Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 16 K 7633/18
ApBetrO § 4 Abs. 2a Satz 1
Die barrierefreie Erreichbarkeit der Offizin nach § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO erfordert grundsätzlich einen von Stufen, Schwellen und anderen Hindernissen vollständig freien Zugang, damit auch Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, selbständig, ohne fremde Hilfe in die Offizin gelangen können.
Tatbestand:
Auf der Grundlage einer Erlaubnis der Beklagten vom 1. Oktober 1992 betreibt der Kläger die Apotheke am H. platz in E. Er ist Pächter der Apothekenräume.
Die Apotheke befindet sich im linken Teil des Erdgeschosses des Gebäudes. Der rechte Teil wird von einem Imbisslokal genutzt. Der Eingangsbereich des Hauses tritt hinter die Hausfront zurück, wodurch sich zwischen den beiden Ladenlokalen ein Podest bildet, an dessen hinterem Ende der Zugang zu den oberen Etagen des Gebäudes liegt. Die Eingänge zur Apotheke des Klägers links des Podestes und des weiteren Ladenlokals auf der rechten Seite sind schräg zur Hausfront angeordnet. Das Podest liegt nach den Feststellungen der Beklagten 4,5 bis 5,5 cm höher als der Gehweg, so dass das Podest an der vorderen Seite eine Stufe in dieser Höhe aufweist. An der vorderen Kante ist das Podest 3,56 m breit, es hat eine Tiefe von 2,58 m und verjüngt sich zur Hauseingangstür auf eine Breite von 1,56 m. Der Gehweg vor dem Eingang weist eine Tiefe von 2,38 m auf. Vor den Räumen der Apotheke ist ein Kellerschacht in den Gehweg eingelassen, vor dem Imbisslokal ein weiterer Schacht, der zum Verbringen von Abfallbehältern in den Keller dient. Des Weiteren befinden sich in dem Gehweg vor dem Haus zwei Hydranten.
Bei einer Inspektion am 3. September 2014 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Apotheke nicht den Anforderungen an den barrierefreien Zugang genüge, da sie nur über die Stufe erreichbar sei und die Tür nicht automatisch öffne. Mit Schreiben vom 13. August 2015 forderte die Beklagte den Kläger auf, gewissenhaft zu prüfen, ob ein barrierefreier Zugang hergestellt werden könne, und sich zu diesem Zweck mit dem Amt für Verkehrsmanagement der Beklagten in Verbindung zu setzen.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 teilte der Kläger mit, vom Amt für Verkehrsmanagement habe er die Auskunft erhalten, es sei technisch möglich, den Höhenunterschied von ca. 4 bis 5 cm im Bereich des Gehwegs zu überbrücken. Wegen der vorhandenen Kellerschächte müsse die Baumaßnahme noch mit dem Hauseigentümer abgestimmt werden.
Am 18. Juni 2018 führte der Amtsapotheker der Beklagten eine weitere Inspektion der Apotheke des Klägers durch. Mit Schreiben vom 26. Juni 2018 übersandte er ihm einen Entwurf des Inspektionsberichts mit der Bitte um Mitteilung etwaiger Anmerkungen. Mit Schreiben vom 7. Juli 2018 erklärte der Kläger, bezüglich des barrierefreien Zugangs habe er im November 2015 ein Gespräch mit dem Verpächter geführt, das ohne Ergebnis geblieben sei.
Mit dem Inspektionsbericht vom 16. Juli 2018 wies der Amtsapotheker den Kläger – neben anderen Mängeln – unter Ziffer 7.2.1 darauf hin, dass die Anforderungen an den barrierefreien Zugang zur Offizin nach § 4 Abs. 2a ApBetrO nicht erfüllt würden, nahm Bezug auf die Informationen, die dem Kläger vom Amt für Verkehrsmanagement mitgeteilt worden seien, und führte weiter aus:
„Da entsprechend der Aussage vom Amt für Verkehrsmanagement es möglich ist, einen barrierefreien Zugang einzurichten, ist dieses auch umzusetzen. Bitte unterrichten Sie mich über die weiter geplanten Maßnahmen.“
Abschließend forderte die Beklagte den Kläger auf, die aufgeführten Mängel schnellstmöglich zu beheben und dies bis 13. August 2018 durch Vorlage geeigneter Unterlagen oder Fotos nachzuweisen.
Mit Bescheid vom 16. August 2018, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, verlängerte die Beklagte die Frist zur Herstellung des barrierefreien Zugangs bis zum 31. Januar 2019.
Der Kläger hat am 19. September 2018 Klage gegen die in dem Inspektionsbericht vom 16. Juli 2018 in Gestalt des Bescheides vom 16. August 2018 angeordnete Herstellung eines barrierefreien Zugangs zur Offizin erhoben.
Am 16. April 2019 führten die Beteiligten einen Ortstermin mit dem Ziel der gütlichen Einigung durch. Die örtlichen Gegebenheiten fasste der Amtsapotheker mit Schreiben vom 2. Mai 2019 zusammen. Darin führte er aus, auf öffentlichen Gehwegen sei ein Quergefälle von 2,5 % anzustreben, das 4 % nicht übersteigen dürfe, um eine gefahrlose Benutzung zu ermöglichen. Ob diese Vorgabe bei Angleichung des Gehwegs an die Stufe im Eingangsbereich der Apotheke eingehalten werden könne, sei nicht bekannt. Der Kläger wurde aufgefordert, zur Bestimmung des gegenwärtigen Quergefälles des Gehwegs zum Amt für Verkehrsmanagement Kontakt aufzunehmen.
Der Kläger macht geltend:
Es sei bereits fraglich, ob der Begriff „barrierefrei“ einen völlig stufen- und schwellenlosen Zugang erfordere oder ob geringe Höhenunterschiede noch als „barrierefrei“ bezeichnet werden könnten.
Jedenfalls sei es aber unverhältnismäßig, ihm die Angleichung der Stufe aufzuerlegen. Die geringe Stufe im Eingangsbereich der Apotheke habe in der Praxis noch nie Probleme hervorgerufen. Derzeit habe er keinen Kunden, der auf den Rollstuhl angewiesen sei. Die Kundschaft wohne in der unmittelbaren Umgebung, wo die Häuser nicht barrierefrei seien. Laufkundschaft suche die Apotheke nicht auf.
Sollte der Ausgleich der Stufe durch Absenken des Podestes im Eingangsbereich des Hauses hergestellt werden, stünde dafür nur eine Tiefe von 120 cm zur Verfügung, damit der Zugang in die Offizin und das gegenüberliegende Ladenlokal barrierefrei möglich sei. Das führe bei einem Höhenunterschied von 4,5 bis 5,5 cm zu einem Gefälle von 3,8 bis 4,6 %. Da ein Gefälle von mehr als 4 % nicht zulässig sei, scheide diese Möglichkeit aus. Zudem lehne der Verpächter eine bauliche Änderung an seinem Gebäude kategorisch ab. Der Pachtvertrag gebe dem Kläger keinen Anspruch auf eine Änderung des Gebäudes außerhalb der gepachteten Apothekenräume. Bei Anheben des Gehwegs ergebe sich ein nötiges Gefälle zum Überwinden des Höhenunterschieds auf 238 cm Tiefe von 1,89 % bis 2,31 %. Addiere man das übliche Quergefälle eines Gehwegs von 2 %, ergebe sich ein Gesamtgefälle von 3,89 % bis 4,31 %. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger eingeräumt, es sei im Ergebnis davon auszugehen, dass der Ausgleich der Stufe durch Anhebung des Gehwegs – und eventuell des Bordsteins – baulich möglich sei.
Die voraussichtlichen Kosten von ca. 6.000,00 Euro für die Angleichung des Gehwegs und geschätzt 2.000,00 Euro für eine vorherige Vermessung stünden aber außer Verhältnis zum Nutzen einer solchen Maßnahme. Er sei bereit, durch organisatorische Maßnahmen den Zugang zu erleichtern. Etwa könne er eine Funkklingel im Eingangsbereich anbringen und eine mobile Rampe vorhalten.
Der Kläger beantragt,
den Inspektionsbericht der Beklagten vom 16. Juli 2018 in Gestalt des Bescheides vom 16. August 2018 bezüglich der Anordnung, einen barrierefreien Zugang zur Apotheke am H.-platz zu schaffen, aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor:
Gehwege wiesen regelmäßig ein Quergefälle von rund 2 % auf, um das Abfließen des Regenwassers zu ermöglichen. Eine Anhebung des Gehwegs sei möglich, wenn das maximale Quergefälle von 4 % eingehalten werden könne. Bei der barrierefreien Ausgestaltung von Gehwegen seien die DIN 18040-3 „Barrierefreies Bauen – Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum“ sowie die RASt 06 „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“, Kap. 6.1.3 Boden und Rinnen, heranzuziehen.
Dem Kläger werde darin zugestimmt, dass eine bauliche Lösung durch Absenken des Eingangspodestes wegen des dann entstehenden zu starken Gefälles ausscheide. Das Amt für Verkehrsmanagement könne eine belastbare Aussage zur Umsetzbarkeit der Anhebung des Gehwegs nur treffen, wenn es ein Höhenraster des Gehwegs mit Längs- und Querneigung kenne.
Auf Anforderung durch das Gericht hat der Kläger einen Kostenvoranschlag eines Straßenbauunternehmens vorgelegt, wonach für die Anhebung des Gehwegs vor der Apotheke, einschließlich der Anhebung des Bordsteins, Kosten in Höhe von 5.099,50 Euro netto (6.068,41 Euro brutto) anzusetzen sind. In der mündlichen Verhandlung hat ein Vertreter des Amtes für Verkehrsmanagement der Beklagten zu den baulichen Anforderungen an die Anhebung des Gehwegs Auskunft gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die in dem Inspektionsbericht des Amtsapothekers der Beklagten vom 16. Juli 2018 unter Ziffer 7.2.1/Mangel F3.3 enthaltene Anordnung, einen barrierefreien Zugang zur Offizin der Apotheke des Klägers einzurichten, die mit Bescheid vom 16. August 2018 hinsichtlich der Fristsetzung geändert wurde, ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Anordnung beruht auf der Rechtsgrundlage des § 69 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG). Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Zu den Verstößen, die hiernach die zuständigen Behörden zum Eingreifen ermächtigen, gehört neben der Missachtung arzneimittelrechtlicher Vorschriften auch die Verletzung apothekenrechtlicher Bestimmungen (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 –, juris, Rn. 15, und vom 22. Januar 1998 – 3 C 6.97 –, juris, Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 13 B 284/16 –, juris, Rn. 8.)
Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor.
Die Apotheke des Klägers entspricht nicht den Vorgaben des § 4 Abs. 2a Satz 1 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO). Nach der Vorschrift muss die Offizin einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben und soll barrierefrei erreichbar sein.
Diese Regelung, die mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung vom 5. Juni 2012 (BGBl. 2012 I S. 1254) in die Apothekenbetriebsordnung eingefügt wurde, gilt auch für Apotheken, die – wie die Apotheke des Klägers – bei Inkrafttreten der Änderung am 12. Juni 2012 bereits auf der Grundlage einer zuvor erteilten Erlaubnis betrieben wurden (Bestandsapotheken). Das ergibt sich daraus, dass § 37 ApBetrO in der Fassung der 4. Änderungsverordnung Übergangsregelungen für solche Apotheken vorsieht, jedoch nicht bezüglich der Anforderungen des § 4 Abs. 2a Satz 1 ApBetrO (vgl. auch Begründung des Verordnungsentwurfs, BR-Drs. 61/12, S. 64).
Es steht außer Streit, dass die Offizin der Apotheke des Klägers, d.h. der Betriebsraum, in dem die Bedienung und Beratung der Kunden erfolgt und in dem freiverkäufliche Arzneimittel zur Selbstbedienung und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Sichtwahlbereich angeboten werden (vgl. Krämer, in: Rixen/Krämer, ApoG, Kommentar, 2014, ApBetrO, § 4 Rn. 23 m.w.N.), einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen hat.
Sie ist jedoch nicht barrierefrei erreichbar.
Die barrierefreie Erreichbarkeit der Offizin erfordert grundsätzlich einen von Stufen, Schwellen und anderen Hindernissen vollständig freien Zugang, damit auch Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, selbständig, ohne fremde Hilfe in die Offizin gelangen können.
Die Anforderungen an die barrierefreie Erreichbarkeit werden in der Apothekenbetriebsordnung nicht konkretisiert. Sie können aber aus § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) abgeleitet werden, auf den die Begründung des Verordnungsentwurfs verweist (vgl. BR-Drs. 61/12, S. 48).
Nach § 4 BGG sind bauliche Anlagen barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Diese Zielsetzung hat der Verordnungsgeber mit der Regelung des § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO aufgegriffen. Nach der Begründung des Verordnungsentwurfs soll der Zugang so gestaltet sein, dass die Offizin von jedem Menschen, unabhängig von einer eventuell vorhandenen Behinderung, uneingeschränkt erreicht werden kann (vgl. BR-Drs. 61/12, S. 48).
Ob im Einzelfall trotz einer flachen Stufe oder Schwelle, etwa mit einem maximalen Höhenunterschied von 1 cm, wie von den Beklagtenvertretern in der mündlichen Verhandlung angesprochen, Barrierefreiheit gegeben sein kann, bedarf vorliegend keiner abschließenden Würdigung. Denn jedenfalls bei einer Höhe von 4,5 bis 5,5 cm, die die Stufe im Eingangsbereich der Apotheke des Klägers aufweist, kann nicht mehr von Barrierefreiheit ausgegangen werden. Eine Stufe mit diesem Höhenunterschied kann für viele auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen, aber auch für Menschen mit anderen körperlichen Einschränkungen, ein Hindernis darstellen, das ohne Hilfe nicht zu überwinden ist.
Die Ermächtigungsgrundlage des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eröffnet der Beklagten auf der Rechtsfolgenseite Entschließungs- und Auswahlermessen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2016 – 13 B 1137/15 –, juris, Rn. 34; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. August 2017 – 13 ME 122/17 –, juris, Rn. 22; Delewski, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, § 69 Rn. 19).
Bei der Ausübung des Ermessens hat die Beklagte zu berücksichtigen, dass die Norm des § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO, deren Durchsetzung die Ordnungsverfügung dient, ihrerseits ein intendiertes Ermessen („soll“) eröffnet. Dies lässt Abweichungen von der grundsätzlich vorgeschriebenen Barrierefreiheit in atypischen Fällen zu (vgl. Krämer, in: Rixen/Krämer, ApoG, Kommentar, 2014, ApBetrO, § 4 Rn. 30).
Daraus folgt indes nicht, dass das nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eröffnete Ermessen im Sinne eines intendierten Ermessens eingeschränkt ist, so dass die Beklagte nur in atypischen Ausnahmefällen davon absehen darf, eine bauliche Herstellung der Barrierefreiheit anzuordnen. Ein solches Verständnis stünde in einem systematischen Widerspruch dazu, dass § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG auch bei der Durchsetzung absolut formulierter Normen, etwa des § 4 Abs. 2a Satz 1 1. Halbsatz ApBetrO, wonach die Offizin einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben muss, Ermessen eröffnet. Auch in diesen Fällen führt die absolute Formulierung der durchzusetzenden Norm nicht ohne Ansehung des Einzelfalls zu einer Einschränkung des Ermessens, die nur in einer Ermessensreduzierung auf null bestehen könnte. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation, die die Durchsetzung der Anforderungen des § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO im Fall einer Bestandsapotheke durch Ordnungsverfügung betrifft, von der Erteilung einer Apothekenerlaubnis nach §§ 1, 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen (Apothekengesetz – ApoG). Die Entscheidung über die Erlaubnis ist eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass ein Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO in der Regel zur Versagung der Erlaubnis führt.
Dessen ungeachtet räumt § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO den Belangen von Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert ein. Diese sind in der Ermessensentscheidung mit den widerstreitenden Interessen des Inhabers der Apotheke abzuwägen. Dabei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob ein barrierefreier Zugang bautechnisch und rechtlich – vor allem in baurechtlicher und denkmalschutzrechtlicher Hinsicht – möglich ist und ob die Barrierefreiheit in wirtschaftlich zumutbarer Weise hergestellt werden kann. Ferner kann im Einzelfall relevant sein, ob eine barrierefrei zugängliche Apotheke sich in unmittelbarer Nähe befindet oder ob ein Zugang zumindest unter Mitwirkung des Apothekenpersonals möglich ist (vgl. Krämer, in: Rixen/Krämer, ApoG, Kommentar, 2014, ApBetrO, § 4 Rn. 30).
Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt die angefochtene Anordnung in dem eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsrahmen (§ 114 VwGO) Ermessensfehler nicht erkennen.
Der Amtsapotheker hat den Sachverhalt – unter Mitwirkung des Klägers – hinreichend aufgeklärt und ist bei seiner Entscheidung von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung von seinem zuvor vertretenen Standpunkt abgerückt, es sei aufgrund der einzuhaltenden Regelungen bautechnisch unmöglich, den Gehweg vor der Apotheke so anzuheben, dass die Stufe im Eingangsbereich seiner Apotheke ausgeglichen wird, jedenfalls sei unklar, ob die Anpassung technisch möglich sei. Die Beteiligten gehen damit nunmehr übereinstimmend davon aus, dass eine bauliche Angleichung des Gehwegs auf das Niveau des Eingangspodestes vor der Apotheke möglich ist. Diese Annahme legte der Amtsapotheker bereits der Anordnung im Inspektionsbericht vom 16. Juli 2018 zugrunde.
Der Angleichung des Gehwegs auf das Niveau der Stufe im Eingangsbereich vor der Offizin stehen keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Der Einwand des Klägers, der Verpächter verweigere eine bauliche Änderung an seinem Gebäude, stand im Zusammenhang mit der inzwischen verworfenen Absenkung des Podestes in der Eingangsnische des Gebäudes. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage der Verpächter der baulichen Veränderung des öffentlichen Gehwegs vor seinem Haus, durch die sein Eigentum nicht beeinträchtigt wird, entgegentreten kann.
Die Anordnung, den barrierefreien Zugang herzustellen, verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die Angleichung des Höhenniveaus zwischen Gehweg und Apothekeneingang ist erforderlich, um den Normzweck des § 4 Abs. 2a Satz 1 2. Halbsatz ApBetrO zu erreichen. Es ist von der Entscheidung des Verordnungsgebers auszugehen, dass jede Apotheke barrierefrei erreichbar sein soll. Daher ist unerheblich, dass der Kläger mit Blick auf die Zusammensetzung seiner Kundschaft kein Bedürfnis nach einer barrierefreien Ausgestaltung des Eingangsbereichs seiner Apotheke sieht. Zudem ist nicht auszuschließen, dass potentielle Kunden, etwa solche, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, die Apotheke des Klägers wegen der vorhandenen Einschränkung des Zugangs meiden, so dass die Beobachtungen des Klägers den tatsächlichen Bedarf möglicherweise nicht zutreffend widerspiegeln.
Es steht auch kein ebenso wirksames, den Kläger weniger belastendes Mittel zur Verfügung. Das Vorhalten einer mobilen Rampe in Kombination mit einer Funkklingel entsprechend dem Vorschlag des Klägers ist gemessen am Normzweck nicht ebenso wirksam wie ein dauerhafter baulicher Ausgleich der Höhendifferenz. Zwar würde eine mobile Rampe Personen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, den Zugang zur Offizin ermöglichen. Damit würde aber das Ziel, einen selbständigen Zugang ohne Hilfe zu gewährleisten, verfehlt. Nur wenn eine bauliche Beseitigung eines Zugangshindernisses tatsächlich oder rechtlich unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar wäre, käme eine mobile Rampe als die Barrierefreiheit nicht vollständig aber annähernd herstellendes Mittel in Betracht. Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor.
Die angeordnete bauliche Maßnahme ist auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten verhältnismäßig. Nach dem von dem Kläger vorgelegten Kostenvoranschlag sind die Kosten für eine Angleichung des Gehwegs an das Niveau der Stufe im Eingangsbereich der Apotheke mit 6.068,41 Euro brutto anzusetzen. Nach Schätzung der Beklagten, der der Kläger nicht entgegengetreten ist, entstehen durch eine notwendige Vermessung weitere Kosten in Höhe von ca. 2.000,00 Euro. Der Gesamtbetrag von rund 8.000,00 Euro belastet den Kläger nicht unzumutbar. Als Maßstab kann der Umsatz der Apotheke herangezogen werden. Die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass eine Apotheke, um rentabel zu sein, im Jahr mindestens 1,2 Millionen Euro umsetzen muss. Selbst wenn man die erwarteten Kosten von 8.000,00 Euro nur dem Umsatz im Jahr der Entstehung der Kosten gegenüberstellt und nicht auf mehrere Jahre verteilt, stehen die Kosten mit einem geschätzten Anteil von 0,7 % ersichtlich nicht außer Verhältnis zum Jahresumsatz. Nichts anderes ergibt sich im Verhältnis der erwarteten Kosten zur Höhe des Pachtzinses. Die Beklagte hat geschätzt, dass die Kosten der Baumaßnahme einschließlich der Vermessung etwa der Pacht für drei bis vier Monate entsprechen. Der Kläger ist den nachvollziehbaren Annahmen der Beklagten zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Apotheke nicht entgegengetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.