Oberlandesgericht Frankfurt/M., Urteil vom 7. Dezember 2023, Az: 6 U 165/22

System zur Prüfung der Echtheit und Unversehrtheit von Arzneimitteln

Entscheidungen in Leitsätzen

UWG § 3a; RL 2001/83/EG Art 1 Nr. 23, Art. 54o; Delegierte VO (EU) Nr. 2016/161 Art. 38

Leitsatz des Gerichts:

Werden im Reporting-System für die Echtheit und Unversehrtheit von Arzneimitteln Arzneimittelherstellern Informationen zu den „Substatus“ „Ausgebucht“/ „Checked out“ und „Abgegeben“/„Supplied“ eines Arzneimittels zur Verfügung gestellt, verstößt dies gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 2016/161.

 

Gründe

 

A.

 

Die Klägerinnen nehmen den Beklagten auf Beseitigung eines ihres Erachtens rechtswidrigen Zustands in Anspruch, der in der Bereitstellung von Angaben zum Verbleib von Arzneimittelchargen besteht.

 

Nachdem sich in der Europäischen Union ein besorgniserregender Anstieg der Zahl gefälschter Arzneimittel feststellen ließ, die eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen und auch über die legale Lieferkette zu Patienten gelangten (vgl. Erwägungsgründe 2 und 3 RL 2011/62/EU; siehe nunmehr auch Anlage PM47, GA 629 ff.), wurde auf Grundlage der Richtlinie 2011/62/EU (zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette) und der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 2016/161 der Kommission (zur Ergänzung der Richtlinie 2001/83/EG durch die Festlegung genauer Bestimmungen über die Sicherheitsmerkmale auf der Verpackung von Humanarzneimitteln; nachfolgend: Delegierte Verordnung oder DVO) ein System zur Prüfung der Echtheit und Unversehrtheit grundsätzlich aller verschreibungspflichtigen und einiger nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eingeführt, an dem die meisten Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – seit dem 09.02.2019 teilnehmen (vgl. u.a. Art. 54a Abs. 1 RL 2001/83/EG i.V.m. der Delegierten Verordnung).

 

Zum Schutz vor dem Eindringen gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette muss die äußere Umhüllung oder – sofern eine solche nicht vorhanden ist – die Primärverpackung (vgl. Art. 1 Nr. 23 RL 2001/83/EG) des betreffenden Arzneimittels seitdem Sicherheitsmerkmale aufweisen, die es Großhändlern und Personen, die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind, ermöglichen, die einzelnen Packungen zu identifizieren und ihre Echtheit zu überprüfen. Hierzu muss der Hersteller auf jeder einzelnen Arzneimittelverpackung ein individuelles Erkennungsmerkmal in Form eines zweidimensionalen Barcodes anbringen (Art 4 und 5 DVO, sog. Unique Identifier). Außerdem muss jede Verpackung – was vorliegend nicht relevant ist – eine Vorrichtung aufweisen, die es ermöglicht, zu überprüfen, ob die äußere Umhüllung manipuliert worden ist (sog. Anti-tampering Device, vgl. insgesamt Art. 54 Buchst. o) RL 2001/83/EG; zu Ausnahmen siehe Art. 54a Abs. 1 RL 2001/83/EG i.V.m. Art. 2 DVO).

 

Die Überprüfung der Echtheit der Arzneimittel erfolgt über ein Datenspeicher- und -abrufsystem (zu dessen Einzelheiten, vgl. Art. 33 ff. DVO). Das System besteht aus einem zentralen europäischen Informations- und Datenrouter (sog. „Hub“) und Datenspeichern für das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats („nationale Datenspeicher“) bzw. für das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten („supranationale Datenspeicher“), die mit dem Hub verbunden sind (vgl. Art. 33 Abs. 1 DVO). Für den Hub ist eine nicht gewinnorientierte Rechtsperson verantwortlich (die EuropeanMedicines Verification Organisation (EMVO), vgl. Art. 31 Abs. 1 DVO). Jeder nationale oder supranationale Datenspeicher muss nach Art. 35 Abs. 1 Buchst. b) DVO ebenfalls von einer nicht gewinnorientierten Rechtsperson eingerichtet und verwaltet werden, wobei die Europäische Kommission (nachfolgend: Kommission) als Verordnungsgeber klargestellt hat, dass nur eine Rechtsperson pro Mitgliedstaat die Verantwortung tragen darf (vgl. ihre Antwort auf die Frage 7.12 in ihren „Questions and Answers“ [Anlagen K8 und PM46 (Version 20 von Juni 2022, GA 594 ff. [621])] „Is it possible to have multiple national repositories, multiple supranational repositories or a combination of national and supranational repositories serving the territory of a given Member State?“: „No. In accordance with Article 32, paragraphs 1 and 2, the territory of a given Member State should be served by the hub and either a national or a supranational repository connected to the hub“). Die Verantwortung für das deutsche System liegt beim Beklagten als sog. „National Medicine Verification Organisation“ (NMVO). Dabei besteht hierzulande die Besonderheit, dass es kein einheitliches Speichersystem, sondern drei verschiedene Systeme gibt: Das streitgegenständliche System für die pharmazeutische Industrie (nachfolgend: PU-System), das sog. Apothekensystem und das Behördeninformationsportal (auch Reportingsystem bzw. [vormals] konfliktmanagendes System oder auch KM-System). Zwar ist die Beklagte für alle drei Systeme verantwortlich, sie betreibt diese aber nicht selbst. Das PU-System wird aufgrund eines von ihr mit der Streithelferin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags (Anlage PM1) von dieser im eigenen Namen und auf eigene Rechnung betrieben. Die Streithelferin erhält jedenfalls eine Vergütung von den das System nutzenden Unternehmen (vgl. exemplarisch den Kooperationsvertrag mit der Tochtergesellschaft der Klägerin zu 1, X GmbH, Anlage K8). Die Streithelferin hat den technischen Betrieb des PU-Systems ihrerseits auf die Y GmbH (nachfolgend: Y) als Subunternehmerin ausgelagert.

 

Die individuellen Erkennungsmerkmale der einzelnen Arzneimittelpackungen sind im Datenspeicher- und -abrufsystem mit einem „aktiven Status“ gespeichert, wenn sie nicht deaktiviert, also nicht in einen Status gesetzt sind, der eine weitere erfolgreiche Überprüfung der Echtheit dieses individuellen Erkennungsmerkmals verhindert (vgl. u.a. Art. 3 Abs. 2 Buchst. c) bis e) DVO). Zu deaktivieren sind sie unter anderem, wenn sie in den Verkehr gebracht werden (an die Öffentlichkeit abgegeben, etwa in einer Apotheke), wenn sie in einen Drittstaat außerhalb der Europäischen Union exportiert oder vernichtet werden sollen und wenn sie zurückgerufen oder gestohlen worden sind. Die Gründe für die Deaktivierung werden im System hinterlegt. Bei Abgabe eines Arzneimittels an die Öffentlichkeit lautet der Grund für die Deaktivierung europaweit einheitlich – ohne dass dies gesetzlich vorgegeben wäre – (auf Deutsch) „abgegeben“ (und/oder „dispensed“) bzw. „supplied“.

 

Ein Parallelhändler (mit Herstellungserlaubnis) darf ein individuelles Erkennungsmerkmal nach Art. 47a RL 2001/83/EG, Art. 16 Abs. 1, Art. 17 DVO ausnahmsweise, nachdem er die Echtheit und eine fehlende Manipulation des betreffenden Arzneimittels geprüft hat, entfernen oder überdecken, wenn er es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als vom Originalhersteller (auch: Originator) zunächst vorgesehen in Verkehr bringen möchte. Dazu muss er das ursprüngliche individuelle Erkennungsmerkmal deaktivieren und ein gleichwertiges neues individuelles Erkennungsmerkmal anbringen und ins System hochladen. Als Grund für die Deaktivierung des ursprünglichen individuellen Erkennungsmerkmals hat sich insoweit die Bezeichnung (auf Deutsch) „ausgebucht (check out)“ bzw. „checked out“ etabliert.

 

Die Streithelferin stellte ihren Kunden aufgrund eines vom Beklagten gebilligten Beschlusses ihrer Gesellschafter (des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), des Pro Generika e.V. und des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)) als freiwillige „Reporting“-Dienstleistung einen „Bericht zum Chargenstatus (G370)“ zur Verfügung, der zu den von den Unternehmen jeweils erstmalig hochgeladenen individuellen Erkennungsmerkmalen eine Übersicht über die Anzahl der sich im jeweiligen „Status“ befindlichen Packungen enthielt, wobei anstelle der Anzahl wahlweise der relative Prozentwert abgerufen werden konnte. Zur detaillierten Auswertung der einzelnen Chargen konnten folgende Status (als absoluter oder relativer Wert) abgerufen werden: „Abgabebereit“, „Abgegeben“, „Zerstört“, „Exportiert“, „Gesperrt“, „Zurückgerufen“, „Abgelaufen“, „Gestohlen“, „Probe“, „Gratismuster“, „Ausgebucht (Check out)“ (vgl. Anlage K7, GA 111). Mittlerweile heißt dieser Bericht, ohne dass sich eine inhaltliche Änderung ergeben hätte: „Batch Overwiew Report“ („batch“ = Charge; nachfolgend einheitlich: „Bericht“). „Abgegebene“ Packungen werden im Bericht entsprechend der üblichen Terminologie als „supplied“ und von Parallelhändlern deaktivierte als „checked out“ bezeichnet (vgl. die englischsprachige Anlage K9, GA 318 ff.).

 

Die Klägerinnen gehören zum X-Konzern, der Parallelhandel mit Arzneimitteln betreibt. Die Klägerin zu 2 ist die dänische Konzernmutter.

 

Die Klägerinnen haben erstinstanzlich behauptet, die Klägerin zu 1 erwerbe Arzneimittel („die deutsche Ware“) in Deutschland von Großhändlern und exportiere diese ins Ausland. Die Klägerin zu 2 sei konzernweit für die Deaktivierung der individuellen Erkennungsmerkmale verantwortlich. Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, die Angabe der Anzahl bzw. Prozentzahl der „abgegebenen“/„supplied“ und „ausgebuchten“/„checked out“ Packungen pro Charge im Bericht sei rechtswidrig. Aufgrund des fortdauernden Gesetzesverstoßes stehe ihnen unter dem Gesichtspunkt einer Schutzgesetzverletzung ein Beseitigungsanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog) i.V.m. Art. 38 Abs. 1, Art. 36 DVO, i.V.m. § 4 GeschGehG (bzw. aus § 6 GeschGehG), i.V.m. Art. 339 AEUV und i.V.m. Kartellrecht (Art. 101, 102 AEUV bzw. §§ 1, 18, 19 GWB) zu.

 

Die Klägerinnen haben beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, den Zustand zu beseitigen, dass im Rahmen des „Datenbanksystems der pharmazeutischen Industrie“ („ACS-PU-System“) und/oder über ein „NMVS Reporting“ ein Bericht zum Chargenstatus Arzneimittelherstellern zur Verfügung gestellt wird, der auch die Informationen „Ausgebucht“ bzw. „Checked out“ und „Abgegeben“ bzw. „Supplied“ enthält,

 

wenn dies geschieht wie aus Anlage K 7 und/oder Anlage K 9 ersichtlich.

 

Dem ist die Beklagte unterstützt durch die Streithelferin entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, Art. 38 Abs. 1 DVO räume den pharmazeutischen Unternehmen ein anlassloses Zugriffsrecht auf die in Rede stehenden „Substatus“ ihrer Arzneimittel ein.

 

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (vgl. GA 475 ff. i.V.m. dem Tatbestandberichtigungsbeschluss vom 13.11.2023, GA 788 ff.). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, den Klägerinnen stehe der geltend gemachte Beseitigungsanspruch aus §§ 8, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO zu. Nach letzterer Vorschrift dürfe Arzneimittelherstellern nur Zugriff auf die von ihnen selbst eingegebenen sowie auf die in Art. 33 Abs. 2 DVO genannten und auf die Daten zum Status eines Arzneimittels gewährt werden. Die Statusmerkmale „abgegeben“ und „ausgebucht“ bzw. „deaktiviert“ seien weder von Arzneimittelherstellern selbst eingegeben worden noch in Art. 33 Abs. 2 DVO aufgeführt. Allerdings gehörten der Status „deaktiviert“ und damit die Synonyme „ausgebucht“ und „checked out“ zu den „Informationen zum Status eines individuellen Erkennungsmerkmals“, die nach Art. 38 DVO weitergegeben werden dürften. Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst a), c) und d) DVO seien nämlich die Informationen über das Sicherheitsmerkmal gemeint, das die Überprüfung der Echtheit und Identifizierung einer Einzelpackung ermögliche, und mit denen sich feststellen lasse, ob ein Erkennungsmerkmal einen aktiven Status habe oder deaktiviert worden sei. Keiner Entscheidung bedürfe, ob auch der (Unter-) Status „abgegeben“ nach Art. 36 Buchst. m) DVO erhoben und nach Art. 38 DVO weitergegeben werden dürfe. Denn auch wenn der Status „abgegeben“ erhoben werden dürfe und der Status „deaktiviert“ formal unter den Wortlaut von Art. 38 DVO falle, dürften die Informationen nicht an Arzneimittelhersteller weitergegeben werden. Dies folge aus Erwägungsgrund 37 DVO. Danach sollten die legitimen Interessen, vertrauliche Angaben kommerzieller Art zu schützen, gewahrt und das Eigentum an den durch Verwendung der Sicherheitsmerkmale erzeugten Daten und deren Vertraulichkeit geschützt werden. Daher dürften die nach der Delegierten Verordnung erhobenen Daten nur streng zweckgebunden weiterverarbeitet und weitergegeben werden. Daraus ziehe Erwägungsgrund 38 DVO den Schluss, dass „die Informationen zum Status eines individuellen Erkennungsmerkmals […] für alle Akteure, die die Echtheit von Arzneimitteln überprüfen müssen, zugänglich bleiben [sollten], da die betreffenden Informationen die Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Durchführung solcher Überprüfungen bilden.“ Solle der Schutz vertraulicher kommerzieller Daten gewährleistet sein, müsse diese Schlussfolgerung logisch korrekt dahin präzisiert werden, dass die Informationen zum Status allen genannten Akteuren nur zugänglich bleiben dürften, soweit sie Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Echtheitsprüfung von Arzneimitteln sei.So verstanden möge zwar einleuchten, dass Arzneimittelhersteller über den in Art. 36 Buchst. m) DVO genannten Status „gestohlen“ informiert würden, da diese Information Anlass sein könne, die eigenen Lieferwege oder Lagerhaltungen auf Sicherheitsmängel zu überprüfen. Auch gingen alle Beteiligten selbstverständlich davon aus, dass Apotheker vor Abgabe eines Arzneimittels über den Status „deaktiviert“ informiert sein müssten, weil ein solches Arzneimittel nicht abgegeben werden dürfe. Allerdings leuchte nicht ein, wieso Arzneimittelhersteller zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln über den generellen Status „aktiviert“/„deaktiviert“ oder über den Status „abgegeben“ informiert werden müssten. Der Beklagte und die Streithelferin hätten keinen Grund dafür genannt, dass ein Arzneimittelhersteller diese Informationen für eine Echtheitsprüfung benötige. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO sei auch eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Die Vorschrift bezwecke – zumindest auch – den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer. Davon sei bei Vorschriften des Datenschutzrechts jedenfalls auszugehen, wenn – wie hier – die Verwendung von Daten zu kommerziellen Zwecken erfolge oder ein sonstiger Marktbezug gegeben sei und marktbezogene Interessen geregelt würden. Die geschützten datenschutzrechtlichen Interessen würden gerade durch die Marktteilnahme der Arzneimittelhändler, nämlich das Erfordernis, die mit dem Vertrieb von Arzneimitteln zusammenhängenden Informationen preiszugeben, berührt. Der Schutz der Informationen vor einer Weitergabe an Mitbewerber sei essentieller Zweck des Art. 38 DVO. Ohne diesen Schutz könnte die Dateneingabe vom jeweiligen Unternehmen nicht verlangt werden und das Sicherungssystem nicht funktionieren. Die Klägerin sei auch Mitbewerberin (§ 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG). Zwischen den Parteien bestehe ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Die Anforderungen daran seien nicht hoch. Durch die Weitergabe der beanstandeten Informationen versuche die Beklagte nicht nur Vorteile für den Absatz ihrer eigenen Dienstleistungen durch eine zusätzliche Attraktivität ihrer Datenbank zu erreichen, sondern dadurch könne zugleich der Wettbewerb der Klägerinnen beeinträchtigt werden. Die vollständigen Statusinformationen aus Art. 36 lit. Buchst. m) DVO im Bericht versetzten die Arzneimittelhersteller in die Lage, zu erkennen, welche ihrer Arzneimittel in verstärktem Maß umverpackt und ausgeführt würden. Damit könnten sie am Markt Gegenmaßnahmen ergreifen, etwa ihre Absatzpreise anpassen, was den Wettbewerb der konkurrierenden Klägerinnen beeinträchtigen könne. Damit liege der für ein mittelbares Wettbewerbsverhältnis erforderliche wettbewerbliche Bezug vor, der im Absatz von Arzneimitteln bestehe.

 

Dagegen richten sich die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin, die jeweils das Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgen. Sie sind der Auffassung, das Landgericht habe der Klage zu Unrecht aus Wettbewerbsrecht stattgegeben. Die Klägerinnen seien schon nicht anspruchsberechtigt. Es sei nicht substantiiert dargetan und auch nicht unter Beweis gestellt, dass zwischen jeder der beiden Klägerinnen und dem Beklagten – der selbst keine geschäftliche Handlung vorgenommen habe und dem der Bericht der Streithelferin nicht zuzurechnen sei – ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehe und dass die Klägerinnen jeweils in nicht nur unerheblichem Maße Waren oder Dienstleistungen anböten oder nachfragten. Ihre spürbare Beeinträchtigung sei ebenfalls nicht dargelegt, nicht festgestellt und insbesondere für die Klägerin zu 2 auch nicht erkennen. Das Landgericht habe Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 DVO zu Unrecht einschränkend ausgelegt, zumal diese Vorschrift keine Marktverhaltensregel sei. Sie diene dem Schutz vor gefälschten Arzneimitteln und damit der Patientensicherheit. Das Zurverfügungstellen der streitgegenständlichen Informationen zum Substatus „abgegeben“ bzw. „supplied“ und „ausgebucht“ bzw. „checked out“ sei rechtmäßig (vgl. Frage und Antwort 7.10 der Kommission, Anlagen K8 und PM 46 [GA 594 ff. [621]]). Es gehe nicht um von Nutzern des PU-Systems (bzw. Hubs) generierte Daten, sondern um allgemeine statistische Angaben, die kein Geschäftsgeheimnis seien und keinen objektiven Zusammenhang zur angeblichen Förderung des Absatzes oder Bezugs fremder Unternehmen hätten. Ohne die Information über den „ausgeckten“ Anteil einer Charge wüsste ein pharmazeutischer Unternehmer nicht, welches Schicksal diese Charge genommen habe. Es bestünde dann ein Fälschungsverdacht. Daher stehe den Klägerinnen der geltend gemachte Beseitigungsanspruch auch nicht unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zu (vgl. insofern S. 5 ff. der Berufungsbegründung des Beklagten, GA 536 ff.), zumal sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt habe, dass der geltend gemachte Anspruch verwirkt sei.

 

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M., Aktenzeichen 2-06 O 026/22, im Tenor wie folgt abzuändern:

„Die Klage wird abgewiesen.“

 

Die Streithelferin der Beklagten beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M., Aktenzeichen 2-06 O 026/22, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

 

B.

 

Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen der Beklagten und der Streithelferin haben in der Sache keinen Erfolg.

 

Soweit der Senat unter Ziffer 1 des am Schluss der Berufungsverhandlung verkündeten Urteilstenors versehentlich nur die Berufung des Beklagten und nicht auch der Streithelferin zurückgewiesen hat, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit, die im vorliegenden Urteil gemäß § 319 Abs. 1 ZPO berichtigt worden ist.

 

I. Die Klage ist zulässig.

 

1. Die in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage der Klägerin zu 2 mit Sitz in Dänemark folgt aus Art. 4 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Der Beklagte hat seinen Sitz in Deutschland.

 

2. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet. Zwar ist der Beklagte mit der gesetzlichen Aufgabe des nicht gewinnorientieren Betriebs des deutschen Datenspeichers betraut. Allerdings ist Gegenstand des vorliegenden Rechtstreits keine im gesetzlich zugewiesene Aufgabe, sondern eine aus Sicht der Klägerinnen gesetzwidrige, freiwillige Zusatzleistung der Streithelferin. Insoweit ist nicht vorrangig der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten.

 

3. Entgegen der von der Beklagtenseite erstinstanzlich vertretenen Auffassung ist die Klage der Klägerinnen in Streitgenossenschaft zulässig.

 

Die Klägerinnen stützen sich für ihren Beseitigungsantrag auf denselben tatsächlichen und rechtlichen Grund (§ 59 ZPO). Sie machen geltend, die streitgegenständlichen Angaben seien unter Verstoß gegen rechtliche Vorgaben der Delegierten Verordnung geeignet, ihre Tätigkeit im Parallelhandel mit Arzneimitteln zu beeinträchtigten. Dabei ist aufgrund ihres Vorbringens von einem arbeitsteiligen Zusammenwirken auszugehen.

 

Jedenfalls aber sind die Voraussetzungen des § 60 ZPO erfüllt. Danach können mehrere Personen auch dann als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.

 

4. Der Beseitigungsantrag ist nicht zu beanstanden. Dahinter steckt nach Angabe des Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen in der Berufungsverhandlung die Überlegung, dass die nicht selbst tätig gewordenen Beklagte zur Beseitigung des durch die Streithelferin geschaffenen rechtwidrigen Zustands, und damit letztlich zu einem Einwirken auf diese, verurteilt werden soll. Da ein etwaiger Unterlassungsantrag weiter reichen könnte, ist das Gericht gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die Antragsfassung gebunden.

 

5. Es besteht auch kein Bestimmtheitsproblem.

 

Das Klagebegehren lässt sich den Schriftsätzen der Klägerinnen eindeutig entnehmen. Außerdem nimmt der Beseitigungsantrag auf die konkrete Verletzungsform Bezug.

Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite haben die Klägerinnen auch nicht angeben müssen, in welcher Reihenfolge sie sich auf die verschiedenen Anspruchsgrundlagen stützen. Eine unzulässige alternative Klagehäufung steht nicht in Rede. Die Klägerinnen berufen sich bei identischer Tatsachengrundlage lediglich auf verschiedene Rechtsgrundlagen.

 

II. Die Klage ist auch begründet.

 

Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob sich der Beseitigungsanspruch gemäß dem angefochtenen Urteil aus §§ 8, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO ergibt. Denn er folgt jedenfalls aus §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog) i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO. Ob weitere Anspruchsgrundlagen einschlägig sind, kann dahingestellt bleiben.

 

1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Bericht der Streithelferin (jedenfalls) hinsichtlich der streitgegenständlichen Angaben gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO verstößt.

 

Art. 38 lautet:

 

(1) 1Hersteller, Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen, Großhändler und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder befugte Personen sind für alle bei der Nutzung des Datenspeicher- und -abrufsystems erzeugten und im Prüfpfad gespeicherten Daten verantwortlich. 2Sie haben nur für diese Daten ein Eigentums- und Zugriffsrecht, mit Ausnahme der in Artikel 33 Absatz 2 genannten Informationen und der Informationen zum Status eines individuellen Erkennungsmerkmals.

 

(2) Die Rechtsperson, die den Datenspeicher verwaltet, in dem der Prüfpfad gespeichert ist, hat ohne schriftliche Genehmigung der rechtmäßigen Dateneigner keinen Zugang zu dem Prüfpfad und den darin enthaltenen Daten, ausgenommen zu Zwecken der Untersuchung von potenziellen Fälschungsfällen, die im System gemäß Artikel 36 Buchstabe b markiert sind.

 

a) Wie in der Berufungsverhandlung erörtert worden ist, ist mit „Status“ im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO nur der Zustand eines individuellen Erkennungsmerkmals im Datenspeicher- und -abrufsystem als „aktiv“ oder „deaktiviert“ gemeint. Der Grund für die Deaktivierung, den die am vorliegenden Rechtstreit Beteiligten entsprechend der üblichen Praxis als „Substatus“ bezeichnen, ist nicht erfasst.

 

aa) Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Delegierten Verordnung. In dieser werden nur die Zustände „aktiv“ und „deaktiviert“ als „Status“ bezeichnet.

 

So sieht Art. 3 DVO (zu den Begriffsbestimmungen) vor (Hervorhebung durch das Gericht):

 

„c) Deaktivierung eines individuellen Erkennungsmerkmals“ bezeichnet die Aktion, durch die der aktive Status eines in dem Datenspeicher- und -abrufsystem gemäß Artikel 31 dieser Verordnung gespeicherten individuellen Erkennungsmerkmals auf einen Status gesetzt wird, der eine weitere erfolgreiche Überprüfung der Echtheit dieses individuellen Erkennungsmerkmals verhindert;

 

d) „aktives individuelles Erkennungsmerkmal“ bezeichnet ein individuelles Erkennungsmerkmal, das nicht deaktiviert wurde oder nicht mehr deaktiviert wird und für das keine Markierung als „Nicht-Unionspackung“ gemäß Artikel 36 Buchstabe p gesetzt wurde;

 

e) „aktiver Status“ bezeichnet den Status eines aktiven individuellen Erkennungsmerkmals, das in dem Datenspeicher- und -abrufsystem gemäß Artikel 31 gespeichert ist […]“.

 

Nach Art. 36 Buchst. k) und l) DVO muss das System die Anzeige gestatten, ob ein individuelles Erkennungsmerkmal einen aktiven oder deaktivierten Status hat. Außerdem muss ein Wechsel zwischen diesen beiden Status möglich sein (vgl. Art. 36 Buchst. c), h), k) [„die Rücksetzung des Status eines individuellen Erkennungsmerkmals von deaktiviert auf aktiv unter den in Art. 13 DVO genannten Bedingungen“, siehe auch Erwägungsgrund 17], l) [„die Anzeige, dass ein individuelles Erkennungsmerkmal deaktiviert wurde“]).

 

Eine abweichende Bedeutung des Wortes „Status“ geht nicht aus Art. 13 Abs. 1 DVO und Erwägungsrund 34 hervor.

 

Entsprechendes gilt für Art. 35 Abs. 2 DVO, der vorsieht (Hervorh. durch das Gericht):

 

„Ändert sich in einem nationalen oder supranationalen Datenspeicher der Status des individuellen Erkennungsmerkmals eines Arzneimittels, das in mehreren Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden soll, so meldet dieser Datenspeicher die Statusänderung unverzüglich an den Hub, ausgenommen in Fällen, in denen eine Deaktivierung durch die Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 40 oder 41 erfolgt.“

 

bb) Die Delegierte Verordnung dient dazu, eine effektive Echtheitsprüfung und Identifizierung von Arzneimitteln zu ermöglichen (vgl. u.a. Art. 54a Abs. 2 Buchst. e) RL 2001/83/EG). Sie soll verhindern, dass gefälschte Arzneimittel in die legale Lieferkette eindringen (vgl. Erwägungsgrund 1 DVO). Bei gebotener Gesamtwürdigung gestattet sie dabei nur Zugriff auf im System hinterlegte Daten, soweit dies zur Erfüllung dieser Ziele erforderlich ist.

 

(1) Zwar ist die Erhebung und Speicherung der genauen Gründe für die Deaktivierung eines individuellen Erkennungsmerkmals rechtmäßig und nach der Delegierten Verordnung sogar geboten.

 

(a) Nach Art. 36 DVO muss das Datenspeicher- und -abrufsystem „zumindest“ bestimmte „Aktionen“ gewährleisten. Die Aufzählung unter Art. 36 Buchst. a) bis o) DVO ist nach zutreffender Auffassung der Beklagtenseite mit Blick auf das Wort „zumindest“ insofern nicht abschließend, als weitere „Aktionen“ zulässig sind. Die in Art. 36 Buchst. a) bis o) DVO aufgeführten „Aktionen“ müssen allerdings zwingend möglich sein. Zu diesen (Mindest-) „Aktionen“ gehören die in Art. 36 Buchst. m) DVO aufgeführten („die Anzeige, dass ein Arzneimittel zurückgerufen, vom Markt genommen, gestohlen, ausgeführt, von den nationalen zuständigen Behörden als Probe angefordert oder vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen als Gratismuster vorgesehen wurde oder aber zur Vernichtung bestimmt ist“).

 

(b) Zwar sieht Art. 36 DVO nicht ausdrücklich vor, dass die ‚Abgabe‘ und das ‚Ausbuchen‘ als Grund für die Deaktivierung eines individuellen Erkennungsmerkmals im System angezeigt werden können müssen. Dass auch diese Informationen vorzuhalten sind, folgt allerdings aus Art. 35 DVO. Nach. 35 Abs. 1 Buchst. g) DVO enthält der Datenspeicher ein vollständiges Protokoll („Prüfpfad“) sämtlicher „Aktionen“ im Zusammenhang mit einem individuellen Erkennungsmerkmal – also in Bezug auf jede einzelne Arzneimittelpackung – sowie der Nutzer, die diese Aktion durchführen, und der „Art der Aktionen“. Der Prüfpfad wird beim Hochladen des individuellen Erkennungsmerkmals in den Datenspeicher erstellt und für den vorgegebenen Zeitraum gespeichert. Nach Erwägungsgrund 36 DVO ist es für die Untersuchung mutmaßlicher oder bestätigter Fälschungsfälle hilfreich, wenn möglichst viele Informationen zum betreffenden Arzneimittel vorliegen. Daher sollten in dem Datenspeicher- und -abrufsystem Protokolle sämtlicher „Aktionen“ im Zusammenhang mit einem individuellen Erkennungsmerkmal, einschließlich der Nutzer, die diese Aktion durchführen, sowie der „Art der Aktionen“, gespeichert werden. Diese „Aktionen“ sollten für Untersuchungen von Vorgängen, die im Datenspeicher- und -abrufsystem als potenzielle Fälschungsfälle markiert sind, zugänglich sein und den zuständigen Behörden auf Verlangen unverzüglich bereitgestellt werden.

 

(2) Aus dieser Vorgabe zur weitreichenden Speicherung von „Aktionen“ folgt aber nicht, dass die in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 DVO genannten Personen nach Satz 2 dieser Vorschrift auch Zugriff auf die streitgegenständlichen Informationen haben dürften. Dies ist nach zutreffender Ansicht des Landgerichts nicht der Fall. Insbesondere dürfen pharmazeutische Unternehmen entgegen der Ansicht der Beklagtenseite nicht auf alle bei der Nutzung des Systems erzeugten und im Prüfpfad gespeicherten Daten zu den sie selbst betreffenden Arzneimitteln zugreifen. Zur Untersuchung potenzieller Fälschungsfälle haben nach der Delegierten Verordnung allein die Rechtsperson, die den jeweiligen Datenspeicher verwaltet, und die zuständigen Behörden umfassenden Zugang zum Prüfpfad und zu den darin enthaltenen Daten.

 

Die Rechte und Pflichten der einzelnen Beteiligten sind in der Delegierten Verordnung im Einzelnen geregelt.

 

(a) Der Hersteller, der die Sicherheitsmerkmale anbringt, hat zu überprüfen, ob der zweidimensionale Barcode mit dem individuellen Erkennungsmerkmal den Anforderungen der Artikel 5 und 6 DVO entspricht, lesbar ist und die erforderlichen Informationen enthält (Art. 14 DVO). Er bewahrt Protokolle jeder „Aktion“, die er im Zusammenhang mit dem individuellen Erkennungsmerkmal einer Arzneimittelpackung vornimmt, für den in Art. 15 DVO vorgesehenen Zeitraum auf und stellt diese den zuständigen Behörden auf Verlangen zur Verfügung (Art. 15 DVO).

 

„Hersteller“ im Sinne der Delegierten Verordnung ist dabei nicht nur ein sog. Originator bzw. ursprünglicher Arzneimittelhersteller. Nach Art. 47a Abs. 2 RL 2001/83/EG gelten auch Inhaber einer Herstellungserlaubnis, die (u.a.) die Tätigkeiten gemäß Art. 47a Abs. 1 vorgenannter Richtlinie vornehmen, als Hersteller. Dies betrifft den Parallelhandel. Inhaber einer Herstellungserlaubnis (nachfolgend vereinfacht: Parallelhändler) dürfen die Sicherheitsmerkmale nach Art. 54 Buchst. o) RL 2001/83/EG (d.h. die individuellen Erkennungsmerkmale) gemäß Art. 47 Abs. 1 der Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise entfernen oder überdecken, wenn sie die Arzneimittel in einem anderen Land der Europäischen Union als ursprünglich vorgesehen in Verkehr bringen möchten. Dazu müssen sie zunächst überprüfen, ob das betreffende Arzneimittel echt ist und nicht manipuliert worden ist (vgl. Art. 47 Abs. 1 Buchst. a) RL 2001/83/EG; Art. 16 Abs. 1 Buchst. a) und b), Art. 17 DVO). Dies erfolgt anhand des individuellen Erkennungsmerkmals und des sog. Anti-tampering Device (vgl. u.a. Art. 54 Buchst. o) RL 2001/83/EG). Für den Parallelexport der betreffenden Arzneimittelpackung muss der Parallelhändler das überprüfte individuelle Erkennungsmerkmal deaktivieren und es durch ein gleichwertiges individuelles Erkennungsmerkmal ersetzen (vgl. Art. 47a Abs. 1 Buchst. b) RL 2001/83/EG; Art. 17 DVO). Als Grund für diese Deaktivierung hat sich, wie oben bereits dargetan wurde, der Begriff „ausgebucht“ bzw. „checked out“ eingebürgert. Hat der Parallelhändler bei der erforderlichen Überprüfung Grund zur Annahme, dass das Arzneimittel nicht echt sein könnte oder die Verpackung manipuliert wurde, bringt er es nicht in Verkehr und informiert unverzüglich die zuständigen Behörden (Art. 18 DVO).

 

Für jede Charge neu verpackter oder neu etikettierter Arzneimittelpackungen, die für die Zwecke des Art. 47a RL 2001/83/EG mit gleichwertigen individuellen Erkennungsmerkmalen versehen wurden (zum Begriff der „Charge“, vgl. Art. 6 vorgenannter Richtlinie), meldet der Parallelhändler (vgl. insofern auch die Antwort der Kommission auf die Frage Nr. 7.15, Anlagen K8 und PM46 [GA 594 ff. [622 f.]]) gemäß Art. 35 Abs. 4 DVO die Chargennummer(n) der neu zu verpackenden oder neu zu etikettierenden Packungen sowie die individuellen Erkennungsmerkmale dieser Packungen an den Hub. Außerdem meldet er dem Hub die Chargennummer der sich aus dem Neuverpacken oder Neuetikettierung ergebenden Charge sowie die gleichwertigen individuellen Erkennungsmerkmale in dieser Charge. Zu den verpflichtenden „Aktionen“, die das Datenspeicher- und -abrufsystem insofern nach Art. 36 DVO ermöglichen muss, gehört nach Art. 36 Buchst. n) DVO die Verknüpfung – nach Chargen von Arzneimitteln und nicht nach einzelnen Verpackungen (vgl. Art. 34 Abs. 4, 35 Abs. 4, 36 Buchst. n) DVO) – der Informationen über entfernte oder überdeckte individuelle Erkennungsmerkmale mit den Informationen über die gleichwertigen individuellen Erkennungsmerkmale. Insoweit ist im System zwar eine Verknüpfung hinterlegt, aus der sich ergibt, welche ursprünglichen und neuen individuellen Erkennungsmerkmale die parallelexportierten Arzneimittel einer Charge hatten/haben. Allerdings lässt sich dem System, wie in der Berufungsverhandlung erörtert worden ist, nicht entnehmen, welche konkrete Einzelverpackung zuvor welches individuelle Erkennungsmerkmal hatte. Nach der Delegierten Verordnung wird der Hersteller, der das ursprüngliche individuelle Erkennungsmerkmale angebracht und hochgeladen hatte, auch nicht darüber informiert, welches gleichwertige neue Erkennungsmerkmal der Parallelhändler angebracht hat. Ausweislich Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 DVO hat er auch keinen Zugriff auf die verknüpften Daten zu den neuen individuellen Erkennungsmerkmalen.

 

(b) Großhändler überprüfen unter den Voraussetzungen der Art. 20 bis 22 DVO die Echtheit des individuellen Erkennungsmerkmals. Dies gilt insbesondere, wenn ein Großhändler Arzneimittel außerhalb der Europäischen Union zu vertreiben beabsichtigt (Art. 22 Buchst. a) DVO), bei Retouren durch zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder befugte Personen oder durch Großhändler, die nicht mehr in den Verkaufsbestand aufgenommen werden können (Art. 22 Buchst. b) DVO; vgl. insofern Art. 12, 13 DVO) sowie bei Arzneimitteln, die zur Vernichtung bestimmt sind (Art. 22 Buchst. c) DVO). In diesen Fällen (und in den weiteren Fällen der Art. 22, 23 DVO) deaktiviert er das individuelle Erkennungsmerkmal. Hat der Großhändler einen Manipulations- oder Fälschungsverdacht, darf er das Produkt nicht abgeben und nicht ausführen. Er muss dann unverzüglich die zuständigen Behörden informieren (Art. 24 DVO).

 

(c) Vergleichbares gilt für zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder befugte Personen.

 

Diese überprüfen zum Zeitpunkt der Abgabe an die Öffentlichkeit die Sicherheitsmerkmale jedes mit solchen versehenen Arzneimittels und deaktivieren das individuelle Erkennungsmerkmal (Art. 25 Abs. 1 DVO; zum Vorgehen, wenn nur ein Teil der Packung abgegeben wird, vgl. Art. 28 DVO; siehe auch Art. 25 Abs. 4 Buchst. a) DVO). Dazu verbinden sie sich über den nationalen bzw. supranationalen Datenspeicher mit demDatenspeicher- und -abrufsystems (Art. 25 Abs. 3 i.V.m. Art. 31 DVO). Im Fall eines Manipulations- oder Fälschungsverdachts gilt auch für diese Personen das Verbot, das Arzneimittel an die Öffentlichkeit abzugeben und die Pflicht, unverzüglich die zuständigen Behörden zu informieren (Art. 30 DVO).

 

(d) Die Rechtsperson, die für den Datenspeicher, der zur Überprüfung der Echtheit oder zur Deaktivierung individueller Erkennungsmerkmale von Arzneimitteln genutzt wird, verantwortlich ist, hat den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats nach Art. 39 DVO für bestimmte Zwecke Zugang zum Datenspeicher und den darin enthaltenen Informationen zu gewähren, namentlich zur Untersuchung potenzieller Fälschungsfälle (vgl. Art. 39 Buchst. a) Halbsatz 2 DVO). Die Rechtsperson hat den Datenspeicher auf Warnungen hinsichtlich potenzieller Fälschungsfälle zu überwachen (Art. 37 i.V.m. Art. 36 Buchst. b) DVO) und solche sofort zu untersuchen. Falls sich die Fälschung bestätigt, ist sie verpflichtet, die zuständigen nationalen Behörden, die Europäische Arzneimittel-Agentur und die Kommission zu warnen (vgl. Art. 37 Buchst. d) DVO). Außerdem muss sie den zuständigen Behörden den Prüfpfad (Art. 35 Abs. 1 Buchst. g) DVO) sowie die in Art. 36 Buchst. j) DVO genannten Protokolle auf Verlangen unverzüglich zugänglich machen (Art. 37 Buchst. f) und g) DVO; siehe auch Erwägungsgründe 18 und 36 DVO).

 

Die Rechtsperson ist dabei nach Art. 38 Abs. 2 DVO nur zum Zwecke der Untersuchung potenzieller, im System gemäß Art. 36 Buchst. b) DVO markierter Fälschungsfällen berechtigt, auf den Prüfpfad und die darin enthaltenen Daten zuzugreifen. Im Übrigen benötigt sie dafür eine schriftliche Genehmigung der rechtmäßigen Dateneigner (vgl. Art. 38 Abs. 2 DVO). Ein anlassloses Zugriffsrecht besteht insoweit nicht.

 

(e) Erst Recht könnten Arzneimittelhersteller nicht anlasslos auf die im System gespeicherten Daten zu „ihren“ Arzneimitteln zugreifen.

 

(aa) Über die oben zusammengefasst wiedergegebenen Pflichten hinaus hat der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder – im Fall parallel eingeführter oder parallel vertriebener Arzneimittel, die für die Zwecke des Art.47a RL 2001/83/EG ein gleichwertiges individuelles Erkennungsmerkmal tragen – der für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel Verantwortliche – nach Art. 40 DVO lediglich unverzüglich folgende Maßnahmen zu ergreifen (Hervorh. durch das Gericht):

 

a) Er stellt sicher, dass das individuelle Erkennungsmerkmal eines Arzneimittels, das zurückgerufen oder vom Markt genommen werden soll, in jedem nationalen oder supranationalen Datenspeicher für das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats oder der Mitgliedstaaten, in dem bzw. denen der Rückruf oder die Rücknahme vom Markt erfolgen soll, deaktiviert wird;

 

b) er stellt sicher, dass das individuelle Erkennungsmerkmal eines – soweit bekannt – gestohlenen Arzneimittels in jedem nationalen oder supranationalen Datenspeicher, in dem Informationen zu diesem Produkt gespeichert sind, deaktiviert wird;

 

c) er stellt in die unter den Buchstaben a) und b) genannten Datenspeicher den Hinweis ein, dass dieses Arzneimittel zurückgerufen, vom Markt genommen oder gestohlen wurde.

 

Weitergehende Pflichten obliegen ihm auch in (möglichen) Fälschungsfällen nicht. Daher besteht für Arzneimittelhersteller kein Bedarf, über die von ihnen selbst erzeugten und die in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 DVO genannten Informationen hinaus neben dem Status eines individuellen Erkennungsmerkmals als „aktiv“ oder „deaktiviert“ die Gründe für die jeweilige Deaktivierung zu erfahren. Dies gilt auch, soweit diese im Bericht der Beklagten lediglich in aggregierter Form zur Verfügung gestellt werden.

 

Zwar können die Hersteller für den Fall eines Rückrufs oder (ihnen bekannten) von Arzneimittelpackungen auf die Information angewiesen sein, ob diese im System einen aktiven Status haben oder bereits deaktiviert sind. Davon hängt ihre Pflicht ab, noch aktive individuelle Erkennungsmerkmale zu deaktivieren (Art. 40 Buchst. a) und b) DVO). Wie oben bereits dargetan wurde, können die Originatoren bzw. ursprünglichen Arzneimittelhersteller nach Deaktivieren der ursprünglichen individuellen Erkennungsmerkmale durch Paralallhändler nach der Delegierten Verordnung aber nicht wissen, durch welche gleichwertigen individuellen Erkennungsmerkmale diese ersetzt worden sind (zur Sensibilität der individuellen Erkennungsmerkmale, die nicht an Fälscher gelangen dürfen, vgl. Erwägungsgrund 32 DVO). Sie haben nicht einmal Zugriff auf die Verknüpfung der umetikettierten Chargen. Nach der gesetzlichen Konzeption trifft sie nach der Deaktivierung individueller Erkennungsmerkmalen allenfalls die Pflicht, Warnhinweise nach Art. 40 Buchst. c) DVO ins System hochzuladen, die dann über die Verknüpfung im Hub an einen oder mehrere Datenspeicher weitergegeben werden können.

 

Soweit die Beklagtenseite geltend macht, die von der Streithelferin zur Verfügung gestellten Daten seien im Fall eines Fälschungsverdachts essentiell, um rasch zur Aufklärung beizutragen, ist nicht substantiiert dargetan und auch nicht erkennbar, dass der streitgegenständliche Bericht einen Beitrag dazu leisten könnte, bei Unklarheiten über Teile einer Charge zum Schutz von Patienten vor Arzneimittelfälschungen umgehend Maßnahmen zu ergreifen. Wie in der Berufungsverhandlung erörtert worden ist, ist nicht ersichtlich, wie den ursprünglichen Arzneimittelherstellern im Fall des Parallelhandels nach Deaktivierung der ursprünglichen individuellen Erkennungsmerkmale eine Aufklärung konkreter Fälschungsfälle möglich sein sollte. Die bloße Deaktivierung eines individuellen Erkennungsmerkmals begründet auch noch keinen Fälschungsverdacht. Soweit die Behörden auf eine Zusammenarbeit mit einem ursprünglichen Arzneimittelhersteller angewiesen sind, können sie über die ihnen zugänglich zu machenden Daten zu einzelnen Arzneimittelverpackungen an diesen herantreten.

 

Der Umstand, dass hierzulande noch nicht alle Behörden an das Datenspeicher- und -abrufsystem angeschlossen sein mögen, macht die Bereitstellung von Daten über den in Art. 38 Abs. 1 DVO gesetzlich vorgesehenen Umfang hinaus nicht zulässig (zumal zumindest jedenfalls die Zentralbehörde bereits angebunden ist).

 

(bb) Art. 38 Abs. 1 DVO beruht auf Art. 54 Abs. 3 RL 2001/83/EG. Nach letzter Norm, die Bestandteil der Ermächtigungsgrundlage ist, berücksichtigt die Kommission bei Erlass der in Art. 54 Abs. 2 RL 2001/83/EG genannten Maßnahmen mindestens Folgendes:

 

„a) den im Unionsrecht vorgesehenen Schutz personenbezogener Daten;

 

b) das legitime Interesse, vertrauliche Angaben kommerzieller Art zu schützen;

 

c) das Eigentum an den durch Verwendung der Sicherheitsmerkmale erzeugten Daten und deren Vertraulichkeit […]“.

 

In Umsetzung dieser bindenden Vorgaben verfolgt Art. 38 DVO das Ziel, Daten und vertrauliche kommerzielle Angaben zu schützen. Dies kommt neben dem Wortlaut auch in der Überschrift der Norm („Datenschutz und Eigentum an Daten“) und in Erwägungsgründen 37 und 38 DVO zum Ausdruck (Hervorh. durch das Gericht):

 

„(37) Gemäß Artikel 54a Absatz 3 der Richtlinie 2001/83/EG muss Folgendes berücksichtigt werden: Gewährleistung des im Unionsrecht vorgesehenen Schutzes personenbezogener Daten, Wahrung des legitimen Interesses, vertrauliche Angaben kommerzieller Art zu schützen, sowie Schutz des Eigentums an den durch Verwendung der Sicherheitsmerkmale erzeugten Daten und deren Vertraulichkeit. Deshalb sollten Hersteller, Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen, Großhändler und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder befugte Personen bei der Nutzung des Datenspeicher- und -abrufsystems ausschließlich für die von ihnen selbst erzeugten Daten ein Eigentums- und Zugriffsrecht haben. Wenngleich diese delegierte Verordnung keine Speicherung personenbezogener Daten im Datenspeicher- und -abrufsystem vorsieht, sollte der Schutz personenbezogener Daten für den Fall gewährleistet sein, dass Nutzer der Speicher das Datenspeicher- und -abrufsystem zu Zwecken nutzen, die außerhalb des Geltungsbereichs dieser Verordnung liegen.

 

(38) Die Informationen gemäß Artikel 33 Absatz 2 dieser Verordnung und die Informationen zum Status eines individuellen Erkennungsmerkmals sollten für alle Akteure, die die Echtheit von Arzneimitteln überprüfen müssen, zugänglich bleiben, da die betreffenden Informationen die Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Durchführung solcher Überprüfungen bilden“

 

(cc) Entsprechend hat die Kommission in ihrem Frage-und-Antwort-Katalog klargestellt, dass ein anlassloses Zugriffsrecht der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 DVO genannten Unternehmen nicht besteht. Sie hat auf die Frage

 

„What is the purpose of the exceptions laid out to in the second sentence of Article 38 concerning access to the information referred to in Article 33(2) and the information on the status of a unique identifier?“

 

(Was ist der Zweck/das Ziel der Ausnahme in Art. 38 Abs. 1 DVO zum Zugang zu den in Art. 33 Abs. 2 DVO in Bezug genommenen Informationen und der Information über den Status des individuellen Erkennungsmerkmals?)

 

Geantwortet (Hervorh. durch das Gericht):

 

„Article 38 regulates the ownership and the access of the data stored in the repositories system. It lays down the general rule and an exception to that rule. Since the purpose of Article 38 is, inter alia, to protect the confidentiality of data in the repositories system, including commercially confidential data, as required by Article 54a(3)(b) and (c) of Directive 2001/83/EC, the exception should be interpreted narrowly. In particular, the use of the exception should be limited to those cases where access to the data is necessary to perform the verification/decommissioning operations required by [DVO], as explained in recital 38.“

 

(Art. 38 DVO regelt das Eigentum an und den Zugriff auf den/die im Datenspeicher- und -abrufsystem gespeicherten Daten. Er enthält eine generelle Regel und eine Ausnahme von dieser. Da der Zweck von Art. 38 DVO unter anderem im Schutz vertraulicher Informationen im Datenspeicher- und -abrufsystem besteht, einschließlich, wie von Art. 54a Abs. 2 Buchst. b) und c) RL 2001/83/EG vorgegeben, von vertraulichen Geschäftsdaten, sollte die Ausnahme eng ausgelegt werden. Insbesondere sollte ihre Inanspruchnahme, wie in Erwägungsgrund 38 DVO erläutert, auf die Fälle beschränkt sein, in denen der Zugang zu den Daten notwendig ist, um die von der DVO vorgegebene Überprüfung/Deaktivierung durchzuführen).

 

Wie oben bereits dargetan wurde, ist der Zugriff auf die von der Streithelferin freiwillig zur Verfügung gestellten Daten für deren Kunden nicht erforderlich und der Bericht jedenfalls hinsichtlich der streitgegenständlichen Informationen unzulässig.

 

b) Selbst wenn Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO aber dahin auszulegen wäre, dass mit „Status“ im Sinne des „Substatus“ auch die streitgegenständlichen Deaktivierungsgründe gemeint sind, wäre die Norm nach zutreffender der Auffassung des Landgerichts im Lichte der vorgenannten Antwort der Kommission und der Erwägungsgründe 37 und 38 DVO einschränkend dahin auszulegen, dass auf im System gespeicherte Informationen nur Zugriff besteht, soweit diese im Einzelfall zur Überprüfung der Echtheit eines Arzneimittels bzw. zur Aufklärung eines (mutmaßlichen) Fälschungsverdachts erforderlich sind. Ein anlassloses Zugriffsrecht bestünde dann ebenfalls nicht. Nach zutreffender Auffassung des Landgerichts verstoßen die streitgegenständlichen Berichtsinformationen auch bei diesem Gesetzesverständnis gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO.

 

aa) Dafür, dass das Wort „Status“ in § 38 Abs. 1 Satz 2 DVO die allgemein als „Substatus“ bezeichneten Deaktivierungsgründe umfasst, spricht im Wesentlichen, dass die Kommission auf die Frage

 

„In Article 38(1), what is the meaning of „information on the status of the unique identifier?“

 

(Was die die Bedeutung von „Information zum Status eines individuellen Erkennungsmerkmals“ in Art. 38 Abs. 1 DVO?“)

 

geantwortet hat (vgl. Frage und Antwort Nr. 7.10 in Anlagen K8 und PM 46 [GA 621]):

 

„The information on the status of the unique identifier includes whether the unique identifier is active or decommissioned, and in the latter case, the reasons for the decommissioning“

 

(Die Information zum Status des individuellen Erkennungsmerkmals beinhaltet die Information, ob das individuelle Erkennungsmerkmal aktiv oder deaktiviert ist und in letzterem Fall den Grund für die Deaktivierung).

 

Außerdem könnte eine Zusammenschau von Art. 35 Abs. 2 mit Art. 36 Buchst. o) DVO darauf hindeuten, dass unter den Begriff „Status“ in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO auch die Deaktivierungsgründe fallen. Diese Vorschriften lauten (Hervorh. durch das Gericht):

 

Art. 36 Abs. 2 DVO:

 

„Ändert sich in einem nationalen oder supranationalen Datenspeicher der Status des individuellen Erkennungsmerkmals eines Arzneimittels, das in mehreren Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden soll, so meldet dieser Datenspeicher die Statusänderung unverzüglich an den Hub, ausgenommen in Fällen, in denen eine Deaktivierung durch die Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 40 oder 41 erfolgt.“

 

Art. 36 Buchst. o) DVO:

 

„[…] die Synchronisierung des Status eines individuellen Erkennungsmerkmals zwischen den nationalen oder supranationalen Datenspeichern, die das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten abdecken, in denen das betreffende Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll“.

 

Angesichts des oben skizzierten Erfordernisses, zu Zwecken der Prüfung möglichst umfangreich Daten im System zu hinterlegen, könnte ein umfassender Datenaustausch zwischen dem Hub und jedenfalls den nationalen bzw. supranationalen Datenspeichern derjenigen Länder, in denen das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll, angezeigt sein.

 

bb) Allerdings sind die von der Kommission in ihrem nach Erlass der Delegierten Verordnung veröffentlichten Antworten für die Gerichte nicht bindend.

 

Nach zutreffender Auffassung der Klägerinnen erscheint es wenig überzeugend, den Begriff des „Status“ ohne gesetzlichen Anhaltspunkt für ein entsprechendes Begriffsverständnis zunächst weit zu verstehen und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO dann teleologisch zu reduzieren und den Zugriff auf Informationen über den Status von einem konkreten Informationsbedarf abhängig zu machen. Systemtisch vorzugswürdig ist, die Gründe für die Deaktivierung nicht unter den Begriff des „Status“ im Sinne der Delegierten Verordnung zu subsumieren. Soweit im Einzelfall – außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO – Zugriff auf weitergehende Informationen zu einzelnen „Aktionen“ erforderlich ist, den die Delegierte Verordnung ihrem Wortlaut nach nicht vorsieht, könnte die betreffende Norm unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Delegierten Verordnung erweiternd bzw. ergänzend ausgelegt werden.

 

2. Nach zutreffender Auffassung der Klägerinnen ist Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Vorschrift dient aus den oben dargelegten Gründen (jedenfalls auch) dem Schutz des Eigentums an den in das System hochgeladenen Daten und dem Schutz vertraulicher kommerziellen Informationen (vgl. auch Art. 35 Abs. 1 Buchst. h) DVO).

 

3. Die streitgegenständlichen Informationen fallen auch in den Schutzbereich der Norm.

 

a) Nach substantiiertem Vortrag der Klägerinnen ist denkbar, dass Arzneimittelhersteller, insbesondere Originatoren, anhand der Information, dass eine bestimmte Charge ganz oder teilweise durch einen Parallelhersteller ausgebucht (checked out) worden ist, darauf schließen können, an welchen Großhändler diese Charge abgegeben worden ist. Dies erscheint insbesondere möglich, wenn der Hersteller nur einzelne oder wenige Großhändler beliefert und/oder er anhand des Berichts der Streithelferin über längere Zeit nachvollzieht, was mit den Chargen geschieht. Er kann dann zumindest ermitteln, an welchen ersten Großhändler die betreffende(n) Charge(n) abgegeben worden ist/sind und entsprechend den Feststellungen im angefochtenen Urteil den Vertrieb anpassen und/oder Apotheken direkt beliefern und auf diese Weise den Parallelhandel mit Arzneimitteln behindern. Dass dies vom europäischen Gesetzgeber nicht gewollt ist, folgt (u.a.) aus Erwägungsgrund 34 DVO. Danach soll die Überprüfung von Arzneimitteln gewährleistet werden, ohne dadurch den freien Verkehr von Arzneimitteln im Binnemarkt zu behindern (vgl. Art. 26 ff. AEUV; siehe auch Erwägungsgrund 29 DVO, wonach die Nutzung des Datenspeicher- und -abrufsystems nicht mit dem Ziel eingeschränkt werden sollte, Marktvorteile zu erlangen, und daher die Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen nicht Voraussetzung für die Systemnutzung sein sollte).

 

b) Zwar können schutzwürdigen Interessen der Klägerinnen vordergründig nur durch die Angabe des Anteils der „ausgebuchten“ bzw. „checked out“ Teile jeder von der Klägerseite aus Deutschland heraus parallelexportierten Arzneimittelcharge tangiert werden. Durch die Angabe, welche Anteile einer Charge „abgegeben“ bzw. „supplied“ worden sind, sind sie nach zutreffender Auffassung der Beklagtenseite nicht unmittelbar betroffen.

 

Allerdings verweisen die Klägerinnen zu Recht darauf, dass es den Arzneimittelherstellern schon dann möglich sein kann, einen Rückschluss auf den Anteil der parallelexportierten Arzneimittel einer Charge zu ziehen, wenn die Zahl der „abgegebenen“ Arzneimittel dieser Charge offenbart wird. Dem ist die Beklagtenseite nicht substantiiert entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 ZPO) (soweit ein Rückruf o.Ä. erfolgt, wissen die Hersteller dies, die gestohlenen, etc., Teile einer Charge dürften zu vernachlässigen sein, auch dürften die Hersteller vielfach Kenntnis davon haben, welche Anteile einer Charge in Drittstaaten exportiert werden). Daher fällt auch die Information über den Anteil der abgegebenen Zahl bzw. Quote einer Charge in den Schutzbereich von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 DVO. Bei abweichender Würdigung bestünde das Risiko, dass vertrauliche geschäftliche Informationen indirekt offenbart werden.

 

4. Die Klägerinnen sind auch anspruchsberechtigt (und klagebefugt).

 

a) Soweit der Beklagte und die Streithelferin die Aktivlegitimation der Klägerinnen bestritten haben und geltend machen, das Landgericht habe deren geschäftliche Tätigkeiten zu Unrecht ungeprüft zugrunde gelegt, sieht der Senat – wie in der Berufungsverhandlung erörtert worden ist – gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO aufgrund des von der Z GmbH geprüften Jahresabschlusses der Klägerin zu 1 für das Geschäftsjahr 2019 (Anlage PM5, Anlagenband zum Schriftsatz der Streithelferin vom 11.04.2022) als bewiesen an, dass die Klägerin zu 1 in jenem Jahr im Parallelexport mit Arzneimitteln (aus Deutschland hinaus) tätig war.

 

Nach dem Lagebericht der Klägerin zu 1 für das Geschäftsjahr 2019 realisierte diese ihre Umsatzerlöse überwiegend mit verbundenen Unternehmen und Großhändlern im Ausland, die mit (größtenteils verschreibungspflichtigen) Medikamenten beliefert wurden, die in Deutschland entweder preislich interessant oder nur hierzulande und in wenigen anderen Märkten generell oder in nennenswerten Mengen verfügbar waren. Die Klägerin zu 1 bezog ihre Waren zum Großteil von deutschen Großhändlern. Nach ihrem Lagebericht bestand zwar ein Gewinnabführungsvertrag mit ihrer deutschen Tochtergesellschaft, der X GmbH, aus dem sie TEUR 2.421 der insgesamt 2,6 Millionen Euro ihres Ertrags erzielte. Ohne Berücksichtigung dieses Gewinnabführungsvertrags belief sich ihr Ertrag aber noch auf TEUR 718 bei Umsatzerlösen von 122,6 Millionen Euro, von denen 112,3 Millionen Euro auf Umsätze mit verbundenen Unternehmen entfielen. Zwar mag die Betätigung der Klägerin zu 1 im Parallelexport (aus Deutschland heraus) für sie nach diesen Zahlen keine überragende wirtschaftliche Bedeutung gehabt haben. Es kann aber als bewiesen angesehen werden, dass sie mit dem Parallelexport von Arzneimitteln aus Deutschland heraus Umsätze gemacht und Erlöse erzielt hat.

 

Die Überzeugung von der Richtigkeit des Vortrags der Klägerinnen wird – ohne dass dies entscheidungserheblich wäre – zusätzlich dadurch gestützt, dass sich den im öffentlich abrufbaren Unternehmensregister (www.unternehmensregister.de) veröffentlichten Jahresabschlüssen der Klägerin zu 1 für die nachfolgenden Geschäftsjahre 2020 und 2021 ebenfalls eine entsprechende geschäftliche Betätigung entnehmen lässt (letzter Abruf: 03.12.2023).

 

b) Die Anspruchsberechtigung der Klägerin zu 2 folgt daraus, dass diese nach dem Ergebnis der in der Berufungsverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme konzernweit für die Deaktivierung der ursprünglich angebrachten individuellen Erkennungsmerkmale zuständig ist. Mit den im streitgegenständlichen Bericht veröffentlichen Angaben zur „ausgebuchten“ Anzahl bzw. Prozentzahl jeder Charge stehen damit im Eigentum der Klägerin zu 1 stehende Daten im Sinne von Art. 54a Abs. 3 Buchst. b) und c) RL 2001/83/EG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 DVO in Rede.

 

Dass die Klägerin zu 2 konzernweit für die Deaktivierung der individuellen Erkennungsmerkmale zuständig ist, hat der Zeuge W als bei der X GmbH angestellter Justitiar in der Berufungsverhandlung überzeugend ausgesagt (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Er hat glaubhaft angegeben, sie vertrieben in ganz Europa und seien im Parallelvertrieb tätig. Den Vertrag mit dem europäischen Hub zur Anmeldung habe die Klägerin zu 2. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Zweifel.

 

5. Da die Streithelferin den Bericht in Anlage K9 nach wie vor in gegenüber dem Bericht in Anlage K7 inhaltlich unveränderter Form zur Verfügung stellt, besteht auch der für den Beseitigungsanspruch erforderliche rechtswidrige Zustand.

 

6. Soweit sich die Beklagte im Zwangsgeldverfahren darauf berufen hat, sie habe die Streifhelferin bereits zur Beseitigung aufgefordert, allerdings könne Y dieser Aufforderung erst mit dem nächsten Release am 23.05.2024 Rechnung tragen (vgl. GA 795 ff.), rechtfertigen ihre technischen Ausführungen nicht die Annahme, der Beklagten sei die geschuldete Beseitigung im Sinne von § 275 BGB unmöglich.

 

7. Für die Annahme einer Verwirkung des Beseitigungsanspruchs besteht entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ebenfalls kein Anlass.

 

a) Die Verwirkung schließt als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) die illoyal verspätete Geltendmachung eines Rechts aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Umstandsmoment) (vgl. z.B. BGH, GRUR 2014, 363 Rdnr. 38 mwN – Peter Fechter).

 

Rechtsfolge der Verwirkung nach § 242 BGB ist dabei – jedenfalls im Immaterialgüterrecht und beim ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutz – allein, dass ein Schutzrechtsinhaber seine Rechte im Hinblick auf bestimmte konkrete bereits begangene oder noch andauernde Rechtsverletzungen nicht mehr durchzusetzen vermag. Ein Freibrief für künftige Rechtsverletzungen ist damit nicht verbunden (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 06.02.2014 – I ZR 86/12, GRUR 2014, 363 Rdnr. 15 mwN – Peter Fechter). Wiederholte gleichartige Schutzrechtsverletzungen, die zeitlich unterbrochen auftreten, lösen jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch aus und lassen die für die Beurteilung des Zeitmoments der Verwirkung maßgebliche Frist jeweils neu beginnen. Auch eine längere Untätigkeit des Rechtsinhabers gegenüber bestimmten gleichartigen Verletzungshandlungen kann kein berechtigtes Vertrauen des Rechtsverletzers begründen, der Rechtsinhaber dulde auch künftig sein Verhalten und werde weiterhin nicht gegen solche – jeweils neuen – Rechtsverletzungen vorgehen. Der Verwirkungseinwand, der auf einen im Vertrauen auf die Benutzungsberechtigung geschaffenen schutzwürdigen Besitzstand gegründet ist, darf nicht dazu führen, dass dem Benutzer eine zusätzliche Rechtsposition eingeräumt wird und die Rechte des nach Treu und Glauben nur ausnahmsweise und in engen Grenzen schutzwürdigen Rechtsverletzers über diese Grenzen hinaus erweitert werden. Andernfalls würde die Verwirkung im Ergebnis das mit dem Schutzrecht verbundene Nutzungsrecht selbst ergreifen, obwohl sie regelmäßig nur die aus der Schutzrechtsverletzung entstandenen Ansprüche ergreifen kann (vgl. z.B. GRUR 2014, 363 Rdnr. 16 mwN – Peter Fechter).

 

b) Entsprechendes gilt auch hier. Da der beanstandete Zustand andauert, ist für eine Verwirkung kein Raum.

 

Außerdem ist weder das Zeit- noch das Umstandsmoment erfüllt. Die Klägerseite hat die Berichtsfunktion spätestens Ende Februar 2021 beanstandet (vgl. S. 43 ff. des Schriftsatzes der Streithelferin vom 11.04.2022 [GA 254 ff.], nebst Anlagen). Es ist auch nicht substantiiert dargetan und nicht erkennbar, dass auf Seiten der Beklagten in Bezug auf die streitgegenständlichen Berichtsinformationen ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre (vgl. insofern z.B. BGH, Urteil vom 16.12.2022 – V ZR 144/21, WM 2023, 1331 Rdnr. 37).

 

C.

 

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 Halbsatz 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

D.

 

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 AEUV), das eine Revisionszulassung gebieten könnte, erscheint nicht erforderlich. Aus den oben dargelegten Gründen ist nicht ernsthaft zweifelhaft, dass eine Bereitstellung der streitgegenständlichen Informationen europarechtlich nicht zulässig ist (sog. acte claire).