„Null Kontraindikationen“
Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. Februar 2017

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 3U193/16
UWG § 3, § 3a, § 8; HWG § 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 lit. b

 

1. Die uneingeschränkte Bewerbung eines Arzneimittels damit, dass es bei dem Mittel „0 Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ gebe, verstehen die angesprochenen Ärzte im Sinne einer positiv wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis, dass bei der Einnahme des Mittels keinerlei Kontraindikationen oder Warnungen bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestehen, und nicht als bloßen Hinweis darauf, dass Kontraindikationen oder Warnhinweise lediglich nicht bekannt und deshalb in der Fachinformation auch nicht aufgeführt sind, denn der Verkehr weiß, dass sich derart absolut daherkommende Angaben gerade in der Fachinformation regelmäßig nicht finden.

 

2. Angesichts des klaren und eindeutigen Inhalts der angegriffenen Aussage kann diese auch nicht mehr durch eine Fußnote klargestellt bzw. korrigiert werden, denn der Verkehr erwartet wegen des eindeutigen Aussagegehalts der Angabe keine die Angabe einschränkenden Erläuterungen.

 

3. Die Angabe ist auch deshalb irreführend im Sinne des § 3 Satz 2 Nr. 2 lit. b) HWG, weil fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass bei bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen in Bezug auf kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken eintreten können. Der durch eine Werbung hervorgerufene Eindruck, dass schädliche Wirkungen eines Heilmittels auszuschließen seien, ist stets ein fälschlicher.

Gründe

A.

 

 Die Antragstellerin wendet sich gegen aus ihrer Sicht irreführende Werbeaussagen der Antragsgegnerin.

 

2  Die Parteien vertreiben Medikamente zur Behandlung der idiopathischen pulmonalen Fibrose. Die idiopathische pulmonale Fibrose ist eine seltene chronische, progressive Lungenerkrankung unbekannter Ursache, welche die Patienten schwer beeinträchtigt und in der Regel zum Tod führt.

 

3  Die Antragstellerin vertreibt das Arzneimittel O. mit dem Wirkstoff N. (Fachinformation, Anlage AS 1, 2).

 

4  Die Antragsgegnerin vertreibt das Arzneimittel E. mit dem Wirkstoff P. (Fachinformation Anlage, AS 3).

 

5  Die Antragsgegnerin warb in der bundesweit vertriebenen Fachzeitschrift „Pneumologie“ und auf ihrem Messestand im Rahmen des 57. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (nachfolgend „DGP-Kongress“) Anfang März 2016 in Leipzig für ihr Präparat E. mit der Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ (Anlage AS 4, 5). Die Antragsgegnerin verbreitete zudem auf dem DGP-Kongress sowie in der bundesweit erscheinenden Zeitschrift „Pneumologische Nachrichten“ einen Artikel mit dem Titel „P. als integraler Bestandteil der IPF-Therapie – IPF trotz Begleiterkrankungen effektiv behandeln“ (Anlage AS 6). Darin finden sich die Aussagen: a) P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf.“ und b) […] [ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens].

 

6  Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3 a UWG i. V. m. § 3 HWG zur Unterlassung der irreführenden Aussagen verpflichtet sei. Die beanstandeten Werbeaussagen erweckten irreführende Eindrücke zum Sicherheitsprofil des beworbenen Produkts E..

 

7  Mit der Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ werde bei den angesprochenen Fachkreisen – hier in erster Linie Lungen-Fachärzten – der Eindruck erweckt, E. könne unbedenklich bei allen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken eingesetzt werden. Die Fachkreise verstünden, es sei wissenschaftlich gesichert, dass diesbezüglich keinerlei Kontraindikationen oder Warnungen bestünden. Der Einsatz von P. sei bei Patienten mit jedweden kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken bedingungslos sicher. Das sei in klinischen Studien geprüft und könne somit Evidenz-basiert als sicher bestätigt werden.

 

8  Verstärkt werde dieser Eindruck vor allem durch die plakative Verwendung der Ziffer "0". Sie signalisiere dem angesprochenen Verkehr, dass es "0" – "Null" – Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken gebe, und damit auch "0" – "Null" – Probleme bei der Verordnung von E. bei entsprechenden Risikopatienten.

 

9  Es komme hinzu, dass bei relevanten Teilen der Fachkreise sogar der Eindruck erweckt werde, dass auch bei diesen Risikopatienten überhaupt keine Kontraindikationen – also auch nicht die in der Fachinformation genannten allgemeinen Kontraindikationen und Warnhinweise – bestünden.

 

10  Dieser Eindruck sei nicht zutreffend.

 

11  Es sei entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin gerade nicht wissenschaftlich belegt, dass E. auch bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken unbedenklich eingesetzt werden könne. Ein solcher Beleg existiere nicht. Wesentliche Gruppen der entsprechenden Risikopatienten seien von der für E. relevanten Zulassungsstudie explizit ausgeschlossen gewesen. Es sei daher vollkommen unklar, wie das Präparat bei derartigen Risikogruppen wirke.

 

12  Die Fachinformation enthalte unter den relevanten Ziffern 4.3 (Gegenanzeigen) und 4.4 (Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung) keine ausdrücklichen Aussagen zu kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken. Aus diesem Schweigen könne nicht der Schluss gezogen werden, dass diesbezüglich tatsächlich keine Kontraindikationen und Warnhinweise bestünden. Im Gegenteil: Die Fachinformation könne sich – schon rein denklogisch – nur auf die sich aus den jeweiligen Zulassungsstudien ergebenden Informationen stützen. Vor diesem Hintergrund hätten sich die Autoren der Fachinformation für das Präparat E. dazu bereits deshalb nicht äußern können, weil wesentliche Gruppen der Patienten, die unter kardiovaskulären Risiken litten, von der Zulassungsstudie ausgeschlossen gewesen seien.

 

13  Die unzureichende wissenschaftliche Absicherung der beanstandeten Aussage folge auch daraus, dass E. einer „zusätzlichen Überwachung“ unterliege. Angehörige von Gesundheitsberufen seien aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung der Antragsgegnerin zu melden. Wenn ein Produkt aber wegen eines ungeklärten Nebenwirkungsprofils einer besonderen zusätzlichen Überwachung unterliege, etwaige Auswirkungen bei kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken bislang nicht in Studien untersucht worden seien und sich die Fachinformation dementsprechend gar nicht dazu verhalten könne, so dürfe nicht behauptet werden, es gebe "Null" Kontraindikationen in dieser Richtung.

 

14  Die Antragsgegnerin könne sich zum Beleg der angegriffenen Aussage auch nicht auf Studiendaten berufen. Es lägen aufgrund entsprechender Ausschlusskriterien im Phase 3-Studienprogramm (ASCEND-Studie, Anlage AS 11), keine ausreichenden klinischen Studiendaten vor. Patienten mit bestimmten kardialen Vorerkrankungen, wie instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt, kongestive Herzinsuffizienz oder unkontrollierte Herzrhythmusstörungen, seien ausgeschlossen gewesen.

 

15  Schließlich enthalte die Fachinformation von E. zwar keine ausdrücklichen Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren. Sie warne aber vor Wechselwirkungen mit Medikamenten, die typischerweise dieser Patientengruppe verordnet würden.

 

16  So werde beispielsweise unter Ziffer 4.4 vor dem möglichen Auftreten von Schwindel und Müdigkeit bei Anwendung von P. gewarnt. Da beide Beeinträchtigungen bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen gehäuft vorkämen, wäre eine mögliche Verstärkung durch die begleitende Einnahme von P. durch den verordnenden Arzt zu berücksichtigen.

 

17  Unter Ziffer 4.5 heiße es dann: „E. sollte mit Vorsicht angewendet werden bei Patienten, die mit anderen mittelstarken CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Amiodaron, Propafenon) behandelt werden.“ Propafenon und Amiodaron seien anti-arrythmische Wirkstoffe, die bei kardiovaskulären Risikopatienten mit Herzrhythmusstörungen eingesetzt würden. Da somit schon die Fachinformation für E. Wechselwirkungen mit Medikamenten benenne, die typischerweise Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren verordnet würden, und infolge dieser Wechselwirkungen Vorsichtsmaßnahmen empfehle, sei die Aussage der Antragsgegnerin nicht haltbar.

 

18  Schließlich sei die angegriffene Aussage derart breit, dass eine adäquate Bewertung der medizinischen Relevanz dieser Aussage nicht möglich sei. Es werde nicht hinreichend deutlich, für welche kardiovaskulären Risikofaktoren und für welche Blutungsrisiken die vermeintliche Unbedenklichkeit der Behandlung mit E. gelten solle. Da es sich um sehr sensible Risikofaktoren handele und die betroffenen Patientengruppen darauf angewiesen seien, dass etwaige Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder gar Gegenanzeigen hinreichend deutlich kommuniziert würden, müssten Unbedenklichkeitsaussagen hinreichend klar sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

 

19  Die vorstehenden Ausführungen würden auch für die Aussage „P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf“ (Anlage AS 6) gelten. Die Antragsgegnerin müsse sich diese Aussagen zurechnen lassen. Sie sei für die in dem Artikel getroffenen Werbeaussagen verantwortlich, da es am Ende des Artikels heiße „Mit freundlicher Unterstützung der B… Pharma AG, …“.

 

20  Die Antragstellerin hat beantragt,

 

21  es der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten, für das Arzneimittel E. ® (Wirkstoff: P.) geschäftlich handelnd in der Bundesrepublik Deutschland zu werben und/oder werben zu lassen,

 

22  1. mit der Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“, wenn dies geschieht wie in Anlage A,

 

23  und/oder

 

24  2. mit den Aussagen

 

25  a) „P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf.“ und/oder

 

b) […], wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage B.

 

26  Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit Beschluss vom 7.4.2016 antragsgemäß erlassen. Die Antragsgegnerin hat Widerspruch gegen Ziffer 1. und 2. a) der einstweiligen Verfügung eingelegt.

 

27  Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass eine Irreführung nicht vorliege. Die Antragstellerin unterschlage, dass die beiden angegriffenen Aussagen mit jeweils einer Fußnote versehen seien, die wie folgt aufgelöst werde: „E. Fachinformation, Stand September 2015“.

 

28  Die beanstandeten Aussagen erweckten deswegen nicht den Eindruck, bei der Verabreichung von E. an Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestünde keine Gefahr. Durch die Bezugnahme auf die E. -Fachinformation in den Fußnoten erkenne der Leser, dass lediglich der Inhalt der E. -Fachinformation wiedergegeben werde. Die angesprochenen Ärzte verstünden die Aussage somit in der Weise, dass in der E. -Fachinformation keine Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken enthalten seien.

 

29  Da dort in Bezug auf Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken keine Gegenanzeigen oder Warnhinweise enthalten seien, sei die Aussage zutreffend.

 

30  Die von der Antragstellerin aufgeführte Aussage unter Ziffer 4.5 der Fachinformation beziehe sich nicht auf die Erkrankung selbst, sondern lediglich auf die Beeinflussung des Metabolismus von P., dessen Serumkonzentrationen durch mittelstarke CYP1A2-Inhibitoren wie z. B. Amiodaron und Propafenon erhöht werden könne. Die „Vorsicht“ beziehe sich also nur auf die Dosierung von E. , nicht aber auf die anderen Wirkstoffe und schon gar nicht auf die Erkrankungen, für die diese Wirkstoffe eingesetzt werden. Es handele sich schlicht – entsprechend der Einordnung in der Fachinformation – um einen Wechselwirkungs-Hinweis. Ein Arzt, dem mitgeteilt werde, dass in der Fachinformation keine Kontraindikationen und Warnhinweise für Patienten mit besonderen Risikofaktoren enthalten seien, gehe aufgrund dieser Aussage nicht davon aus, dass keine Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bestünden. Hier sei eine Irreführung nicht denkbar, denn bei den Begriffen „Kontraindikationen“ und „Warnhinweise“ handele es sich um exakt definierte Begrifflichkeiten, die dem Arzt geläufig seien.

 

31  Die von der Antragstellerin mitgeteilte Aussage unter Ziffer 4.4 der E. -Fachinformation sei ebenfalls kein Warnhinweis für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken, sondern auf Patienten mit Leberfunktionsstörung bezogen. Kein Arzt, der die Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsneigung gemäß E. -Fachinformation“ lese, gehe davon aus, dass aufgrund dieser Aussage keine Warnhinweise für Patienten mit Leberfunktionsstörung bestünden. Der Hinweis auf die gleichzeitige Einnahme eines „bekannten CYP1A2-Inhibitors“ erfolge im Übrigen nur deshalb, weil bei der gleichzeitigen Einnahme von CYP1A2-Inhibitoren die Verstoffwechselung von P. gehemmt sei. Deshalb verweise die Fachinformation insoweit auf Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen“. Bei Patienten mit einer Leberfunktionsstörung sei aufgrund dieser Wechselwirkung eine erhöhte Wachsamkeit empfohlen.

 

32  Schließlich stelle der Hinweis in Ziffer 4.4 der E. -Fachinformation auf mögliches Auftreten von Schwindel und Müdigkeit bei Anwendung von P. ebenfalls keinen Warnhinweis bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren dar. Schwindel und Müdigkeit könnten bei der Anwendung von E. bei allen Patienten auftreten. Deshalb sei der Warnhinweis in Ziffer 4.4 der Fachinformation nicht auf Patienten mit bestimmten Risikofaktoren beschränkt.

 

33  Es sei nicht zutreffend, dass E. in der der Fachinformation zugrundeliegenden Zulassungsstudie (ASCEND) überhaupt nicht bei Patienten, die unter kardiovaskulären Risiken litten, getestet worden sei. Richtig sei, dass mehr als ein Drittel der Patienten im Programm von P. zu Beginn der Therapie kardiale Erkrankungen und damit kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwiesen (Glassberg et al., Anlage AG 1). In der E. -Zulassungsstudie ASCEND seien lediglich solche Patienten ausgeschlossen, die eine instabile koronare Herzkrankheit bzw. einen Myokardinfarkt gehabt hätten. Dies sei ein häufiges Ausschlusskriterium, das unabhängig von der untersuchten Substanz in klinischen Studien angewendet werde.

 

34  Seit der Zulassung von E. im Februar 2011 sei das Präparat tausenden Patienten verabreicht worden. Die Zulassungsbehörde habe bisher keinen Anlass gesehen, einen Warnhinweis im Hinblick auf die in den hier streitgegenständlichen Aussagen erwähnten Risiken in die Fachinformation von E. aufzunehmen. Außerdem habe die Zulassungsbehörde EMA eine Postmarketing Surveillance-Studie (PASSPORT) aufgelegt, an der mehr als tausend IPF-Patienten teilnähmen, die seit 2012 mit E. behandelt würden. Darunter befänden sich unterschiedslos auch Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Komorbiditäten sowie Blutungsrisiken. In den bisherigen Zwischenauswertungen dieser Studie habe sich keinerlei Hinweis auf kardiovaskuläre Nebenwirkungen bzw. besondere Risiken der Gabe von E. bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken ergeben (Anlage AG 5). In einer weiteren Analyse aus dem Jahr 2016 mit 1.299 Patienten, die bis zu 9,9 Jahre mit P. behandelt worden seien, seien ebenfalls keine kardiovaskulären Nebenwirkungen bzw. Blutungsrisiken festgestellt worden (Anlage AG 6).

 

35  Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 20.7.2016 bestätigt. Die angegriffenen Aussagen erweckten nach Auffassung des Landgerichts bei den angesprochenen Ärzten den Eindruck, dass positiv durch wissenschaftliche Studien festgestellt worden sei, dass keine entsprechenden Kontraindikationen und Warnhinweise bestünden und dass das beworbene Präparat somit unbedenklich bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken angewendet werden könne. Da die Fachinformation von E. zum Fehlen von Kontraindikationen und Warnhinweisen bei kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken keine positiven Feststellungen enthalte und außerdem keine Studienergebnisse vorlägen, in denen gezielt mögliche Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardialen Risikopatienten untersucht worden seien, sei die Aussage irreführend.

 

36  Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer form- und fristgerechten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das vom Landgericht unterstellte Verkehrsverständnis sei konstruiert und lebensfremd. Das Landgericht ignoriere die Erfahrung der Ärzte im täglichen Umgang mit Fachinformationen. Zudem könne das Fehlen von Kontraindikationen und Warnhinweisen – eine negative Tatsache – nicht durch wissenschaftliche Studien positiv festgestellt werden. Wenn der Arzt lese „0 Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken…E. -Fachinformation, Stand September 2015“, gehe er davon aus, dass die E. -Fachinformation keine solchen Kontraindikationen und Warnhinweise enthalte, weil die Zulassungsbehörde solche Hinweise nicht angeordnet habe. Der Hinweis auf die E. -Fachinformation in der Fußnote bestätige den Arzt in seinem Verständnis, das die Fachtermini „Kontraindikationen“ und „Warnhinweise“ auf den Inhalt der Fachinformation bezogen seien, weil diese beiden Worte nur im Zusammenhang mit der Fachinformation eines Arzneimittels gebraucht würden und nur hier Sinn ergäben.

 

B.

 

I.

 

37  Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist nicht begründet.

 

38  1. Ein Verfügungsgrund besteht, weil die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nicht widerlegt ist.

 

39  2. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Aussagen aus §§ 3, 3a, 8 UWG 2015 i.V.m. § 3 HWG. Die beworbenen Aussagen sind irreführend.

 

40  a) Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Medikamenten zur Behandlung der idiopathischen pulmonalen Fibrose (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG).

 

41  b) Es handelt sich bei den angegriffenen Aussagen der Antragsgegnerin um Werbung. Dies gilt insbesondere auch für die Anlage B, einem Aufsatz in einer Fachzeitschrift, der mit Unterstützung der Antragsgegnerin erstellt wurde. Die ist auch zwischen den Parteien nicht im Streit.

 

42  c) Die in ihren jeweiligen konkreten Verletzungsformen angegriffenen Aussagen sind gemäß § 3 S. 1, S. 2 Nr. 2 b) HWG irreführend.

 

43  aa) Die Werbung für das Medikament E. zur Behandlung der selten auftretenden idiopathischen pulmonalen Fibrose richtet sich an Lungen-Fachärzte.

 

44  Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Verbrauchers ebenso wie das eines Arztes vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204).

 

45  bb) Die Antragstellerin hat die in den konkreten Verletzungsformen mit Antrag zu Ziffer 1. angegriffene Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ und die mit Antrag zu Ziffer 2 a) angegriffene Aussage „P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf.“, jeweils versehen mit der Fußnote „E. Fachinformation, Stand September 2015“ unter mehreren Irreführungsgesichtspunkten beanstandet. Sie hat zum Verkehrsverständnis der angesprochenen Lungen-Fachärzte vorgetragen, dass diese die Aussagen wie folgt verstünden:

 

46  – E. könne unbedenklich bei allen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken, beispielsweise auch bei Patienten mit stabiler Angina Pectoris oder Myokardinfarkt eingesetzt werden.

 

47  – Es sei wissenschaftlich gesichert, dass keinerlei Kontraindikationen oder Warnungen bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestünden. Der Einsatz von P. sei bei Patienten mit jedweden kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken bedingungslos sicher. Das sei in klinischen Studien geprüft und könne somit Evidenz-basiert als sicher bestätigt werden.

 

48  – Es bestünden bei den genannten Risikopatienten überhaupt keine Kontraindikationen also auch nicht die in der Fachinformation genannten allgemeinen Kontraindikationen und Warnhinweise.

 

49  cc) Der Senat teilt das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis der Lungen-Fachärzte, dass diese die angegriffene Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ jedenfalls dahin verstehen, dass wissenschaftlich gesichert ist, dass keinerlei Kontraindikationen oder Warnungen bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestehen. Das Landgericht hat zutreffend begründet, dass die Aussage „0 Kontraindikationen und Warnhinweis bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken“ in ihrer konkreten Darstellung und ihrer uneingeschränkten Absolutheit den Verkehr erwarten lässt, dass die Angaben positiv wissenschaftlich abgesichert sind. Darauf kann verwiesen werden.

 

50  Schon der Wortlaut bzw. das allgemeine Sprachverständnis legen ein solches Verkehrsverständnis vom Inhalt der Angabe nahe. Die Aussage wird in keiner Weise sprachlich eingeschränkt oder abgeschwächt, sondern kommt absolut daher. Der Verkehr hat deshalb keinen Anlass anzunehmen, dass mit der Werbeangabe allein zum Ausdruck gebracht werden soll, Kontraindikationen oder Warnhinweise seien lediglich nicht bekannt und deshalb in der Fachinformation auch nicht aufgeführt. Jedenfalls der Hinweis auf „0 Kontraindikationen…“ verweist nicht allein auf den Inhalt der Fachinformation. Ob dies auch für Warnhinweise gilt, kann dahinstehen. Der Begriff der „Kontraindikation“ wird zwar auch in Fachinformationen von Arzneimitteln verwendet. Er kommt aber darüber hinaus auch außerhalb von Fachinformationen zum Einsatz. Deshalb sieht der angesprochene Facharzt darin keinen zwingenden Hinweis allein auf den Inhalt der Fachinformation. Der Arzt erwartet auch in wissenschaftlichen Studien oder Fachbüchern Aussagen zu möglichen Kontraindikationen eines Arzneimittels. Wird daher werblich mitgeteilt, dass es bezogen auf die in Rede stehenden Risiken „0 Kontraindikationen“ gebe, dann verweist das nach dem Verständnis des angesprochenen Fachverkehrs gerade nicht auf die Fachinformation, in der sich solche absolut daherkommenden Angaben – wie der Verkehr weiß – regelmäßig gerade nicht finden.

 

51  dd) Vor diesem Hintergrund kann die angegriffene Aussage aufgrund ihres klaren und eindeutigen Inhalts auch nicht mehr durch die Fußnote korrigiert werden.

 

52  Blickfangmäßig herausgehobene Angaben müssen für sich genommen wahr und unmissverständlich sein. Zwar ist es zulässig, eine unklare oder unvollständige Angabe durch eine Fußnote klarzustellen. Dies gilt aber nicht für eine für sich genommen objektiv unrichtige Aussage (vgl. BGH, GRUR 2001, 78, Rn. 16 juris – Falsche Herstellerpreisempfehlung; Pfeiffer/Obergfell in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Auflage 2016, § 5 Rn. 226). Hat die Angaben nach dem Verständnis des angesprochenen Verkehrs bereits einen eindeutigen Aussagegehalt, dann erwartet der Verkehr keine eine solche Aussage einschränkenden Erläuterungen. Vorliegend handelt es sich um eine solche klare, vollständige und unmissverständliche Angabe. Es wird positiv herausgestellt, dass es „0“ – mithin also keinerlei – Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken gibt.

 

53  ee) Eine solch uneingeschränkt daherkommende Werbeangabe verstößt gegen § 3 Satz 2 Nr. 2 b) HWG. Danach liegt eine nach § 3 Satz 1 HWG generell verbotene irreführende Werbung insbesondere dann vor, wenn fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass bei bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten.

 

54  In der Folge kann allenfalls die Aussage gemacht werden, dass schädliche Wirkungen oder Kontraindikationen nicht bekannt seien. Die positive Werbung mit vermeintlich nicht vorhandenen schädlichen Wirkungen ist deshalb verboten, gleichgültig, ob der Wettbewerber über solche Wirkungen Kenntnis hatte. Der durch die Werbung hervorgerufene Eindruck, dass schädliche Wirkungen auszuschließen seien, ist also immer ein fälschlicher (vgl. Artz in Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwerbegesetz, 5. Auflage 2016, § 3 Rn. 71). So liegt der Fall hier.

 

55  ff) Schließlich geht der angesprochene Fachverkehr – ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme – auch unter Berücksichtigung der Fußnote, in der auf die Fachinformation zum Stand September 2015 verwiesen wird, davon aus, dass die Fachinformation positive Angaben dazu enthält, dass es keine Kontraindikationen und Warnhinweise bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestehen. Die Fachinformation gibt regelmäßig den Stand der Forschung wieder. Der Verkehr erwartet deshalb jedenfalls bei derart plakativ und absolut daherkommenden Werbeangaben, wie der vorliegend in Rede stehenden, dass mit der Referenz „Fachinformation“ auf dort auffindbare Informationen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen verwiesen wird, die die referenzierte Werbeangabe betreffen. Durch den bloßen Verweis auf die Fachinformation in der Fußnote wird diese Erwartung nicht korrigiert. Es wird in keiner Weise klargestellt, dass in der Fachinformation Kontraindikationen oder Warnhinweise lediglich nicht angegeben sind.

 

56  gg) Der Senat teilt ebenfalls das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis, dass die angesprochenen Fachärzte die unter Ziffer 2. a) angegriffenen Aussage „P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf.“ dahin verstehen, dass wissenschaftlich gesichert ist, dass keinerlei Kontraindikationen oder Warnungen bei kardiovaskulären Risikofaktoren oder Blutungsrisiken bestehen. Das Landgericht hat auch hier zutreffend begründet, dass die Aussage in ihrer konkreten Darstellung und ihrer uneingeschränkten Absolutheit den Verkehr erwarten lässt, dass die Angaben positiv wissenschaftlich abgesichert sind. Es weist zu Recht darauf hin, dass sich dies aus der positiven Formulierung ergibt. So wird ausdrücklich im Text mitgeteilt, dass der Wirkstoff P. und nicht die Fachinformation keine Kontraindikation noch Warnhinweise aufweist. Das Landgericht bezieht auch zutreffend den Zusammenhang des gesamten Absatzes in seine Wertung ein. Unter der Zwischenüberschrift „Häufig kardiovaskuläre Begleiterkrankungen bei IPF“ wird ausgeführt, dass etwa 40 Prozent der Begleiterkrankungen bei IPF kardiovaskuläre seien und deswegen individuelle Behandlungsansätze hier also besonders wichtig seien. Vor diesem Hintergrund erwartet der angesprochene Verkehr aufgrund der Aussage „P. weist weder Kontraindikationen noch Warnhinweise für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder erhöhter Blutungsneigung auf.“, dass die behaupteten Vorzüge des Mittels wissenschaftlich nachgewiesen sind, und nicht, dass in der Fachinformation lediglich keine Angaben über entsprechenden Warnhinweise und Kontraindikationen zu finden sind.

 

57  Auch diese Fehlvorstellung kann durch die Fußnote nicht mehr korrigiert werden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.

 

58  hh) Die so verstandenen Werbeangaben sind nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Das ergibt sich schon aus dem unstreitigen Tatsachenvortrag.

 

59  Weder die E. -Zulassungsstudie ASCEND noch die Postmarketing Surveillance-Studien (PASSPORT) weisen Feststellungen zu kardiovaskulären Risiken als Studienziel auf. Dass sich aus diesen Studien – wie die Antragsgegnerin hervorhebt, aber zwischen den Parteien nicht unstreitig ist – keinerlei Hinweise auf kardiovaskuläre Nebenwirkungen bzw. besondere Risiken der Gabe von E. bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutungsrisiken ergeben, genügt für einen wissenschaftlichen Nachweis nicht. Immerhin ist unstreitig, dass Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Myocardinfarkt, mit kongestiver Herzinsuffizienz und Krankenhausaufenthalt sowie solche mit unkontrollierten Herzrhythmusstörungen von der Studienteilnahme ausgeschlossen waren. Dass dies wegen der insoweit bestehenden Risiken für die Patienten übliche Ausschlusskriterien für eine Studienteilnahme sind, ändert nichts daran, dass derartige Patienten mit kardiovaskulären Risiken an der ASCEND-Studie tatsächlich nicht teilgenommen haben. Das steht einem wissenschaftlich hinreichenden Beleg der Abwesenheit von kardiovaskulären Risiken zusätzlich entgegen. Das auch die weiteren von der Antragsgegnerin angeführten Untersuchungen gemäß der Anlagen AG 5 und AG 6 die nämlichen Risikopatienten ausgeschlossen haben, steht zwischen den Parteien ebenfalls nicht im Streit. Reinen Nachbeobachtungen, auf die die Antragsgegnerin ergänzend hinweist, fehlt ebenfalls die wissenschaftliche Evidenz.

 

II.

 

60  Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 713 ZPO.