Sie ist insoweit bereits unzulässig, weil den Klägern das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
90 Die Hilfsanträge 2 bis 4 sind sämtlich auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, den Klägern "zu gestatten", jeweils die gewünschte Menge Natrium- Pentobar-bital von Ärzten verschrieben und von Apothekern ausgehändigt zu erhalten. Eine solche "Gestattung" durch das BfArM sieht das Betäubungsmittelgesetz jedoch nicht vor. Vielmehr ist der von den Klägern hilfsweise (sinngemäß) be-gehrte Erwerb des Betäubungsmittels auf Grund ärztlicher Verschreibung (und folgender Abgabe des Mittels durch einen Apotheker) ausnahmsweise erlaubnisfrei, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BtMG. Einer "Gestattung" durch das BfArM bedarf es für einen derartigen Erwerb nicht. Durch eine etwaige – gesetzlich nicht vorgesehene – "Gestattung einer Verschreibung durch Ärzte und Abgabe durch Apotheker" durch das BfArM könnten die Kläger deshalb auch keinen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn die Abgabe des Betäubungsmittels durch einen Apotheker nach Verschreibung durch einen Arzt erfolgt, da erlaubnisfrei, unabhängig von einer Entscheidung des BfArM.
91 Dass den Klägern der Erwerb der gewünschten tödlichen Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital im Wege ärztlicher Verschreibung wegen der ärztlichen Berufsordnungen, die überwiegend die Verschreibung oder Anwendung von Natrium-Pentobarbital oder Stoffen ähnlicher Wirkungsweise zum Zweck der Selbsttötung verbieten, faktisch nicht möglich sein dürfte,
92 vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 – 13 A 1299/14 -, DVBl. 2015, 1588 (1589) = NVWBl. 2016, 153 (155) = juris, Rn. 48 ff.,
93 ändert nichts an der fehlenden Zulässigkeit der Klage insoweit. Ist der Weg des erlaubnisfreien Erwerbs von Natrium-Pentobarbital für die Kläger (faktisch) nicht realisierbar, so bleibt im Übrigen die Möglichkeit des – mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag von den Klägern auch angestrebten – Erwerbs mit Erlaubnis durch das BfArM.
94 Darüber hinaus wäre die Klage aber auch mit den Hilfsanträgen 2 bis 4 unbegründet. Denn nach den oben gemachten Ausführungen haben die Kläger – auch unter Berücksichtigung ihrer Grundrechte und Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention – keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis des BfArM zum Erwerb des begehrten Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung.
95 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
96 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
97 Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil im Hinblick auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG Rechtsfragen in Rede stehen, die höchstrichterlich noch nicht entschieden sind.