Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, Beschluss vom 30. März 2023, Az.: 5 L 3300/22.F

Das Tatbestandsmerkmal „bestimmt sein können“ im Sinne der EU-Dual-Use-Verordnung

Entscheidungen in Leitsätzen

VO (EU) 2021/821 Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a; EUDual-Use-VO Art. 4, 2, 15, 16; VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1; AWG § 1

Leitsätze des Gerichts:

Das Tatbestandsmerkmal „bestimmt sein können“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO erfordert das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass der Empfänger ein Gut für einen der in Art. 4 Abs. 1 EUDual-Use-VO genannten unerlaubten Zwecke einsetzen könnte, ohne dass damit sogleich eine konkrete Verwendungsabsicht feststehen müsste. Eine solche Auslegung folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, dem Bestimmtheitsgebot und dem Grundsatz der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs.

 

Gründe

 

I.

 

1 Die Antragstellerin begehrt die Ausfuhr von ihr hergestellter sogenannter ELISA Testsysteme bzw. Testkits in die Russische Föderation.

 

2 Bei der Antragstellerin handelt es sich laut ihrem eigenen Internetauftritt um eine weltweit aktive Herstellerin von Diagnostika.

 

3 Am 3. August 2022 stellte die Antragstellerin beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (im Folgenden: BAFA) einen Antrag auf Ausfuhr 19 verschiedener sogenannter Enzymimmunoassays in einem Gesamtwert von XX Euro. Bei Enzymimmunoassays handelt es sich um ein Nachweis- bzw. Testverfahren für die quantitative Bestimmung von Antigenen oder Antikörpern in Körperflüssigkeiten, bei dem Enzyme zur Markierung eingesetzt werden (Enzyme-Linked Immunosorbent Assay, kurz: ELISA). Der Antrag umfasste die Produkte „X, XX, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X, X und XXX“.

 

4 In ihrem Antrag gab die Antragstellerin unter „19. Endverwendung“ an:

 

„Labordiagnostika für Untersuchung von Stoffwechselstörungen, Adipositas Wachstumsstörungen bei Kindern“

 

5 Und unter „23. Zusatzinformationen“:

 

„Die Produkte dienen der Diagnostik von Wachstumsstörungen bei Kindern, bzw. Stoffwechselstörungen von Personen mit Diabetes und/oder Fettleibigkeit, ausschließlich medizinischen humanitären Zwecken. Es besteht die Gefahr des Auftragsverlustes! Wir bitten um eine priorisierte Antragsbearbeitung.“

 

6 Als Empfänger wurde das in der Russischen Föderation (X-Stadt) ansässige Unternehmen XY (im Folgenden: XY) angegeben. Das Feld „9. Endverwender“ blieb leer. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antrag Bezug genommen (Bl. 1 ff. der Behördenakte). Dem Antrag der Antragstellerin beigefügt waren sechs „End-Use Certificate (EUC)“. Darin wurden als „End-User“ die in der Russischen Föderation ansässigen Unternehmen L, S, M, P und N benannt. XY ist nach seinen eigenen Angaben einer der größten Anbieter von diagnostischer Ausrüstung und Testkits in der Russischen Föderation und bediene als solcher die dortigen Kunden aus den Bereichen Diagnostik und Biowissenschaften (Endanwender, Laborärzte, Klinik- und medizinische Forschungslabore).

 

7 Am 15. September 2022 bestätigte die Antragstellerin laut „Order Confirmation“ (Order No./Customer No.: 123) eine Bestellung von XY in Höhe von insgesamt X Euro, welche die Produkte „X, XX, X, X, X, X“ und „XXX“ umfasste.

 

8 In einer „Bearbeitungsdokumentation – Phasen 1 & 3“ des BAFA vom 24. August 2022 wurde ein Absatz über XY geschwärzt. Laut Bericht des BAFA zur „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ vom 16. September 2022 liege für XY eine sogenannte bewertungsrelevante „Denial“ für biochemische Reagenzien vor (Nummer: 456). Für die beantragten Güter lägen zwar keine technisch einschlägigen „Denials“ vor, dafür lägen allerdings für die Russische Föderation diverse bewertungsrelevante bzw. mittelbar bewertungsrelevante „Denials“ für den BW-Bereich vor. So unter anderem eine „Denial“ (Nummer: 789), bei der die Ausfuhr von Insulin abgelehnt worden sei. Die vorliegenden Güter 1-7 („X, XX, X, X, X, X, X“) detektierten einen humanen-insulinähnlichen Wachstumsfaktor, sodass eine verwandte Endverwendung ersichtlich sei. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Bericht Bezug genommen (Bl. 61 ff. der Behördenakte).

 

9 Mit Bescheid vom 4. Oktober 2022 unterrichtete das BAFA die Antragstellerin zunächst darüber, dass die Lieferung der oben genannten Produkte über XY an die insgesamt fünf Endverwender in der Russischen Föderation ganz oder teilweise zur Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung biologischer und chemischer Waffen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2021/821 des Rates vom 20. Mai 2021 (im Folgenden: EU-Dual-Use-VO) bestimmt sein könnten, wodurch eine Genehmigungspflicht für die von der Antragstellerin beabsichtigte Ausfuhr begründet werde (1.). Die sofortige Vollziehung der Nummer 1 wurde angeordnet (2.) und der Antrag vom 3. August 2022 auf Erteilung einer Genehmigung für die Ausfuhr des dort näher bezeichneten Gutes abgelehnt (3.). Zur Begründung führte die Behörde aus, Rechtsgrundlage für die unter Nummer 1 erfolgte Unterrichtung sei Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der EU-Dual-Use-VO. Der genannte Empfänger XY sei nach den der Antragsgegnerin vorliegenden Informationen in proliferationsrelevante Beschaffungen im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen eingebunden. Die streitgegenständlichen und zur Ausfuhr beantragten Produkte der Antragstellerin könnten unter anderem für die Entwicklung biologischer und chemischer Waffen verwendet werden, da sie eine objektiv technische Eignung für eine solche Verwendung aufwiesen. Es lägen daher hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung im Hinblick auf die Entwicklung biologischer und chemischer Waffen vor. Nach alledem seien die Voraussetzung des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO gegeben. Aufgrund des Wortlauts der Vorschrift, welcher von „ganz oder teilweise bestimmt sind oder bestimmt sein können“ spreche, sei es insbesondere nicht erforderlich, dass die Verwendung der auszuführenden Güter für die genannten Zwecke feststehe oder nachgewiesen werde. Vielmehr reiche die nur teilweise Möglichkeit der Verwendung aus. Durch die förmliche Unterrichtung der Antragsgegnerin sei eine Genehmigungspflicht für die von der Antragstellerin beabsichtigte Ausfuhr begründet worden. Die unter Nummer 3 des Bescheides erfolgte Ablehnung des Antrages vom 3. August 2022 beruhe auf Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Buchst. a, b und d und Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO. Die Bundesrepublik Deutschland sei Vertragsstaat der Australischen Gruppe und habe damit die Verpflichtung übernommen, alles zu tun, um die Weiterverbreitung von biologischen und chemischen Waffen auch durch Kontrolle damit im Zusammenhang stehender Warenlieferungen zu verhindern. Überdies erlaube die seit jeher auf die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung keine Lieferungen von Gütern, die in irgendeiner Weise einen Beitrag zur Entwicklung und/oder Herstellung solcher Waffen und/oder dafür geeigneter Trägertechnologie leisten könnten. Im Lichte dessen sei die von der Antragstellerin beabsichtigte Ausfuhr besonders geeignet, dass nationale und internationale Vertrauen hinsichtlich der restriktiven Nichtverbreitungspolitik der Bundesregierung zu erschüttern und dadurch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu schädigen sowie die auswärtigen Beziehungen erheblich zu stören. Nach den der Antragsgegnerin vorliegenden Informationen weise der Endverwender Bezüge zu den Gefahrenbereichen Proliferation Biowaffen und Proliferation Chemiewaffen auf. Aus dem Zusammentreffen der Möglichkeit einer missbräuchlichen Verwendung bei der Entwicklung von biologischen und chemischen Waffen und der objektiv-technischen Eignung der Güter im Bereich B- und C-Waffen folge bei einer Gesamtschau aller relevanter Aspekte des konkreten Einzelfalls ein erhebliches Risiko hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs der Ware. Eine Genehmigungserteilung würde der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung widersprechen und die Verpflichtungen im Rahmen der Australischen Gruppe unberücksichtigt lassen. Hingegen seien die von der Antragstellerin vorgetragene zivile Endverwendung, nämlich die Verwendung als Labordiagnostika für die Untersuchung von Stoffwechselstörungen, Adipositas und Wachstumsstörungen bei Kindern, nicht hinreichend konkret dargelegt und substantiiert worden, so dass die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Produkte nicht mit hinreichender Sicherheit habe ausgeräumt werden können. Aus den genannten Gründen überwiege daher das öffentliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Versagung einer Ausfuhrgenehmigung gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an einer Vornahme der Ausfuhr. Schließlich beruhe die unter Nummer 2 des Bescheides getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, da zu verhindern sei, dass die von der Antragstellerin zur Ausfuhr beantragten Produkte ohne Genehmigung exportiert werden würden, da hierdurch ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die in Art. 15 EU-Dual-Use-VO genannten Schutzgüter, insbesondere für die auswärtigen Beziehungen der Bundesgebiet Deutschland sowie für das friedliche Zusammenleben der Völker, entstehen könnte, zumal eine Rückabwicklung der einmal durchgeführten Ausfuhr nicht sichergestellt werden könne. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 39 ff. der Gerichtsakte).

 

10 Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 Widerspruch und beantragte gleichzeitig die Aufhebung des Sofortvollzugs sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Zur Begründung gab sie an, die Produkte seien relativ kurzlebig und könnten nicht lange vorgehalten werden. XY habe zudem einen dringenden Bedarf angemeldet. Die medizinische Diagnostik könne jedoch nun zum Leidwesen der russischen Patienten nicht stattfinden oder die Endverwender würden Alternativen zu den Produkten von XY erwerben und verwenden, was für XY sehr nachteilig wäre und einen bedeutenden – wahrscheinlich endgültigen – Umsatzverlust mit sich bringen würde. XY habe in einem Schreiben vom 6. September 2022 versichert, dass keine in der Listenpositionen 1CX, 1CX und 1CX der EU-Dual-Use-VO erfassten Chemikalien in den Testkits enthalten seien. Zudem verweise die Antragstellerin auf das Gutachten des Herrn Professor a.D. Dr. med. O vom 21. Oktober 2022, wonach die Möglichkeit zur Fremdnutzung der in Frage stehenden Messmethode außerhalb des medizinischen Bereichs nicht erkennbar sei.

 

11 Die Antragstellerin hat am 29. November 2022 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt sie vor, zunächst sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid vom 4. Oktober 2022 bereits formell rechtswidrig, da das BAFA nicht das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise dargelegt, sondern zur Begründung lediglich pauschal behauptet habe, dass durch die Ausfuhr ein nicht wiedergutzumachender Schaden eintrete, ohne im Detail darzulegen, woraus sich dies ergebe bzw. ohne im Detail darauf einzugehen. Zudem überwiege das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes vom 4. Oktober 2022, da dieser offensichtlich rechtswidrig sei. Es ergebe sich weder die Möglichkeit einer missbräuchlichen Verwendung der streitgegenständlichen Produkte noch unterfielen sie der EU-Dual-Use-VO, weswegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Unterrichtung rückgängig gemacht werden müsse. Eine missbräuchliche Verwendung scheide bereits deswegen aus, da die einzelnen Testkits aus Komponenten bestünden, die weltweit ohne Restriktionen gehandelt werden würden, wie etwa Puffersalze und Detergenzien. Eventuell in den Testkits enthaltene Gefahrenstoffe oder Chemikalien seien in den Produktbeschreibungen der Antragstellerin unter „Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen“ besonders aufgeführt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Stoffmengen und Konzentrationen in den Testkits äußerst gering seien, sodass die Herstellung von biologischen und chemischen Waffen mit ihnen allein deswegen bereits ausgeschlossen sei. Auch gebe es keine vermehrungsfähigen Organismen in den Testkits, welche im Übrigen äußerst temperaturempfindlich seien, nur eine begrenzte Verwendbarkeitsdauer aufwiesen und außerhalb von medizinischen Laboren nicht einsetzbar seien. Die Endverwender hätten im Übrigen in den „End-Use Certificate (EUC)“ Erklärungen abgegeben, wonach die Waren weder ganz noch teilweise für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endverbraucher, sondern ausschließlich für zivile Verwendungen bestimmt seien, sodass keine Verdachtsmomente für eine proliferationsrelevante Beschaffung vorlägen. Schließlich stünden die Endverwender, an die XY liefern wolle, weder auf der „Finanzsanktionsliste 2022“ noch auf der „Sanctions List“ des Office of Foreign Assets Control. Die Antragstellerin habe zudem bereits mit Schreiben vom 6. September 2022 versichert, dass in den Testkits keine der in der Listenpositionen 1CX, 1CX und 1CX der EU-Dual-Use-VO erfassten Chemikalien enthalten seien. Die Produkte seien Medizinprodukte und dienten ausschließlich medizinischen humanitären Zwecken – insbesondere für den Einsatz bei Kindern – und würden unter die Zolltarifnummer 000000 fallen. Zwar werde die Ausfuhr in die Russische Föderation im „EZT-Online“ als „Ausfuhrgenehmigung (Dual Use)“ angezeigt, eine entsprechende Überprüfung im Umschlüsselungsverzeichnis ergebe jedoch, dass die Zolltarifnummer und die streitgegenständlichen Produkte dort nicht aufgeführt seien. Daher sei bereits von Amts wegen klargestellt, dass die Produkte keinen Dual-Use Status besäßen und keiner doppelten Verwendung zugeordnet werden könnten, wodurch eine Anwendung der EU-Dual-Use-VO ausscheide. Die Auslieferung der streitgegenständlichen Güter sei dringlich, da die Patienten dringend auf die Testkits angewiesen seien und Lieferverzögerungen oder sogar Ausfälle für die zu behandelnden Patienten nachteilige Auswirkungen hätten. Wegen der Einzelheiten, insbesondere der Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und insbesondere der Kinder, werde auf das vorgelegte Gutachten des Herrn Professor a.D. Dr. med. O verwiesen. Die Patientengesundheit könne nicht aufgeschoben werden. Angesichts bereits zweier im Jahr 2022 erfolgter Auslieferungen an XY – nachdem das Zollamt Z, Hauptzollamt H, die Überlassung zur Ausfuhr erteilt habe – habe die Antragstellerin zudem davon ausgehen dürfen, dass auch die hiesige Ausfuhr genehmigt werde. Des Weiteren sei zu Gunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass XY Regressforderungen von seinen Kunden befürchte, wenn die Lieferung durch die Antragstellerin nicht fristgerecht erfolgen könne, auch seien Strafzahlungen oder ein dadurch ermöglichter Lieferantenwechsel möglich. Insbesondere die Strafzahlungen könne XY aufgrund des bestehenden Liefervertrages an die Antragstellerin weiterreichen, welche dadurch ein weiteres wirtschaftliches Problem erleiden würde.

 

12 Die Antragstellerin habe deswegen zudem einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Regelungsanordnung dazu verpflichtet werde, der Antragstellerin die beantragte Ausfuhrgenehmigung für die Bestellung vom 15. September 2022 zu erteilen. Die Antragstellerin habe ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für ihr Begehren, da die am 15. September 2022 bestellten Waren dem Verfall ausgesetzt seien und es der Antragstellerin vor dem Hintergrund nicht zuzumuten sei, ein mehrjähriges Hauptsacheverfahren abzuwarten. Ab Herstellung belaufe sich die Haltbarkeit der Testkits auf üblicherweise zwei Jahre. Besonders problematisch sei das Produkt „XXX“, welches eine Haltbarkeit von weniger als einem Jahr habe. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung sei der Antragstellerin nicht zumutbar, da sie dadurch XY als Kunden verlieren würde, was für sie einen Umsatzverlust von ca. 5 Prozent zur Folge hätte. Dieser würde sie insbesondere deswegen besonders schwerwiegend treffen, da ihr Umsatz bereits während der Corona-Krise stark zurückgegangen sei, während ihre Kosten aufgrund der momentanen Energiekrise sogar stiegen. Durch einen weiteren Umsatzverlust entfiele zudem dauerhaft der Umsatz zur Sicherung von Arbeitskräften der Antragstellerin. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im Prinzip dieselben Produkte auch in den Iran verkaufe, dies zuletzt im Mai 2022. Für weitere Lieferungen in den Iran benötige die Antragstellerin ebenfalls eine Ausfuhrgenehmigung. Sollte sie diese nicht schnellstmöglich erhalten, so drohe ihr insgesamt einen Umsatzverlust i.H.v. 10 Prozent, da die Handelsbeziehung mit dem Iran eine Umsatzhöhe von ebenfalls etwa 5 Prozent ausmache. Der Bescheid vom 4. Oktober 2022 verletze die Antragstellerin in ihrer unternehmerischen Freiheit sowie in ihrem Eigentum nach Art. 16 und Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRCh), deren Anwendungsbereich nach Art. 51 Abs. 1 GRCh aufgrund der Anwendung der Dual-Use-VO eröffnet sei. Schließlich sei auch der ethische Gedanke zu berücksichtigen: die streitgegenständlichen Produkte würden vor allem zur Diagnostik bei Kindern eingesetzt werden. Wie jedoch dem vorgelegten Gutachten des Herrn Prof. a.D. O zu entnehmen sei, führe die fehlende Diagnostik dazu, dass die Krankheiten bei den betroffenen Personen bzw. Kindern nicht behandelt werden könnten. Die Bundesrepublik Deutschland treffe jedoch die Pflicht, die medizinische Behandlung der Kinder und damit die notwendige Diagnostik durch die Produkte der Antragstellerin sicherzustellen. Diese Verpflichtung folge aus dem auch für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen, welches auch die Verpflichtung zur medizinischen Behandlung der Kinder enthalte. Schließlich liege auch ein Anordnungsgrund vor: das Gericht müsse schnell entscheiden, da ansonsten die Ware vernichtet werden müsse, der Kunde und damit auch der Umsatz der Antragstellerin dauerhaft entfallen werde und die Gesundheit der Kinder gefährdet sei. Selbst wenn der Ausgang der Klage in der Hauptsache nur als „offen“ bewertet werde, so falle jedenfalls die Abwägung der Interessen aufgrund des Vorgetragenen zu Gunsten der Antragstellerin aus. Letztlich liege auch keine Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die Antragstellerin lediglich die Ausfuhrgenehmigung für die Bestellung vom 15. September 2022 begehre und nicht die vollständige Stattgabe ihres Antrages vom 3. August 2022.

 

13 Die Antragstellerin hat im gerichtlichen Verfahren eine wissenschaftliche Stellungnahme des Herrn Professor a.D. Dr. med. O vom 17. Oktober 2020, unterschrieben am 21. Oktober 2022 (Bl. 18 ff. der Gerichtsakte), sowie die Gebrauchsanweisungen zu den Produkten des Auftrags vom 15. September 2022, namentlich der Produkte „X, XX, X, X, X, X“ und „XXX“, vorgelegt (Bl. 45 ff. der Gerichtsakte). Wegen des Inhalts wird auf die jeweiligen Dokumente Bezug genommen.

 

14 Die Antragstellerin hat ursprünglich beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verfügung vom 4. Oktober 2022 wiederherzustellen und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die Ausfuhrgenehmigung für die Bestellung vom 15. September 2022 der Firma XY zu erteilen. Mit Schreiben vom 18. Januar 2023 hat die Antragstellerin ihren Antrag umgestellt und ihren Antrag hinsichtlich der Produkte „XX“ und „XXX“ zurückgenommen.

 

15 Die Antragstellerin beantragt nunmehr,

 

1) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung vom 4. Oktober 2022 unter Ausschluss der Produkte „XX“ und „XXX“ der Antragstellerin wiederherzustellen,

 

2) hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die Ausfuhrgenehmigung für die Bestellung vom 15. September 2022, Order No./Customer No.: 123, Order: Contract MD-123456, der Firma XY ohne die Produkte „XX“ und „XXX“ zu erteilen.

 

16 Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge abzulehnen.

 

17 Zur Begründung trägt sie vor, der Antrag zu 1) sei zwar zulässig, da eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragstellerin erhobenen Widerspruchs zur Folge hätte, dass die zur Ausfuhr beantragten Güter ausgeführt werden könnten. Der Antrag zu 2) sei jedoch unbegründet. Zunächst sei die im Bescheid vom 4. Oktober 2022 angeordnete sofortige Vollziehbarkeit hinreichend schriftlich begründet worden. Um eine drohende, dann endgültige Ausfuhr ohne Genehmigung zu verhindern, die einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Schutzgüter des Art. 15 der Dual-Use-VO zur Folge haben würde, habe es der sofortigen Vollziehbarkeit bedurft. Die verwendete Begründung stelle auf den konkreten Fall ab und sei nicht bloß formelhaft. Im Übrigen ergebe die anzustellende Interessenabwägung, dass das öffentliche Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege, da ein etwaiges Hauptsacheverfahren keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Ausfuhr der streitgegenständlichen Testkits sei nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der EU-Dual-Use-VO genehmigungspflichtig, da sie zur Verwendung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen objektiv-technisch geeignet seien. Weder aus der Funktion der einzelnen Testkits noch aus den Angaben in den Gebrauchsanweisungen der Antragstellerin ergebe sich, dass die Testkits ausschließlich zur Diagnose und Therapie, insbesondere bei erkrankten Kindern, genutzt werden könnten. Vielmehr weise die Antragstellerin in den Gebrauchsanweisungen der Güter 6 („X“), 7 („X“), 8 („X“), 11 („X“), 14 („X“), 17 („X“), 18 („X“) und 19 („XXX“) des Antrages vom 3. August 2022 ausdrücklich darauf hin, dass diese Güter „Nur zu Forschungszwecken“ und „Nicht zur diagnostischen Anwendung geeignet“ seien. Zudem würden einige andere Testkits, insbesondere die Güter 6 („X“), 7 („X“), 11 („X“), 14 („X“) und 18 („X“), nach den Angaben der Antragstellerin zur Bestimmung eines bestimmten Hormons in Tieren eingesetzt, womit diese Testkits keineswegs zur medizinischen Diagnostik bei erkrankten Kindern bestimmt seien. Vielmehr enthielten die Gebrauchsanweisungen dieser Testkits sogar einen ausdrücklichen Warnhinweis mit dem Wortlaut „Dieses Produkt darf nur exakt wie in der mitgelieferten Anleitung beschrieben eingesetzt werden“. Die restlichen streitgegenständlichen Testkits hätten nach den Angaben in der Gebrauchsanweisung zwar eine Zulassung für die medizinische Diagnostik, diese gelte allerdings nur innerhalb der Europäischen Union. Außerhalb dieser seien diese Testkits nach den Angaben in der Gebrauchsanweisung „Nur für Forschungszwecke“ einzusetzen. Weiterhin treffe es auch nicht zu, dass die streitgegenständlichen Testkits außerhalb medizinischer Labore nicht eingesetzt werden könnten. Die sogenannten ELISA Tests seien vielmehr gängige Formate, die weltweit für unterschiedliche Bestimmungen eingesetzt werden würden und deren Einsatz nicht auf medizinische Labore beschränkt sei. So würden ELISA Tests bzw. Systeme z.B. zur Bestimmung des Explosionsstoffs Triacetontriperoxid eingesetzt werden. Aber auch in mobilen Laboren bzw. in Detektionsfahrzeugen des Militärs bzw. des Zivilschutzes seien ELISA Systeme hinlänglich bekannt und dienten dort vorwiegend der Feststellung bzw. Identifizierung biologischer Kampfmittel. Die Antragstellerin könne auch nicht mit ihrem Argument durchdringen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Testkits nicht um Dual-Use-Güter im Sinne der EU-Dual-Use-VO handle. Allein die fehlende Eintragung der streitgegenständlichen Güter im Umschlüsselungsverzeichnis der Antragsgegnerin stelle kein verbindliches Ausschlusskriterium für den Dual-Use-Charakter (Status) eines Gutes dar. Vielmehr weise die Antragsgegnerin in dieser Veröffentlichung ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dem Umschlüsselungsverzeichnis lediglich um ein Hilfsmittel handle. Die Verwendbarkeit der streitgegenständlichen Testkits im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen ergebe sich im Übrigen aus der Funktion der Güter, insbesondere jener Testkits, die nur zu Forschungszwecken hergestellt werden würden. Auch wenn die Testkits zur Bestimmung von Hormonen ausgelegt seien, die im Zusammenhang mit dem Wachstum sowie dem Fett- und Zuckerstoffwechsel stünden, ergebe sich in Bezug auf Forschungen zu Kampfstoffen auch für diese Testsysteme Anwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise könne die physiologische Wirkung von Kampfstoffen durch bestimmte Dispositionen kontaminierter Personen verstärkt oder abgeschwächt werden. Dabei könne grundsätzlich den mithilfe der Testkits bestimmbaren Hormonen eine Relevanz zukommen, denn im Regelfall würden viele der betreffenden Hormone an unterschiedlichen Stellen in einem Organismus wirken und könnten somit von Bedeutung sein. Die mögliche Relevanz könne sowohl im Zusammenhang mit der Entwicklung neuartiger Kampfstoffe von Interesse sein, als auch bei der Erforschung von Schutz- bzw. Behandlungsmöglichkeiten. Insbesondere zu Therapiemöglichkeiten oder zum präventiven Schutz vor einer Kontamination mit Kampfstoffen würden fortlaufend Forschungsarbeiten, insbesondere in militärischen Forschungseinrichtungen, durchgeführt werden. Die Bandbreite der Forschungen reiche dabei vom sogenannten Off-Label-Use von Medikamenten (z.B. Diclofenac bei S-lost [Senfgas]), bis zur Erforschung geeigneter Gegenmittel (sogenannter Antidots). Die Forschungen würden in der Regel an Zellkultur- oder Tiermodellen durchgeführt werden. Eine begleitende und umfassende Analytik und Bestimmung der (patho-) physiologischen Gegebenheiten sei in den angeführten Beispielen unerlässlich und mittels der streitgegenständlichen Güter auch durchführbar. Eine Verwendung der streitgegenständlichen Testkits im Zusammenhang mit der Entwicklung und Weiterentwicklung biologischer und chemischer Kampfstoffe sei daher aus objektiv-technischer Sicht gegeben, wodurch dahingestellt bleiben könne, ob die Testkits auch im Zusammenhang mit der Herstellung von biologischen und chemischen Kampfstoffen genutzt werden könnten. Dies sei im Übrigen auch deswegen unerheblich, da sich der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin auf die Möglichkeit der Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung von Kampfstoffen stütze. Des Weiteren lägen der Antragsgegnerin Informationen vor, wonach der Empfänger der Lieferung in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB sowie für das russische Verteidigungsministerium eingebunden sei. Eine Weitergabe der Testkits durch den Empfänger an den FSB oder an das russische Verteidigungsministerium könne daher nicht hinreichend ausgeschlossen werden. Die Konstituierung einer Genehmigungspflicht stehe schließlich im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin, welche hierbei neben den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin an der Durchführung des Ausfuhrvorhabens und dem allgemeinen Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit auch den Umstand berücksichtigt habe, dass keine konkreten Anhaltspunkte für eine Verwendung der Testkits im Zusammenhang mit der Entwicklung biologischer oder chemischer Waffen vorlägen und dass die von der Antragstellerin angegebene Verwendung der streitgegenständlichen Güter zur Messung von Hormonen im Bereich der Wachstumsstörungen bei Kindern oder Stoffwechselstörungen bei Fettleibigkeit aus technischer Sicht plausibel sei sowie dem Tätigkeitsbereich zumindest einiger der benannten Endverwender spreche. Dem stünden allerdings die internationalen Bindungen und Verpflichtungen gegenüber, die die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied des Internationalen Exportkontrollregimes eingegangen sei und wozu insbesondere die Australische Gruppe gehöre. Durch den Beitritt zur Australischen Gruppe habe sich Deutschland dazu verpflichtet, keinen Beitrag zur Entwicklung oder Verbreitung von biologischen oder chemischen Waffen zu leisten. Da die in Rede stehenden Testkits im Zusammenhang mit der Entwicklung neuartiger Kampfstoffe und der Optimierung vorhandener Kampfstoffe genutzt werden könnten und der Empfänger in einschlägige Beschaffungsversuche für den russischen Inlandsgeheimdienst und das russische Verteidigungsministerium eingebunden sein solle sowie angesichts der erheblichen und unberechenbaren Gefahren, die mit dem Einsatz chemischer und biologischer Waffen verbunden seien, sei es im vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei, die Ausfuhr von Gütern, die zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung biologischer und chemischer Waffen beitragen könnten, bereits dann zu untersagen, wenn eine solche Verwendung nicht hinreichend ausgeschlossen sei. Eine Genehmigung der Ausfuhr – trotz vorhandener Hinweise – könne ein erhebliches Vorwurfspotenzial begründen, welches es der Bundesrepublik Deutschland unmöglich machen würde, ihre internationalen Bemühungen um eine fortwährende Ächtung von biologischen Waffen fortzuführen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der russische Inlandsgeheimdienst bereits Attentate mit chemischen Waffen ausgeführt habe. Weiterhin dürfe die menschenverachtende Aggression und Brutalität der russischen Armee im Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht unberücksichtigt bleiben, die einen Einsatz chemischer Waffen keineswegs ausgeschlossen erscheinen lasse. Hinzu komme, dass für die Russische Föderation weitere bewertungsrelevante bzw. mittelbar bewertungsrelevante „Denials“ vorlägen, da davon auszugehen sei, dass die – vergleichbaren – abgelehnten wie auch die beantragten Güter bei der Herstellung biologischer und chemischer Waffen Verwendung finden könnten. Bei einer Genehmigung der Ausfuhr wäre folglich eine erhebliche Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu befürchten, zumal die Gestattung der Ausfuhr den Vorwurf der Missachtung der Verpflichtungen der Australischen Gruppe, den Vorwurf der Unterstützung der russischen Aggression und den Vorwurf, mit den Gefahren des Einsatzes chemischer Waffen und der akuten existenziellen Bedrohung der Ukraine und ihrer Bevölkerung Ablehnungsentscheidungen anderer Staaten leichtfertig zu umgehen bzw. diese aus wirtschaftlichen Gründen zu ignorieren, begründen würde. Dahingehend sei ein Verstoß gegen die Grundrechte der Antragstellerin nicht zu erkennen. Die Versagung einer einzelnen Ausfuhrgenehmigung enthalte allenfalls eine punktuelle Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, die zudem zulässig sei, soweit sie von vernünftigen Gemeinwohlinteressen getragen werde. Dies sei vorliegend der Fall, da die Verhinderung der Verbreitung von chemischen Waffen, gerade mit Blick auf die Russische Föderation, von überragendem Allgemeininteresse sei und die Antragstellerin auch nur einen Umsatzverlust i.H.v. 5 Prozent befürchte. Die Versagung einer Genehmigung stelle sich auch nicht als relevanter Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Antragstellerin dar, da lediglich eine Gewinnchance beeinträchtigt werde, nicht aber der Kern des Eigentumsrechts.

 

18 Der Antrag zu 2) sei ebenfalls unbegründet. Die Antragstellerin habe bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da – wie bereits dargelegt – die Ausfuhr genehmigungspflichtig, aber nicht genehmigungsfähig sei. Die Antragstellerin könne darüber hinaus keinen Anordnungsgrund glaubhaft machen, da es ihr zumutbar sei, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Die Antragstellerin habe insbesondere nichts vorgelegt, woraus sich ergebe, dass ihr tatsächlich Regressforderungen von XY drohen würden, wenn sie die Güter nicht liefere. Die vorgelegte E-Mail vom 21. Oktober 2022 widerspreche sogar dem Vortrag der Antragstellerin, da dieser gerade zu entnehmen sei, dass die Antragstellerin XY gegenüber kommuniziert habe, dass die Ausfuhr von einer staatlichen Genehmigung abhänge, was wiederum zu einer verzögerten Lieferung führen könne. Die vorgelegte „Order Confirmation“ vom 15. September 2022 enthalte zudem den ausdrücklichen Zusatz, dass die Lieferung von der Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle abhänge. Insofern gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass sich die Antragstellerin gegenüber ihrer Vertragspartnerin ausreichend abgesichert habe, um wirtschaftlichen Einbußen vorzubeugen. Soweit die Antragstellerin vortrage, dass die Güter bereits produziert seien, sei bisher nichts dazu vorgetragen worden, wie kurzfristig die entsprechenden Güter produziert werden könnten und ob es wirklich erforderlich gewesen sei, verderbliche Güter vorab herzustellen. Weiterhin sei auch nicht vorgetragen, weshalb die Testkits nicht anderweitig genutzt und veräußert werden könnten. Dies gelte umso mehr, als dass die Antragstellerin wegen des Krieges in der Ukraine und den bestehenden Sanktionen der europäischen Staaten damit hätte rechnen müssen, dass eine Ausfuhrgenehmigung für Russland nicht erteilt werden würde bzw. dass sich die Rechtslage für Ausfuhren nach Russland jederzeit zum Nachteil der Antragstellerin ändern könnten. Schließlich liege auch eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Erhielte die Antragstellerin eine Ausfuhrgenehmigung, erübrige sich das Hauptsacheverfahren, weil ein nicht korrigierbarer Zustand geschaffen werden würde. Auch eine Beschränkung der Ausfuhrgenehmigung auf die Bestellung vom 15. September 2022 würde der Antragstellerin gestatten, Güter auszuführen, was angesichts der potentiellen Umleitung zum russischen Inlandsgeheimdienst oder zum russischen Verteidigungsministerium eine erhebliche Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland begründen könnte. Nach Art. 19 Abs. 4 GG liege auch keine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache vor, da der Antragstellerin keine schlechterdings unzumutbaren Nachteile drohten, wenn ihr die einstweilige Regelungsanordnung versagt werde.

 

19 Dem hält die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18. Januar 2023 entgegen, die S oder P seien nicht nur Zwischenhändler. Bei beiden handle es sich um klinische Labore bzw. seien als Laborärzte einzuordnen, die die Probenbestimmung als Dienstleistung anböten. Dies ergebe sich auch aus den Internetauftritten. Im Übrigen seien die Produkte der Antragstellerin nur für eine Endverwendung geeignet, wodurch der Kunde vorgegeben sei. In allen Produkten würden spezifische Antikörper verwendet, da diese – wie zwischenzeitlich aufgrund der COVID-19-Pandemie deutlich geworden sei – nur bestimmte Strukturen eines schädigenden körperfremden Organismus, Virus oder Giftstoffs erkenne. Jeder Antikörper sei somit ausschließlich für eine ganz bestimmte Laboruntersuchung zur Diagnose ausgerichtet. Daraus folge, dass die Produkte auch immer nur für die individuell beschriebene Zweckbestimmung eingesetzt werden könnten. Eine andere Verwendung sei unmöglich und die angegebene Endverwendung damit schlüssig nachgewiesen. Ob der Kunde der Antragstellerin dann an einen Zwischenhändler die Ware weiterverkaufe, der die Ware dann wiederum an die Krankenhäuser, Kliniken und niedergelassenen Arztpraxen weiter veräußere, spiele insoweit keine Rolle. Zwar sei richtig, dass Güter in den technischen Beschreibungen als „nur zu Forschungszwecken“ und „nicht zu diagnostischen Anwendung geeignet“ beschrieben seien. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin könne daraus allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass die Produkte per se objektiv technisch zur Verwendung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen geeignet seien. Alle Medizinprodukte und medizinischen Geräte müssten, wenn sie auf dem europäischen Markt in den Verkehr gebracht werden sollten, mit einer sogenannten CE-Kennzeichnung versehen sein. Mit diesen CE-Kennzeichen erkläre der Hersteller, dass alle für das Produkt relevanten EU-Richtlinien eingehalten worden sein und eine Rechtskonformität bestehe. Erhalte man das CE-Kennzeichen in einem EU-Land, dann gelte dies in aller Regel für alle anderen 26 EU-Länder. Gleichzeitig sei das Produkt für alle anderen Länder nicht zugelassen. Deshalb sei in der technischen Beschreibung der entsprechenden Produkte auf dem Titelblatt vermerkt, dass sie für alle anderen Länder „nur zu Forschungszwecken“ und „nicht zur diagnostischen Anwendungen“ geeignet seien. Hätte die Antragstellerin für die Produkte auch in anderen Ländern eine Zulassung, so würde der Zusatz „nur zu Forschungszwecken“ und „nicht zu diagnostischen Anwendung“ entfallen. Ob eine solche Zulassung in einem anderen Staat angestrebt oder beantragt werde, sei eine rein wirtschaftliche Entscheidung. Im Übrigen diene die Bestimmung des Hormons in Mäusen und Ratten der Grundlagenforschung für den Menschen. Schließlich seien ELISA Tests gängige Formate, die weltweit für die unterschiedlichsten Bestimmungen eingesetzt werden würden. Für derartige Produkte gebe es keine Sicherheitsstufe, vielmehr könnten die Komponenten solcher ELISA Systeme, mit Ausnahme der bereits genannten sehr spezifischen Antikörper, in jeder Apotheke und/oder in jedem Laborbedarfshandel von jedem ohne jegliche Restriktionen gekauft werden. Dabei sei es auch möglich, dass durch derartige Tests auch Explosionsstoffe bestimmt werden könnten. Die Ansicht der Antragsgegnerin würde aber dazu führen, dass dadurch sämtliche ELISA Tests grundsätzlich objektiv technisch zur Verwendung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen eingesetzt werden könnten und damit per se einem Ausfuhrverbot unterlägen. Dies können im Ergebnis jedoch nicht richtig sein. Vielmehr müsse das jeweilige spezifische Produkt betrachtet werden so benötige auch der Test zum Nachweis eines Explosionsstoffs zwingend der spezifischen Antikörper. Diese seien aber nicht in den Produkten der Antragstellerin. Nur weil eine gleiche Technologie angewendet werde, bedeute dies nicht, dass eine objektiv technische Geeignetheit zu bejahen sei. Im Übrigen werde der Vortrag der Antragsgegnerin bestritten. Insbesondere der Vortrag, es gebe Hinweise, dass der Empfänger in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme eingebunden sei. Die Anforderungen der australischen Gruppe würden eingehalten. Schließlich könnten mit den Produkten der Antragstellerin keine Attentate begangen werden. Die Antragsgegnerin stelle Behauptungen auf, ohne diese unter Beweis zu stellen. Zur Produktion der Produkte werde vorgetragen, dass die Herstellung neuer Chargen in jedem Fall immer mehrere Wochen benötige. Durchschnittlich sei eine Zeitdauer von zwei Monaten. Der Käufer erwarte zudem, Bestellungen umgehend geliefert zu bekommen und das mit möglichst frischen, also möglichst noch lange Zeit verwendbaren Produkten. Hinzu komme die schwierige Logistik für Lieferungen in die Russische Föderation, weshalb die Antragstellerin die Güter habe vorausschauend produzieren müssen.

 

20 Das Gericht hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25. Januar 2023 aufgefordert konkreter darzulegen bzw. zu belegen, dass gerade die streitgegenständlichen Produkte objektiv technisch zur Verwendung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen geeignet seien und worauf die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsgegnerin beruhten sowie konkreter darzulegen bzw. zu belegen, dass der Empfänger XY in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB sowie für das russische Verteidigungsministerium eingebunden sei. Zudem wurde die Antragsgegnerin darum gebeten, die in ihrer „Prüfung der Güteanhänge der Russland-Sanktionen“ genannten „Denials“, insbesondere die mit der Nummer 456 und 789 vorzulegen bzw. diese konkret darzustellen.

 

21 Daraufhin trug die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24. Februar 2023 vor, sie stellen nicht in Abrede, dass die Testkits aus technischer Sicht auch für Diagnose- und Therapiezwecke verwendet werden könnten. Da Sie aber für die Russische Föderation keine entsprechende Zulassung hätten, sei nicht plausibel, dass die Güter dort dennoch ausschließlich für diese Zwecke eingesetzt werden sollten. Betreffe die Güter der Nr. 1, 5, 12, 13, 15, 16, 17 und 19 des Antrages. Im Übrigen könne es zwar zutreffen, dass mit den übrigen Gütern, die für die Bestimmung des Hormons in Mäusen bzw. Raten ausgelegt seien, auch Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die für die Behandlung von Menschen von Nutzen sein könnten. Eine unmittelbare Verwendung dieser Testkits zu Diagnose- und Therapiezwecken an Menschen sei damit aber gerade nicht belegt, zumal die technische Beschreibung dieser Testkits den ausdrücklichen Warnhinweis enthalte, dass „dieses Produkt nur exakt wie in der mitgelieferten Anleitung beschrieben eingesetzt werden darf“. Im Übrigen sei es ausreichend, dass die objektiv technische Geeignetheit zur Verwendung der streitgegenständlichen Testkits im Zusammenhang mit der Entwicklung biologischer und chemischer Waffen nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könne, was vorliegend der Fall sei. Zudem verfolge Art. 4 der EU-Dual-Use-VO gerade das Ziel, die Ausfuhr jeglicher nichtgelisteter Dual-Use Güter zu beschränken, wenn die auszuführenden Güter für eine Verwendung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt seien oder bestimmt sein könnten. Des Weiteren sei der Empfänger XY nach der der Antragsgegnerin Vorliegen Informationslage in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme für den russischen Inlandsgeheimdienst sowie für das russische Verteilungslisten durch den Versuch der Beschaffung einschlägiger Laborgeräte involviert. Nähere Details hierzu könnten nicht mitgeteilt werden, da diese als „geheim“ eingestuft worden sein. Gestützt auf diese Informationen habe die Antragsgegnerin einen Antrag eines anderen deutschen Unternehmens ist zur Erteilung einer Genehmigung zur Ausfuhr von biochemischen Reagenzien, einer sogenannten Degaserkammer sowie eine dazugehörige Vakuumpumpe ebenfalls nach Art. 4 Abs. 1a der EU-Dual-Use-VO wegen einer möglichen Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung und Herstellung biologischer und chemischer Waffen abgelehnt. Dies sei die Denial mit der Nummer 456. Die übrigen in der „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ aufgeführten „Denials“ würden Ausfuhren an andere Empfänger in der Russischen Föderation betreffen und seien insoweit nicht unmittelbar einschlägig. Sie würden aber belegen, dass auch andere Staaten von aktivem Programmen der Russischen Föderation im Bereich biologischer und chemischer Waffen ausgingen. Dies gelte auch für die US-amerikanische Denial mit der Nr. 789. Diese betreffe die Ablehnung der Ausfuhr von Insulin. Die Ablehnung sei erfolgt, da die zuständige US-amerikanische Behörde ein in akzeptables Risiko der Abzweigung dieser Güter für ein Massenvernichtungswaffen Programm angenommen habe. Bei den genannten „Denials“ handle es sich um sogenannte „catch-all-Denials“, d.h. um „Denials“, welche sich auf Güter bezögen, die weder in Anhang I der EU-Dual-Use-VO noch in den Kontrolllisten der australischen Gruppe aufgeführt seien. Derartige „Denials“ seien für andere Staaten nicht binden. Auch eine Bindungswirkung nach Art. 16 Abs. 5 der EU-Dual-Use-VO sei nach ständiger Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin nicht gegeben, da dieser nur die Ablehnung der Erteilung einer Genehmigung betreffe, nicht jedoch die Ablehnung der Erteilung eines sogenannten Nullbescheides. Unabhängig hiervon trete bereits wegen der unterschiedlichen Empfänger bzw. ein Verwender und der hieraus fehlenden Vergleichbarkeit keine Bindungswirkung ein.

 

22 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Behördenvorgang (ein Hefter) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

 

II.

 

23 Soweit die Antragstellerin ihren Antrag zurückgenommen hat, nämlich soweit die Produkte „XX“ und „XXX“ betroffen sind, wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.

 

34 Im Übrigen hat der Antrag zu 1) Erfolg.

 

A.

 

25 Der Antrag zu 1) ist nach § 88 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO anhand des Begehrens der Antragstellerin dahingehend auszulegen, dass diese lediglich hinsichtlich der Nummer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2022 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 16. November 2022 begehrt, da der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch hinsichtlich der Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides bereits nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet.

 

26 Der so verstandene Antrag ist zulässig und insbesondere statthaft, da der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch hinsichtlich der Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat.

 

27 1. Der Antrag zu 1) ist begründet.

 

28 a. Zwar ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nummer 1 des Bescheides vom 4. Oktober 2023 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet.

 

29 Danach muss die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich begründen, wobei die schriftliche Begründung in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen muss, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Die Behörde muss bezogen auf die Umstände im konkreten Fall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sowie die Ermessenserwägungen, die sie zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben, darlegen. Formelhafte Wendungen sowie pauschale Argumentationsmuster oder die bloße Wiederholung des Gesetzestextes reichen – in aller Regel – nicht aus (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 22. März 1991 – 14 TH 491/91 –, juris, Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 15 B 69/14 –, juris, Rn. 8).

 

30 Die vorliegende Begründung genügt diesen Anforderungen.

 

31 Die Antragsgegnerin hat vorliegend zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgeführt, es liege im öffentlichen Interesse, dass Rechtsbehelfe gegen die in Nummer 1 vorgenommene Unterrichtung keine aufschiebende Wirkung hätten. Es müsse verhindert werden, dass die von der Antragstellerin zur Ausfuhr beantragten Produkte ohne Genehmigung exportiert werden würden, da hierdurch ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die in Art. 15 EU-Dual-Use-VO genannten Schutzgüter, insbesondere für die auswärtigen Beziehungen der Bundesgebiet Deutschland sowie für das friedliche Zusammenleben der Völker, entstehen könnte, zumal eine Rückabwicklung der einmal durchgeführten Ausfuhr nicht sichergestellt werden könne. Damit hat sie die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den Vorgaben entsprechenden Art und Weise dargelegt.

 

32 b. Allerdings überwiegt im hiesigen Fall das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse.

 

33 Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begründet, wenn das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung (Aussetzungsinteresse) das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse) überwiegt. Das richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache und damit vorliegend nach den Erfolgsaussichten des Widerspruchs, insbesondere danach, ob die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes besteht. Ist der Ausgang offen, sind die Interessen gegeneinander abzuwägen.

 

34 Gemessen daran überwiegt im hiesigen Fall das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse, da die in dem Bescheid vom 4. Oktober 2022 in Nummer 1 erfolgte Unterrichtung der Antragstellerin nach der im Eilverfahren allein maßgeblichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtswidrig ist, da die Antragsgegnerin bereits nicht dargelegt hat, dass die streitgegenständlichen Güter jedenfalls zur Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung von biologischen und chemischen Waffen bestimmt sein können.

 

35 Die hiesige Unterrichtung der Antragstellerin nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO ist jedenfalls materiell rechtswidrig erfolgt.

 

36 Art. 4 EU-Dual-Use-VO lautet in der deutschen Übersetzung:

 

Artikel 4

 

(1) Die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, ist genehmigungspflichtig, wenn der Ausführer von der zuständigen Behörde davon unterrichtet worden ist, dass die betreffenden Güter ganz oder teilweise bestimmt sind oder bestimmt sein können:

 

a) zur Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung, der Herstellung, der Handhabung, dem Betrieb, der Wartung, der Lagerung, der Ortung, der Identifizierung oder der Verbreitung von chemischen, biologischen oder Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern oder zur Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung von Flugkörpern für derartige Waffen;

 

b) für eine militärische Endverwendung, wenn gegen das Käuferland oder Bestimmungsland ein Waffenembargo verhängt wurde; für die Zwecke dieses Buchstaben bezeichnet „militärische Endverwendung“:

 

i) den Einbau in militärische Güter, die in der Militärgüterliste von Mitgliedstaaten aufgeführt sind;

 

ii) die Verwendung von Herstellungs-, Test- oder Analyseausrüstung sowie Bestandteilen hierfür für die Entwicklung, die Herstellung oder die Wartung von militärischen Gütern, die in der Militärgüterliste von Mitgliedstaaten aufgeführt sind; oder

 

iii) die Verwendung von unfertigen Erzeugnissen in einer Anlage für die Herstellung von militärischen Gütern, die in der Militärgüterliste von Mitgliedstaaten aufgeführt sind;

 

c) für die Verwendung als Bestandteile von militärischen Gütern, die in der nationalen Militärgüterliste aufgeführt sind und aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ohne Genehmigung oder unter Verstoß gegen eine aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats erteilte Genehmigung ausgeführt wurden.

 

(2) Ist einem Ausführer bekannt, dass Güter mit doppeltem Verwendungszweck, die er ausführen möchte, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, ganz oder teilweise für eine der Verwendungen im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels bestimmt sind, so unterrichtet der Ausführer die zuständige Behörde davon. Diese zuständige Behörde entscheidet, ob die Ausfuhr dieser Güter genehmigungspflichtig sein soll.

 

(3) Ein Mitgliedstaat kann einzelstaatliche Rechtsvorschriften erlassen oder beibehalten, mit denen für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, eine Genehmigungspflicht vorgeschrieben wird, wenn der Ausführer Grund zu der Annahme hat, dass diese Güter ganz oder teilweise für eine der Verwendungen im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels bestimmt sind oder bestimmt sein könnten.

 

(4) Ein Mitgliedstaat, der gemäß Absatz 1, 2 oder 3 eine Genehmigungspflicht vorschreibt, teilt dies unverzüglich seinen Zollbehörden und anderen relevanten nationalen Behörden mit und übermittelt den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission die einschlägigen Informationen zu der jeweiligen Genehmigungspflicht, insbesondere zu den betroffenen Gütern und Endverwendern, es sei denn, er erachtet es angesichts der Art des Vorgangs oder der Sensibilität der betreffenden Informationen als nicht angezeigt, dies zu tun.

 

(5) Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die gemäß Absatz 4 erhaltenen Information gebührend und unterrichten ihre Zollbehörden und anderen zuständigen nationalen Behörden entsprechend.

 

(6) Um eine Prüfung aller geltenden Ablehnungen durch die Mitgliedstaaten zu ermöglichen, gelten Artikel 16 Absätze 1, 2 und 5 bis 7 für Fälle im Zusammenhang mit Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die nicht in Anhang I aufgeführt sind.

 

(7) Jeder nach diesem Artikel erforderliche Informationsaustausch erfolgt im Einklang mit den rechtlichen Anforderungen in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten, wirtschaftlich sensibler Informationen oder geschützter verteidigungspolitischer, außenpolitischer oder nationaler Sicherheitsinformationen. Ein derartiger Informationsaustausch erfolgt über sichere elektronische Mittel, einschließlich des in Artikel 23 Absatz 6 genannten System.

 

(8) Diese Verordnung lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, einzelstaatliche Maßnahmen gemäß Artikel 10 der Verordnung (EU) 2015/479 zu ergreifen.

 

37 In der englischen Fassung lautet Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO:

 

Article 4

 

1. An authorisation shall be required for the export of dual-use items not listed in Annex I if the exporter has been informed by the competent authority that the items in question are or may be intended, in their entirety or in part:

 

(a) for use in connection with the development, production, handling, operation, maintenance, storage, detection, identification or dissemination of chemical, biological or nuclear weapons or other nuclear explosive devices or the development, production, maintenance or storage of missiles capable of delivering such weapons;

 

38 In der französischen Fassung lautet Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO:

 

Article 4

 

1. L’exportation des biens à double usage non énumérés à l’annexe I est soumise à autorisation si l’autorité compétente a informé l’exportateur que les produits en question sont ou peuvent être destinés, entièrement ou en partie:

 

a) à contribuer à la mise au point, à la production, au maniement, au fonctionnement, à l’entretien, au stockage, à la détection, à l’identification ou à la dissémination d’armes chimiques, biologiques ou nucléaires ou d’autres dispositifs nucléaires explosifs ou à la mise au point, à la production, à l’entretien ou au stockage de missiles pouvant servir de vecteurs à de telles armes

 

39 Nach Artikel 2 Nr. 1 der EU-Dual-Use-VO bezeichnet der Ausdruck

 

„Güter mit doppeltem Verwendungszweck“ Güter einschließlich Datenverarbeitungsprogramme (Software) und Technologie, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können; darin eingeschlossen sind Güter, die zur Konstruktion, Entwicklung, Herstellung oder zum Einsatz von nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen oder ihren Trägersystemen verwendet werden können, einschließlich aller Güter, die sowohl für nichtexplosive Zwecke als auch für jedwede Form der Unterstützung bei der Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden können.

 

40 Eine trennscharfe Abgrenzung ermöglicht die Definition damit nicht, da nahezu jedes Gut, das für zivile Zwecke eingesetzt wird, auch im militärischen Bereich Verwendung finden kann (vgl. Walter, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Auflage 2016, § 45. Allgemeine Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, beck-online, Rn. 15).

 

41 Art. 4 Abs. 1 bis 3 EU-Dual-Use-VO enthalten drei sogenannte „catch-all-Klauseln“, welche die Ausfuhrkontrolle nicht an die objektive Beschaffenheit, sondern an die voraussichtliche Verwendung der Güter im Importland knüpfen, sogenannte „end-use controls“ (vgl. Karpenstein/Kottmann in: EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, September 2022, Art. 4 Dual-Use-VO, Rn. 1; vgl. Walter, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Auflage 2016, § 45. Allgemeine Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, beck-online, Rn. 21). Zentrales Tatbestandsmerkmal des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO ist, dass Dual-Use-Güter für die dort genannten Zwecke „bestimmt sind“ oder „bestimmt sein können“. Während ersteres vorliegt, wenn eine derartige Verwendung durch den Empfänger final beabsichtigt ist, bereitet die Auslegung von letzterem Schwierigkeiten (vgl. Karpenstein/Kottmann in: EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, September 2022, Art. 4 Dual-Use-VO, Rn. 5; Walter, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Auflage 2016, § 45. Allgemeine Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, beck-online, Rn. 22). Notwendige Bedingung hierfür ist zunächst die objektive Eignung; hinzukommen muss jedoch ein subjektives Element, ein als zumindest möglich unterstellter Verwendungswille des Endempfängers (vgl. Karpenstein/Kottmann in: EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, September 2022, Art. 4 Dual-Use-VO, Rn. 5; Walter, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Auflage 2016, § 45. Allgemeine Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, beck-online, Rn. 22). Für eine solche Auslegung spricht der Wortlaut der Vorschrift, welcher im Englischen die Wörter ‘may be intended‘‚ und im Französischen «peuvent être destinés» verwendet sowie der Umstand, dass in Anbetracht der wenig trennscharfen Definition von Dual-Use-Gütern andernfalls Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO nahezu uferlos bzw. zu unbestimmt wäre, was jedoch wiederrum mit dem Grundsatz der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs nach § 1 des Außenwirtschaftsgesetzes (im Folgenden: AWG) nicht zu vereinbaren wäre, wonach der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland grundsätzlich frei ist (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 9. April 2014 – 5 K 8/14.F – juris, Rn. 11).

 

42 Aufgrund des Wortlautes, des Bestimmtheitsgebotes, dem Grundsatz der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs und der systematischen Funktion der Vorschrift als – wie oben gesehen – verwendungsbezogene Vorschrift ist insoweit zu fordern, dass im konkreten Fall tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die auf einen solchen Verwendungswillen des Endempfängers hindeuten (vgl. Karpenstein/Kottmann in: EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, September 2022, Art. 4 Dual-Use-VO, Rn. 5). Nach Überzeugung des Gerichts muss es daher zumindest konkrete Anhaltspunkte dafür geben, dass der Empfänger ein Gut für einen der unerlaubten Zwecke einsetzen könnte, ohne dass dabei für das Tatbestandsmerkmal „bestimmt sein können“ eine konkrete Verwendungsabsicht feststehen müsste. Die Behörde muss darlegen, dass zumindest ein Risiko besteht, dass der Empfänger die Güter für einen der in Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO genannten Zwecke verwenden möchte (vgl. Walter, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Auflage 2016, § 45. Allgemeine Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, beck-online, Rn. 22).

 

43 Die Bundesrepublik Deutschland verfolgt dabei, gestützt auf das verfassungsrechtlich in Art. 26 GG verankerte Friedensgebot, sowohl bei den Rüstungsgütern als auch bei den Gütern mit doppelter Verwendungsmöglichkeit im Grundsatz eine restriktive Ausfuhrkontrollpolitik, sofern diese für Rüstungszwecke verwendet werden sollen (BTDrucks. 13/5966 S. 2). Das Friedensgebot verpflichtet nationale Behörden etwa zur Versagung einer Ausfuhrgenehmigung, wenn durch den Export das Rechtsgut des Völkerfriedens im Sinne des Art. 26 Abs. 1 GG potentiell bedroht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 – StB 27/09 – juris, Rn. 118).

 

44 Gemessen daran hat die Antragsgegnerin nach der hier im Eilverfahren allein maßgeblichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bereits nicht dargelegt, dass zumindest ein Risiko besteht, dass XY oder die im Bescheid vom 4. Oktober 2022 genannten Endverwender die Güter für einen der in Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO genannten Zwecke verwenden möchten. Insofern fehlt es an dem für Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO erforderlichen subjektiven Element im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „bestimmt sein können“.

 

45 Die zur Ausfuhr beantragten Güter der Antragstellerin sind im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO nicht von Anhang I der EU-Dual-Use-VO erfasst. Unabhängig von der objektiven Eignung der streitgegenständlichen Güter im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen und damit von einem doppelten Verwendungszweck, hat die Antragsgegnerin allerdings nicht dargelegt, dass XY oder die im Bescheid vom 4. Oktober 2022 genannten Endverwender in proliferationsrelevante Beschaffungen im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen eingebunden sind.

 

46 Die Antragsgegnerin gab lediglich pauschal an, ihr lägen Informationen vor, wonach XY in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB sowie für das russische Verteidigungsministerium eingebunden sei. Eine Weitergabe der Testkits durch den Empfänger an den FSB oder an das russische Verteidigungsministerium könne daher nicht hinreichend ausgeschlossen werden. Selbst auf die ausdrückliche Aufforderung des Gerichts, diese – aus seiner Sicht – Behauptung konkreter darzulegen bzw. zu belegen, trug die Antragsgegnerin keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die ein subjektives Element von XY nahelegen würden. Vielmehr gab sie mit Schriftsatz vom 24. Februar 2023 lediglich an, XY sei nach der der Antragsgegnerin vorliegenden Informationslage in die Beschaffung von Gütern für biologische und chemische Waffenprogramme für den russischen Inlandsgeheimdienst sowie für das russische Verteidigungsministerium durch den Versuch der Beschaffung einschlägiger Laborgeräte involviert. Nähere Details hierzu könnten jedoch nicht mitgeteilt werden, da diese als „geheim“ eingestuft worden seien. Belege hierfür legte die Antragsgegnerin nicht vor.

 

47 Tatsächliche Anhaltspunkte konnte das Gericht auch nicht dem Behördenvorgang und insbesondere nicht der „Bearbeitungsdokumentation – Phasen 1 & 3“ vom 24. August 2022 und nicht der „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ vom 1. September 2022 entnehmen. So enthält die Bearbeitungsdokumentation bereits keine diesbezüglichen Informationen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen, welcher Inhalt dort geschwärzt wurde. In der „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ heißt es zwar, dass für den Empfänger einer bewertungsrelevante „Denial“ für biochemische Reagenzien vorliege (Nummer 456). Auf Aufforderung des Gerichts ergänzte die Antragsgegnerin diesbezüglich mit Schriftsatz vom 24. Februar 2023, dass es sich dabei um eine von ihr ausgestellte „Denial“ handle. Gestützt auf die ihr vorliegenden Informationen über XY habe die Antragsgegnerin darin einen Antrag eines anderen deutschen Unternehmens zur Erteilung einer Genehmigung zur Ausfuhr von biochemischen Reagenzien, einer sogenannten Degaserkammer sowie eine dazugehörige Vakuumpumpe, ebenfalls nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der EU-Dual-Use-VO wegen einer möglichen Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung und Herstellung biologischer und chemischer Waffen abgelehnt. Insofern kann aus dem Vorliegen dieser Ablehnung für den vorliegenden Fall nicht hergeleitet werden, dass in Bezug auf XY bereits das oben angesprochene subjektive Verwendungsrisiko besteht, da die Ablehnung mit der Nummer 456 von der Antragsgegnerin ist und zudem lediglich auf Grundlage der selben bloßen Behauptungen erfolgt ist. Zudem ist dieser – und von der Antragsgegnerin im Gerichtsverfahren vorgelegten (Bl. 435 der Gerichtsakte) – Ablehnung zu entnehmen, dass dort ein Unternehmen namens „XYY“ als Empfänger bzw. Endverwender angegeben wurde und damit gerade nicht XY („XY“). Die Antragsgegnerin hat allerdings bereits nicht dargelegt, dass es sich bei XYY und XY um ein und dasselbe Unternehmen bzw. um Unternehmen desselben Konzerns handelt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich XY unter Umständen das Verhalten von XYY zurechnen lassen müsste. Des Weiteren betraf die Ablehnung mit der Nummer 456 andere Güter: so trug die Antragsgegnerin vor, diese habe biochemische Reagenzien, eine sogenannte Degaserkammer sowie eine dazugehörige Vakuumpumpe zum Inhalt gehabt. Streitgegenständlich im hiesigen Fall sind jedoch Testkits.

 

48 Schließlich gab die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 24. Februar 2023 selbst an, dass die übrigen in der „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ aufgeführten „Denials“ Ausfuhren an andere Empfänger in der Russischen Föderation betreffen würden und damit nicht unmittelbar einschlägig seien. Sie würden aber belegen, dass auch andere Staaten von aktiven Programmen der Russischen Föderation im Bereich biologischer und chemischer Waffen ausgingen. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die US-amerikanische „Denial“ mit der Nummer 789. Hinsichtlich dieser „Denial“ ist jedoch zum einen zu beachten, dass die Antragsgegnerin selbst vorgetragen hat, dass für sie „Denials“ anderer Staaten nicht bindend seien und es selbst eine Verwaltungspraxis dahingehend nicht gebe. Zudem betraf die Ablehnung der US-amerikanischen Behörde die Ausfuhr von Insulin. Somit handelt es sich bei der „Denial“ mit der Nummer 789 nicht nur um eine Ablehnung eines anderen Staates hinsichtlich eines – womöglich – anderen Empfängers, sondern auch hinsichtlich einer anderen Ware als der hier streitgegenständlichen. Somit kann die Antragsgegnerin ihre Ausführungen betreffend XY auch nicht auf diese „Denial“ stützen.

 

49 Dass im Hinblick auf die übrigen im Bescheid vom 4. Oktober 2022 angeführten Endverwender ein Risiko besteht, dass diese die streitgegenständlichen Güter im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a EU-Dual-Use-VO verwenden, hat die Antragsgegnerin ebenfalls nicht dargelegt. Im Gegenteil, so gab sie in der „Prüfung der Güteranhänge der Russland-Sanktionen“ selbst an, dass die vorliegenden Angaben der Antragstellerin, dass die Anwender Gesundheitszentren, Laboratorien, Ärzte und Kliniken seien, grundsätzlich schlüssig seien.

 

50 Da die Antragsgegnerin bereits nicht dargelegt hat, dass XY oder die im Bescheid vom 4. Oktober 2022 genannten Endverwender in proliferationsrelevante Beschaffungen im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO eingebunden sind, unterscheidet sich der hiesige Einzelfall insofern von früheren durch das Gericht entschiedenen Fällen (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 E 3838/93 (3) – in: AW-Praxis 1997, 201 und Urteil vom 8. Mai 2003 – 1 E 3273/02 – juris).

 

51 2. Da die Antragstellerin bereits mit ihrem Hauptantrag zu 1) Erfolg hat, ist über den von ihr lediglich hilfsweise gestellten Antrag zu 2) nicht mehr zu entscheiden. Insofern kann dahinstehen, ob der Antrag zu 2) bereits deswegen abzulehnen ist, da er auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.

 

B.

 

52 Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Antragsrücknahme auf § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht bemisst das Gewicht mit einem Zehntel zu neun Zehnteln.

 

C.

 

53 Der Streitwert wird gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung nach Ermessen festgesetzt. Hierbei legt das Gericht eine Auftragssumme von XXser Euro zugrunde, die sich aus dem Gesamtwert (Feld 23a des Antrages) ergibt. Ausgehend hiervon geht das Gericht von einem zu erwartenden Gewinn von 10 Prozent (XX) aus, welcher nach Nummer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Hälfte (XX) zu reduzieren ist.