Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 29. Juni 2023, Az.: 5 K 2195/21.F
Entscheidungen in Leitsätzen
Dual-Use-VO Art. 3, 15, 16; VwGO § 114; VwVfG § 38
1. Die abstrakte Gefährlichkeit eines Dual-Use-Gutes wird bereits durch den in Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO statuierten Genehmigungsvorbehalt als zentrales Instrument der Exportkontrolle erfasst. Im Hinblick auf den Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit und die dahinterstehenden grundrechtlichen Garantien bedarf es darüber hinaus konkreter Anknüpfungstatsachen, um Anträge auf Ausfuhr von Dual-Use-Gütern ermessens- und begründungsfehlerfrei abzulehnen.
2. Auf Voranfragen zur Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung findet die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung Anwendung. Die Übergangsvorschrift des § 31 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 findet auf Voranfragen keine Anwendung.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Voranfrage im Wesentlichen darüber, ob die Ausfuhr eines Separators in die Volksrepublik China genehmigungsfähig wäre.
2 Die Klägerin produziert Separatoren, die zur Klärung von Suspensionen sowie zur Trennung von Zell- und Pilzkulturen unter sterilen Bedingungen eingesetzt werden. Konkrete Verwendung finden derartige Separatoren in der Biotechnologie zur Herstellung von Medikamenten, Impfstoffen, Lebens- und Futtermitteln sowie in der Gentechnologie.
3 Am 19. Oktober 2019 (Bl. 2 ff. der Behördenakte – BA) stellte die Klägerin beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (im Folgenden „Bundesamt“) eine Voranfrage zur Ausfuhr des Separators Typ A (Lichtbild und eigene Produktbeschreibung der Klägerin = Bl. 4 BA) im Wert von 320 000 Euro in die Volksrepublik China. Der Separator erzielt eine Durchflussrate von über 100 Litern pro Stunde, besteht aus poliertem Edelstahl, verfügt über eine Dichtung im Dampfsterilisationsbereich und ist zur In-situ-Sterilisation im geschlossenen Zustand geeignet.
4 Empfänger des Separators soll die Gesellschaft B (im Folgenden („Empfänger“) – eine Tochtergesellschaft der Klägerin –, Endverwender Gesellschaft C (im Folgenden „Endverwender“) sein. Der Endverwender gehört zur Gesellschaft D, ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut in den Bereichen Chemie, Gesundheit sowie neue Materialien für die Raumfahrt und Biotechnologie und untersteht – vermittelt über verschiedene Gesellschaften – der Gesellschaft E. Nach eigenem Bekunden der Klägerin soll der Separator in China der Herstellung von Humanimpfstoffen dienen.
5 Einem internen Vermerk des Bundesamts vom 10. Dezember 2019 (Bl. 33 ff. BA) zufolge sei dem Vorgang eine „abstrakte Gefahrenlage im Bereich Proliferation (BW)“, d.h. die Gefahr einer Verbreitung im Bereich biologischer Waffen, sowie eine „[k]onkrete Gefahrenlage“ zu attestieren, obgleich die Verwendung des Gutes „widerspruchsfrei, plausibel, substantiiert und formgerecht“ erscheine. Im Hinblick auf den Endverwender, so heißt es zur Begründung, lägen mehrere gültige Denials vor. Man werde die Voranfrage deshalb dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (jetzt „für Wirtschaft und Klimaschutz“, im Folgenden „Bundesministerium“) zur politischen Entscheidung vorlegen.
6 Mit E-Mail vom 26. Mai 2020 (Bl. 66 BA) wandte sich das Bundesamt an das Bundesministerium. Der Antrag der Klägerin solle abgelehnt werden, obwohl keine konkreten Negativindikatoren im Bereich chemischer oder biologischer Kampfstoffe gegeben seien. Man bitte das Bundesministerium um Weisung, mit welcher Begründung der Antrag „gerichtsfest“ abgelehnt werden könne. Daraufhin teilte das Bundesministerium mit einzeiliger E-Mail vom 16. Juni 2020 (Bl. 68 BA) mit, der Antrag werde „mit Kriterium 7“ abgelehnt.
7 Mit Bescheid vom 16. Juni 2020 (Bl. 63 ff. BA = 4 ff. der Gerichtsakte – GA) teilte das Bundesamt der Klägerin mit, die beabsichtigte Ausfuhr unterfalle der Position 2B352C des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (im Folgenden „Dual-Use-VO“) und sei nach ihrem Art. 3 Abs. 1 genehmigungspflichtig. Ein Antrag auf Ausfuhrgenehmigung für den Separator hätte nach der gegenwärtigen Sach-und Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg, weil die nach Art. 12 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Dual-Use-VO zu schützenden Belange durch die Lieferung erheblich gefährdet würden. Das Ausfuhrgut könne im chemiewaffenrelevanten Bereich Verwendung finden. Die Bundesrepublik sei außerdem der „Australischen Gruppe“ beigetreten, deren Ziel es sei, die Verbreitung chemischer Waffen sowie damit in Zusammenhang stehender Güter zu verhindern; die Vornahme des beantragten Ausfuhrgeschäfts stünde im Widerspruch zu dieser Zielsetzung. Schließlich sei auch die restriktive Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik zu beachten, die gegen eine Genehmigung des Vorhabens streite. Eine Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG dahingehend, dass der Klägerin eine Ausfuhrgenehmigung erteilt werde, könne nicht abgegeben werden.
8 Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2020 Widerspruch ein, den sie mit weiterem Schreiben vom 21. Juli 2020 im Wesentlichen wie folgt begründete: Das in Rede stehende Ausfuhrgut werde seitens des chinesischen Endverwenders nicht zur Herstellung von Chemiewaffen oder anderweitig im chemiewaffenrelevanten Bereich eingesetzt. Auf Basis der eingereichten Unterlagen (insbesondere der Erklärung des Endverwenders = Bl. 51 ff. BA) sei hinreichend dargelegt, dass die Endverwendung im konkreten Fall ausschließlich im zivilen Bereich, nämlich im Bereich der Herstellung humaner Impfstoffe, erfolge. Aufgrund verschiedener Eigenschaften des betreffenden Separators sei es zudem technisch ausgeschlossen, dass dieser für die Herstellung chemischer Produkte verwendet werde.
9 Nach interner Prüfung der Widerspruchsbegründung (vgl. Aktenvermerk vom 4. August 2020 = Bl. 78 BA) hielt das Bundesamt an seiner Auffassung, der betreffende Separator könne im chemiewaffenrelevanten Bereich eingesetzt werden, nicht weiter fest. Da der Separator aber speziell für Anwendungen in der pharmazeutischen Industrie konzipiert sei, bestehe – so der Vermerk weiter – das Risiko, dass er zur Gewinnung biologischer Kampstoffe eingesetzt werde. Nachdem das Bundesamt die Klägerin hierauf mit Schreiben vom 11. August 2020 (Bl. 79 BA) hingewiesen hatte, entgegnete die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2020 (Bl. 80 BA), sie könne die Gründe für die Ablehnung weiterhin nicht nachvollziehen. Auch wenn die im Separator befindliche dampfsterile Zentrifuge für einen biologischen Herstellungsprozess einsetzbar sei, so könne allein diese Möglichkeit die Entscheidung des Bundesamts nicht rechtfertigen.
10 Nach weiterem Bericht an das Bundesministerium (Bl. 81 ff. BA), ergänzender Stellungnahme der Klägerin (Bl. 88 f. BA), offenbar negativer Äußerung des Bundesministeriums wie auch des Auswärtigen Amtes, das ebenfalls mit dem Vorgang befasst war (vgl. Bl. 90 BA), sowie nach insgesamt viermaliger Sachstandsanfrage durch die Klägerin (vgl. Bl. 95 ff. BA) wies das Bundesamt den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2021 (Bl. 105 ff. BA = Bl. 7 ff. GA) zurück. Zur Begründung wurde angeführt: Nach ständiger Verwaltungspraxis werde die Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG abgelehnt, wenn die zuzusichernde Ausfuhrgenehmigung nicht erteilt werde könne. Dies sei hier der Fall. Die Genehmigung wäre nach Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO i.V.m Art. 12, 13 Abs. 1 Dual-Use-VO abzulehnen. Es seien hiernach unter anderem die internationalen Bindungen und Verpflichtungen zu berücksichtigen, welche die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied in den internationalen Exportkontrollregimen eingegangen sei. Insbesondere habe die Bundesrepublik sich mit ihrem Beitritt zur Australischen Gruppe verpflichtet, keinen Beitrag zur Entwicklung oder Verbreitung biologischer oder chemischer Waffen zu leisten. Weiter seien nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO Überlegungen der nationalen Außen- und Sicherheitspolitik insbesondere im Hinblick auf den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 zu berücksichtigen. Nach Art. 2 Abs. 7 des Gemeinsamen Standpunkts sei zu prüfen, ob die Güter einer unerwünschten Endverwendung zugeführt werden könnten. Dies sei hier zu bejahen. Zur Ausfuhr von Dual-Use-Gütern der Australische Gruppe an den Endverwender lägen dem Bundesamt wegen möglicher Umleitungsgefahren Denials vor. Auch wenn jenseits dieser Denials keine konkreten Anhaltspunkte für eine Verwendung des hier gegenständlichen Separators im Zusammenhang mit der Entwicklung oder Herstellung biologischer Waffen vorlägen, die angegebene Verwendung zur Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen aus technischer Sicht plausibel sei, dem Forschungsgebiet des Endverwenders entspreche und keine Erkenntnisse vorlägen, dass die Volksrepublik China an biologischen Waffen forsche, so müsse berücksichtigt werden, dass der in Rede stehende Separator zur Herstellung biologischer Waffen genutzt werden könne. Das Vorhandensein der Denials belege zudem, dass andere Länder den Endverwender ebenfalls als biologiewaffenrelevant einstuften. Angesichts der erheblichen und unberechenbaren Gefahren, die mit dem Einsatz biologischer Waffen verbunden seien, sei es zu rechtfertigen, die Ausfuhr entsprechender Güter bereits dann zu untersagen, wenn die befürchtete Verwendung nicht hinreichend auszuschließen sei. Die gewünschte Ausfuhrgenehmigung könne zudem ein erhebliches Vorwurfspotential begründen, das es der Bundesrepublik unmöglich mache, ihren internationalen Bemühungen um eine Ächtung biologischer Waffen nachzukommen. Bekanntgegeben wurde der Widerspruchsbescheid der Klägerin durch Zustellung mittels am 7. Juli 2023 zur Post gegebenem Einschreiben.
11 Am 4. August 2021 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
12 Zur Begründung führt sie unter anderem an: Das Bundesamt stütze sich auf unzutreffende Tatsachen und gehe von falschen rechtlichen Maßstäben aus. Bereits die Erwägungen im Ausgangsbescheid seien fehlerhaft, weil der zur Ausfuhr vorgesehene Separator, wie das Bundesamt mittlerweile eingeräumt habe, nicht mit der Entwicklung und Herstellung von Chemiewaffen in Verbindung gebracht werden könne. Soweit erstmals im Widerspruchsbescheid angeführt werde, der Separator könne im biologiewaffenrelevanten Bereich eingesetzt werden, sei auch diese Begründung nicht tragfähig. Noch im Jahre 2016 habe das Bundesamt nämlich für einen Separator wie den hiesigen, der an denselben Endverwender geliefert werden sollte, eine Ausfuhrgenehmigung erteilt. Wenn das Bundesamt nunmehr anführe, die Situation habe sich durch spätere Umstände, namentlich eine schwedische und eine US-amerikanische Denial aus dem Jahre 2019, wesentlich verändert, könne dies schon deshalb nicht überzeugen, weil das Bundesamt den Inhalt seiner diesbezüglichen Erkenntnisse nicht offengelegt habe. Der Verwertbarkeit der US-amerikanischen Denial stehe außerdem Art. 13 Abs. 5 Dual-Use-VO entgegen.
13 Soweit das Bundesamt weiter geltend mache, Art. 12 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO stehe einer Ausfuhrgenehmigung im Hinblick auf Überlegungen der nationalen Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Aspekte, die vom Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 erfasst werden, entgegen, so sei dies schon deshalb verfehlt, weil der betreffende Separator kein Gegenstand sei, der von der in Art. 12 des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP genannten Militärgüterliste der Europäischen Union erfasst werde. Allein im Hinblick auf Gegenstände, die dort genannt würden, seien die Maßstäbe des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP hier zu berücksichtigen.
14 Verbleibe nach alledem lediglich die abstrakte Eignung des Separators zur Entwicklung und Herstellung biologischer Waffen, so reiche dies für die Ablehnung nicht aus, denn dies sei schon der Grund, weshalb der Separator – wie die anderen in der Anlage I Dual-Use-VO angeführten Güter – überhaupt ausfuhrgenehmigungspflichtig sei. Für die Versagung einer Genehmigung bedürfte es darüber hinaus einer gesteigerten und sachlich belegbaren Wahrscheinlichkeit der befürchteten Endverwendung.
15 Das Bundesamt habe außerdem eine Reihe bewertungsrelevanter Umstände unberücksichtigt gelassen: Am 26. März 2020 sei einem Unternehmen in den Niederlanden von den dortigen Behörden eine Genehmigung für die Ausfuhr eines Bioreaktors an denselben Endverwender erteilt worden (Anlage 5 der Klagebegründung = Bl. 61 GA ff. GA). Wenn das Bundesamt im Widerspruchsbescheid im Hinblick auf die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) wie auch die aus dem IGV-Durchführungsgesetz folgenden nationalen Verpflichtungen anführe, dass das völkerrechtliche Solidaritätsprinzip „im Wesentlichen auf politischen Forderungen und Appellen“ beruhe, verkenne es dabei die aus Art. 44 IGV folgende Rechtspflicht, die Ausfuhr von Ausrüstungsgegenständen zur Herstellung von Impfstoffen zu ermöglichen. Unberücksichtigt geblieben sei weiter, dass der chinesische Endverwender angeboten habe, jederzeit Verwendungskontrollen zu gestatten (vgl. Anlage 6 = Bl. 63 ff. GA). Hierauf habe die Klägerin mit Schreiben vom 28. September 2020 hingewiesen.
16 Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vom 16. Juni 2020 (Az.: … – ……/.) sowie dessen Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2021 (Az.: . …AFw-…/..) zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Zusicherung der Erteilung der Ausfuhrgenehmigung vom 19. Oktober 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
17 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
18 Zur Begründung verteidigt das Bundesamt die angegriffenen Bescheide unter Verweis auf seine dortigen Ausführungen. Ergänzend wird im Wesentlichen geltend gemacht: Streitentscheidend sei die „neue“ Dual-Use-VO vom 20. Mai 2021 – Verordnung (EU) 2021/821 – und nicht die bislang angeführte „alte“ Verordnung vom 5. Mai 2009 – Verordnung (EG) Nr. 428/2009 –, denn nach Art. 31 Abs. 2 der „neuen“ Dual-Use-VO sei die alte Fassung lediglich für vor dem 9. September 2021 gestellte „Anträge auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung“ weiter anwendbar. Voranfragen seien vom Wortlaut des Art. 31 Abs. 2 Dual-Use-VO (EU) 2021/821 nicht erfasst. Wenn die Klägerin anführe, Art. 12 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO könne im Hinblick auf die Aspekte, die vom Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 erfasst werden, nicht in die Bewertung einbezogen werden, sei dem nicht zu folgen. Dem hierfür angeführten Argument, der betreffende Separator sei kein Gegenstand, der von der in Art. 12 des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP genannten Militärgüterliste der Europäischen Union erfasst werde, fehle schon deshalb die Überzeugungskraft, weil der Verweis der Dual-Use-VO auf den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP sonst stets in Leere liefe. Dual-Use-Güter seien generell keine Militärgüter. Im Übrigen ließen sich die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts auch als Grundsätze der Außen- und Sicherheitspolitik unter Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der aktuellen Dual-Use-VO fassen.
19 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Behördenakten des Bundesamts (Bl. 1 – 124, ohne die als VS-NfD eingestuften und durch Leerseiten ersetzten Bl. 19 – 32 und 92 – 93 sowie die auf Bl. 17, 34, 36, 44, 46, 47, 66, 81, 82, 84 und 86 vorgenommenen Schwärzungen), der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.
Entscheidungsgründe
20 Die zulässigerweise erhobene Verpflichtungsklage hat Erfolg. Der angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 16. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheids des Bundesamts vom 6. Juli 2021 ist aufzuheben und, da die Sache nicht spruchreif ist, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten (I.), wobei die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen sind (II.) und das Urteil wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist (III.).
I.
21 Die Ablehnung der begehrten Zusicherung aus den vom Bundesamt angeführten Gründen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 2, § 114 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
22 Nach ständiger – vom Bundesamt eingeräumter – Verwaltungspraxis besteht im Bereich des Außenwirtschaftsrechts Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), soweit Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung gegeben ist. Der streitgegenständliche Separator des Typs A ist ein „Gut mit doppeltem Verwendungszweck“, dessen Ausfuhr nach der Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck (im Folgenden „Dual-Use-VO“) genehmigungspflichtig ist (1.). Aufgrund der danach anzulegenden Maßstäbe rechtfertigen die angeführten Gründe die Ablehnung der Zusicherung nicht und stellen sich so als ermessensfehlerhaft dar (2.). Zwar kann das Gericht wegen der im Außenwirtschaftsrecht originär der Behörde zugewiesenen Einschätzungsprärogative seine Entscheidung nicht an die Stelle einer Entscheidung durch das Bundesamt setzen und damit die Sache spruchreif machen. Der Klägerin steht jedoch – wie aus dem Tenor ersichtlich – ein Anspruch auf Neubescheidung ihrer Voranfrage zu (3.).
23 1. Maßgeblich kommt es im vorliegenden Fall auf die derzeit geltende Dual-Use-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 an. Wenn die Klägerin hingegen einwendet, streitentscheidend müsse die „alte“ Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 sein, weil diese bei Antragstellung gegolten habe, so ist ihr hierin nicht zu folgen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einer Verpflichtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 – 7 C 71.83 –, juris Rn. 11; Beschluss vom 17. Juni.2003 – 4 B 14.03 -, juris, Rn. 9). Dies gilt auch hier, denn es liegt kein Fall vor, in dem ausnahmsweise aufgrund des materiellen Rechts ein früherer Zeitpunkt maßgeblich wäre (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 C 11/15 –, juris Rn. 13; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 13. Oktober 2022 – 5 K 1454/19.F –, juris Rn. 19: EEG-Umlage; Riese, in: Schoch/Schneider, VerwR, Stand: August 2022, § 113 VwGO Rn. 267). Zwar enthält Art. 31 Abs. 2 der aktuellen Dual-Use-Verordnung eine Übergangsbestimmung, nach der für Anträge auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung, die vor dem 9. September 2021 gestellt wurden, weiterhin die Bestimmungen der „alten“ Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 maßgeblich sind. Diese Übergangsregelung findet vorliegend aber schon ihrem Wortlaut nach keine Anwendung. Bei der streitgegenständlichen Voranfrage handelt es sich nicht um einen Antrag „auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung“. Die Abhängigkeit des Erfolgs einer Voranfrage vom Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung vermag daran entgegen der Auffassung der Klägerin nichts zu ändern. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Voranfrage nämlich derart eng mit einer noch nicht beantragten und daher in jedem Fall allein nach Maßgabe der derzeit geltenden Dual-Use-Verordnung möglichen Genehmigung verknüpft ist, so muss die für eine solche Genehmigung entscheidende – aktuelle – Sach- und Rechtslage auch auf die hiermit verknüpfte Voranfrage durchschlagen. Inwieweit vor diesem Hintergrund ein Rechtschutzbedürfnis dafür bestehen soll, eine Genehmigung nach Maßgabe einer außer Kraft getretenen Verordnung zu erhalten, kann das Gericht nicht erkennen. Gegen ein solches Rechtschutzbedürfnis spricht im Übrigen auch, dass es der Beklagten bei Maßgeblichkeit der „alten“ Dual-Use-Verordnung möglich wäre, die erteilte Zusicherung im Hinblick auf die nunmehr in Kraft getretene aktuelle Fassung nach Maßgabe von § 38 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG zu widerrufen bzw. die Zusicherung ihre Bindungskraft nach § 38 Abs. 3 VwVfG ipso iure verlieren könnte.
24 Bei dem vorliegenden Separator handelt es sich um einen Zentrifugalseparator im Sinne von Anhang I der Dual-Use-VO, Teil IV Kategorie 2B „Prüf-, Test- und Herstellungseinrichtungen“, Unternummer 2B352 Buchst. c, weshalb dessen Ausfuhr nach Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO genehmigungspflichtig ist:
c. Zentrifugalseparatoren, geeignet zur kontinuierlichen Trennung ohne Aerosolfreisetzung, mit allen folgenden Eigenschaften:
1. Durchflussrate größer als 100 l/h,
2. Bestandteile aus poliertem Edelstahl oder Titan,
3. Ein- oder Mehrfachdichtung im Dampfsterilisationsbereich und
4. geeignet zur In-situ-Sterilisation im geschlossenen Zustand;
Technische Anmerkung:
Zentrifugalseparatoren schließen Dekanter ein.
25 Die technischen Eigenschaften des zur Ausfuhr vorgesehenen Guts sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Separator erzielt eine Durchflussrate von 250 – 400 Litern pro Stunde, besteht aus poliertem Edelstahl, verfügt über eine Dichtung im Dampfsterilisationsbereich und ist zur In-situ-Sterilisation im geschlossenen Zustand geeignet (vgl. hierzu auch die eigene Produktbeschreibung der Klägerin = Bl. 4 f. BA).
26 2. Die Versagung der beantragten Zusicherung ist rechtswidrig, da die gegebene Begründung die ablehnende Entscheidung nicht hinreichend zu rechtfertigen vermag. Zwar kann das Bundesamt als zuständige nationale Behörde nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 EG-Dual-Use-VO die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung – und so auch die einer Zusicherung – verweigern. Wie aus dem Wort „können“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Dual-Use-VO folgt, steht die Verweigerung im Ermessen der Behörde (VG Frankfurt am Main, Urteil vom 10. Februar 2022 – 5 K 533/18.F –, juris Rn. 32; Urteil vom 22. Februar 2018 – 5 K 2253/16.F – juris, Rn. 48). Eine rechtliche Überprüfung der Versagung der Genehmigung kommt daher grundsätzlich nur im Hinblick auf Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch und Ermessensfehlgebrauch in Betracht, wie sie in § 114 VwGO angelegt ist (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 8. Mai 2003 – 1 E 3273/02 –, juris Rn. 35; Urteil vom 14. Mai 2009 – 1 K 2533/08.F –, juris Rn. 28; Urteil vom 22. Februar 2018 – 5 K 2253/16.F –, juris Rn. 49). Das Gericht darf die getroffene Entscheidung nur anhand derjenigen Erwägungen überprüfen, welche die Behörde tatsächlich angestellt hat, wozu auch in Einklang mit § 114 Satz 2 VwGO nachgeschobene Erwägungen zählen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2016 – 10 C 8.15 –, juris Rn. 13). Korrespondierend sind nach § 39 Abs. 1 Satz 2, 3 VwVfG „[i]n der Begründung … die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.“ Dieser zentrale Aspekt ist von der Begründungspflicht nicht durch eine der Modalitäten des § 39 Abs. 2 VwVfG ausgenommen, insbesondere nicht dessen Nr. 4 in Verbindung mit dem Außenwirtschaftsrecht. Die weitgefasste politische Einschätzungsprärogative der Beklagten betrifft die Beurteilung einer festgestellten Tatsachengrundlage, entpflichtet aber nicht davon, diese mitzuteilen (so schon VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28. Februar 2019 – 9655/17.F –, juris Rn. 22). Auch in Bezug auf behördliche Ermessensentscheidungen gilt der rechtsstaatliche Grundsatz, dass der Staatsbürger, in dessen Rechte die Verwaltung eingreift, einen Anspruch darauf hat, die dafür maßgeblichen Gründe zu erfahren, weil er nur dann seine Rechte sachgemäß verteidigen kann (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1965 – II C 3.63 –, juris Rn. 31 unter Verweis auf BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957 – 1 BvR 253/56 –, juris Rn. 41).
27 Gemessen hieran genügt die Begründung in den angegriffenen Bescheiden – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im gerichtlichen Verfahren – nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Begründung erweist sich als defizitär und die getroffene Entscheidung des Bundesamts so als ermessensfehlerhaft, § 114 VwGO:
28 Zwar hat die Beklagte, wie aus den angegriffenen Bescheiden zweifelsohne hervorgeht, ihr Ermessen grundsätzlich erkannt. Die Ermessensausübung ist bei einer Gesamtschau des Vorbringens im behördlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung jedoch fehlerhaft. Ausgehend von seiner Begründung geht das Bundesamt nämlich von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus, weshalb die von ihm angeführten Gründe einerseits zu hohes Gewicht erhalten und sie andererseits wesentliche Gesichtspunkte übergehen („Ermessensfehlgebrauch“, vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 – 1 C 6/95 –, juris Rn. 24 ff.). Der Außenwirtschaftsverkehr ist nicht nur im Bereich nationaler Regelungen grundsätzlich frei (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 AWG: die Genehmigung „ist zu erteilen, wenn zu erwarten ist, dass die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder der Handlung den Zweck der Vorschrift nicht oder nur unwesentlich gefährdet“), sondern ist dies auch im Anwendungsbereich der durch den europäischen Verordnungsgeber erlassenen Dual-Use-Verordnung. So hat die Verwaltung bei der Bearbeitung entsprechender Genehmigungsanträge (Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO i.V.m Art. 15 Abs. 1 Dual-Use-VO) die in Art. 16 EU-Grundrechte-Charta normhierarchisch oberhalb der Dual-Use-Verordnung zu verortende „Ausfuhrfreiheit“ (vgl. dazu Schäffer, in: Hocke/Sachs/Pelz, Außenwirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2020, Art. 12 Dual-Use-VO Rn. 7) zu berücksichtigen.
29 Diesem elementaren Gesichtspunkt wäre im vorliegenden Fall hinreichend Rechnung zu tragen gewesen. Die Beklagte führt in den Bescheiden zwar an, dass der Außenwirtschaftsverkehr grundsätzlich frei sei, doch zeugen ihre weiteren Ausführungen von der Anwendung eines verfehlten Maßstabs, denn die Genehmigung verweigert das Bundesamt mit dem – ausweislich der Begründung im Widerspruchsbescheid schon für sich tragenden – Argument, dass die abstrakte Möglichkeit einer Verwendung des Separators im biologiewaffenrelevanten Bereich bestehe. Diese „abstrakte Gefährlichkeit“ des Separators erfasst aber bereits der in Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO statuierte Genehmigungsvorbehalt als zentrales Instrument der Exportkontrolle. Im Hinblick auf den Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit und die dahinterstehenden grundrechtlichen Garantien bedarf es für die ermessens- und begründungsfehlerfreie Ablehnung von Anträgen auf Ausfuhr von Dual-Use-Gütern, so die Auffassung des Gerichts, darüber hinaus sachlich begründeter Anknüpfungstatsachen. Diese Anknüpfungstatsachen wären in den Bescheiden – oder spätestens in der mündlichen Verhandlung – konkret zu benennen gewesen. Hierzu ist es nicht gekommen. Der Standpunkt, wie ihn das Bundesamt unter Verweis auf die allein theoretisch mögliche militärische Verwendung des Separators vertritt, ist nicht zu rechtfertigen, denn eine solche Verwendung ist schlicht allen Dual-Use-Gütern per definitionem eigen. Mit der vom Bundesamt angeführten Begründung wäre letztlich jeder vergleichbare Handel mit Separatoren nicht genehmigungsfähig.
30 Die hier verlangte Unverzichtbarkeit konkreter Tatsachen für die Ablehnung von Anträgen auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung findet in Art. 15 Abs. 1 Buchst. d. Dual-Use-VO zudem einen normativen Anknüpfungspunkt. Hiernach sind bei der Entscheidung, ob eine Genehmigung erteilt wird, unter anderem Überlegungen über die beabsichtigte Endverwendung und „die Gefahr einer Umlenkung“ zu berücksichtigen. Unabhängig von der Frage, wie das Merkmal der Gefahr näher zu verstehen ist (vgl. hierzu etwa VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28. Februar 2019 – 5 K 9655/17.F –, juris Rn. 22 m.w.N.), bedarf es insoweit in jedem Falle einer gesteigerten und sachlich belegbaren Wahrscheinlichkeit der befürchteten Endverwendung; eine bloß „latente Gefahr“ reicht hingegen nicht (vgl. Schäffer, in: Hocke/Sachs/Pelz, Außenwirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2020, Art. 12 Dual-Use-VO Rn. 13). Wiewohl es sich bei dem Buchstaben d. lediglich um eines der Kriterien des Art. 15 Dual-Use-VO handelt, welche die Behörde bei ihrer Ermessensausübung nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Dual-Use-VO zu berücksichtigen hat, so enthält die Verordnung hier doch einen allgemeinen Rechtsgedanken, nach dem es jenseits der Doppelfunktionalität des Guts weiterer Tatsachen bedarf, um die Ausfuhr nach Maßgabe der Dual-Use-Verordnung abzulehnen. Hierfür genügt, wie auch im Anwendungsbereich des Außenwirtschaftsgesetzes (vgl. dazu VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28. Februar 2019 – 5 K 9655/17.F –, juris Rn. 22), eine bloße theoretische Möglichkeit nicht.
31 Die Beklagte ist ihrer Begründungspflicht schließlich auch nicht dadurch in hinreichendem Maß nachgekommen, dass sie sich, offenbar „hilfsweise“, auf ablehnende Ausfuhrentscheidungen anderer Staaten beruft, welche in einer vergleichbaren Situation ergangen seien. So hat sich das Bundesamt erstmals im Widerspruchsbescheid darauf gestützt, dass zur Ausfuhr von Dual-Use-Gütern der Australischen Gruppe an den hiesigen Endverwender, insbesondere wegen Umleitungsgefahren, Denials vorlägen. Der Beklagtenvertreter hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung klargestellt, man stütze sich insoweit ausschließlich auf zwei Denials, nämlich auf eine schwedische vom 26. September 2019 und eine US-amerikanische vom 18. Januar 2019 (vgl. hierzu auch Bl. 82 f. BA). Allein mit dem Verweis auf das Vorhandensein dieser Denials kann das Bundesamt seine Begründungspflichten indes nicht erfüllen. Zwar können Überlegungen einer befürchteten Umleitung des Ausfuhrguts, die im Falle der schwedischen bzw. US-amerikanischen Ausfuhrentscheidung tragend gewesen sein sollen (so das Schreiben des Bundesamts an das Bundesministerium vom 23. September 2020 = Bl. 82 BA), dem Grunde nach im hiesigen Fall beachtlich sein, etwa im Hinblick auf den bereits erwähnten Art. 15 Abs. 1 Buchst. d Dual-Use-VO („Gefahr einer Umlenkung“). Das Bundesamt hat den Inhalt, genauer die tatsächliche Grundlage, auf welcher das Königreich Schweden und die Vereinigten Staaten von Amerika die Anträge auf Ausfuhr abgelehnt haben, aber nicht offengelegt. Dem Behördenvorgang lässt sich lediglich entnehmen, dass die dortigen Entscheidungen einen Zentrifugalseparator bzw. einen Kreuzstromfilter betrafen und die Gefahr der Um- bzw. Weiterleitung bestanden habe (vgl. Bl. 82 BA). Woran aber diese Gefahren angeknüpft haben sollen, wird nicht mitgeteilt. Derartiges hat die Beklagte auch nicht in der mündlichen Verhandlung offenbart, nachdem das Gericht zum genaueren Inhalt der Denials Nachfragen gestellt hatte. Somit sind weder konkretere Ausführungen zu den ablehnenden Ausfuhrentscheidungen aus Schweden bzw. den USA vorhanden – etwa dazu, auf welche konkreten tatsächlichen Erkenntnisse sich die Denials der befreundeten Staaten stützen – noch eine nachvollziehbare Begründung dafür, aus welchen Gründen keine konkreteren Ausführungen gemacht werden können. Die Begründung der Beklagten ist in äußerstem Maße vage, oberflächlich und somit sowohl für die Klägerin als auch das Gericht letztlich nicht nachprüfbar. Wäre diese Form der Begründung hinzunehmen, so wäre es dem Bundesamt gleichsam möglich, sich die Gründe für ablehnende Entscheidungen selbst zu beschaffen.
32 Erweist sich die Begründung in Bezug auf die angesprochenen Denials schon vor diesem Hintergrund als nicht haltbar, so brauchte das Gericht nicht mehr darauf einzugehen, ob und ggf. welche Folgen sich daraus ergeben, dass ein Notifizierungsverfahren nach Art. 13 Abs. 5 der „alten“ Dual-Use-VO (jetzt: Art. 16 Abs. 5 Dual-Use-VO) nicht durchgeführt wurde. Auf die von den Beteiligten thematisierten Fragen zu Art. 16 Abs. 5 Dual-Use-VO kommt es überdies deshalb nicht an, weil das Notifizierungsverfahren nach dem Wortlaut der Norm erst vor „Erteilung einer Genehmigung“ oder einem „Verbot einer Durchfuhr“ zur Anwendung kommt. Das Verwaltungsverfahren befindet sich derzeit lediglich im Bereich einer Voranfrage.
33 Soweit das Bundesamt mit dem Beitritt der Beklagten zur sog. Australischen Gruppe argumentiert, ergeben sich daraus, anders als das Bundesamt meint, jedenfalls keine „Verpflichtungen und Bindungen“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Buchst. a. Dual-Use-VO, denn bei dem Bündnis der Australischen Gruppe handelt es sich lediglich um einen informellen Zusammenschluss von 40 Staaten sowie der Europäischen Kommission. Völkerrechtlich verbindliche Verträge ist die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang nicht eingegangen.
34 Nicht beizutreten vermag das Gericht auch der Prämisse des Bundesamts, wie sie ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat. Zwar hat dieser im Ausgangspunkt zutreffend auf den Grundsatz verwiesen, nach dem im Außenwirtschaftsrecht, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen sind (hierzu bereits VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28. Februar 2019 – 5 K 9655/17.F –, juris Rn. 22). Hieraus aber sinngemäß ableiten zu wollen, dass „angesichts der erheblichen und unberechenbaren Gefahren, die mit dem Einsatz biologischer Waffen verbunden sind“ (S. 4 des Widerspruchsbescheids) eine weitergehende Begründung für eine ablehnende Entscheidung entbehrlich sei, stellt die Maßstäbe geradezu auf den Kopf. Um die (Begründungs-)Anforderungen nach dem angeführten Grundsatz senken zu können, bedarf es überhaupt erst einmal belastbarer Anknüpfungspunkte für die Größe des zu erwartenden Schadens. An diesen fehlt es.
35 In Ansehung dieser fehlenden Darlegung konkreter Anhaltspunkte für eine Verwendung des Separators in China im biologiewaffenrelevanten Bereich fällt auch die weitere Begründung der Beklagten in sich zusammen:
36 Dies gilt zunächst im Hinblick auf das von der Beklagten angeführte Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (BWÜ) vom 10. April 1972, das die Bundesrepublik durch Gesetz vom 21. Februar 1983 in nationales Recht umgesetzt hat (BGB. II S. 132). Eine Verwendung des Separators im Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ist nicht hinreichend dargelegt. Soweit sich das Bundesamt im Weiteren auf die „restriktive Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung“ wie auch die Befürchtung stützt, durch die etwaige Erteilung einer Genehmigung ein Vorwurfspotential anderer Staaten zu begründen, kann dahinstehen, ob derartige Belange als „Überlegungen der nationalen Außen- und Sicherheitspolitik“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO überhaupt berücksichtigungsfähig sind. Es fehlt jedenfalls auch hier an ausreichend konkreten Anhaltspunkten für die Annahme, dass eine entsprechende Verwendung des Separators in der Volksrepublik China droht. Selbiges gilt im Zusammenhang mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO und dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Dahinstehen kann deshalb auch die Frage, ob der Gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP hier schon deshalb unbeachtlich ist, weil der betreffende Separator kein Militärgut und deshalb kein Gegenstand sei, der von der in Art. 12 des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP genannten Militärgüterliste der Europäischen Union erfasst werde – so die Klägerin – oder ob der Gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP hier dem Grunde nach berücksichtigungsfähig ist, weil Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Dual-Use-VO lediglich als Rechtsfolgenverweis auf den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP zu verstehen ist – so der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung.
37 Wenn das Bundesamt im Widerspruchsbescheid letztlich selbst einräumt, „keine konkreten Anhaltspunkte für die Verwendung des Separators im Zusammenhang mit der Entwicklung oder Herstellung biologischer Waffen“ zu haben, und darüber hinaus feststellt, dass „die angegebene Verwendung zur Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen (…) plausibel“ sei, „dem Forschungsgebiet des Endverwenders“ entspreche und „keine Erkenntnisse dazu“ vorlägen, „dass die Volksrepublik China an biologischen Waffen“ forsche, so ist überdies nicht zu verstehen, weshalb dem – weitreichenden – Angebot des chinesischen Endverwenders, jederzeit Verwendungskontrollen zu gestatten (vgl. Anlage 6 = Bl. 63 ff. GA), überhaupt kein Gewicht beigemessen werden soll. Dieses Angebot lediglich mit dem pauschalen Argument zu würdigen, eine Kontrolle könne lediglich einen tagesaktuellen Eindruck vermitteln und sei kein Beleg für eine bestimmte dauerhafte Verwendung, zumal derartige Kontrollen vorher angekündigt würden, wird den Begründungserfordernissen nicht gerecht.
38 Schließlich bedarf ebenso einer Begründung, warum das Königreich der Niederlande unter dem 31. März 2021 eine nationale Ausfuhr- bzw. Verbringungsgenehmigung für einen Bioreaktor in die Volksrepublik China zugunsten desselben Endverwenders wie im hiesigen Verfahren erteilt hatte. Die Klägerin rügt zutreffend, dass die derzeitige Begründung Ausführungen dazu vermissen lässt, warum ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union, der in gleicher Weise durch die Vorgaben der Dual-Use-Verordnung gebunden ist, die Gefahrenlage ganz offensichtlich anders einschätzt als die Beklagte. Aus der niederländischen Genehmigung folgt für die Beklagte vorliegend eine Begründungsnotwenigkeit für die eigene abweichende Sichtweise. Dem steht nicht entgegen, dass die niederländische Genehmigung zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, wohl mangels (automatischen) Datenaustausches zwischen den Mitgliedstaaten, nicht bekannt war. Das Bundesamt hätte jedenfalls bei Bekanntwerden der Genehmigung aktiv werden und zumindest den Versuch unternehmen können, bei den niederländischen Kollegen Näheres zu den dortigen Umständen in Erfahrung zu bringen. Zu einem solchen Versuch ist es nicht gekommen.
39 Einer weitergehenden Begründung bedarf zuletzt auch die Frage, weshalb der Klägerin nunmehr eine Ausfuhrgenehmigung versagt werden soll, wenn ihr eine solche im Jahre 2016 für einen vergleichbaren Separator an denselben Endverwender in der Volksrepublik China noch erteilt worden war. Zwar folgt nach der Rechtsprechung des Gerichts aus dem Umstand, dass einmal eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde, nicht, dass diese Praxis beibehalten wird, doch ist eine Abweichung oder Änderung begründungsbedürftig (vgl. VG Frankfurt a.M., Urteil vom 28. Februar 2019 – 5 K 9655/17 –, juris Rn. 23). Ob insoweit eine Lageänderung in China aufgrund nachfolgender Denials aus dem Jahre 2019, auf die sich das Bundesamt stützt, eine Neubewertung rechtfertigt, entzieht sich derzeit der Möglichkeit einer Nachprüfung, denn den Inhalt jener Denials hat die Beklagte, wie dargetan, nicht näher offengelegt.
40 Ob die Auswechslung der Begründung im Widerspruchsbescheid, nach der es nicht mehr, wie noch im Ausgangsbescheid, Chemie-, sondern Biologiewaffen sein sollen, zu deren Herstellung der Separator in China einen Beitrag zu leisten drohe, eine weitere Fehlerhaftigkeit nach sich zieht, konnte dahinstehen. Die Begründung der Beklagten genügt ungeachtet dessen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es kam deshalb auch nicht mehr auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage an, ob die Beklagte im Hinblick auf das völkerrechtliche Solidaritätsprinzip, die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) wie auch die aus dem IGV-Durchführungsgesetz folgenden nationalen Verpflichtungen hinreichend begründet hat, weshalb es einem unter staatlicher Kontrolle stehendem chinesischen Unternehmen inmitten der Covid-19-Pandemie verwehrt worden sei, Ausrüstungsgegenstände aus Deutschland zu beschaffen, die für die Herstellung von Humanimpfstoffen verwendet werden sollen.
41 3. Die Beklagte ist nicht zur Erteilung der begehrten Ausfuhrgenehmigung zu verurteilen, sondern, wie beantragt, allein zur Neubescheidung. Aufgrund des im Außenwirtschaftsrecht originär der Behörde zugewiesenen Beurteilungsspielraums kann das Gericht seine Entscheidung nicht an die Stelle einer Entscheidung durch die Beklagte setzen und damit die Sache spruchreif machen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 10. April 2014 – 6 A 2077/13.Z –, juris Rn. 11; VG Frankfurt a.M., Urteil vom – 5 K 3718/15.F –, juris Rn. 28). Das Gericht kann insbesondere keine eigene Bewertung und Gewichtung etwaiger in der Begründung des Ablehnungs- und des Widerspruchsbescheides bislang nicht hinreichend berücksichtigter Tatsachen und Umstände vornehmen, da gerade dies der behördlichen Einschätzungsprärogative vorbehalten bleibt.
II.
42 Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil sie unterlegen ist.
III.
43 Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 709 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird endgültig auf 32 000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Das Gericht folgt – anders als noch im Rahmen der vorläufigen Streitwertfestsetzung, mit dem ein Streitwert von 320 000 Euro festgesetzt wurde – nicht der Klägerin und stellt nicht auf den wirtschaftlichen Wert des zur Ausfuhr vorgesehenen Separators ab, sondern orientiert sich an dem zu erwartenden Gewinn des Ausfuhrvorhabens (vgl. hierzu schon VG Frankfurt, Beschluss vom 26. August 2014 – 5 L 2135/14 –, juris Rn. 37). Mangels weiterer Anknüpfungspunkte setzt das Gericht hierfür 20 Prozent des Werts des Ausfuhrguts an, mithin 64 000 Euro. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren zudem lediglich eine Voranfrage und nicht eine Ausfuhrgenehmigung selbst betrifft, ist eine weitere Reduzierung geboten. Das Gericht erachtet hierfür eine Halbierung des Streitwerts für ausreichend, aber auch geboten. Der Streitwert war deshalb auf 32 000 Euro festzusetzen. Die vorläufige Streitwertfestsetzung mit Beschluss vom 11. August 2021 wird hiermit gegenstandslos.