Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: L 4 KR 307/17 B ER
SGB V a. F. § 132 e Abs. 2
Durch die Streichung der Impfstoffrabattverträge (§ 132 e Abs. 2 SGB V a.F.) durch den Gesetzgeber verlieren bestehende Verträge nicht ihre Wirksamkeit.
Eine Krankenkasse darf keine anderen Vereinbarungen abschließen, die der Exklusivitätszusage eines Impfstoffrabattvertrags zuwiderlaufen.
I. Die Beteiligten streiten um die Fortsetzung oder Beendigung eines Rahmenvertrages nach § 132 e Abs. 2 SGB V, vorliegend im Wege Einstweiligen Rechtsschutzes. Die Antragstellerin ist eine pharmazeutische Produzentin mit Sitz in Hannover. Die Antragsgegnerin ist eine Ortsrankenkasse mit gesetzlicher Zuständigkeit für die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland.
Der mit seinen wesentlichen Inhalten zum 1.1.2015 in Kraft getretene § 132 e Abs. 2 SGB V regelte:
„(2) 1Die Krankenkassen oder ihre Verbände können zur Versorgung ihrer Versicherten mit Impfstoffen für Schutzimpfungen nach § 20i Absatz 1 und 2 Verträge mit einzelnen pharmazeutischen Unternehmern schließen; § 130a Absatz 8 gilt entsprechend. 2Soweit nicht anders vereinbart, erfolgt die Versorgung der Versicherten ausschließlich mit dem vereinbarten Impfstoff. 3In den Verträgen nach Satz 1 sind Vereinbarungen zur Sicherstellung einer rechtzeitigen und bedarfsgerechten Versorgung der Versicherten mit Impfstoffen zur Schutzimpfung vorzusehen…“
Kernelemente der Regelung waren die sog. Exklusivität der durch den Rahmenvertrag lieferberechtigten Pharmahersteller und – im Gegenzug – die Anwendung der Rabattierungsregelungen.
Am 7.11.2016 schloss die Antragsgegnerin – nach einem Ausschreibungsverfahren – für sich, vier weitere Krankenkassen und sechs Ersatzkassen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland zwei Rahmenverträge, jeweils betreffend die Versorgung der Versicherten der Krankenkassen in beiden Bundesländern mit saisonalen Grippeimpfstoffen in den Saisons 2017/2018 und 2018/2019 (Grippeimpfstoffe Xanaflu und Influvac in Fertigspritzen mit – Los 2 – bzw. ohne – Los 1 – Kanüle). Die Antragsgegnerin handelte sowohl beim Ausschreibungsverfahren als auch beim Vertragsschluss als auch in der schließlichen Vertragsdurchführung im Auftrag der anderen genannten Kranken- und Ersatzkassen und federführend.
Die Rahmenvereinbarungen enthielten u.a. folgende Regelungen:
Am 13.05.2017 trat das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz („AMVSG“) in Kraft. Hierdurch wurde § 132 e Abs. 2 SGB V ersatzlos gestrichen. Aufgrund der gesetzgeberischen Streichung fand am 02.05.2017 ein Gespräch zwischen den Beteiligten statt. Einzelheiten des Gesprächs sind unter den Beteiligten streitig, ein gemeinsames Protokoll existiert nicht.
Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31.05.2017 mit, sie habe davon Kenntnis erlangt, dass die Antragsgegnerin mit den Apothekerverbänden Rheinland-Pfalz bzw. Saarland Grippeimpfstoffvereinbarungen bzw. Festpreisregelungen für die Jahre 2017 und 2018 abgeschlossen habe, was den für diese Saison geschlossenen Rahmenvereinbarungen widerspreche. Sie forderte weitere Informationen und Erklärungen von der Antragsgegnerin. Dies lehnte die Antragsgegnerin ab und kündigte die Verträge mit Schreiben vom 02.06.2017 fristlos aus wichtigem Grund gemäß § 9 Abs.1 Satz 2a der Rahmenverträge. Zur Begründung machte sie geltend, dass die Aufrechterhaltung der Verträge aufgrund der besonderen Konstellation des Versorgungsgeschehens in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. sowie nach Wegfall des § 132 e Abs. 2 SGB V ihrer Auffassung nach nicht möglich sei.
Am 10.6.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Hannover (SG) Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz im Sinne der Fortgeltung und Umsetzung der geschlossenen Rahmenverträge gestellt. (…)
Das SG hat mit Beschluss vom 23.6.2017 zu den Anträgen der Antragstellerin tenoriert:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet,
1. unverzüglich die Kassenärztlichen Vereinigungen Rheinland-Pfalz und Saarland, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie die Landesapothekerverbände in Rheinland-Pfalz und dem Saarland unter Verweis auf § 132 e Abs. 2 Satz 2 SGB V in der bis zum 12. Mai 2017 gültigen Fassung, die gültige Impfvereinbarung und die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 SGB V über die zwischen den Parteien am 07.11.2016 geschlossene Rabattvereinbarung zu informieren,
2. es zu unterlassen, Vereinbarungen abzuschließen, die der Exklusivitätszusage der Rahmenverträge zuwiderlaufen, insbesondere die „Ergänzungsvereinbarung zum Arzneimittelliefervertrag in der Fassung vom 01.10.2016“ zwischen der Antragsgegnerin und dem Saarländischen Apothekerverein e.V. zur Preisvereinbarung über Grippeimpfstoffe zu unterzeichnen.
Die weiteren Anträge der Antragstellerin hat das SG zurückgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits beiden Beteiligten zu ein Halb auferlegt und den Streitwert auf 928.000 € festgesetzt.
Zur Begründung hat das SG ausgeführt:
Der gemäß § 86 b Abs. 2 SGG statthafte und zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei statthaft und zulässig sowie teilweise begründet, weil sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
In prozessualer Hinsicht sei der Antrag auch allein gegenüber der Antragsgegnerin zulässig, eine Beiladung habe nicht zu erfolgen: Ausweislich der Ausschreibungsunterlagen sei allein die Antragsgegnerin von den übrigen Kranken- und Ersatzkassen mit der Beschaffung des saisonalen Grippeimpfstoffes, mit dem zugehörigen Vergabeverfahren, mit dem erforderlichen Vertragsabschluss sowie mit der federführenden Vertragsdurchführung beauftragt worden. Ihre Stellung als Herrin des Verfahrens ergebe sich auch aus den geschlossenen Rahmenverträgen. Danach sei allein die Antragsgegnerin berechtigt gewesen, eine Kündigung aus wichtigem Grund im Namen aller Krankenkassen zu erklären.
In materieller Hinsicht folge der Anordnungsanspruch aus den auf der Grundlage des § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. geschlossenen Rahmenverträgen, die weder aufgrund des Wegfalls des § 132 e Abs. 2 SGB V unwirksam noch sonst wirksam aufgehoben oder gekündigt worden seien.
Durch die Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V a.F. verlören bestehende Verträge nicht ihre Wirksamkeit. Dafür sprächen die Gesetzesbegründung und der Verlauf der Beratung im Bundestag. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf vom 14.10.2016 – BT-Ds 601/16 – habe die Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V noch nicht vorgesehen, sondern lediglich Änderungen zu § 130 a SGB V beinhaltet, wobei die Regelung nach der Gesetzesbegründung nur für den Abschluss von Rabattverträgen nach Inkrafttreten der Regelung gelten und nicht die Geltung bereits geschlossener Rabattverträge berühren sollte. In der nachfolgenden ersten Beratung sei dann die Abschaffung der Ausschreibung im Bereich der Impfstoffe diskutiert und dann auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit der § 132 e Abs. 2 SGB V aufgehoben worden. Hierzu heiße es in der Begründung ausdrücklich lediglich: „Mit dem Inkrafttreten der Regelung entfällt die Grundlage für die exklusive Versorgung mit Impfstoffen. Bestehende Rabattverträge können nicht verlängert werden. Dies dient letztlich auch der Erhöhung der Impfquote.“
In Kraft getreten ist das Gesetz am Tag nach der Verkündung. Weder aus dem Zeitpunkt des Inkrafttretens noch aus der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass eine Rückwirkung bzw. eine Rechtsfolge auf bestehende Verträge beabsichtigt gewesen sei. Dies würde – so das SG weiter – auch dem üblichen Vorgehen des Gesetzgebers widersprechen, dass Gesetzesänderungen – aus Vertrauensgesichtspunkten – sich auf abgeschlossene Zeiträume grundsätzlich nicht auswirkten, es sei denn, sie ordneten die Rückwirkung ausdrücklich an. Bei gleichwohl beabsichtigter Rückwirkung hätte der Gesetzgeber auch nicht darauf hinweisen müssen, dass bestehende Rabattverträge nicht verlängert werden können, da durch eine Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V mit Rückwirkung schon die Ausgangsverträge ohnehin die Rechtsgrundlage verloren hätten. Die ausdrückliche Regelung – „Bestehende Rabattverträge können nicht verlängert werden“ – spreche vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber bestehende Verträge auslaufen und nicht verlängern lassen wollte. Diese Auffassung sei vor dem tatsächlichen Hintergrund umso überzeugender, als dass Rabattverträge in der Regel längstens 2 Jahre liefen, weshalb der Gesetzgeber von einer überschaubaren Restlaufzeit habe ausgehen können. – Die Auffassung des BMG, wonach die Streichung auch bestehende Verträge betreffe, teile das SG nicht.
Auch eine wirksame Aufhebung der Rahmenverträge durch beiderseitige oder einseitige Erklärungen sei nicht gegeben, da ein schriftlicher Aufhebungsvertrag nicht vorliege, das Schriftformerfordernis aber zwingend sei und aus § 10 Abs. 6 der Verträge iVm § 56 SGB X (Schriftform) folge. Im Übrigen sei auch kein gemeinsames Protokoll über das Gespräch der Beteiligten am 02.05.2017 gefertigt worden. Es verstoße daher nicht gegen Treu und Glauben, dass sich die Antragstellerin auf das Schriftformerfordernis berufe.
Eine wirksame Kündigung der Rahmenverträge liege ebenso wenig vor. Zwar sei die Kündigungsfrist eingehalten worden, jedoch fehle es an einem wichtigen Grund. § 9 Abs.1 Satz 2 der Rahmenverträge zähle die fristlosen Kündigungsgründe auf. In Betracht käme allein § 9 Abs.1 Satz 2 a. Darin heißt es (Anm. des Senats):
„Ein wichtiger Grund, der die Krankenkassen zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, liegt insbesondere vor, wenn
a) Eine gesetzliche, gerichtliche oder aufsichtsbehördliche Maßnahme diesem Vertrag die rechtliche oder tatsächliche Grundlage ganz oder teilweise entzieht,“
Nach den vorstehenden Ausführungen habe der Gesetzgeber mit der Abschaffung des § 132 e Abs. 2 SGB V aber gerade nicht in bestehende Verträge eingegriffen.
Schließlich lägen auch keine Gründe vor, die ein Festhalten der Antragsgegnerin an den Verträgen gemäß § 314 BGB unzumutbar machen würden. Nach § 314 Abs.1 Satz 2 BGB liege ein wichtiger Grund vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Nach Auffassung des SG bestehen schon Zweifel, ob § 314 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) überhaupt anwendbar ist, weil die Kündigung aus wichtigem Grund bereits im Rahmenvertrag geregelt worden sei (spezielles Vertragsrecht). Jedenfalls sei aber keine Unzumutbarkeit zu erkennen. Die Laufzeit der Verträge sei mit 2 Jahren überschaubar. Sofern N. und O., ggf. mit Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigungen, bereits anderweitige Vereinbarungen von Festbetragsregelungen getroffen hätten, würde dies der vorstehenden Vertragsauslegung zuwiderlaufen. Die von einer Gesetzesänderung betroffenen Vereinigungen / Parteien müssten das Risiko einer fehlerhaften Rechtsinterpretation selbst tragen. Dies sei das Folgeproblem einer jeden Gesetzesänderung gegenüber jedem Gesetzesadressaten. Dies gelte infolgedessen auch für die Sprechstundenbedarfsvereinbarung, da die Verordnung von Sprechstundenbedarf einheitlich über die Antragsgegnerin abgewickelt werde, sowie für die von der Antragsgegnerin begründeten Rechte Dritter.
Aus der damit gegebenen Fortgeltung der Rahmenverträge folge die tenorierte Informationspflicht der Antragsgegnerin (Tenor zu 1).
Der Unterlassungsanspruch (Tenor zu 2) ergebe sich aus § 132 e Abs. 2 Satz 2 SGB V a.F. in Verbindung mit § 5 Abs. 3 der Rahmenverträge. Denn in den Rahmenverträgen sei eine Exklusivität vereinbart worden. § 5 Abs. 3 der Verträge regele die Verpflichtung, sämtliche Äußerungen gegenüber Dritten zu unterlassen, deren Inhalt dem Zweck des Vertrages zuwiderlaufe. Deshalb würde der Abschluss der „Ergänzungsvereinbarung zum Arzneimittelliefervertrag in der Fassung vom 01.10.2006“ zwischen der Antragsgegnerin und dem Saarländischen Apothekerverein e.V. zur Preisvereinbarung über Grippeimpfstoffe der Exklusivität und damit dem Vertragszweck zuwiderlaufen.
Die weitergehenden Anträge der Antragstellerin seien dem hingegen abzuweisen gewesen (wird im Einzelnen ausgeführt).
Neben dem Anordnungsanspruch sei auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar mag eine Versorgung der Versicherten nicht gefährdet sein. Dennoch müsste die Antragstellerin einen Großteil des produzierten Impfstoffes wegen der Haltbarkeit und der nur saisonal nutzbaren Impfstoffe vernichten. Daneben könne mit der ER-Entscheidung auch eine Verlängerung bzw. Vertiefung der Rechtsverletzung begrenzt werden: denn die Antragstellerin habe glaubhaft gemacht, dass noch nicht alle Bestellungen für die streitgegenständlichen Regionen erfolgt seien und trotz Vorbestellungen ein weiterer Bezug noch möglich sei. Dazu gehe auch die Antragsgegnerin davon aus, dass die ersten Auslieferungen des Impfstoffes frühestens Mitte / Ende August in größeren Mengen zu erwarten seien. Dem hingegen würde ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht mehr zu beseitigende Nachteile nach sich ziehen, weil die Vertragslaufzeit von 2 Jahren bei voraussichtlichem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens schon abgelaufen wäre und nicht mehr korrigiert werden könnte.
Die nach dem Obenstehenden überwiegende Erfolgsaussicht für die Antragstellerin rechtfertige schließlich auch eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache.
Der Streitwert berücksichtige, dass die Antragstellerin ein wirtschaftliches Interesse aus dem Vertrag in Höhe von bis zu 1.856.400 € geltend mache und dieser Wert im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren sei.
Mit ihrer hiergegen am 3.7.2017 eingelegten Beschwerde wiederholt und vertieft die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin ihren Vortrag. (…) Sie beantragt den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 23.6.2017 aufzuheben und die Anträge der Antragstellerin auf Einstweiligen Rechtsschutz insgesamt abzulehnen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. § 172 ff. SGG statthaft und zulässig. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Nach der im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung hat die Antragstellerin Verpflichtungs- und Unterlassungsansprüche gegen die Antragsgegnerin in dem vom SG tenorierten Umfang, weil sie einen entsprechenden Anordnungsanspruch und einen entsprechenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Der Beschluss des SG ist deshalb zu bestätigen und die Beschwerde zurückzuweisen.
Dabei hat das SG die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, die Aktenlage und insbesondere die Gesetzesentstehungsgeschichte zur Abschaffung des § 132 e Abs. 2 SGB V überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zum richtigen Ergebnis gelangt, dass bei summarischer Prüfung die zwischen den Beteiligten geschlossenen Rahmenvereinbarungen weitergelten und umgesetzt werden müssen, namentlich deshalb, weil der Gesetzgeber keine Aufhebung/Unwirksamwerdung bereits geschlossener/sich in der Umsetzung befindlicher Verträge gewollt bzw. angeordnet hat. Wegen der Einzelheiten der überzeugenden Begründung des SG, der sich der erkennende Senat vollumfänglich anschließt, wird zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Die Einwendung einer nicht ausreichenden Würdigung eines Schriftsatzes mit 37 Seiten Umfang an einer zu geringen Zeitspanne der Bearbeitungsdauer von ca. 20 Stunden (ggf. abzüglich Schlafenszeit) festzumachen, entbehrt jeder Grundlage und muss hier nicht weiter vertieft werden. Ggf. liegen unzutreffende Vorstellungen richterlicher Belastungen und Arbeitszeiten zugrunde.
In der Sache schätzt der erkennende Senat die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem etwaigen Hauptsacheverfahren deutlich höher ein als die Misserfolgsaussichten und begründet dies in Ergänzung zum SG vor allem mit dem verfassungsrechtlichen Rechtsinstitut der Rückwirkung von Gesetzen. Ist damit ein Anordnungsanspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben, sind an den Anordnungsgrund geringere Anforderungen zu stellen (siehe nur die zahlreichen Nachweise zur Rsprg. bei: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 86b, Rn. 29), weshalb die Einwendungen der Antragsgegnerin zum fehlenden Anordnungsgrund nicht durchschlagen.
Auch die Einwendungen der Antragsgegnerin zum fehlenden Anordnungsanspruch dringen nicht durch. Läge man die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin zugrunde, wonach die laufenden Verträge durch die Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V beendet wären, läge unzweifelhaft ein rückwirkender gesetzgeberischer Eingriff in bereits abgeschlossene und laufende Verträge vor. Dies und die damit erforderlichen gesetzgeberischen Rechtfertigungen der Rückwirkung sind nach allen erkennbaren Gesichtspunkten durch den Gesetzgeber des AMVSG gerade nicht gewollt gewesen. Denn es finden sich – anders als zB bei anderen gesetzlichen Regelungen derselben Regelungsmaterie des Arzneimittelrechts – keine Hinweise auf eine gewollte Rückwirkung und auch keine Begründungen des Gesetzgebers für eine Rechtfertigung einer rückwirkende Änderung bestehender Verträge:
Dabei kann ausdrücklich dahinstehen, ob es sich um einen Fall der sog. echten oder der sog. unechten Rückwirkung handeln würde. Für eine echte Rückwirkung könnte sprechen, dass der Vertragsschluss der Beteiligten am 7.11.2016 auf Seiten der Antragstellerin bereits konkrete Vertragsumsetzungen im Sinne wirtschaftlicher Dispositionen (Liefervertragsschlüsse, Produktionsumstellung etc.) ausgelöst haben kann, die durch die Gesetzesänderung am 13.5.2017 ökonomisch sinnentleert würden. Sollte dies am 13.5.2017 (noch) nicht der Fall gewesen sein, läge jedenfalls eine sog. unechte Rückwirkung vor.
Die verfassungsrechtlichen Institute der sog. echten und unechten Rückwirkung haben unterschiedliche Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines rückwirkenden Eingriffs per Gesetz. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 30, 392, 402 f, stRspr.), jedoch können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen. Eine echte Rückwirkung ist dagegen verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Sie liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl BVerfGE 11, 139, 145 f, stRspr.). Auch in diesem Fall tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, aber zurück, wenn sich ausnahmsweise kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte. Der Schutz des Vertrauens in den Bestand des alten Rechts endet in jedem Fall mit dem Beschluss des neuen Rechts (vgl BVerfGE 13, 206, 213 f, stRspr.).
Der erkennende Senat hat keine Zweifel, dass dem Gesetzgeber des AMVSG (also der Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V) das Institut der Rückwirkung in beiden Alternativen bekannt gewesen ist. Zum einen ist der Bereich der Gesetzesregelung arzneimittelrechtlicher Vorschriften aufgrund der dort zulässigen und tatsächlich vorliegenden Verträge der gesetzlichen Krankenkassen mit den (pharmazeutischen) Leistungserbringern bei Gesetzesänderungen regelhaft der Möglichkeit eines rückwirkenden Eingriffs in bereits geschlossene Verträge ausgesetzt, was vom Gesetzgeber in dem gesetzgeberischen Verfahrensablauf und den Gesetzesmaterialien auch regelmäßig bewusst entschieden wird. Als Beispiel mag etwa die Änderung der Höhe des sog. Apothekenrabattes durch das Gesetz zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (AABG) von 5% auf 6% mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.2.2002, geltend aber bereits ab 1.1.2002, gelten, anlässlich derer eine die Rückwirkungsproblematik erfassende Gesetzgebungshistorie gegeben ist und das Bundessozialgericht eine entsprechende ausführliche Würdigung der Gesetzesbegründungen, etwa: Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss), vorgenommen hat (BSG, Urteil vom 01. September 2005 – B 3 KR 34/04 R –, SozR 4-2500 § 130 Nr 1, Rn. 23–25).
Zum zweiten und vor allem aber lässt der vorliegend geänderte § 132 e SGB V ohne weiteres auf das Bewusstsein des Gesetzgebers über die Rückwirkungsproblematik schließen. Denn zu § 132 e Abs. 1 SGB V ist nicht nur in der Gesetzesbegründung – so zu § 132 e Abs. 2 SGB V, siehe die Wiedergabe durch das SG –, sondern sogar ausdrücklich im Gesetzestext die Rückwirkungsproblematik aufgegriffen und im Sinne der Vermeidung jedweder Rückwirkung gelöst. Es heißt in Satz 6:
„6Endet ein Vertrag, der die Versorgung mit Schutzimpfungen durch die in Satz 2 genannten Personen regelt, so gelten seine Bestimmungen bis zum Abschluss eines neuen Vertrages oder bis zur Entscheidung der Schiedsperson vorläufig weiter.“
Hat damit der Senat bei summarischer Prüfung keinen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber des AMVSG bei der Streichung des § 132 e Abs. 2 SGB V um die Problematik des grundsätzlichen Rückwirkungsverbotes wusste, so bestehen auch keine Zweifel daran, dass er diese Rückwirkungsproblematik vermeiden wollte:
Denn es ist an keiner Stelle der Gesetzgebungsgeschichte der Streichung der Norm die Benennung von Rechtsgütern oder zumindest von Sachverhaltsumständen erkennbar, die eine Rechtfertigung einer echten oder unechten Rückwirkung durch die Abschaffung des § 132 e Abs. 2 SGB V darstellen könnten oder vom Gesetzgeber zumindest als solche verstanden und benannt worden wären. Die Gesetzesanamnese ist insoweit vollständig leer. Dass damit im Übrigen (bei hypothetischer Annahme derselben) eine unzulässige Rückwirkung gegeben gewesen wäre, sei nur ergänzend erwähnt.
Diese Erkenntnisse zur nicht gewollten Rückwirkung aus verfassungsrechtlichen Erwägungen bestärken die bereits vom SG getroffene Feststellung, dass aus dem einzig einschlägigen Text der Gesetzesmaterialien –
„Mit dem Inkrafttreten der Regelung entfällt die Grundlage für die exklusive Versorgung mit Impfstoffen. Bestehende Rabattverträge können nicht verlängert werden.“ (BT-Ds 18/11449 vom 08.03.2017, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696 Nr.1.5 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG))
– allein eine Änderung betreffend künftiger Verträge („keine Verlängerung“), nicht aber ein Eingriff in bereits bestehende Verträge zu entnehmen ist.
Die gegenteilige Interpretation des BMG in den beiden Rundschreiben aus 2017 wird vom erkennenden Senat ebenso wenig geteilt wie vom SG. Welche Intentionen des exekutivischen Organs durch beide Stellungnahmen verfolgt werden, ist rechtlich unerheblich, da sie nicht in das legislative Verfahren eingeflossen sind.
Dem oben gezeigten Verständnis einer Gesetzesänderung ohne echte/unechte Rückwirkung trägt der Beschluss des SG uneingeschränkt Rechnung. Er ist daher zu bestätigen.
Dass das SG dabei keine Regelung zu den von der Antragsgegnerin behaupteten, inzwischen neu abgeschlossenen Verträgen von N. und O. über Festbeträge getroffen hat, ist rechtlich unerheblich. Aus solchen Vertragsschlüssen, sollten sie tatsächlich erfolgt sein, können Schadensersatzansprüche der Antragstellerin resultieren, die nicht im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz (ein Gericht des Einstweiligen Rechtsschutzes muss Ermittlungen grundsätzlich nicht führen) und ggf. nicht vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu prüfen sind.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist daher zurückzuweisen.
Die Antragstellerin hat betreffend die vom SG abgelehnten weiteren Anträge keine Anschlussbeschwerde eingelegt. Hierüber ist deshalb nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung resultiert aus §§ 63 Abs.1, 52 Abs.1 GKG und berücksichtigt ebenfalls ein Halb des Streitwerts in einem etwaigen Hauptsache-Verfahren.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.