Vertragsstrafe gegen Apotheker bei Verstoß gegen Abgabebestimmungen
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 19. März 2019

Entscheidungen in Leitsätzen

Az.: L 11 KR 4455/17 ZVW

SGB V 129 Abs. 2; BGB § 319

 

Leitsätze des Gerichts:

 

1. § 11 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V idF vom 1. Februar 2011 ist als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung einer Vertragsstrafe gegenüber einer Apothekerin ausreichend bestimmt.

 

2. Das nach dem Rahmenvertrag erforderliche Benehmen mit dem für die Apothekerin zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes erschöpft sich nicht in einer bloßen Anhörung, sondern verlangt ein Eingehen auf die Belange der Apothekerseite, die von dem Willen getragen ist, Differenzen nach Möglichkeit auszugleichen. Bemühungen des Landesverbandes der Krankenkassen zur Ausräumung von Differenzen sind allerdings nicht mehr erforderlich, wenn sich der Stellungnahme des Apothekerverbandes entnehmen lässt, dass dieser nicht mehr auf einer nochmaligen Kontaktierung besteht.

 

3. Wird das bei der Apotheke vorgelegte Rezept mit einer Pharmazentralnummer (PZN) bedruckt, die nicht dem abgegebenen Arzneimittel entspricht, und wird dieses Rezept zur Abrechnung bei der Krankenkasse eingereicht, liegt eine gravierende Pflichtverletzung der Apothekerin vor, die grundsätzlich mit der Verhängung einer Vertragsstrafe geahndet werden kann. Eine bloße Verwarnung ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht mehr ausreichend.

 

4. Beruhen die als grob fahrlässig zu bewertenden Pflichtverletzungen alle auf denselben unzureichenden organisatorischen Vorkehrungen in der Apotheke, ist eine Staffelung der Vertragsstrafe nach der Anzahl der eingereichten Verordnungen (Rezepte) nicht angemessen.

 

5. Ist das Verlangen nach einer Vertragsstrafe deshalb nicht begründet, weil die konkrete Höhe der Vertragsstrafe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht, setzt das Gericht die Höhe der Vertragsstrafe analog § 319 BGB nach billigem Ermessen fest.

 

6. Bei einer Festlegung der Vertragsstrafe durch das Gericht stehen der Krankenkasse bzw ihrem Verband weder Verzugs- noch Prozesszinsen zu.

 

Tatbestand

 

1 Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsstrafe iHv 6.560 EUR.

 

2 Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, deren Zuständigkeitsbereich sich nach § 1 Abs. 2 ihrer Satzung auf das Gebiet des Landes Baden-Württemberg erstreckt. Zwischen ihr und einem pharmazeutischen Hersteller galt ab 01.06.2011 ein Rabattvertrag nach § 130a Abs. 8 SGB V für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Metoprolol. Da das pharmazeutische Unternehmen in den ersten Monaten nach Vertragsbeginn Arzneimittel mit diesem Wirkstoff (Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95) nicht liefern konnte, wurde zwischen den Allgemeinen Ortskrankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) vereinbart, dass die Apotheken im Geltungsbereich des Rabattvertrages im Zeitraum vom 01.06. bis zum 31.08.2011 andere als die rabattierten Arzneimittel abgeben konnten, ohne eine Retaxierung ihrer Vergütung befürchten zu müssen (sog Friedenspflicht).

 

3 Die Beklagte ist Inhaberin einer Apotheke und Mitglied des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg e.V. (LAV). Sie rechnete im Juni und Juli 2011 zulasten der Klägerin im Rahmen der Arzneimittelversorgung die Arzneimittel Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95, die Gegenstand des Rabattvertrages waren, ab, obwohl diese Medikamente in den Monaten Juni und Juli 2011 noch gar nicht lieferbar waren. In dieser Zeit gab die Beklagte in insgesamt 44 Fällen an Versicherte der Klägerin andere Präparate ab. Gleichwohl bedruckte sie die entsprechenden Kassenrezepte mit der Pharmazentralnummer (PZN) der vom Rabattvertrag erfassten Präparate, legte diese Rezepte bei der Klägerin zur Abrechnung vor und erhielt dementsprechend die Vergütung. Vergleichbare Vorfälle gab es in einer Vielzahl von Apotheken (rund 1.200).

 

4 Die Beklagte gab später zur Erläuterung an, sie habe seinerzeit noch mit einer alten Computersoftware gearbeitet. Diese habe die vorgelegten Kassenrezepte mit der PZN bedruckt, bevor die Verfügbarkeit des ärztlich verordneten Medikaments überprüft worden sei. Es sei dann wohl versehentlich versäumt worden, die PZN manuell unter Angabe der PZN des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels abzuändern. Ein solches Versehen könne insbesondere bei großem Kundenandrang vorkommen und sei auch bei sorgfältiger Systemüberwachung nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Beklagte schaffte sich zwischenzeitlich eine neue Software an, mit welcher ihrer Angaben zufolge eine solche Falschabrechnung nicht mehr möglich ist.

 

5 Ein bei der Staatsanwaltschaft M. geführtes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil sich ein strafbares Verhalten der Beklagten nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung nachweisen ließ.

 

6 Die Klägerin setzte sich mit dem DAV über die Verhängung von Vertragsstrafen bzgl der Falschabrechnungen und deren Berechnung in Verbindung. Mit Schreiben vom 25.07.2012 informierte sie auch den LAV über den beabsichtigten Ausspruch von Verwarnungen und Verhängung von Vertragsstrafen gegenüber zehn Apotheken in Baden-Württemberg gemäß § 11 Abs. 1 und 2 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V für die Abrechnungsmonate Juni und Juli 2011. Diese zehn Apotheken, zu denen auch die Apotheke der Beklagten gehört, hätten zwischen 37 Packungen und 120 Packungen in den beiden Monaten fehlerhaft abgerechnet. Es sei deshalb beabsichtigt, gegenüber diesen 10 Apotheken sowohl eine Verwarnung auszusprechen sowie zusätzlich eine Vertragsstrafe nach § 11 Abs. 1 und 2 des Rahmenvertrags festzusetzen. Bevor dieser Verwaltungsakt vollzogen werde, werde den betroffenen Apotheken die Möglichkeit zu einer Stellungnahme gegeben (Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X).

 

7 Mit Schreiben vom 30.07.2012 hörte die Klägerin die Beklagte nach § 24 Abs. 1 SGB X zur Verwirkung einer Verwarnung/Vertragsstrafe iHv 9.200 EUR an.

 

8 Der LAV teilte der Klägerin mit Schreiben vom 31.07.2012 mit, dass er die geplante Verhängung von Vertragsstrafen in der Art und Höhe für nicht verhältnismäßig, angemessen und in Bezug auf den Vorwurf auch in dieser Höhe nicht für gerechtfertigt halte. Er könne die geplante Vertragsmaßnahme daher im Ergebnis nicht mittragen. Der LAV hielt eine „deutliche Verwarnung“ für ausreichend, eine Vertragsstrafe in der angedachten Höhe aber nicht für gerechtfertigt. Den geplanten Vertragsstrafen widerspreche er ausdrücklich und er bitte die Klägerin, dies gegenüber den zu bestrafenden Apothekern in ihren Anschreiben auch so wiederzugeben. Zudem wies er darauf hin, dass seiner Ansicht nach, der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei. Zwischen Leistungserbringer und Kostenträger bestehe danach auf Basis dieser vertraglichen Grundlage ein vertragliches Gleichordnungsverhältnis und kein Über- bzw Unterordnungsverhältnis. Es fehle an der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für einen Verwaltungsakt. Der Anspruch auf die Zahlung einer Vertragsstrafe wäre ein vertraglicher Anspruch, der nicht im Rahmen eines vollstreckbaren Verwaltungsaktes geltend gemacht werden könne. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw das Willkürverbot sah der LAV in diesem Fall nicht ausreichend beachtet. Er bat daher die Klägerin um eine Überprüfung.

 

9 Eine nochmalige Abstimmung zwischen der Klägerin und dem LAV fand nicht statt. Vielmehr forderte die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2012 von der Beklagten eine Vertragsstrafe iHv 6.560 EUR. Zur Begründung führte sie zusammengefasst aus, dass die Beklagte mit den Falschabrechnungen in 44 Fällen schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen habe und durch die wiederholten Falschabrechnungen das zwischen der Beklagten und der Klägerin bestehende Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig beschädigt worden sei. Die in den Abgabemonaten noch geltende Friedenspflicht (wegen Nichtlieferfähigkeit der Medikamente) könne das Fehlverhalten nicht rechtfertigen, sondern habe die Apotheken nur von der Pflicht befreit, das Rabattarzneimittel abzugeben. Die Klägerin hat nähere Ausführungen zur Höhe der Vertragsstrafe gemacht.

 

10 Die Beklagte hat nachfolgend durch ihren Bevollmächtigten gegenüber der Klägerin mit bei der Klägerin am 17.1.2013 eingegangenem Schreiben vom 15.1.2013 ausführen lassen, dass dieser ein Maximalschaden von allenfalls 18,92 EUR entstanden sei. Von einer Manipulation der Abrechnung könne keinesfalls gesprochen werden. Dies habe bereits die Staatsanwaltschaft M. so beurteilt. Bis Oktober 2011 sei das Medikament überhaupt nicht ausgeliefert worden. Die Klägerin habe mithin den Apotheken den Verkauf eines Medikamentes aufoktroyiert, das nicht verfügbar gewesen sei. Es handle sich um eine Bagatellsache, welche einen schweren und nachhaltigen Vertrauensbruch nicht begründen könne. Die beanspruchte Vertragsstrafe werde dem Grunde und der Höhe nach im vollen Umfang zurückgewiesen.

 

11 Am 05.09.2013 hat die Klägerin Leistungsklage auf Zahlung der Vertragsstrafe nebst Zinsen beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Mit Urteil vom 20.01.2015 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das für eine allgemeine Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, die streitgegenständliche Forderung durch einen Verwaltungsakt festzusetzen. Zwar gehe das SG mit einhelliger Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass der Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung gemäß § 129 SGB V grundsätzlich Ausdruck eines zwischen den Beteiligten bzw Vertragsparteien bestehenden Gleichordnungsverhältnis sei. Dennoch könne eine Verwaltungsaktbefugnis auch innerhalb eines grundsätzlich bestehenden Gleichordnungsverhältnisses in Betracht kommen. Dies werde auch im Kassenarztrecht so angenommen. Die Verwaltungsaktbefugnis ergebe sich hier aus einer Auslegung des § 129 Abs. 4 SGB V, wonach im Rahmenvertrag zu regeln sei, welche Maßnahmen die Vertragspartner bei Vertragsverstößen ergreifen könnten. Dies spreche im Hinblick auf die Vertragsmaßnahmen gerade gegen ein Gleichordnungsverhältnis. Somit würden die Vertragsmaßnahmen letztlich hoheitliches Handeln darstellen. Dem korrespondiere zudem, dass die vertraglichen Regelungen zu den Vertragsmaßnahmen in § 11 des Rahmenvertrages und §§ 5 und 6 der Zusatzvereinbarung in hohem Maße offen bzw ausfüllungsbedürftig seien und gerade keinen klaren, auf einer vertraglichen Einigung beruhenden Maßstab für die Tatbestände und die Höhe der Vertragsstrafe enthalten würden. Unabhängig von der Zulässigkeit der Klage erweise sich die Forderung der Vertragsstrafe hilfsweise als unbegründet. Es mangle an einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung einer Vertragsstrafe in der geforderten Höhe, es fehle das notwendige Benehmen mit dem LAV und schließlich erweise sich die eingeklagte Vertragsstrafe als unverhältnismäßig.

 

12 Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 26.01.2014 zugestellte Urteil haben diese am 25.02.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und beantragt das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Vertragsstrafe in Höhe von 6.560 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.01.2013 zu zahlen.

 

13 Der Senat hat mit Urteil vom 20.09.2016 die Berufung zurückgewiesen. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil eine Krankenkasse gegenüber Apothekern die Verhängung einer Vertragsstrafe wegen Falschabrechnung mittels Verwaltungsakt festzusetzen habe. Trotz des grundsätzlich zwischen Apotheken und Krankenkassen bestehenden Gleichordnungsverhältnisses besäßen Krankenkassen für die Festsetzung von Sanktionen eine Verwaltungsaktbefugnis. Hierfür spreche neben dem Wortlaut des § 129 Abs. 4 SGB V („ergreifen“) der Normenvertragscharakter des Rahmenvertrages, der es ausschließe, dessen Inhalt als Vertragsstrafversprechen der einzelnen Apotheker zu werten. Zudem handle es sich gerade bei dem Ausspruch einer Verwarnung oder eines Ausschlusses von der Versorgung um mit der Leistungsklage nicht durchsetzbare Disziplinarmaßnahmen, die üblicherweise in einem Über-/Unterordnungsverhältnis ergingen. Es liege jedoch nahe, alle Sanktionen einheitlich zu qualifizieren.

 

14 Auf die von dem Senat zugelassene Revision hin hat das BSG mit Urteil vom 29.06.2017 das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Klage sei zulässig. Wenn wie vorliegend aus Rechtsgründen streitig sei, ob überhaupt durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfe und somit ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen sei, dürfe die Behörde von vornherein freiwillig die schwächere Position des Klägers wählen und im Wege der Leistungsklage vorgehen. Es handle sich bei der Geltendmachung der Vertragsstrafe aber auch in der Sache um keinen Verwaltungsakt. Zwischen Krankenkassen und Apothekern bestehe ein Gleichordnungsverhältnis, das den Erlass eines Verwaltungsakts grundsätzlich ausschließe. Das Gleichordnungsverhältnis folge daraus, dass das Gesetz die vertragliche Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen vorsehe. Den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen lasse sich auch nicht entnehmen, dass trotz Bestehens eines Gleichordnungsverhältnisses der Erlass eines Verwaltungsaktes ausnahmsweise zulässig sei; hiergegen spreche insbesondere die Bezeichnung als „Vertragsmaßnahme“ in dem Rahmenvertrag. Alleine, dass vor der Verhängung von Sanktionen Ermessen ausgeübt werden müsse, sage noch nichts über die Handlungsform aus; auch eine im Gleichordnungsverhältnis vorgesehene Vertragsstrafe dürfe nur unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit festgesetzt werden. Eine Parallelenziehung zu den in Verwaltungsaktform ergehenden vertragsärztlichen Disziplinarmaßnahmen nach § 81 Abs. 5 SGB V sei nicht statthaft, weil das Vertragsarztrecht historisch gewachsene, in der GKV einzigartig und detailliert in §§ 72 ff SGB V ausgestaltete Rechtsbeziehungen enthalte. Ob eine Maßnahme, die die äußerste Grenze der rahmenvertraglich vorgesehenen Maßnahmen ausschöpfe – wie ein Ausschluss von der Versorgung von bis zu zwei Jahren – wegen der hohen Eingriffsintensität als Verwaltungsakt ergehen müsse, könne dahinstehen, weil es vorliegend um eine Vertragsstrafe gehe, die die Höchstgrenze von 25.000 EUR nicht annähernd ausschöpfe. Das Landessozialgericht habe nunmehr über die Begründetheit der Klage zu entscheiden und hierzu die Feststellungen nachzuholen, ob das Benehmen der Klägerin mit dem LAV hergestellt worden sei und ob die konkrete Vertragsstrafe mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz/Übermaßverbot in Einklang stehe.

 

15 Der Senat hat das Verfahren daraufhin unter dem Aktenzeichen L 11 KR4455/17 ZVW fortgesetzt. Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 12.06.2018 mit den Beteiligten erörtert und eine gütliche Einigung angeregt. Eine solche kam nicht zustande.

 

16 Die Klägerin ist der Auffassung, dass das rahmenvertragliche Vertragsstrafversprechen den Bestimmtheitsanforderungen entsprechend § 339 BGB genüge, denn es lasse sich jedenfalls im Wege der Auslegung bestimmen, für welche Fälle eine Vertragsstrafe verwirkt sein solle. § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages verweise für die sanktionsfähigen Pflichtverletzungen auf den ALV, dessen § 5 Abs. 2 „schwere Vertragsverstöße“ als Voraussetzungen für Maßnahmen nach § 6 ALV in Verbindung mit dem Rahmenvertrag aufführe und weiterhin zur Konkretisierung des Begriffs des „schweren Verstoßes“ in § 5 Abs. 2 lit b die „Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen“ nenne. Die Vertragsstrafe sei auch ihrer Höhe nach hinreichend bestimmt. Es genüge, dass die sanktionierende Stelle die Strafe innerhalb des Höchstbetrages von 25.000 EUR entsprechend §§ 315 ff BGB nach billigem Ermessen festzusetzen habe. Der Tatbestand von § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages sei erfüllt, weil die Beklagte in 44 Fällen ein anderes als das abgegebene Arzneimittel abgerechnet und dadurch schwere Vertragsverstöße iSv § 5 Abs. 2 lit b ALV begangen habe. Ebenso sei das Benehmenserfordernis nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages gewahrt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG könne ein Benehmenserfordernis allenfalls zu einem Anspruch auf Beratung über strittige Punkte führen, belasse der entscheidenden Stelle aber letztlich die volle Entscheidungsbefugnis. Die spätere Rechtsprechung des BSG lasse sogar die reine Kenntnisnahme der erhobenen Einwendungen ausreichen bzw stelle jedenfalls an die Beratung keine besonderen Anforderungen mehr. Diesen Anforderungen habe die Klägerin entsprochen. Dem Schreiben des LAV sei – wofür die Klägerin Frau I. H., Herrn Dr. J. B. und Herrn Dr. C. He. als Zeugen benenne – ein intensiver telefonischer, mündlicher Meinungsaustausch vorausgegangen. Die Klägerin habe sich bei der Vertragsstrafverhängung inhaltlich mit der Stellungnahme des LAV auseinandergesetzt. Ein weiterer Meinungsaustausch mit dem LAV sei dagegen erkennbar zwecklos gewesen. Die verhängte Vertragsstrafe sei auch verhältnismäßig.

 

17 Eine Verwarnung sei nicht ebenso wirksam wie die Verhängung einer Vertragsstrafe, weil mit ihr eine für den Betroffenen spürbare Sanktion oder Einbuße noch nicht verbunden sei. Die Höhe der Vertragsstrafe sei angesichts des groben und systematischen Verstoßes der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen angemessen. Die Gewährleistung vertragsgemäßen Verhaltens und korrekter Abrechnungen diene neben der Funktionsfähigkeit des Abrechnungssystems der gesetzlichen Krankenkassen, die das Bundesverfassungsgericht als herausragendes Gemeinschaftsgut bezeichnet habe, auch der individuellen Patientensicherheit durch Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Hinzu komme der bei der Klägerin entstandene Vertrauensverlust; da Krankenkassen in der Regel nicht prüfen könnten, ob die Angaben auf den Abrechnungen der Wahrheit entsprächen, brächten diese den Apothekern ein großes Vertrauen entgegen. Zudem betrage die geforderte Vertragsstrafe gerade einmal 0,37 % des alleine mit der Klägerin erzielten Jahresumsatzes der Beklagten, ungeachtet eines mutmaßlich wesentlich höheren Gesamtumsatzes. Hilfsweise sei die Vertragsstrafe jedenfalls nach § 69 Abs. 1 S 1 SGB V iVm § 343 BGB auf das vom Senat für angemessen erachtete Maß herabzusetzen.

 

18 Die Klägerin bringt ergänzend vor, dass ausweislich des Urteils des BSG der Senat nur noch darüber zu entscheiden habe, ob das erforderliche Benehmen hergestellt worden und ob die Vertragsstrafe ihrer Höhe nach verhältnismäßig sei. Nur bezüglich dieser Fragen habe das BSG die Nachholung von Feststellungen für erforderlich gehalten, während es im Übrigen von der Rechtmäßigkeit der Vertragsstrafe ausgehe. Andernfalls hätte es selbst in der Sache entschieden und die Klage abgewiesen. Schon deshalb sei von der Bestimmtheit rahmenvertraglichen und landesvertraglichen Bestimmungen sowie ihrer gesetzlichen Grundlagen auszugehen und es sei das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verhängung einer Vertragsstrafe zu unterstellen. Aus dem Urteil des BSG ergäben sich weiterhin Anhaltspunkte in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Vertragsstrafe. Da das BSG den Rechtsstreit zur Klärung der Frage zurückverwiesen habe, ob die „konkrete Vertragsstrafe“ im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehe, gehe es ersichtlich davon aus, dass eine Verwarnung als milderes Mittel ausscheide, zumal es ausführe, dass die vorliegende Vertragsstrafe die Höchstgrenze von 25.000 EUR „deutlich“ unterschreite und dass Geldzahlungssanktionen „keine besondere Eingriffsintensität“ aufwiesen. Darüber hinaus seien in einem Gleichordnungsverhältnis, das nach den Ausführungen des BSG bestehe, keine so strengen Anforderungen an die Angemessenheit zu stellen wie in einem Über-Unterordnungsverhältnis. Im Übrigen verweise sie auf ihre bisherigen Ausführungen.

 

19 Die Klägerin beantragt,

 

20 das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 6.560,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.01.2013 zu zahlen.

 

21 Die Beklagte beantragt,

 

22 die Berufung zurückzuweisen.

 

23 Sie ist der Ansicht, dass die versehentliche Angabe einer fehlerhaften PZN keinen schweren Vertragsverstoß darstelle, der eine willkürlich festgesetzte Vertragsstrafe rechtfertigen könne. Unabhängig von der Frage, ob ein Verwaltungsakt zur Verhängung der Vertragsstrafe notwendig sei, sei bei einem Vertragsstrafversprechen erforderlich, dass die Pflichtverletzung, die die Strafe auslöse, bestimmt oder wenigstens bestimmbar vereinbart sei. Die Klausel im Rahmenvertrag zur Vertragsstrafe sei aber offensichtlich nicht hinreichend bestimmt gefasst und deshalb unwirksam. Auch fehle es an der erforderlichen Herstellung des Benehmens zwischen dem LAV und der Klägerin. Der LAV habe der geplanten Verhängung der Vertragsstrafe widersprochen und die Gründe ausführlich dargelegt. Unter „Benehmen“ verstehe man eine stärkere Beteiligungsform als eine bloße Anhörung, bei der der anderen Seite lediglich Gelegenheit gegeben werde, ihre Auffassung kund zu tun. Die Klägerin habe aber die Apothekerverbände nur angehört, ohne sich mit deren Sachvortrag in irgendeiner Form auseinanderzusetzen. Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass die Vertragsstrafe auch unverhältnismäßig sei und eine schwere Pflichtverletzung keinesfalls vorliege. Die Vertragsstrafe sei in ihrer Höhe auch deshalb unverhältnismäßig sei, weil die Klägerin sie ihres Wissens nach wegen des Aufdrucks der falschen PZN bereits auf Null retaxiert habe.

 

24 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster, zweiter und dritter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Klägerin verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

25 Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die zulässige Klage ist im Hauptanspruch nur in Höhe eines Betrages von 1.000 EUR begründet. Der geltend gemachte Zinsanspruch besteht nicht.

 

I.

 

26 Rechtsgrundlage des Zahlungsanspruchs ist § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V in der damals geltenden Fassung vom 01.02.2011 (Rahmenvertrag). Diese Vorschrift lautet wie folgt:

 

27 „(1) Bei Verstößen gegen § 129 Abs. Satz 1 SGB V, gegen die Auskunftspflicht nach § 293 Absatz 5 Satz 4 SGB V, gegen diesen Rahmenvertrag oder gegen die ergänzenden Verträge nach § 129 Absatz 5 SGB V können die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen nach Anhörung des Betroffenen, bei Mitgliedsapotheken im Benehmen mit dem zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes, folgende Vertragsmaßnahmen aussprechen:

 

28

 

1. Verwarnung

 

2. Vertragsstrafe bis zu 25.000 EUR

 

3. bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss des Apothekenleiters / der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren.

 

29 (2) Die Vertragsmaßnahmen nach Absatz 1 Ziffer 1 und 2 können auch nebeneinander verhängt werden.“

 

30 § 5 des Ergänzungsvertrages zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V in Baden-Württemberg in der damals geltenden Fassung vom 01.04.2005 lautet wie folgt:

 

31 „(1) Erfüllt eine Apotheke die sich aus diesem Vertrag ergebenden Vertragsverpflichtungen nicht, so können Maßnahmen gemäß § 6 in Betracht kommen. Bei Vertragsverstößen durch einen Vertragspartner (Krankenkasse, LAV) gilt diese Regelung entsprechend.

 

32 (2) Als schwere Vertragsverstöße gelten insbesondere:

 

33

 

a) Zahlung von Vergütungen für die Zuweisung von Versicherten oder von Verordnungen,

 

b) Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen

 

c) Abrechnung von Leistungen Nicht-Lieferberechtigter gemäß § 129 SGB V

 

d) unberechtigte Änderungen der ärztlichen Verordnung

 

e) Verstoß gegen § 7 Abs. 1 und 2 (Regelungen zur Allgemeine Zusammenarbeit)“

 

34 § 6 des Ergänzungsvertrages (Maßnahmen bei Vertragsverstößen, Wiedergutmachung des Schadens) lautet wie folgt: „Es gelten die Bestimmungen des Rahmenvertrages nach § 129 SGB V.“

 

II.

 

35 § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages ist als Rechtsgrundlage für ein Vertragsstrafverlangen ausreichend bestimmt (1.). Die Tatbestandsvoraussetzungen sowie die formellen Voraussetzungen für die Verhängung einer Vertragsstrafe sind erfüllt (2.). Allerdings widerspricht der von der Klägerin geltend gemachte Betrag von 6.560 EUR dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (3.), sodass der Klägerin nur der dem Senat nach billigem Ermessen angemessen erscheinende Betrag von 1.000 EUR zugesprochen werden kann (4.).

 

1.

 

36 § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages ist als Rechtsgrundlage für die Verhängung einer Vertragsstrafe ausreichend bestimmt. Dabei kann dahinstehen, ob dies – wie die Klägerin meint – schon gemäß § 170 Abs. 5 SGG aus der Bindungswirkung des zurückverweisenden Revisionsurteils folgt, weil das BSG bei Unbestimmtheit der Rechtsgrundlage die Revision nach § 170 Abs. 1 S 2 SGG jedenfalls wegen Unbegründetheit der Klage hätte zurückweisen müssen. § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages ist jedenfalls in der Sache sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen für die Verhängung einer Vertragsstrafe als auch hinsichtlich deren Höhe als hinreichend bestimmt anzusehen.

 

37 Das Erfordernis und die Maßstäbe hinreichender Bestimmtheit ergeben sich dabei – anders als die Klägerin meint – nicht aus § 339 BGB iVm §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung. Es gelten vielmehr die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Denn obgleich das BSG die rahmenvertraglichen Maßnahmen im Gegensatz zu den Disziplinarmaßnahmen im Vertragsarztrecht nicht als Ausdruck einer „öffentlich-rechtlichen Regelungsbefugnis“ sieht, handelt es sich nach heute hM bei dem Rahmenvertrag selbst um einen öffentlich-rechtlichen Normenvertrag (Axer in Becker/Kingreen SGB V, 5. Aufl 2017, § 129 Rn 28). Nach dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz müssen Normen so bestimmt formuliert sein, dass die Folgen der Regelung für den Normadressaten vorhersehbar und berechenbar sind, dass der Verwaltung angemessen klare Handlungsmaßstäbe vorgeben werden und dass eine hinreichende gerichtliche Kontrolle möglich ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend sowohl für die Tatbestandvoraussetzungen wie auch die Höhe der Vertragsstrafe gewahrt.

 

38 Nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages kann bei Verstößen gegen § 129 SGB V, gegen den Rahmenvertrag oder gegen einen ergänzenden Vertrag auf Landesebene eine Sanktion verhängt werden. § 5 Abs. 1 S 1, § 6 des ALV Baden-Württemberg idFv 01.04.2005 wiederholt dies in Bezug auf Verstöße gegen den ALV Baden-Württemberg. Damit ist grundsätzlich jedweder Pflichtverstoß geeignet, eine Sanktionierung auszulösen. Dem entspricht, dass nach der – ihrerseits ebenfalls ausreichend bestimmten – Ermächtigungsgrundlage des § 129 Abs. 4 S 1 SGB V alle Verstöße gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten grundsätzlich eine Sanktion auslösen können. Nach dem Wortlaut von § 129 Abs. 4 S 1 SGB V haben die Rahmenvertragspartner – sie müssen regeln, „welche Maßnahmen“ ergriffen werden können, „wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen“ – lediglich ein Regelungsermessen bezüglich der Sanktionsmittel, nicht aber bezüglich des grundsätzlichen „Ob“ der Sanktionierung der in § 129 Abs. 4 S 1 SGB V genannten Verstöße.

 

39 Ob auch der Begriff des „schweren Vertragsverstoßes“ in § 5 Abs. 2 des ALV Baden-Württemberg hinreichend bestimmt ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, da sowohl nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages als auch nach § 5 Abs. 1 S 1 des ALV Baden-Württemberg alleine die schlichte Nichterfüllung vertraglicher Pflichten, nicht aber ein schwerer Vertragsverstoß Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktionierung ist. Die Herausstellung „schwerer“ Vertragsverstöße in § 5 Abs. 2 des ALV Baden-Württemberg dürfte lediglich als – unverbindlicher – Anhaltspunkt für die Bewertung der Schwere eines Verstoßes und daran anknüpfend für die Sanktionsauswahl auf Rechtsfolgenseite gedacht sein, ohne dass aber mit „schweren“ Verstößen zwingend eine bestimmte Sanktionsart verbunden wäre oder dass eine bestimmte Sanktion nur bei einem „schweren“ Verstoß verhängt werden dürfte.

 

40 Die Vertragsstrafhöhe ist ebenfalls in hinreichend bestimmter Weise geregelt. Der Rahmenvertrag nennt für die hier relevante Vertragsstrafe zunächst einen Höchstbetrag von 25.000 EUR. Dass für die weitere Vertragsstrafbemessung in § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages keine ausdrücklichen Maßstäbe formuliert sind, ist unschädlich, denn die Festlegung der konkreten Strafhöhe ist dennoch an objektiv überprüfbare und für den Betroffenen vorhersehbare Maßstäbe gebunden. Die Vertragsstraffestsetzung erfolgt nicht nach freiem Belieben, sondern muss sich vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an der Schwere des Pflichtverstoßes orientieren (dazu Armbruster, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60; allgemein dazu, dass auch bei schlichthoheitlichem Handeln Ermessen nur pflichtgemäß ausgeübt werden darf, LSG Berlin-Brandenburg 28.02.2014, L 32 AS 2279/13 B PKH, juris Rn 15).

 

41 Für das Vertragsarztrecht formuliert im Übrigen das Gesetz selbst in § 81 Abs. 5 S 2, S 3 SGB V keine wesentlich detaillierteren Anforderungen an die Höhe einer Geldbuße als vorliegend der Rahmenvertrag, sondern erwähnt lediglich, dass je nach Schwere der Verfehlung eine Geldbuße von bis zu 50.000 EUR festgesetzt werden kann (Armbruster, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60). Die Bestimmtheit dieser Regelung wird – soweit ersichtlich – nicht in Zweifel gezogen (ausdrücklich für hinreichende Bestimmtheit Vahldiek, in: Hauck/Noftz, § 81 SGB V Rn 49).

 

2.

 

42 Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 11 Abs.. 1 des Rahmenvertrages sind erfüllt. Dabei kann wiederum dahinstehen, ob dies – wie die Klägerin meint – aus der Bindungswirkung des BSG-Urteils nach § 170 Abs. 5 SGG folgt, obwohl sich das BSG zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen weder ausdrücklich noch konkludent geäußert hat.

 

43 a) Nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages kann jedwede Verletzung von § 129 SGB V oder der Kollektivverträge eine Sanktionierung auslösen (so). Die Beklagte hat ihre kollektivvertraglichen Pflichten verletzt, indem sie die PZN des verordneten statt derjenigen des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels auf das zur Abrechnung eingereichte Verordnungsblatt aufgedruckt und im Rahmen der Abrechnungsübermittlung gegenüber der Beklagten mitgeteilt hat. Dieses Verhalten begründet sowohl einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Hs 1, 6. Spiegelstrich des Rahmenvertrages idF v 01.02.2011 als auch gegen § 11 Abs. 4 S 1 des ALV Baden-Württemberg idF v 01.04.2005 iVm § 4 der Vereinbarung nach § 300 SGB V. Dass die Beklagte die Pflichtverletzungen nicht eigenhändig begangen hat, ist dabei unerheblich, denn nach § 69 Abs. 1 S 3 SGB V iVm § 278 BGB ist ihr auch das Fehlverhalten ihrer Angestellten zurechenbar (vgl BayLSG 25.11.2015, L 12 KA 120/14, juris Rn 18).

 

44 Nach § 9 Abs. 1 Hs 1, 6. Spiegelstrich, Hs 2 des Rahmenvertrages idFv 01.02.2011 hat die zur Abrechnung eingereichte Rechnung eines Apothekers unter Beifügung der belieferten Verordnungen oder von Images der Verordnungen die Pharmazentralnummern der im Abrechnungszeitraum abgegebenen Arzneimittel zu enthalten. Daraus ergibt sich, dass an die Krankenkasse die korrekten PZN der abgegebenen Arzneimittel gemeldet werden müssen. Dieser Vorgabe hat die Beklagte nicht entsprochen, als sie im Wege der Abrechnung in 44 Fällen die PZN des verordneten, nicht aber die des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels mitgeteilt hat.

 

45 § 11 Abs. 4 S 1 des ALV Baden-Württemberg idFv 01.04.2005 iVm § 4 der Vereinbarung nach § 300 SGB V sieht vor, dass Apotheken die PZN des abgegebenen Arzneimittels auf der zur Abrechnung eingereichten Verordnung aufdrucken müssen. Auch diese Vorschrift hat die Beklagte durch Aufdruck der PZN des verordneten, nicht aber des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels verletzt.

 

46 b) Die Klägerin war für die Verhängung der Vertragsstrafe zuständig. Dies dürfte bereits gemäß § 170 Abs. 5 SGG aus der Bindungswirkung des BSG-Urteils folgen. Denn in Rn 33 (juris) des Revisionsurteils führt das BSG aus, dass es die im Rahmenvertrag geregelten Beteiligungsrechte Dritter – gemeint ist damit vor allem die Einholung des Benehmens des LAV – für zulässig und sogar geboten halte. Darin liegt zugleich konkludent der Aussagegehalt, dass das BSG eine noch stärkere Mitwirkung des LAV an der Sanktionierung, etwa durch Mitwirkung an dem Sanktionierungsschreiben selbst (so wohl Luthe, in: Hauck/Noftz, § 129 SGB V Rn 42) für nicht geboten hält und daher eine Bestätigung des Urteils nach § 170 Abs. 1 S 2 SGG wegen eines Zuständigkeitsmangels bei der Sanktionierung nicht in Erwägung zieht.

 

47 Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass jedenfalls auch in der Sache die Zuständigkeit gewahrt worden wäre. Nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages werden Vertragsmaßnahmen durch die Landesverbände der Krankenkassen verhängt, wobei nach § 207 Abs. 4 SGB V vorliegend die Beklagte als Krankenkasse die Aufgabe des Landesverbandes wahrzunehmen hatte. Auch wenn in § 129 Abs. 4 S 1 SGB V SGB V davon die Rede ist, dass „die Vertragspartner auf Landesebene“ die Sanktion verhängen, bedurfte es nicht auch der gleichberechtigten Mitwirkung des LAV Baden-Württemberg am Ausspruch der Sanktion (so aber wohl Luthe, in: Hauck/Noftz, § 129 SGB V Rn 42). Es ist vom Regelungsspielraum der Rahmenvertragspartner noch gedeckt, die Sanktionszuständigkeit rahmenvertraglich näher zu regeln (Armbruster, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 63). Die Rahmenvertragspartner dürfen die Zuständigkeit für die Sanktionierung auch auf nur eine der beiden Vertragsparteien auf Landesebene übertragen, sofern ein Einfluss der anderen Seite auf die Sanktionierung noch gewährleistet ist. Das nach dem Rahmenvertrag erforderliche Benehmen erlaubt vorliegend eine ausreichende Einflussnahme des LAV, wobei mangels Relevanz für den vorliegenden Fall dahinstehen kann, ob ein Verzicht auf die Beteiligung des LAV bei der Sanktionierung nicht verbandsangehöriger Apotheker (§ 11 Abs. 1 des Rahmenvertrags) rechtmäßig ist.

 

48 c) Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Vertragsstrafenverhängung hat die Klägerin eingehalten. Die Beklagte wurde gemäß § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages mit Schreiben vom 30.07.2012 angehört. Ebenso wurde das nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages erforderliche Benehmen mit dem LAV hergestellt. Da die Beklagte Mitglied des LAV ist, bedurfte es vor der Sanktionsverhängung des Benehmens mit dem LAV. Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Beteiligung des LAV ist die Klägerin nachgekommen. Die Einholung des Benehmens verlangt nicht die Zustimmung des LAV, erschöpft sich aber andererseits nicht in einer bloßen Anhörung, die lediglich erforderte, dass der LAV die Gelegenheit erhielte, seine Auffassung zu der beabsichtigten Sanktionierung darzulegen. Stärker als die Anhörung setzt das Benehmen außer der – selbstverständlichen – Informierung über das Sachproblem sowie der Abgabe und Entgegennahme der Stellungnahme des LAV eine Fühlungnahme voraus, die von dem Willen getragen wird, auch die Belange der Apothekerseite zu berücksichtigen und sich mit dem LAV zu verständigen. Der sanktionierende Krankenkassenverband darf erhebliche Einwände oder Bedenken des LAV nicht einfach „zu den Akten legen“, sondern muss sich mit ihm, bildlich gesprochen, „an einen Tisch setzen“, um die aufgetretenen Differenzen nach Möglichkeit auszugleichen, unter Umständen sogar durch eine gemeinsame Beratung. Bleiben dennoch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten bestehen, gibt allerdings der Wille der für die Sanktionierung zuständigen Stelle den Ausschlag. Das Benehmenserfordernis ist insoweit eine weniger intensive Beteiligungsform als eine Regelung, wonach ein Einvernehmen angestrebt werden solle.

 

49 Diese Definition des Benehmens wurde durch das BSG im Vertragsarztrecht in Bezug auf dort geregelte gesetzliche Benehmenserfordernisse geprägt (BSGE 29, 111 (113); 75, 37 (40); zur Abgrenzung von dem Anstreben eines Einvernehmens s. BSGE 110, 222, 239). Während das BSG dabei zunächst offenbar noch eine gemeinsame Beratung als die zwingend gebotene Form zur Beilegung sich zeigender Differenzen ansah (BSGE 29, 111, 113), ging es aber alsbald nur noch abschwächend davon aus, dass „unter Umständen sogar“ eine Beratung geboten sein könne (BSGE 75, 37, 40). Soweit in zeitlich nachfolgenden vertragsarztrechtlichen Entscheidungen – auf die sich die Klägerin beruft – zur Definition des Benehmenserfordernisses ausgeführt wurde, dass die Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme und die Einbeziehung gegebenenfalls vorgebrachter Bedenken in die Entscheidungserwägungen erforderlich seien (BSGE 77, 288, 290; BSG 03.03.1999, B 6 KA 15/98 R, juris Rn 18), und Bemühungen zur Ausgleichung von Differenzen nicht mehr ausdrücklich angesprochen wurden, bedeutet dies nicht, dass das BSG – dazu noch ohne ausdrückliche Distanzierung von seiner früheren Rechtsprechung – die bisherigen Anforderungen an eine Herstellung des Benehmens abgesenkt hätte. Die ursprüngliche Definition des Begriffs ‚Benehmen‘ ist weiterhin als die eigentlich maßgebliche anzusehen (vgl die aktuelle Entscheidung BSG SGb 2017, 472 ff Rn 29, die ausschließlich die og älteren Entscheidungen BSGE 29, 111 ff und BSGE 75, 37 ff zitiert), es handelt sich bei der neueren Rechtsprechung lediglich um eine Wiedergabe der maßgeblichen Entscheidungen in verkürzter Form. Der Hintergrund dieser sprachlichen Verkürzung dürfte darin zu sehen sein, dass in den Entscheidungen weniger die genauen Anforderungen an eine Herstellung des Benehmens im Mittelpunkt stand, sondern – aus diesem Grund wurde vor allem der Gesichtspunkt der „Einbeziehung“ in die Sachentscheidung durch die sprachliche Verkürzung betont – die Frage, ob ein Benehmen auch noch nachträglich nach Ergehen der Sachentscheidung hergestellt werden kann. Diese durch das BSG geprägte Definition der Herstellung des Benehmens beansprucht – auch wenn das BSG seine Definition mit der Einschränkung versehen hat, dass sie „jedenfalls im Kassenarztrecht“ gelte, das „im besonderen Maße auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Ärzte und Krankenkassen angelegt“ sei (BSGE 29, 111 (113)) – auch im Rahmen von § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrags Geltung.

 

50 Dass auch die Rahmenvertragspartner das Benehmen als eine Beteiligungsform eigenständiger Natur zwischen der bloßen Anhörung und der Herstellung des Einvernehmens schaffen wollten, ergibt sich zunächst daraus, dass der Rahmenvertrag neben dem Benehmen auch die Begriffe der Anhörung (ebenfalls § 11 Abs. 1) sowie des Einvernehmens verwendet (§ 8b Abs. 2, Abs. 3). Dass die Rahmenvertragspartner dem Begriff des Benehmens keinen abweichenden Inhalt beimessen wollten, etwa in dem Sinne, dass ein Versuch der Ausräumung von Meinungsverschiedenheiten nicht notwendig sei und lediglich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Einwendungen genüge (vgl dazu BVerwGE 92, 258, 262: das Benehmen sei eine gutachtliche Anhörung einer anderen Behörde, mit deren Äußerungen sich die entscheidende Behörde in den Gründen ihrer Entscheidung befassen müsse), liegt nicht nahe. Da der Begriff des Benehmens im Sozialrecht – wenngleich vorwiegend im Vertragsarztrecht – eine eigene Prägung durch das BSG erfahren hat, ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Rahmenvertragspartner in § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrags den durch das BSG geprägten Begriffsinhalt zugrunde legen wollten. Auch die in § 129 SGB V vorgesehene grundsätzlich gleichberechtigte Rollenverteilung zwischen Apotheker- und Krankenkassenverbänden bei der Ausgestaltung der Leistungserbringung spricht dafür, dass die Rahmenvertragspartner das Benehmenserfordernis in einem starken Sinne, wie ihn das BSG geprägt hat, konzipiert haben.

 

51 Den dargelegten Anforderungen ist die Klägerin nachgekommen. Die Stellungnahme des LAV Baden-Württemberg hat sie zur Kenntnis genommen und sich – was Mindestanforderung des Benehmens ist (vgl auch Axer, GesR 2015, 641, 649; Soltész/Werner, KV 2013, 185, 190) – mit ihr auseinandergesetzt. Zusätzliche Bemühungen zur Ausräumung der sich infolge des Schreibens des LAV vom 31.07.2012 zeigenden Differenzen waren jedenfalls im vorliegenden Fall nicht geboten.

 

52 Zwar hat sich die Klägerin nach der sprachlichen Formulierung ihres Schreibens nur mit den Einwendungen der Beklagten aus deren Anhörungsschreiben auseinandergesetzt (Seite 1 des Schreibens: „unter Berücksichtigung [I]hres Vorbringens“). Allerdings sind die Einwendungen der Beklagten deckungsgleich mit denen des LAV (Bestehen einer Friedenspflicht – keine Nachweisbarkeit von Vorsatz – späte Meldung von Lieferengpässen – geringe Zahl der für eine Sanktionierung ausgewählten Apotheker), denn die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme vom 10.09.2012 zur Verteidigung gegen eine Vertragsstrafe ausdrücklich auf die Ausführungen des LAV Bezug genommen und sich diese zu eigen gemacht. Dass die Klägerin bereits in ihrem – vor Erhalt der Stellungnahme des LAV abgesandten – Anhörungsschreiben an die Beklagte die Einwendungen des LAV berücksichtigte, war durch die og Definition des Benehmens nicht gefordert. Die Anhörung diente parallel zu der Einholung der Stellungnahme des LAV Baden-Württemberg gleichermaßen nur der Vorbereitung der abschließenden Sachentscheidung. Entscheidend ist alleine, dass eine Auseinandersetzung mit den Einwendungen des LAV stattfand, bevor eine abschließende Sachentscheidung getroffen wurde.

 

53 Jedenfalls im vorliegenden Fall bedurfte es vonseiten der Klägerin keiner zusätzlichen Bemühungen, durch eine nochmalige Beratung mit dem LAV oder ähnliche Maßnahmen die sich zeigenden Differenzen über die Gebotenheit einer Vertragsstrafverhängung auszuräumen. Anders als die Klägerin meint, folgt dies jedoch nicht schon daraus, dass sie gemeinsam mit dem DAV, dessen Vorsitzender mit dem des LAV personenidentisch ist, ein Staffelschema für Vertragsstrafen wegen der in Frage stehenden Form der Pflichtverletzung erarbeitet hat. Denn der LAV hat der Anwendung dieses Schemas auf die Beklagte am 31.07.2012 ausdrücklich widersprochen. Daran war er auch nicht aufgrund der Personenidentität des Vorsitzenden gehindert, denn in seiner Eigenschaft als Vorstand des DAV – der Zusammenfassung der 27 deutschen Apothekerverbände – vertritt dieser nicht den Willen des LAV, sondern alleine den innerhalb des DAV gebildeten Verbandswillen.

 

54 Das Erfordernis, dass sich die Beteiligten grundsätzlich „an einen Tisch setzten sollen“, um Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, besteht alleine im Interesse der ins Benehmen zu setzenden Stelle, der dadurch eine Einflussmöglichkeit auf das Handeln der entscheidenden Stelle gegeben werden soll (vgl zum Zweck von Benehmenserfordernissen, der anderen Seite Einwirkungs- und Einflussmöglichkeiten auf die Sachentscheidung zu verschaffen, BSGE 29, 111, 113; Soltész/Werner, KV 2013, 185, 190). Daraus folgt zugleich, dass die in das Benehmen zu setzende Stelle auf eine nochmalige Kontaktierung durch die entscheidende Stelle zum Zwecke der Beilegung der Differenzen auch verzichten bzw auf sonstige Weise zum Ausdruck bringen kann, dass sie auf einer neuerlichen Kontaktierung nicht besteht.

 

55 In diesem Sinne hat vorliegend der LAV in seinem Schreiben vom 31.07.2012 zum Ausdruck gebracht, dass er eine neuerliche Kontaktierung vor der Verhängung einer Vertragsstrafe nicht mehr für zwingend erforderlich hielt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens des LAV vom 31.07.2012. Zwar erklärt der LAV eingangs, dass er gegen die Vertragsstrafe „protestiere“, und er beendet das Schreiben mit der Bitte, die geplante Vertragsstrafe „einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen“. Die Klägerin musste darin aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsempfängers jedoch nicht das Verlangen nach einer erneuten Abstimmung sehen. Denn vielmehr brachte der LAV durch eine weitere Formulierung zu Beginn des Schreibens aus objektiver Empfängersicht zum Ausdruck, dass er auf eine neuerliche Kontaktierung vor der Sanktionsverhängung keinen Wert mehr legte. Der LAV formulierte dort: „wir bitten Sie dies [gemeint ist die ablehnende Haltung des LAV gegenüber Vertragsstrafen] im Anschreiben an die zu bestrafenden Apotheker auch so wiederzugeben.“ Der LAV stellte sich ausweislich dieser Formulierung den weiteren Geschehensfortgang in der Form vor, dass seine Stellungnahme bei der Klägerin eingeht, diese die Stellungnahme zur Kenntnis nimmt und daraufhin – nach der vom LAV erbetenen „Prüfung“ – entweder von der Verhängung der Vertragsstrafe absieht oder andernfalls das Sanktionierungsverfahren durch Versendung eines Anhörungsschreibens an die Beklagte und im Anschluss daran durch Festsetzung der Vertragsstrafe fortführen würde, ohne den LAV nochmals zu benachrichtigen. Der LAV wünschte für den Fall der Fortsetzung des Sanktionierungsverfahrens lediglich – ohne dass dies aber Bedingung für die Verhängung der Vertragsstrafe sein sollte –, dass sein Protest in das Sanktionierungsschreiben aufgenommen wird. Hätte der LAV demgegenüber eine nochmalige Beratung über die Vertragsstrafe gewünscht, wäre zu erwarten gewesen, dass er als nächsten Schritt nach der geforderten Überprüfung der Vertragsstrafe durch die Klägerin eine nochmalige Kontaktaufnahme und nicht lediglich den Versand von Anhörungsschreiben, die seinen Protest wiedergeben, verlangt hätte. Dieses Verständnis wird noch dadurch bestärkt, dass – ohne dass es hierfür an dieser Stelle auf dessen genauen Inhalt ankäme – ausweislich des Schreibens des LAV bereits ein Telefongespräch mit der Klägerin vorausgegangen war. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Schreiben des LAV so auffassen, dass er neuerliche Unterredungen mit der Klägerin nicht mehr für notwendig erachtete, da bereits ein aus seiner Sicht dem Umfang nach ausreichendes Gespräch stattgefunden hatte. Darauf, inwieweit die Klägerin bereits vor dem 31.07.2012 im Wege fernmündlicher Gespräche mit dem LAV aktiv versucht hatte, sich konkret zeigende Differenzen beizulegen, kommt es daher nicht mehr an. Dem von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis musste daher nicht nachgegangen werden.

 

56 d) Die Klägerin war berechtigt, eine Vertragsstrafe auszusprechen. Der Ausspruch einer Vertragsstrafe steht im hier zu beurteilenden Fall grundsätzlich mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beansprucht bei der Verhängung von Vertragsstrafen nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages uneingeschränkt Geltung (s dazu auch Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60). Die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Vertragsstrafbemessung ergibt sich bereits aus dem Revisionsurteil selbst. Da das BSG dem Senat aufgegeben hat, von Feststellungen zur Verhältnismäßigkeit zu treffen, steht die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schon nach § 170 Abs. 5 SGG bindend fest (vgl BSG 31.03.2015, B 12 KR 6/14 B, juris Rn 4). Dass das BSG in diesem Zusammenhang nur – wie die Klägerin meint – von einer eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeht, ist nicht ersichtlich. Das BSG führt zwar an einer Stelle aus, dass die Vertragsstrafe „unter Berücksichtigung von Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit“ ergehen müsse (juris Rn 33). Die Wendung „unter Berücksichtigung von Grundsätzen“ ist aber nicht in einem abschwächenden Sinne (in Form eines Gegensatzes zu „Beachtung der Grundsätze der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit“) dahin zu verstehen, dass die sanktionierende Stelle Verhältnismäßigkeitserwägungen jedenfalls nicht ganz außer Acht lassen darf. Vielmehr ist damit der Sache nach eine umfassende Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemeint. Das BSG bezeichnet die rahmenvertraglichen Maßnahmen als Grundrechtseingriffe (juris Rn 34) und erachtet vor der Verhängung einer Vertragsstrafe im Ergebnis dieselben Beteiligungsrechte wie vor Erlass eines Verwaltungsaktes für erforderlich (juris Rn 33). Gegen Ende der Entscheidung (juris Rn 35) gibt es dem Senat ohne sprachliche Einschränkung auf Feststellungen zu treffen, „ob die […] Vertragsstrafe mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz/Übermaßverbot in Einklang steht“. Dass das BSG nur von einer eingeschränkten Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeht, liegt zudem deshalb fern, weil es etwa Rechnungslegungsfristen, die in ergänzenden Verträgen auf Landesebene geregelt sind, als am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messende Berufsausübungsregelungen qualifiziert (BSGE 97, 23, 27; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 Rn 15 f).

 

57 Die Festsetzung der Vertragsstrafe verfolgt einen legitimen Zweck und ist zur Zweckerreichung beim hier zu Grunde liegenden Vertragsverstoß der Beklagten erforderlich. Die Verhängung einer Vertragsstrafe nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages soll die Einhaltung der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften für die Zukunft sicherstellen (Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60). Dieser Zweck ist legitim, weil bei nicht ausreichender Beachtung krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben das Leistungsgeschehen gestört wird. Er hat nimmt einen hohen Rang ein, weil die Beachtung der krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben für die Funktionsfähigkeit der das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs. 1 GG) verwirklichenden Sozialversicherung essentiell ist. Die Erreichung dieses Zweckes wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Beklagte mittlerweile eine bessere Apothekensoftware angeschafft hat, mit der ihr der hier in Frage stehende Fehler angeblich nicht mehr unterlaufen wird. Zwar sind Sanktionen aufgrund ihrer präventiven Zwecksetzung nicht mehr zulässig, wenn eine Wiederholung des Pflichtverstoßes in der Zukunft nicht mehr möglich ist (vgl Steinhilper, in: HK-AKM, Disziplinarverfahren der KVen (1485), Rn 99). Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte, die durch ihre Pflichtverletzungen eine gewisse geminderte Bereitschaft zur exakten Einhaltung der Abrechnungsvorschriften gezeigt hat, in der Zukunft trotz Nutzung einer besseren Software ähnliche Pflichtverletzungen bei der Abrechnung begehen könnte.

 

58 Anders als die Klägerin meint, folgt die Angemessenheit einer Vertragsstrafe nicht schon daraus, dass das BSG von der „Verhältnismäßigkeit der konkreten Vertragsstrafe“ spricht. Aus dieser Äußerung folgt nicht, dass das BSG die Verhängung einer Vertragsstrafe als solche für angemessen und nur deren Höhe für erörterungsbedürftig hält. Zur Verhältnismäßigkeit einer Vertragsstrafe rechnet schon begrifflich, dass die Wahl dieser Maßnahme als solche mit der Schwere der Pflichtverletzung überhaupt in Einklang gebracht werden kann. Die Wahl des Sanktionsmittels „Vertragsstrafe“ ist jedoch in der Sache angemessen. Auch wenn die rahmenvertraglichen Sanktionsmittel grundsätzlich in einem Stufenverhältnis stehen und ein Sanktionsmittel höherer Stufe erst ergriffen werden darf, wenn ein Sanktionsmittel niedrigerer Stufe nicht mehr ausreicht (Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60), ist vorliegend die Verhängung einer Vertragsstrafe gerechtfertigt.

 

59 Denn ein milderes Mittel ist hier nicht ersichtlich. Der Ausspruch einer Verwarnung wäre zwar für die Beklagte weniger einschneidend, aber nicht gleich effektiv wie die mit einer Geldzahlungspflicht einhergehende Festsetzung einer Vertragsstrafe. Die der Beklagten vorzuwerfenden Pflichtverletzungen sind durchaus gravierend. Die PZN dient dazu, den Warenverkehr mit Apotheken zu organisieren und die vereinfachte Abrechnung der Apotheken mit den Krankenkassen zu ermöglichen (BGH 06.10.2016, I ZR 165/15, PharmR 2017, 27). Verfehlungen in Bezug auf die Angabe der zutreffenden PZN erschweren die korrekte Abrechnung, führen regelmäßig zu nachträglich nicht nachvollziehbaren Abrechnungsfehlern und können daher grundsätzlich mit der Verhängung einer Vertragsstrafe geahndet werden.

 

3. 60 Die Geltendmachung einer Vertragsstrafe in Höhe von 6.560,00 EUR widerspricht jedoch im vorliegenden Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass Eingriffszweck und Eingriffsfolgen – bezogen auf die Verhängung einer Vertragsstrafe nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages: die Schwere der Pflichtverletzung und die Höhe der Vertragsstrafe – nicht außer Verhältnis stehen. Bei der Sanktionsbemessung ist zentraler Gesichtspunkt die Schwere der Verfehlung. Zugunsten des Apothekers ist zusätzlich etwa zu berücksichtigen, ob bereits andere Maßnahmen festgesetzt wurden oder ob er sein Fehlverhalten eingeräumt hat; zu Ungunsten des Apothekers kann dagegen die längere zeitliche Fortdauer eines bestimmten Verstoßes gewertet werden (vgl jeweils für Disziplinarmaßnahmen im Vertragsarztrecht Steinmann-Munzinger/Engelmann, in: jurisPK-SGB V, § 81 SGB V Rn 71). Der von der Klägerin geforderte Betrag von 6.560,00 EUR stellt sich unter Berücksichtigung der Schwere der von der Beklagten begangenen Pflichtverletzung als unangemessen dar.

 

61 Zu Lasten der Beklagten fällt ins Gewicht, dass der sie subjektiv treffende Verschuldensvorwurf als grob fahrlässig zu bewerten ist. Da Lieferengpässe bereits seit Einführung der vorrangigen Abgabe von Rabattarzneimitteln im Jahr 2007 als Problem vor allem bei Beginn der Rabattvertragslaufzeit bekannt waren (vgl Pohl, Versicherungswirtschaft 2007, 1516, juris), hätte die Beklagte Arbeitsabläufe zum geeigneten Umgang mit Lieferengpässen etablieren müssen und auch ihre Mitarbeiter hätten für den Umgang mit solchen Problematiken sensibilisiert sein müssen. Vor allem die Tatsache, dass das Verfahren bei Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln im Rahmenvertrag ausdrücklich geregelt ist (§ 4 Abs. 4 S 4 des Rahmenvertrages – Aufdruck einer Sonder-PZN), musste für die Beklagte und ihre Mitarbeiter Anlass für eine Überprüfung sein, ob die vorhandene Ausstattung der Beklagten die Durchführung dieses Prozederes erlaubte und wo sich möglicherweise Schwierigkeiten und Fehlerquellen in den Betriebsabläufen stellen könnten. Die Tatsache, dass die Fehlaufdrucke möglicherweise durch die Eigenheiten der konkret verwendeten Apothekensoftware bedingt waren – von der Krankenkasse gemeldete Rabattarzneimittel (vgl § 130 Abs. 4 S 2 SGB V) werden dort wohl automatisch als Standard-Arzneimittel hinterlegt, deren PZN automatisch auf eingelesene Verordnungen aufgedruckt und Lieferengpässe nur bei ausdrücklicher, im fraglichen Zeitraum nicht erfolgter Meldung im System angezeigt – vermag die Beklagte angesichts dessen nicht zu entlasten. Die Beklagte hat auch in der nichtöffentlichen Sitzung vor dem SG am 02.07.2014 eingeräumt, dass sie sich darauf verlassen habe, dass die Verrechnungsstelle Fehler korrigiere. Zudem hat sie ausgeführt, dass sie seinerzeit nicht die Möglichkeit gehabt habe, immer im Detail zu überprüfen, ob die zutreffende PZN auf dem Rezept aufgedruckt worden sei. Sie habe aber stets Medikamente so ausgewählt und abgegeben, dass der Klägerin kein Schaden entstanden sei. Damit steht für den Senat fest, dass die Beklagte zumindest keine geeigneten Vorkehrungen dafür geschaffen hat, dass regelmäßig die PZN des abgegebenen statt des verordneten und nicht lieferbaren Medikaments in die Verordnung eingetragen worden ist. Dieses Organisationsverschulden ist ihr, auch wenn sie zu wenig Personal hatte, zuzurechnen.

 

62 Auf eine relevante Mitverursachung der Klägerin durch die Meldung eines Rabattarzneimittels in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis möglicher Lieferschwierigkeiten oder durch nicht rechtzeitige Hinweise auf Lieferengpässe kann sich die Beklagte nicht berufen. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin bereits bei Rabattvertragsschluss damit rechnen musste, dass es zu Lieferengpässen bei Metoprolol kommt – beispielsweise, weil der Zuschlag erst sehr kurzfristig vor Beginn der Vertragslaufzeit nach Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens (OLG Düsseldorf, 09.05.2011, VII-Verg 42/11) erteilt werden konnte. Ebenfalls kann dahinstehen, ob die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, zeitnah die Lieferschwierigkeiten zu melden. Denn selbst wenn die Klägerin ein solcher Mitverursachungsanteil treffen sollte, würde er gegenüber der Pflichtverletzung der Beklagten nicht nennenswert ins Gewicht fallen. Die Tatsache, dass viele Apotheken keine oder nur sehr geringfügige Verstöße vorzuweisen hatten – wobei es sich bei Metoprolol zugleich um einen recht gängigen Wirkstoff handelt, der in Apotheken häufig umgesetzt wird – zeigt, dass die Abrechnungsfehler ihre Ursache ganz maßgeblich in der Sphäre der Beklagten hatten und bei sorgfaltsgemäßem Verhalten vermeidbar gewesen wären. Die Klägerin muss weiterhin auch nicht besondere Rücksicht darauf nehmen, inwieweit bestimmte Apothekensoftwaresysteme aufgrund ihrer Funktionsweise die Gefahr von Abrechnungsfehlern steigern, wenn ein Rabattvertrag als geschlossen gemeldet wird, es aber zu Lieferverzögerungen kommt. Die Klägerin durfte vielmehr angesichts des rahmenvertraglich in § 4 Abs. 4 S 4 unter Mitwirkung des DAV als Interessenvertretung der Apotheker geregelten Prozederes bei Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln davon ausgehen, dass sämtliche an der Versorgung teilnehmende Apotheken mit Lieferengpässen adäquat umgehen können. Diese Umstände sind schon deshalb nicht maßgeblich, weil der relevante Vertragsverstoß nicht im Einsatz einer möglicherweise ungeeigneten Apothekensoftware oder der Nichtlieferbarkeit des Rabattarzneimittels begründet ist, sondern in der von der Beklagten nicht zutreffend eingetragenen bzw nicht korrigierten PZN auf der Verordnung.

 

63 Hingegen kann aufgrund des Schutzzwecks der verletzten Vorschriften – Sicherung eines ordnungsgemäßen Abrechnungsvorgangs im Verhältnis zwischen Apotheker und Krankenkassen – nicht zum Nachteil der Beklagten berücksichtigt werden, dass pharmazeutische Unternehmer den Krankenkassen in anderem Zusammenhang die Falschabrechnung durch Apotheker vorwerfen. Ohnehin war mit der Erhebung derartiger Vorwürfe nicht zu rechnen, da Krankenkassen Falschabrechnungen durch Apotheker nicht zuzurechnen sind. Da es zu keiner Rabattzahlung durch den pharmazeutischen Unternehmer an die Klägerin gekommen ist, die den Rabatt eingefordert hatte, kann auch eine Schädigung Dritter nicht zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden. Den der Klägerin bei der Korrespondenz mit dem pharmazeutischen Unternehmer entstandenen Verwaltungsaufwand, weil dieser die Entrichtung des Rabattes zu Recht verweigerte, weil sein Arzneimittel tatsächlich nicht abgegeben worden war, sieht der Senat als eher geringfügig an.

 

64 Die gegen die Beklagte sprechenden Umstände werden durch zu ihren Gunsten sprechende Umstände so weit aufgewogen, dass jedenfalls die Verhängung einer Vertragsstrafe in Höhe von 6.560,00 EUR nicht mehr angemessen erscheint. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass der Betrag von 6.560,00 EUR etwa ein Viertel der maximalen Vertragsstrafsumme ausmacht und dass etwa im Vertragsarztrecht ein solcher Betrag regelmäßig nur bei schweren Verstößen verhängt wird (s dazu Steinhilper, in: HK-AKM, Disziplinarverfahren der KVen (1485), Rn 98, 102, mit dem Beispiel „schwere Verfehlungen im Notdienst“).

 

65 Zugunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die von ihr begangenen Pflichtverstöße zwar grob fahrlässig, aber nicht vorsätzlich begangen wurden. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Beklagte den Umstand zunutze gemacht hat, dass den Krankenkassen im Rahmen der Abrechnungsprüfung nur eine stichprobenweise Kontrolle möglich ist. Bei der Abgabe rabattierter Arzneimittel ist vielmehr damit zu rechnen, dass die Krankenkasse den Rabatt vom pharmazeutischen Unternehmer einfordert und spätestens dann die Angabe einer unzutreffenden PZN auffallen wird. Dies gilt erst recht, wenn das angeblich abgegebene rabattierte Arzneimittel noch gar nicht verfügbar ist. Auch im konkreten Fall war es so, dass der Klägerin die fehlerhafte Angabe der PZN deshalb aufgefallen ist, weil das Arzneimittel in dieser Zeit am Markt überhaupt nicht verfügbar war (Schriftsatz der Klägerin vom 30.06.2015, Seite 40, Bl 156 der Akte L 11 KR 674/15). Jedenfalls lässt sich eine vorsätzliche Vorgehensweise der Beklagten nicht nachweisen.

 

66 Auch haben die Pflichtverletzungen zu keinem Zeitpunkt die Gesundheit der Versicherten gefährdet (zu diesem Gesichtspunkt für das vertragsärztliche Disziplinarrecht Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 81 SGB V Rn 39). Deshalb kann offen bleiben, ob und inwieweit die Patientengesundheit vom Schutzzweck der verletzten Vertragsbestimmungen erfasst ist.

 

67 Zugunsten der Beklagten ist wesentlich zu berücksichtigen, dass vor dem jetzt eingetretenen Vertragsverstoß keine andere Pflichtverletzung im Raum steht. Weiterhin wiegt der bei der Klägerin verursachte wirtschaftliche Schaden nicht schwer. Die Schadenshöhe ist mit maximal 18,92 EUR gering. Von diesem Betrag ging die Beklagte aus. Diesem Vortrag wurde von der Klägerin letztlich nicht substantiiert widersprochen. Offenbleiben kann dann, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Die vertraglichen Regelungen zwischen der Klägerin und des pharmazeutischen Herstellers hinsichtlich des Falls der Nichtlieferbarkeit von Rabattarzneimitteln sind dem Senat nicht bekannt.

 

68 Weiterhin ist zugunsten der Beklagten einzustellen, dass gegen sie bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen der Abrechnungsverstöße geführt worden war. Die Strafanzeige der Klägerin stellt zwar nicht – wie die Beklagte meint – einen Vertragsbruch dar, denn zum einen ist die Inanspruchnahme staatlicher Verfahren außer im Falle bewusst unwahren Vorbringens von der Rechtsordnung gebilligt und zum anderen zeigt die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und damit von einem Anfangsverdacht ausgegangen ist (§ 152 StPO), dass die Vorwürfe der Klägerin nicht gänzlich unvertretbar waren. Allerdings war die Konfrontation mit Ermittlungsverfahren wegen Betruges für die Beklagte allgemein emotional belastend.

 

69 Ebenfalls zugunsten der Beklagten spricht, dass sie zwar mit 44 unrichtigen Verordnungen eine hohe Zahl von Pflichtverstößen begangen hat, es sich aber um gleichartige Verstöße in einem engen zeitlichen Zusammenhang handelt, die außerdem alle auf dieselbe unzureichende organisatorische Vorkehrung (Verwendung einer möglicherweise unzulänglichen Software, unterbliebene Einweisung des Personals, ungünstige Reihenfolge bei der Ausgabe der Präparate und dem Bedrucken der Verordnungen usw) zurückzuführen sind. Dieser Aspekt lässt namentlich eine schematische Staffelung der Vertragsstrafe in der von der Klägerin angewandten Form, wonach pro Verstoß ein gleichbleibender Fixbetrag zuzüglich Sockelbeträge je Monat in Ansatz gebracht werden, als nicht angemessen erscheinen. Vielmehr muss bei der Ermittlung der Höhe der Vertragsstrafe ein Gesamtgeschehen samt den zu Grunde liegenden Umständen in einer Gesamtschau berücksichtigt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch in Fällen, in denen ein Vertragsverstoß in der Vergangenheit bereits einmal sanktioniert worden ist, bei einem weiteren Verstoß die Vertragsstrafenhöhe unabhängig von der Anzahl der Verstöße deutlich empfindlicher ausfallen kann.

 

70 Ob die Beklagte – wie von ihr vorgebracht – für ihre Abgabefehler außerdem auf Null retaxiert wurde, ist für die Bemessung der Vertragsstrafe ohne Einfluss und bedarf daher keiner weiteren Sachaufklärung. Eine erfolgte Retaxation auf Null wäre bei der Sanktionsverhängung nicht zu berücksichtigen, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt der Schadensverminderung noch unter dem Gesichtspunkt von Kumulationseffekten. Eine erst nach Auszahlung der Vergütung eingreifende Retaxation auf Null, wie sie die Beklagte schildert, würde den bereits eingetretenen Schaden der Klägerin nicht ausschließen, sondern nur dessen Rückgängigmachung dienen. Dass eine erfolgte Schadensrückgängigmachung die Sanktionierung nicht beeinflusst zeigt sich etwa daran, dass im Vertragsarztrecht Honorarkürzungen nach den §§ 106 ff SGB V und Disziplinarmaßnahmen nebeneinander stehen können (dazu zB Ossege, in: Berchtold/Huster/Rehborn, § 106d SGB V Rn 56). Eine erfolgte Retaxation auf Null muss auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Kumulation mehrerer Sanktionsmittel berücksichtigt werden. Die Retaxation auf Null hat keinen Sanktionscharakter, sondern stellt die normale wirtschaftliche Reaktion auf eine vorschriftwidrige Arzneimittelabgabe dar (Armbruster, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 61). Sie setzt – auch wenn sie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Steuerungsfähigkeit der sozialrechtlichen Normen sicherstellen soll – kein Verschulden voraus. Die ersatzlose Rückforderung des Vergütungsanspruchs ist lediglich die zwingende Folge dessen, dass die abschließenden Regelungen des Krankenversicherungsrechts eine rechtmäßige Arzneimittelabgabe als Voraussetzung für die Entstehung eines Vergütungsanspruchs vorsehen (vgl auch § 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages). Sie dient alleine dem Ausgleich einer unrechtmäßig entstandenen Vermögenslage. Diese unterschiedliche Zielsetzung von Retaxation (Ausgleich einer Vermögensverschiebung) und Sanktionierung (Einwirkung zur Erreichung rechtmäßigen Verhaltens in der Zukunft) spricht dagegen, eine erfolgte Retaxation bei der Sanktionsbemessung zu berücksichtigen.

 

71 Da die Klägerin neben neun weiteren Apothekern eine signifikant höhere Häufung von Abrechnungsfehlern bei der Abgabe von Metoprolol aufwies als andere Apotheken, ist es nicht willkürlich (Art 3 Abs. 1 GG), die Sanktionierung auf die zehn Apotheken mit der höchsten Verstoßquote zu beschränken.

 

72 Die Selbstverpflichtung („Friedenspflicht“) der AOK aus dem Jahr 2011 steht der Sanktionierung – etwa unter dem Gesichtspunkt einer Zusicherung – nicht entgegen, da sie sich nur auf Verletzungen der Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel (§ 129 Abs. 1 S 3 SGB V) bezog, nicht aber auf die Pflicht, das tatsächlich abgegebene Arzneimittel bei der Abrechnung korrekt zu deklarieren.

 

4.

 

73 Die Klägerin kann jedoch nur die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 EUR verlangen. Die Unverhältnismäßigkeit des Vertragsstrafverlangens führt dazu, dass der Senat in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 S 2 BGB selbst eine ihm nach billigem Ermessen angemessen erscheinende Vertragsmaßnahme festlegen muss.

 

74 a) Die Vorschrift des § 319 Abs. 1 S 2 BGB ist auf die Verhängung einer Vertragsstrafe nach § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages entsprechend anzuwenden. Dies ergibt sich aus § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrages, wonach „im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend gelten“. Die Vorschrift des § 69 Abs. 1 S 3 SGB V – diese wird von der Klägerin für die Anwendbarkeit des Bürgerlichen Rechts auf rahmenvertragliche Vertragsstrafen herangezogen – kommt dagegen nicht als Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 319 Abs. 1 S 2 BGB in Betracht, weil sie nur die durch das Gesetz begründeten leistungserbringungsrechtlichen Rechtsbeziehungen betrifft, die Möglichkeit der Festsetzung einer Vertragsstrafe aber konstitutiv auf der rahmenvertraglichen Regelung des § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrags beruht. § 129 Abs. 4 SGB V gibt den Rahmenvertragspartnern nur allgemein auf, geeignete Sanktionsmittel zu schaffen, und belässt ihnen bei der Wahl der Sanktionsmittel und ihrer konkreten verfahrensmäßigen Ausgestaltung ein Regelungsermessen (s zu Letzterem Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 63).

 

75 Die Anwendung von § 319 Abs. 1 S 1 BGB auf eine rahmenvertragliche Vertragsstrafe geht zwar über eine entsprechende Anwendung in dem Sinne hinaus, dass eine bürgerlich-rechtliche Vorschrift lediglich in das öffentliche Recht übertragen wird, denn die Verhängung einer rahmenvertraglichen Vertragsstrafe unterscheidet sich strukturell stark von einer einseitigen Leistungsbestimmung durch Dritte nach Bürgerlichem Recht. Die von §§ 317, 319 BGB im direkten Anwendungsbereich erfasste Situation stellt sich so dar, dass zwei Rechtssubjekte einen Vertrag abschließen und in dem Vertrag einem von ihnen benannten Dritten das Recht einräumen, einen Teil der Vertragsinhalte mit Wirkung für sie zu konkretisieren. Die Entscheidungsmacht des nach § 129 Abs. 4 S 1 SGB V iVm § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages für die Sanktionierung zuständigen Krankenkassenlandesverbandes beruht hingegen nicht auf einer vertraglichen Befugnisübertragung durch den von einer Sanktionierung betroffenen Apotheker. Zum einen sind Parteien des Rahmenvertrages schon nicht die einzelnen Apotheker, sondern die vertragschließenden Verbände auf Bundesebene. Zum anderen und vor allem folgt bereits aus dem Gesetz selbst, dass im Leistungserbringungsrecht der Apotheker ein Sanktionenregime existieren muss. Würde der Rahmenvertrag keine Sanktionen regeln, würde im Wege des Schiedsverfahrens nach § 129 Abs. 7 bis Abs. 10 SGB V eine derartige Regelung zwangsweise geschaffen. Der Rahmenvertrag konkretisiert alleine das „Wie“ der Sanktionen und bestimmt die Zuständigkeit für die Sanktionierung.

 

76 Die entstehungsgeschichtliche Auslegung von § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrages spricht allerdings dafür, § 319 Abs. 1 S 1 BGB in einem weit verstandenen Sinne „entsprechend“ auf die rahmenvertragliche Vertragsstrafe anzuwenden. Vor Inkrafttreten des § 129 SGB V im Jahr 1989, unter der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung (RVO), war die Leistungserbringung durch Apotheken ebenfalls schon durch zwischen Apotheken- und Krankenkassenverbänden vor allem auf Bundeslandesebene ausgehandelte Verträge (sog Arzneilieferverträge) geregelt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um Normenverträge. Die Vorschrift des § 375 RVO sah – freiwillige – Einzelvertragsschlüsse durch die einzelnen Apotheker und Krankenkassen vor. Auch soweit alternativ nach §§ 406, 407 RVO und nach § 414e RVO Leistungserbringungsverträge auf Verbandsebene geschlossen werden konnten, blieben die Parteien derartiger Verträge die einzelnen Apotheker. Die Krankenkassenverbände nach § 406 RVO konnten schon nach dem Wortlaut von § 407 Abs. 1 Nr 2 RVO nur mit den einzelnen Apothekern Verträge schließen, sodass Partei eines von ihnen mit einem Apothekerverband geschlossenen Vertrages nicht der Apothekerverband selbst sein konnte. Soweit § 414e S 2 lit c RVO vorsah, dass Krankenkassenlandesverbände mit „Verbänden“ der Leistungserbringer Verträge schließen konnten, erwuchs den Leistungserbringerverbänden daraus gleichfalls nicht die Befugnis, aus eigenem Recht mit Wirkung für ihre Mitglieder zu handeln (Behrends, Grenzen des Privatrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1986, S 126). Die verbandlich geschlossenen Verträge mussten daher als Bündel einer Vielzahl äußerlich zusammengefasster Verträge mit den einzelnen Apothekern konstruiert werden. Um die Vertragsbindung der einzelnen Apotheker zu begründen, bediente man sich stellvertretungsrechtlicher Konstruktionen oder es wurden Beitrittsmöglichkeiten nicht verbandsangehöriger Apotheker vorgesehen (s dazu Flüchter, Kollektivverträge und Konfliktlösung im SGB V, 2000, S 71 ff; Tauber, Gesetzliche und vertragliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Apothekern und Krankenkassen, 1969, S 106 ff). Diese Verträge unter der Geltungszeit der RVO sahen teilweise ebenfalls schon Vertragsstrafregelungen vor. Ab dem 01.10.1988 enthielt etwa der – bundesweit geltende – Arzneiliefervertrag der Ersatzkassen Regelungen über einen Vertragsausschuss, der bei unkorrekter Abrechnung oder ähnlichem Fehlverhalten Verwarnungen, Geldbußen bis zu 50.000 DM oder einen Ausschluss des Apothekers von der Beteiligung an dem Arzneilieferungsvertrag aussprechen konnte (Gerdelmann, Die Ersatzkasse 1988, S 401 (402 f). Auch zuvor hatte es schon derartige Regelungen in Arzneilieferverträgen gegeben (vgl allgemein Hess, in: Kasseler Kommentar, § 129 SGB V Rn 14. Ein Vertragsausschuss mit der Aufgabe, Vertragsverstöße zu ahnden, ist auch schon erwähnt bei Tauber aaO, S 158.). Bei einer Geldbußfestsetzung durch einen solchen Vertragsausschuss handelte es sich tatbestandlich um eine Leistungsfestsetzung durch einen Dritten iSv § 317 BGB in direkter Anwendung, denn Partei des Vertrages waren jeweils die einzelnen Apotheker, die die genaue Festsetzung der zwischen ihnen und der Kassenseite nur dem Grunde nach vereinbarten Vertragsmaßnahmen freiwillig auf den Vertragsausschuss als Dritten übertragen hatten (vgl. Behrendes, aaO, S 282, 284).

 

77 Wäre auf Vertragsstrafen nach § 129 Abs. 4 S 1 SGB V iVm § 11 Abs. 1 des Rahmenvertrags die Vorschrift des § 319 Abs. 1 S 2 BGB nicht anwendbar, hätte dies zur Folge, dass die Vertragsstrafverhängung an Effektivität verlöre. Denn eine abschließende Beendigung der Streitigkeit in dem anhängigen Prozess wäre in diesem Fall nicht möglich und es müsste zunächst eine neue Strafe verhängt und diese erneut eingeklagt werden: Zum einen dürfte eine gerichtliche Entscheidung am sog Nichtigkeitsdogma scheitern, wonach rechtswidrige Rechtsakte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts unwirksam sind (vgl dazu LSG Berlin-Brandenburg 28.02.2014,L 32 AS 2279/13 B PKH, juris Rn 13), mit der Folge, dass Verhängung einer unverhältnismäßigen Vertragsstrafe insgesamt unwirksam ist; eine fehlerunabhängige Wirksamkeit nach §§ 39 Abs. 1, Abs. 3, 40 SGB X scheidet mangels Verwaltungsaktcharakters des Vertragsstrafverlangens aus. Zum anderen wäre wegen des Charakters der Vertragsstraffestsetzung als Ermessensentscheidung (s dazu Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 60) eine Abweisung der Klage insgesamt anstelle einer Reduktion der eingeklagten Summe geboten, damit das Gericht sein Ermessen nicht an die Stelle das der sanktionierenden Stelle setzt (vgl allgemein dazu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 54 SGG Rn 28; in Bezug auf vertragsarztrechtliche Disziplinarmaßnahmen vgl BSGE 62, 127, 131). Die Sanktionierung von Apothekern wäre dadurch zeitlich langwierig (vgl bezüglich Schiedssprüchen, sofern die Schiedsperson ihr Ermessen selbst neu ausüben muss, BSGE 121, 343, 348). Sie würde sich über einen längeren Zeitraum hinziehen als während der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung und wäre im Vergleich weniger effektiv. Es ist davon auszugehen, dass die Rahmenvertragsparteien dieses Ergebnis vermeiden wollten.

 

78 Von der Ermächtigungsgrundlage des § 129 Abs. 4 S 1 SGB V ist der Verweis auf § 319 Abs. 1 S 1 BGB gedeckt. Den Rahmenvertragsparteien kommt ein großer Regelungsspielraum für das Verfahren der Sanktionierung zu (Armbruster, in: Eichenhofer/v Koppenfels-Spies/Wenner, § 129 SGB V Rn 3). Auch die Tatsache, dass durch die entsprechende Anwendung von § 319 Abs. 1 S 2 BGB dem Gericht eine materiell verwaltende Tätigkeit überantwortet wird (vgl dazu BSGE 11, 102, 110), führt nicht dazu, dass diese Regelung nicht mehr vom Gestaltungsspielraum der Rahmenvertragspartner umfasst wäre (zur grundsätzlichen Möglichkeit solcher Regelungen vgl BSGE 62, 127, 131). Die in § 319 Abs. 1 S 1 BGB liegende dargestellte effektive Fehlerbehebungsmöglichkeit wollte der Gesetzgeber nicht beseitigen, als er mit Einführung des Gesundheitsreformgesetzes die unter Geltung der Reichsversicherungsordnung freiwillig verbandlich geschlossenen Verträge, auf die die §§ 315 ff BGB unmittelbar Anwendung fanden, durch Normenverträge ablöste. Denn durch die Einführung normenvertraglicher Strukturen mit teilweise obligatorischen Mindestinhalten (zB § 129 Abs. 2 SGB V) sollte die Steuerbarkeit der Leistungserbringung durch Apotheken ausschließlich verbessert werden (vgl BT-Drs 11/2237, S 138: „Steuerungsmängel“ im Bereich der Arzneimittelversorgung waren Anlass für die Neukonzeption des Leistungserbringungsrechts bei Einführung des SGB V im Jahr 1989).

 

79 Die Ablehnung der Anwendung von § 319 Abs. 1 S 2 BGB bezüglich der Entscheidung einer Schiedsperson durch das BSG (BSGE 118, 164 ff = juris Rn 47 ff) beruht auf den Besonderheiten des Schiedsverfahrensrechts im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht. Dort sprechen die vorhandenen gesetzlichen Wertungen sowie die Komplexität der zu treffenden Entscheidung insgesamt gegen eine Ersetzungsbefugnis des Gerichts. Die vorliegend zu treffende Entscheidung ist jedoch nicht derart komplex und es existieren keine anderweitigen gesetzlichen Wertungen, die einer gerichtlichen Entscheidung zwingend entgegenstünden. Sanktionen sind außer in § 129 SGB V lediglich in § 81 SGB V geregelt. Ungeachtet der grundsätzlich nicht gegebenen Übertragbarkeit von Prinzipien des Vertragsarztrechts auf das Leistungserbringungsrecht der Apotheker belässt § 81 Abs. 5 S 1 SGB V den Kassenärztlichen Vereinigungen ein Regelungsermessen bei der verfahrensmäßigen Ausgestaltung der vertragsarztrechtlichen Disziplinarmaßnahmen.

 

80 Gegenüber der Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach § 343 BGB ist die gerichtliche Entscheidung nach § 319 Abs. 1 S 2 BGB vorrangig. Dies entspricht allgemeiner Ansicht im Bürgerlichen Recht (Gottwald, in: Münchener Kommentar BGB, § 339 BGB Rn 29; Janoschek, in: BeckOK BGB, § 339 BGB Rn 2; Schaub, in: Erman, § 343 BGB Rn 2; Walchner, in: AnwKomm, § 343 BGB Rn 10; vgl auch BGH NJW 1994, 45, 46) und hat insbesondere rechtskonstruktive Gründe. Während die Anwendung von § 343 BGB nur zu einer Herabsetzung der Vertragsstrafe unter grundsätzlicher Bindung der getroffenen Entscheidung führt, erfolgt im Anwendungsbereich von § 319 BGB eine originäre gerichtliche Neubestimmung ohne jegliche Bindung an die Entscheidung des Dritten (vgl dazu Ulrici, in: BeckOGK, § 319 BGB Rn 36).

 

81 Bei der Verweisung auf § 319 Abs. 1 S 2 BGB handelt es sich nur um eine Form des Rechtsfolgenverweises auf die gerichtliche Entscheidungsbefugnis nach § 319 Abs. 1 S 2 BGB, ohne dass es der bei unmittelbarer Anwendung im Bürgerlichen Recht erforderlichen besonderen – hier wohl aber ohnehin in der Sache gegebenen – Voraussetzungen bedarf.

 

82 Die Anwendbarkeit von § 319 Abs. 1 S 2 BGB im Bürgerlichen Recht setzt die offenkundige Unbilligkeit der Leistungsbestimmung voraus. Hierzu muss die Leistungsbestimmung in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen und sich dies bei unbefangener sachkundiger Prüfung sofort aufdrängen (BGH NJW 1991, 2761, 2761). In verfahrensrechtlicher Sicht bedarf es daneben im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens eines Antrags des Beklagten auf gerichtliche Entscheidung. Dafür ist zwar nicht die Erhebung einer Gestaltungs-Widerklage notwendig (Wagner, in: AnwKomm, § 315 BGB Rn 17), doch muss sich der Betroffene jedenfalls einredeweise auf die gerichtliche Herabsetzbarkeit berufen (vgl BGH NJW 1983, 1777, 1778; NJW 2003, 3131 3132), wofür es aber genügt, wenn er etwa die Unangemessenheit der einseitig bestimmten Leistung rügt (BGH NJW 1983, 1777, 1778).

 

83 Auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt es jedoch nicht an. Es reicht für die Anwendung von § 319 Abs. 1 S 2 BGB aus, wenn das Vertragsstrafverlangen wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz objektiv rechtswidrig ist. Dies ergibt sich daraus, dass das Vertragsstrafverlangen als Form schlichthoheitlichen Handelns dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen muss und dieses Ergebnis nicht durch die Zugrundelegung des teils großzügigeren Prüfungsmaßstabes der offenbaren Unbilligkeit umgangen werden darf (vgl zu solchen Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 319 Abs. 1 S 2 BGB im Sozialrecht schon BSGE 11, 102, 110 unter Bezugnahme auf Art 19 Abs. 4 GG). In vergleichbarer Weise hat das BSG mit Hinweis auf die im öffentlichen Recht geltenden Besonderheiten in Bezug auf eine Schiedsperson nach § 132a BGB ausgeführt, dass entgegen dem Wortlaut von § 319 Abs. 1 S 2 BGB der Schiedsspruch auf Billigkeit und nicht nur auf offenbare Unbilligkeit zu prüfen sei (BSGE 107, 123, 133 f). Hierdurch wollte das BSG im Ergebnis sicherstellen, dass die Einhaltung eines aus einfachrechtlichen Vorgaben hergeleiteten Entscheidungsprogramms der Schiedsperson (s dazu BSG 107, 123, 137) ausreichend kontrolliert werden kann. Dieselben Erwägungen sprechen gegen die Erforderlichkeit eines Antrags des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung, denn die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss das Gericht von Amts wegen überprüfen.

 

84 b) Die angemessene Höhe einer Vertragsstrafe sieht der Senat aufgrund der oben aufgezeigten Abwägungskriterien und Umstände am unteren Ende des nach § 11 Abs. 1 Nr 2 des Rahmenvertrages in Betracht kommenden Betragsrahmens, konkret bei 1.000 EUR.

 

III.

 

85 Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch besteht nicht. Die Zusprechung von Verzugszinsen nach §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr 3, Abs. 4 BGB (zur Geltung der Verzugszinsregelung im Leistungserbringungsrecht der Apotheker vgl BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 3 Rn 20 ff) wegen ernsthafter Verweigerung der Leistung durch das Schreiben vom 15.01.2013 scheitert an der von § 286 Abs. 1 BGB vorausgesetzten Fälligkeit der Leistung. Da die unverhältnismäßige Vertragsstrafverhängung nach § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrages iVm § 319 Abs. 1 S 1 BGB unverbindlich war, konnte sie keine Zinszahlungspflicht auslösen (vgl BGH NJW-RR 2007, 56, 58). Die Entscheidung des BSG vom 25.03.2015 (B 6 KA 9/14 R, BSGE 118, 164, 171), in dem es den unbilligen Schiedsspruch einer Schiedsperson nach § 132a SGB V wegen der im Sozialrecht geltenden Besonderheiten dennoch als bis zu einer abweichenden gerichtlichen Entscheidung beachtlich ansah, lässt sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Diese Entscheidung beruht maßgeblich darauf, dass der Schiedsspruch der Schiedsperson notwendige Grundlage für die Durchführung einer funktionsfähigen Heilmittelversorgung ist, weil ohne vertragliche Grundlage die dort behandelte hausarztzentrierte Versorgung nicht erbracht werden kann und gleichzeitig deren Erbringung von den Krankenkassen zu gewährleisten ist.

 

86 Weiterhin waren keine Rechtshängigkeitszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zuzusprechen. Prozesszinsen nach § 291 BGB können im Falle der Leistungsbestimmung durch Gestaltungsurteil nicht zugesprochen werden. Prozesszinsen sind kein Unterfall der Verzinsungspflicht wegen Verzugs, vielmehr wird der Schuldner durch § 291 BGB schon deshalb einer Zinspflicht unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das damit verbundene Risiko einstehen soll. Dieses Risiko kann nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr entstehen, so dass bei einer Geldforderung, deren Fälligkeit erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit eintritt, kein Anspruch auf Prozesszinsen besteht (BGH NJW-RR 2007, 56, 58 f).

 

IV.

 

87 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 S 1 Hs 3 SGG, 155 Abs. 1 S 1 Var 2 VwGO, da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die Quotierung berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Begehr einer Vertragsstrafe durchgedrungen ist, diese jedoch in der Höhe deutlich von der eingeklagten Forderung abweicht. Dabei sind auch die Kosten des Revisionsverfahrens anteilig zu verteilen, wenngleich die Klägerin dort bei isolierter Betrachtung obsiegt hat (vgl dazu BVerwG Buchholz 360 § 8 GKG Nr 7).

 

V.

 

88 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 S 1 Hs 1 SGG iVm §§ 63, 52 Abs. 1, 3, 47 GKG, wobei sich der geltend gemachte Zinsanspruch gemäß § 43 GKG nicht streitwerterhöhend auswirkt.

 

89 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).