Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 90 K 3.14 T
BO AK Berlin § 3, § 14 Abs. 2 Nr. 2; HWG § 7 Abs. 1 Nr. 1; AMG § 78; AMPreisV § 1 Abs. 1 und 4, § 3 Abs. 1 Satz.
Ein Berliner Apotheker verletzt seine Berufspflicht, wenn er damit wirbt, dass Patienten einen 1-Euro-Wertgutschein erhalten, wenn sie ihr Rezept mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in seiner Apotheke einlösen – auch dann, wenn er sich damit nur an die Inhaber einer von ihm ausgestellten Kundenkarte wendet (im Anschluss an OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 -).
1 Der in … geborene Beschuldigte ist seit 1 als Apotheker approbiert. Er ist Inhaber der … Apotheke in der …, sowie der … Apotheke in der M….
2 Berufsrechtlich ist er nicht vorbelastet. Zwar hat das Berufsgericht für Heilberufe Berlin durch Urteil vom 16. April 2013 – VG 90 K 6.11 T – gegen ihn wegen einer Werbung mit Wertgutscheinen in Höhe von einem Euro für Rezepteinlösung eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Euro verhängt. Diese Entscheidung hat das Berufsobergericht für Heilberufe jedoch mit Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – geändert und den Beschuldigten freigesprochen. Dabei ging das Berufsobergericht davon aus, dass der Beschuldigte durch seine Werbemaßnahmen seine Berufspflichten in objektiver Hinsicht verletzt habe, ihm lasse sich jedoch nicht nachweisen, dass er sich einer vorsätzlichen Verletzung der Berufspflichten schuldig gemacht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das den Beteiligten bekannte Urteil des Berufsobergerichts Bezug genommen.
3 Dem Beschuldigten wird nach dem Eröffnungsbeschluss vom 3. April 2019 zur Last gelegt, im August und September 2013 in Berlin mit Wertgutscheinen für die Einlösung von Rezepten geworben und diese Wertgutscheine an Inhaber einer Kundenkarte der beworbenen Apotheken abgegeben und dadurch vorsätzlich seine Berufspflichten als Zahnarzt verletzt zu haben.
4 Im Einzelnen wirft die Einleitungsbehörde dem Beschuldigten den folgenden Sachverhalt vor:
5 Der Beschuldigte habe als Inhaber der … Apotheke in der M… Berlin sowie der … Apotheke in der M… Berlin mindestens im Tatzeitraum Werbeflugblätter für beide Apotheken verteilt lassen. Unter der Überschrift „5+1 gute Gründe“ sei u.a. wie folgt geworben worden:
6 „+ 1 neuer guter Grund
Treuebonus, bei einem Einkauf mit Ihrer Gesundheitskarte
erhalten Sie einen Wertgutschein über 1 Euro“
7 Der Wertgutschein sei ab einem Warenwert von 10 Euro angeboten worden und habe nicht für aktuelle Sonderangebote gegolten. Es habe die Einschränkung gegolten, dass nur ein Wertgutschein pro Person und pro Tag vergeben werde.
8 Am 27. August 2013 habe die Zeugin S… aufgrund ärztlicher Verschreibung in der … -Apotheke für sich 100 Stück L Thyroxin 25 Henning zu einem Warenwert von 13,04 Euro erworben und von dem Verkaufspersonal einen Wertgutschein über einen Euro für die Apotheken des Beschuldigten erhalten. Ebenso aufgrund ärztlicher Verschreibung für den Zeugen M… habe dieser am selben Tag in der … Apotheke 100 Stück Ibuprofen AL 600 zu einem Warenwert von 17,42 Euro erworben und von dem Verkaufspersonal einen Wertgutschein über einen Euro für die Apotheken des Beschuldigten erhalten.
9 Nachdem die Zeugin E… am 17. September 2013 in der … -Apotheke ein ihr verschriebenes Arzneimittel bestellt habe, sei der Zeugin von dem Verkaufspersonal ein Wertgutschein für einen Euro für die Apotheken des Beschuldigten angeboten, im Ergebnis jedoch verweigert worden, weil die Zeugin über keine Kundenkarte für die Apotheken des Beschuldigten verfügte. Als die Zeugin am Nachmittag desselben Tages das ihr verschriebene Medikament abgeholt habe, sei sie erneut von einer anderen Mitarbeiterin des Beschuldigten gefragt worden, ob sie bereits den ein-Euro-Wertgutschein erhalten habe. Auch diese Mitarbeiterin des Beschuldigten habe allerdings im Ergebnis die Herausgabe mangels des Besitzes einer Kundenkarte durch die Zeugin verweigert.
10 Verstöße gegen § 3 und § 14 Abs. 2 Nr. 2 Berufsordnung der Apothekerkammer Berlin (BO AKBerlin) i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG; § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG; § 1 Abs. 1 und 4, § 3 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV.
11 Der Beschuldigte bestreitet den Sachverhalt nicht. Er hält seine Vorgehensweise für rechtmäßig und weist darauf hin, dass sich auch hier jedenfalls die Frage des Verschuldens stelle. Der wesentliche Unterschied zu dem früheren Verfahren liege darin, dass es nicht um die Gewährung von Gutscheinen, gekoppelt an die Einlösung einer Verschreibung gehe. Insoweit habe er seine Praxis nach der Änderung des § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 HWG durch das Gesetz vom 12. August 2013 umgestellt. Die Gewährung der Gutscheine stehe im Zusammenhang mit dem Einsatz der Kundenkarte. Jedenfalls zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Einleitungsbehörde beziehe, habe kein deutsches Gericht die Verknüpfung einer Vergünstigung mit dem Einsatz einer Kundenkarte für unrechtmäßig erachtet. Vielmehr habe das Landgericht Essen im Urteil vom 26. Februar 2014 – 42 O 7/14 – diese Vorgehensweise für rechtmäßig erachtet. Er habe die von der Einleitungsbehörde beanstandete Werbemaßnahme eingestellt, nachdem ihm die Beanstandung bekannt geworden sei.
12 Entscheidend für die Vergünstigung sei, dass mittels des Einsatzes der Kundenkarte sichergestellt werden solle, dass die komplette Historie von Arzneimitteln und sonstigen Gesundheitspräparaten dokumentiert werde, um die ordnungsgemäße Beratung (§ 20 ApoBetrO) zu vereinfachen und damit ein hohes Beratungsniveau sicherzustellen. Gerade bei Patienten, die eine Vielzahl von Produkten einnehmen, sei es in der Regel kaum möglich, den Kunden umfassend zu beraten, da er in der Regel gar nicht wisse, welche Produkte er in der jüngeren Vergangenheit eingenommen habe. Ferner seien den Kunden häufig die teilweise noch sehr sperrigen Arzneimittel namentlich nicht geläufig. Der Beschuldigte habe festgestellt, dass mittels des umfassenden Einsatzes der Kundenkarte die Beratungsqualität signifikant gesteigert werden könne. Zugleich komme es zu einer zeitlichen Ersparnis, da eine Vielzahl von Rückfragen entfielen, weil die Informationen aus der Kundenkarte entnommen werden könnten. Die Prämie sei nicht an die Gewährung von Arzneimitteln gekoppelt, sondern allein an den Einsatz einer Kundenkarte.
13 Durch das Urteil des Berufsobergerichts vom 25. September 2018 sei die Rechtslage bei der Gewährung von geringwertigen Vergünstigung gekoppelt an die Einlösung von Verschreibung noch nicht abschließend geklärt. Insoweit sei von Bedeutung, dass das Kammergericht im Urteil vom 13. März 2015 – 5 U 97/15 – hierin keinen Wettbewerbsverstoß gesehen habe. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht in zwei Beschlüssen vom 18. Dezember 2018 – 3 C 20/18 und 3 C 21/18 – wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugelassen, in denen Apotheken die Abgabe von geringwertigen Kleinigkeiten bei der Einlösung von Verschreibung untersagt worden sei.
14 Der Beschuldigte beantragt,
15 ihn freizusprechen, hilfsweise jedenfalls keine höhere Maßnahme als einen Verweis zu verhängen.
16 Die Einleitungsbehörde beantragt,
17 gegen den Beschuldigten eine Geldbuße zu verhängen, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts stellt.
18 Die Einleitungsbehörde hält an ihren Vorwürfen fest. Sie hält die Zwischenschaltung einer Kundenkarte für einen bewussten Versuch, die Preisbildungsvorschriften zu umgehen. Daher werde dem Beschuldigten der Vorwurf gemacht, er habe vorsätzlich gehandelt. Die Rechtslage sei durch das Urteil des Berufsobergerichts geklärt. Die gewählte Konstruktion diene ganz offensichtlich ausschließlich dem Zweck, nach der erstinstanzlichen Verurteilung des Beklagten durch das Urteil des Berufsgerichts vom 16. März 2013 den Sachverhalt zu variieren, um die als rechtswidrig festgestellte Rabattgewährung zu umgehen. Maßgeblich sei jedoch nicht die Inanspruchnahme des vorgeschobenen pharmazeutisch-fachlichen Nutzens, sondern schlicht die Vorlage der Kundenkarte. Der Einleitungsbehörde seien keine Hinweise mehr zugetragen worden, dass der Beschuldigte seine Werbemaßnahmen fortsetze.
19 Die Aufsichtsbehörde hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
20 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten im berufsgerichtlichen Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie den Verwaltungsvorgang der Apothekerkammer verwiesen, dessen Inhalt, soweit erheblich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
21 Das berufsgerichtliche Verfahren über das dem Beschuldigten vorgeworfene Berufsvergehen aus dem Jahre 2013 richtet sich nach dem Gesetz über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Berliner Kammergesetz – KammerG) in der Fassung vom 4. September 1978 (GVBl. S. 1937), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 9. Mai 2016 (GVBl. S. 226) geändert worden ist. Nach § 92 des Berliner Heilberufekammergesetz (BlnHKG) vom 2. November 2018 (GVBl. 2018, 622) sind auf Berufsvergehen, die vor dem 30. November 2018 begangen worden sind, die bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Rechtsvorschriften (§ 94 Abs. 2 Nummer 1) weiterhin anzuwenden.
22 Das Berufsgericht kann trotz des Ausbleibens des Beschuldigten und eines Vertreters der Aufsichtsbehörde in der Hauptverhandlung verhandeln und entscheiden, weil beide auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung ausdrücklich hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 3 DiszG und § 24 KammerG).
23 Das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten ist von ihm in tatsächlicher Hinsicht eingeräumt worden. Seine Verteidigung liegt in der Rechtfertigung seines Verhaltens. Damit dringt er jedoch nicht durch. Er hat sich eines Berufsvergehens im Sinne des § 16 Abs. 1 KammerG schuldig gemacht, das die Verhängung einer Geldbuße erfordert.
24 Durch das Berufungsurteil in dem früheren berufsgerichtlichen Verfahren gegen den Beschuldigten ist geklärt, dass ein Apotheker seine sich aus § 3, § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 der Berufsordnung der Apothekerkammer Berlin (BO) vom 16. Juni 2009 (ABl. S. 2852) ergebende berufliche Pflicht objektiv verletzt, wenn er Patienten bei Zahlung des vorgeschriebenen Apothekenabgabepreises für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel einen Wertgutschein in Höhe von einem Euro als Gegenleistung für die Einlösung eines Rezepts überlässt. Dabei kommt es nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob der Apotheker mit seinem Verhalten eine nach den Maßstäben des § 3 Abs. 1 UWG zu bestimmende „Bagatellgrenze“ überschreitet oder eine konkrete Gefährdung für andere Apotheken besteht (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 29 ff.).
25 Nach § 3 BO sind Kammermitglieder verpflichtet, bei der Ausübung ihres Berufs die geltenden Gesetze und Verordnungen sowie das Satzungsrecht der Apothekerkammer Berlin zu beachten und darauf gründende Richtlinien und Anordnungen zu befolgen. Apothekerinnen und Apotheker haben das allgemeine Wettbewerbsrecht, das Heilmittelwerbegesetz und die Berufsordnung zu beachten (§ 14 Abs. 1 Satz 1 BO). Die Werbung darf den öffentlichen Auftrag der Apothekerinnen und Apotheker, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen, und das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung nicht gefährden (§ 14 Abs. 1 Satz 3 BO). Nicht erlaubt sind insbesondere das Abgehen von Vorschriften über Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel, insbesondere das Gewähren von Rabatten oder sonstigen Preisnachlässen auf diese Arzneimittel und die Werbung hiermit (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BO).
26 Ausgehend von diesem Verständnis ist dem Beschuldigten auch in dem vorliegenden Verfahren eine objektive Verletzung seiner beruflichen Pflicht vorzuwerfen. Dabei macht es keinen Unterschied, dass er die Wertgutscheine nur an Inhaber einer Kundenkarte abgeben wollte. Ein Abgehen von Vorschriften über Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BO ist jeder bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mittelbar wirkende Nachlass auf den an sich unverändert bleibenden Preis durch Gewährung einer Vergünstigung (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 33). Dabei kann es nicht darauf ankommen, in welcher Weise die Personengruppe bestimmt wird, der dieser Vorteil gewährt wird.
27 Die Berufspflicht, die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften einzuhalten, ist unter Zugrundelegung der maßgeblichen Grundsätze für die Gesetzesauslegung dahin auszulegen, dass ein Apotheker gegen sie auch dann verstößt, wenn er dem Patienten bei Zahlung des vorgeschriebenen Apothekenabgabepreises für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel einen Wertgutschein als Gegenleistung für die Einlösung eines Rezepts überlässt. Eine entsprechende Berufspflichtverletzung liegt dabei nicht erst dann vor, wenn der Apotheker mit seinem Verhalten eine nach den Maßstäben des § 3 Abs. 1 UWG zu bestimmende „Bagatellgrenze“ überschreitet oder eine konkrete Gefährdung für andere Apotheken besteht; für derartige Einschränkungen bieten die maßgeblichen Bestimmungen keinen hinreichenden Anhalt. Insoweit wird wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung auf das im Verhältnis der Beteiligten ergangene Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – (juris Rn. 31 ff.) Bezug genommen, dem das Berufsgericht folgt.
28 Auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung in Wettbewerbssachen kommt es daher für die Beurteilung der Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine Abweichung von der arzneimittelrechtlichen Preisbindung als Berufsvergehen anzusehen ist, nicht an. Dem Urteil des Kammergerichts KG Berlin vom 13. März 2018 – 5 U 97/15 – auf das der Beschuldigte abstellt, hat das Berufsobergericht entnommen, dass die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung auch dann verletzt werden, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber – wie hier – gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen als in einer anderen Apotheke, die keine entsprechende Werbeprämie gewährt (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 54). Ob das beanstandete Verhalten des Apothekers nicht geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3a UWG), weil der Barrabatt in Höhe eines Gutscheins im Wert von einem Euro eine geringwertige Kleinigkeit darstellt, ist danach für die Bewertung des Verhaltens als Berufsvergehen unerheblich. Wettbewerbsrechtliche Überlegungen zur Spürbarkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa Urteil vom 9. September 2010 – I ZR 193/07 – juris Rn. 23 ff.) entwickelt worden sind, vermögen weder die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften noch die ihrer Durchsetzung dienenden und hier maßgeblichen Bestimmungen der Berufsordnung einzuschränken. Die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 BO zwingt nicht dazu, die Bestimmungen in § 14 Abs. 2 BO gewissermaßen nur aus „wettbewerbsrechtlicher“ Perspektive zu betrachten. Denn § 14 Abs. 1 Satz 3 BO verdeutlicht noch im hinreichenden Maße, dass Verstöße gegen arzneimittelrechtliche Preisbindungsvorschriften eigenständige und von allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen unabhängige Berufspflichtverletzungen darstellen; die dort hervorgehobene Zielrichtung, den öffentlichen Auftrag der Apotheker, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen, ist eines der Motive der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 38).
29 Davon abgesehen hat der Bundesgerichtshof nach seiner Presseerklärung durch Urteil vom 6. Juni 2019 der Revision der Klägerin gegen das Urteil des Kammergerichts stattgegeben. Zur Begründung heißt es in der Presseerklärung (https://juris.bundesgerichtshof.de): „Nach den Entscheidungen des Senats ist die Zugabe sowohl eines Brötchen-Gutscheins als auch eines Ein-Euro-Gutscheins beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Medikaments wettbewerbswidrig, weil beide Werbegaben gegen die geltenden Preisbindungsvorschriften verstoßen (§§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG). (…) Der Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist schließlich im Sinne von § 3a UWG geeignet, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Der Umstand, dass es sich sowohl bei einem Brötchen-Gutschein als auch bei einem Ein-Euro-Gutschein um Werbegaben von geringem Wert handelt, ändert daran nichts. Der Gesetzgeber ist bei der mit Wirkung vom 13. August 2013 vorgenommenen Änderung des Heilmittelwerbegesetzes davon ausgegangen, dass jede gesetzlich verbotene Abweichung vom Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb zwischen den Apotheken auszulösen. Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung oder sonstigen Werbegabe im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die gegen die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, unzulässig ist, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein solcher Verstoß als nicht spürbar eingestuft und damit als nicht wettbewerbswidrig angesehen wird. Ein Abstellen auf die finanzielle Geringwertigkeit der Werbegabe ist ausgeschlossen, nachdem die Preisbindung nach dem Willen des Gesetzgebers strikt einzuhalten ist.“ Nach dieser Klärung kann der Beschuldigte auch nicht mehr die zivilgerichtliche Rechtsprechung in Wettbewerbssachen zu seinen Gunsten anführen.
30 Der Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht in anhängigen Revisionsverfahren die Gelegenheit sieht, die Frage zu klären, ob die für inländische Apotheken geltende Preisbindung für Arzneimittel (§ 78 Abs. 1 und 2 AMG, § 3 AMPreisV) in Folge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 – C-148/15 [E-CLI:EU:C:2016:776], Deutsche Parkinson Vereinigung – (NVwZ 2016, 1793) wegen „Inländerdiskriminierung“ mit Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 3 B 40/17 – juris Rn. 1), entlastet den Beschuldigten ebenfalls nicht. Selbst wenn danach die aufgeworfene Frage nach einer Grundrechtsverletzung als offen anzusehen wäre, änderte dies nichts daran, dass die Preisbindung dem geltenden Recht entspricht. Insoweit hat das dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Verwerfungsmonopol zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes – jedenfalls im Hauptsacheverfahren – erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt selbst bei der Regelung, die mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist, in Betracht, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die bisherige Rechtslage anwendbar bleibt und Verstöße daher ordnungsrechtlich unterbunden werden dürfen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Oktober 2006 – 2 BvR 2023/06 – juris Rn. 18). Daher kann selbst dann, wenn das Bundesverwaltungsgericht verfassungsrechtliche Zweifel an der Preisbindung für Apotheken hat, dies den Beschuldigten von der Einhaltung der für ihn geltenden Berufsordnung nicht entbinden.
31 Davon abgesehen hat das in Anwendung des Berliner Landesrechts letztinstanzlich entscheidende Berufsobergericht ausdrücklich angenommen, dass das zugrunde gelegte Verständnis nicht gegen die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des Beschuldigten verstößt, und dass die Preisbindung sich auch nicht als gleichheitswidrig im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG erweist. Die aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 (– C-148/15 – juris) folgende Inländerdiskriminierung ist danach nicht an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen, da es schon an einer Ungleichbehandlung durch denselben Normgeber fehlt und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber nur verpflichtet ist, in seinem eigenen Herrschaftsbereich den Gleichheitssatz zu wahren (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 46 – 47). Das Berufsgericht teilt diese Auffassung. Entsprechend hat nunmehr auch der BGH in den zivilgerichtlichen Streitigkeiten entschieden, in denen sich dieselben verfassungsrechtlichen Fragen stellten.
32 Soweit der Beschuldigte sich auf § 20 ApoBetrO beruft, um die Gewährung eines Rabattes bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten an die Inhaber einer Kundenkarte zu rechtfertigen, überzeugt dies nicht. Die dazu angestellten Überlegungen können die Ausgabe von Kundenkarten rechtfertigen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Abweichung von der Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten grundsätzlich und damit auch gegenüber den Inhabern einer Kundenkarte untersagt ist.
33 Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 ApoBetrO müssen bei der Information und Beratung über Arzneimittel insbesondere Aspekte der Arzneimittelsicherheit berücksichtigt werden. Die Beratung muss die notwendigen Informationen über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels umfassen, soweit erforderlich, auch über eventuelle Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen, die sich aus den Angaben auf der Verschreibung sowie den Angaben des Patienten oder Kunden ergeben, und über die sachgerechte Aufbewahrung oder Entsorgung des Arzneimittels (§ 20 Abs. 2 Satz 2 ApoBetrO). Bei der Abgabe von Arzneimitteln an einen Patienten oder anderen Kunden ist durch Nachfrage auch festzustellen, inwieweit dieser gegebenenfalls weiteren Informations- und Beratungsbedarf hat und eine entsprechende Beratung anzubieten (§ 20 Abs. 2 Satz 1 ApoBetrO). Im Falle der Selbstmedikation ist auch festzustellen, ob das gewünschte Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet erscheint oder in welchen Fällen anzuraten ist, gegebenenfalls einen Arzt aufzusuchen (§ 20 Abs. 2 Satz 4 ApoBetrO). Auf dieser Grundlage gibt es sicherlich gute Gründe für Apotheker, an ihre Kunden eine Kundenkarte auszugeben. Das Innehaben einer solchen Kundenkarte kann es jedoch nicht rechtfertigen, von der grundsätzlich geltenden Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten für diesen Kundenkreis abzuweichen. Zwar mag es zutreffen, dass die generelle Gewährung eines Preisnachlasses für alle abgegeben Waren ab einem bestimmten Mindestwert für Inhaber einer Kundenkarte einen zusätzlichen Anreiz für die Kunden des Beschuldigten bietet, sich für eine Kundenkarte zu entscheiden, und dass die Kundenkarte eine Erleichterung bei der Beratung herbeiführt. Eine Rechtsgrundlage, um von Vorschriften über Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BO abzuweichen, lässt sich daraus nicht ableiten.
34 Dem Beschuldigten ist ein vorsätzliches Handeln vorzuwerfen. Vorsätzlich handelt, wer die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale kennt oder zumindest für möglich hält (Wissenselement des Vorsatzes) und sich willentlich für die Tatbestandsverwirklichung entscheidet bzw. sie wenigstens in Kauf nimmt (Willenselement des Vorsatzes) (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 58). Das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe Berlin vom 16. April 2013 – VG 90 K 6.11 T – wurde dem Verteidiger des Beschuldigten am 6. Mai 2013 zugestellt. Nach den Angaben seines Verteidigers in der mündlichen Verhandlung hat der Beschuldigte sich im Hinblick auf die Änderung des § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 HWG durch das Gesetz vom 12. August 2013 (BGBl. I S. 3108) anwaltlich beraten lassen, in welcher Weise er weiterhin Preisnachlässe gewähren könne. Zwar ist die damit verbundene ergänzende Regelung, dass Zuwendungen oder Werbeabgaben für Arzneimittel unzulässig sind, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten, für die Auslegung der arzneimittelrechtlichen Preisbildungsvorschriften ohne Belang, weil die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes andere Zwecke verfolgen. Mit dieser Gesetzesänderung kann – anders als der Beschuldigte meint – nicht der Schluss verbunden werden, dass eine Werbung mit Wertgutscheinen auch für preisgebundene Arzneimitteln bis zum Zeitpunkt der besagten Gesetzesänderung nicht als Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 BO zu bewerten sei (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 39). Gleichwohl konnte der Beschuldigte damit erst recht erkennen, dass Zuwendungen oder Werbegaben in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag für Arzneimittel unzulässig sind, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten. Schon aus dem Wortlaut folgt eine strikte Bindung, die Ausnahmen für Inhaber von Kundenkarten nicht zulässt. Der Beschuldigte hat es daher jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass er bei der Kundengruppe, an die er weiterhin Wertgutscheine auch beim Erwerb verschreibungspflichtiger Medikamente abgab, gegen die Preisbindung verstieß.
35 Bei der Auswahl und der Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahme ist grundsätzlich das Gewicht der festgestellten Berufspflichtverletzung, die Persönlichkeit des Beschuldigten, das Ausmaß seiner Schuld, berufsrechtliche Vorbelastungen, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen des Berufsstandes zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit eines Berufsträgers zu sichern, um so die Funktionsfähigkeit des Berufsstandes zu gewährleisten. Bei der Schwere der Berufspflichtverletzung spielt auch eine Rolle, ob der Kern der Tätigkeit betroffen ist; zu den die Schuld und die Persönlichkeit beeinflussenden Faktoren gehören die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sowie die Zahl der Pflichtverletzungen. Das ärztliche Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts nicht repressiv und damit tatbezogen. Vielmehr ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Berufsausübung zu würdigen; dabei steht die individuelle Pflichtenmahnung im Vordergrund. Neben dem Gewicht des Berufsvergehens ist dabei die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten und hierbei die Frage entscheidend, in welchem Umfang es einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 109).
36 Grundsätzlich kommen nach § 17 Abs. 1 KammerG in abgestufter Form und teilweise gemäß § 17 Abs. 2 KammerG auch kumulativ eine Warnung (1.), ein Verweis (2.), eine Geldbuße bis zu 50.000,- Euro (3.), die Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts (4.) und die Feststellung, dass der Beschuldigte unwürdig ist, seinen Beruf auszuüben (5.), als Sanktionen in Frage.
37 Die von der Einleitungsbehörde angestrebte mittlere Sanktion einer Geldbuße ist unter den oben dargestellten Voraussetzungen angemessen. Da es dem Beschuldigten darum ging, durch seine Berufspflichtverletzung Kunden zu werben und dadurch zu Lasten der anderen Kammermitglieder wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, liegt es nahe, diesen Gewinn jedenfalls teilweise abzuschöpfen. Insoweit kommt in der hier nicht anwendbaren Neuregelung in § 76 Abs. 3 Satz 2 BlnHKG, die eine Verbindung zwischen dem wirtschaftlichen Vorteil, den das beschuldigte Kammermitglied aus dem Berufsvergehen gezogen hat, und der Höhe der Geldbuße herstellt, ein allgemeiner Rechtsgedanke zum Ausdruck. Zu Gunsten des Beschuldigten ist die lange Dauer des Verfahrens zu berücksichtigten, das eine Werbemaßnahme aus dem Jahre 2013 betrifft, die der Beschuldigte nach den Angaben seines Verteidigers in der mündlichen Verhandlung nach der Beanstandung durch die Einleitungsbehörde eingestellt hat. Seither ist ein Zeitraum von fast sechs Jahren vergangen, der allerdings dadurch geprägt war, dass das Berufsgericht die Entscheidung durch das Berufsobergericht in dem früheren Verfahren abgewartet hat, ohne zunächst das Verfahren förmlich auszusetzen. Zugleich sind in dieser Zeit eine Vielzahl von Entscheidungen ergangen, die die Rechtsauffassung der Einleitungsbehörde bestätigt haben, und die dem Beschuldigten bekannt geworden sind, so dass sich das Bedürfnis nach einer berufsgerichtlichen Pflichtenmahnung verringert hat. Bei der Bemessung der Geldbuße sind gemäß § 17 Abs. 3 KammerG die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen. Dazu liegen keine verlässlichen Erkenntnisse vor. Der Beschuldigte hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich insoweit nicht zu äußern. Das Berufsgericht geht von einem überdurchschnittlichen Einkommen aus, da der Beschuldigte mehrere Apotheken betreibt. Mit Rücksicht darauf, dass der Beschuldigte sein berufsrechtswidriges Verhalten schon lange eingestellt hat, ist nach Auffassung des Berufsgerichts eine Geldbuße angemessen, die sich im unteren Bereich der Spanne von bis zu 50.000 Euro bewegt.
38 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 24 KammerG in Verbindung mit § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.