Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: 13 A 2289/16
ApBetrO § 24; ApoG § 11a
Das Aufstellen einer Sammelbox für Rezepte im Eingangsbereich eines Supermarktes durch eine wenige Kilometer entfernte Apotheke ist unzulässig. Eine Erlaubnis für Rezeptsammlung nach § 24 ApBetrO liegt weder vor, noch kann sie erteilt werden, da die Rezeptsammlung in einem Gewerbebetrieb unterhalten wird.
Die Rezeptsammlung ist auch nicht auf der Grundlage einer bestehenden Versandhandelserlaubnis nach § 11a ApoG zulässig. Zwar kommt § 24 ApBetrO im Versandhandel nicht zur Anwendung. Die Rezeptsammlung in einem räumlich nahegelegenen Supermarkt ist jedoch nicht dem Versandhandel zuzuordnen.
2 Die Klägerin ist Apothekerin und betreibt in I. drei Apotheken, u.a. die „Q. -Apotheke“ unter der Adresse C.——straße , I. . Zudem verfügt sie seit dem 18. Dezember 2006 über eine Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln gemäß § 11a des Apothekengesetzes – ApoG -, § 43 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes – AMG -.
3 Seit Dezember 2014 betreibt die Klägerin im F. -N. W. , H.———straße , I. -I1. , eine Vorrichtung zum Sammeln von Verschreibungen. Der Aufsteller befindet sich im Eingangsbereich des Supermarktes. Die Bestellung erfolgt dergestalt, dass die Kunden ihre Rezepte zusammen mit einem ausgefüllten Bestellschein in einen dafür vorgesehenen Umschlag stecken und in den angebrachten Briefkasten werfen. Im oberen Teil des Bestellscheins gibt der Kunde seine Kontaktdaten sowie die Anzahl der beigefügten Original-Rezepte an. Im unteren Teil des Bestellscheins befindet sich eine Tabelle mit der Überschrift „Rezeptfreie Medikamente“. Auf den Bestellscheinen war bis Mai 2015 der Hinweis abgedruckt: „Bis 14:00 Uhr einwerfen und noch am selben Abend nach Hause geliefert bekommen!“ Auf Wunsch des Kunden konnten die Medikamente zudem am Folgewerktag in der „Q. -Apotheke“ abgeholt werden. Der Briefkasten wurde montags bis freitags einmal täglich von der Klägerin oder einem ihrer Mitarbeiter geleert. Im Anschluss an die Bestellung erfolgte eine Auslieferung der Medikamente mittels des Botendienstes der Klägerin.
4 Mit Schreiben vom 3. Februar 2015 wies die Beklagte die Klägerin erstmals darauf hin, dass es sich bei der von ihr betriebenen Einrichtung um eine unzulässige Rezeptsammelstelle im Sinne von § 24 Abs. 1 der Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO – handeln dürfte und nicht um eine im Rahmen des Versandhandels erlaubte sog. „Pick-up-Stelle“.
5 Auf den Antrag einer mit der Klägerin konkurrierenden I. Apothekerin verurteilte das Oberlandesgericht Hamm die Klägerin durch Urteil vom 12. Mai 2015 ‑ 4 U 53/15 – dazu, es zu unterlassen, in dem F. -N. eine Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die sodann entweder vom Kunden in der Apotheke der Klägerin abgeholt oder an den Kunden durch einen Boten ausgeliefert werden sollen, zu unterhalten. Zur Begründung führte es aus, dahinstehen könne, ob die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – vertretene Auffassung, die Regelungen in § 24 ApoBetrO seien für die Entgegennahme von Arzneimittelbe-stellungen im Versandhandel nicht einschlägig, nach der zwischenzeitlichen Änderung der ApoBetrO durch die Vierte Verordnung zur Änderung der ApoBetrO vom 5. Juni 2012 noch Geltung beanspruchen könne. § 24 ApoBetrO in seiner derzeit geltenden Fassung sei jedenfalls insoweit anwendbar, als durch eine Rezeptsammelstelle die Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel ermöglicht werde, die sodann vom Kunden in der (Präsenz-) Apotheke abgeholt oder – als Alternative zu dieser Abholung – an den Kunden durch Boten der Apotheke ausgeliefert werden sollten.
6 Daraufhin änderte die Klägerin ihr Vertriebskonzept. Seit Juni 2015 können die Kunden zwischen der Lieferung der bestellten Medikamente durch den Botendienst der Klägerin und dem Versand durch einen externen Dienstleister wählen. Die Option „Liefern durch Botendienst“ ist nur innerhalb des Stadtgebiets von I. von montags bis freitags mit Ausnahme der Feiertage möglich. Bei der Wahl dieser Variante fallen keine Versandkosten an. Die Option „Versand durch externen Dienstleister“ gilt ausschließlich für Bestellungen außerhalb des Stadtgebiets von I. . Bis zu einem Paketgewicht von einem Kilogramm fallen dabei Versandgebühren in Höhe von 4,95 Euro, bei Paketen von mehr als einem Kilogramm in Höhe von 20,- Euro an.
7 Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juli 2015 zum Erlass eines Bußgeldbescheides an. Mit Ordnungsverfügung vom 30. Oktober 2015 untersagte sie der Klägerin in dem F. -N. W. ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde eine Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen, die sodann per Bote oder externen Dienstleister an den Kunden geliefert würden, zu unterhalten (Ziffer 1). Unter Ziffer 2 gab die Beklagte der Klägerin auf, nach Zustellung des Bescheids unverzüglich die unter Ziffer 1 dieser Verfügung genannte Einrichtung zu entfernen. Für den Fall, dass die Klägerin der unter Ziffer 1 beschriebenen Verpflichtung nicht nachkommen werde, drohte die Beklagte unter Ziffer 3 für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an und für den Fall einer nicht fristgemäßen Befolgung der Anordnung in Ziffer 2 unter Ziffer 4 die Anwendung der Ersatzvornahme dergestalt, dass die Einrichtung durch sie oder einen von ihr Beauftragten auf Kosten der Klägerin entfernt werde.
8 Zur Begründung der Untersagung in Ziffer 1 sowie der Entfernungsanordnung in Ziffer 2 führte die Beklagte aus, die Klägerin betreibe eine unzulässige Rezeptsammelstelle im Sinne des § 24 ApBetrO. Die Sammelbox stelle keine im Versandhandel erlaubte sog. „Pick-up-Stelle“ dar, da die Kunden des F. -N. ihre Medikamente dort nicht abholen könnten. Die angeordneten Maßnahmen seien geeignet und erforderlich, um einen rechtmäßigen Zustand herzustellen. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Das Interesse der Klägerin am fortgesetzten Betrieb der Rezeptsammelstelle genieße keinen Schutz.
9 Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 23. November 2015 Klage erhoben.
10 In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Beklagte Ziffern 3 und 4 der Ordnungsverfügung vom 30. Oktober 2015 aufgehoben. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Hinsichtlich der Ziffern 3 und 4 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren daraufhin eingestellt.
11 Zur Begründung ihrer Klage im Übrigen hat die Klägerin vorgetragen, sie sei vor Erlass der Ordnungsverfügung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Das Anhörungsschreiben vom 10. Juli 2015 habe sich lediglich auf den beabsichtigten Erlass eines Bußgeldbescheids, nicht aber auf ordnungsbehördliche Maßnahmen bezogen. Im Übrigen betreibe sie keine Rezeptsammelstelle, sondern eine Form des Versandhandels auf der Grundlage der ihr erteilten Versandhandelserlaubnis. Der Begriff des Versandhandels sei weit auszulegen und umfasse neben der Annahme von Bestellungen mittels Fernkommunikationsmitteln auch die Annahme der Rezepte in sog. „Pick-up-Stellen“. Der Begriff einer „Pick-up-Stelle“ bedeute nicht, dass die Medikamente an dieser Stelle auch abgeholt werden müssten. Vielmehr sei es zulässig, sich die an der „Pick-up-Stelle“ bestellten Medikamente nach Hause liefern zu lassen. § 11a ApoG verpflichte nicht zur Nutzung eines externen Dienstleisters. Die Norm lege nur Kriterien für externe Dienstleister fest, falls solche genutzt würden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 17 Abs. 2 ApBetrO. Die Belieferung durch Boten schließe das Vorliegen eines Versandhandels nicht aus. Im Übrigen beschränke sie sich im Rahmen ihrer Versandhandelstätigkeit nicht auf die Entgegennahme von Bestellungen über die stationäre Einrichtung. Sie betreibe auch im Internet eine Bestellmöglichkeit für Medikamente.
12 Die Klägerin hat beantragt,
13 die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 30. Oktober 2015 in der Fassung der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aufzuheben.
14 Die Beklagte hat beantragt,
15 die Klage abzuweisen.
16 Sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin sei vor Erlass der Ordnungsverfügung durch Übersendung des Anhörungsbogens am 10. Juli 2015 ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Im Übrigen sei eine etwaig fehlende Anhörung durch Nachholung heilbar.
17 Die von der Klägerin betriebene Einrichtung sei nicht dem Versandhandel zuzuordnen. Es finde sich weder auf dem Aufsteller noch auf den Werbeflyern ein Hinweis, dass die Klägerin eine Versandapotheke betreibe. Zudem sei die Versandvariante durch einen externen Dienstleister offensichtlich nicht erwünscht, da die Versandkosten für Pakete mit einem Gewicht von mehr als einem Kilogramm mit 20,- Euro exorbitant hoch seien. Für I. Bürger stünde nach dem Bestellschein ohnehin nur die Variante des Botenversands zur Verfügung. Die Klägerin wolle auch keinen über den Kundenkreis des F. -T.—-marktes hinausgehenden Kundenkreis ansprechen. Dies zeige sich insbesondere in der u.a. im F. -N. W. bestehenden Einlösemöglichkeit für ihre sog. Q. -Taler. Im Übrigen sei die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor der Neufassung des § 24 ApBetrO im Jahr 2012 ergangen. Der Gesetz-geber habe in Kenntnis dieser Rechtsprechung keine Beschränkung des Anwen-dungsbereichs der Norm vorgenommen. Dies zeige, dass eine Privilegierung des Versandhandels vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei.
18 Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. September 2016 abgewiesen. Der angefochtene, auf § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG gestützte Bescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Die Einrichtung der Klägerin zum Einsammeln von Verschreibungen verstoße gegen die apothekenrechtliche Bestimmung des § 24 ApBetrO. Bei der von der Klägerin betriebenen Einrichtung handele es sich um eine Rezeptsammelstelle im Sinne dieser Vorschrift, weil sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer Zwecksetzung darauf ausgerichtet sei, Medikamentenverschreibungen von Patienten zu sammeln. Die Klägerin verfüge nicht über eine für den Betrieb der Rezeptsammelstelle erforderliche Erlaubnis. Die für die Erlaubniserteilung erforderlichen Voraussetzungen erfülle sie auch nicht. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass ihr das Sammeln der Verschreibungen wegen der ihr erteilten Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln erlaubt sei. Zwar sei nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – § 24 ApBetrO für die Entgegennahme von Arzneimittelbestellungen im Versandhandel nicht einschlägig. Dahinstehen könne, ob die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nach der zwischenzeitlichen Änderung der Apothekenbetriebsordnung durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung vom 5. Juni 2012 (BGBl. I 2012, 1254) noch Geltung beanspruchten, was zweifelhaft sei, weil der Gesetz- und Verordnungsgeber die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zum Anlass genommen habe, § 24 ApBetrO oder § 11a ApoG zu ändern. Jedenfalls setze eine etwaige Ausnahme von der Anwendung des § 24 ApBetrO für Rezeptsammelstellen im Versandhandel voraus, dass die fragliche Sammelstelle einem tatsächlich praktizierten Vertriebsweg des Versandhandels zuzuordnen sei. Dies sei nicht der Fall. Die Ausgestaltung des Vertriebskonzepts zeige, dass es der Klägerin in erster Linie darum gehe, den räumlich-gegenständlichen Bereich ihrer Präsenzapotheke auf den örtlich eingegrenzten Bereich von I. -I1. zu erweitern. Dies zeige sich insbesondere daran, dass sich ihr Angebot nicht, wie für eine Versandapotheke typisch, an einen unbestimmten Personenkreis, sondern an die Kunden des F. -N. bzw. die Bewohner der Stadt I. , insbesondere des Ortsteils I1. richte. Nur diesen würden die Arzneimittel kostenlos per Boten zugestellt. Diese Zustelloption sei innerhalb des Stadtgebiets auch die einzige. Der Versand durch einen externen Dienstleister stelle sich für andere Besteller auch nicht als wirkliche Alternative dar, da sie aufgrund des Versands durch einen externen Dienstleister mit einer Lieferzeit von zwei bis drei Tagen und hohen Versandkosten rechnen müssten. Die räumliche Bindung an den Kundenkreis des T.—-marktes , der im Wesentlichen aus den Bewohnern des Stadtteils I. -I1. bestehe, zeige sich darüber hinaus u.a. auch in der Möglichkeit, sog. „Q. -Taler“, die als Bonus für die Bestellung von Waren in der Apotheke der Klägerin ausgegeben würden, im F. -N. einzulösen.
19 Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 22. Januar 2018 die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Klägerin hat die Berufung fristgerecht begründet.
20 Zu deren Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie im Wesentlichen vor:
21 Hinsichtlich des Verhältnisses von § 24 ApBetrO zu § 11a ApoG beanspruche das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – weiterhin Geltung. Hieran habe sich durch die zwischenzeitlich erfolgten Änderungen der Apothekenbetriebsordnung nichts geändert. Dies ergebe sich aus den Materialien zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) vom 22. Dezember 2010, in welchem in § 11a ApBetrO für den Versandhandel ein Pick-up-Verbot und ein Rezeptsammelverbot außerhalb von Apotheken vorgesehen gewesen sei. Diese Regelungen seien wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bis heute nicht in das Gesetz aufgenommen worden. Soweit § 24 Abs. 4 ApBetrO im Jahr 2012 durch den Zusatz „im Wege der Botenzustellung nach § 17 Abs. 2" ergänzt worden sei, habe dies allein der Klarstellung gedient, wie eine zuverlässige Auslieferung zu erfolgen habe.
22 Es sei eindeutiger Wille des Gesetzgebers, dass bei Vorliegen einer Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln § 24 ApBetrO hinter § 11a ApoG zurücktrete. Der Gesetzgeber sei sich bewusst gewesen, dass die Versandhandelserlaubnis nicht nur die klassische Form des Direktversandes umfasse, sondern auch das Betreiben von Pick-up-Stellen und das Sammeln von Rezepten außerhalb der Betriebsräume der Apotheke.
23 Ausgehend hiervon habe das Verwaltungsgericht rechtsfehlerhaft eine Subsumtion des Sachverhalts unter dem Begriff der „Rezeptsammelstelle" im Sinne von § 24 ApBetrO vorgenommen. Die Begründung, die Sammelbox sei nicht von dem Versorgungssystem der Präsenzapotheke abzugrenzen, sei unzutreffend. Ein abgegrenztes Versorgungssystem sei in Deutschland weder gesetzlich möglich noch werde ein solches praktiziert. Anders als im Ausland sei in Deutschland Voraussetzung für eine Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln nach § 11a ApoG, dass eine Präsenzapotheke betrieben werde. § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG sehe nämlich vor, dass der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür geltenden Vorschriften erfolge. Damit sei bereits aufgrund der gesetzlichen Basis eine Verknüpfung von Präsenz- und Versandapotheke vorgegeben. Es entspreche der gesetzeskonformen Praxis deutscher Versandapotheken, keine Differenzierung oder gar vollständige Unabhängigkeit von Präsenz- und Versandapotheke zu haben. Vielmehr werde das Personal der Präsenzapotheke für die Abwicklung der Bestellungen in der Versandapotheke eingesetzt, um die Anforderungen, die § 11a ApoG bestimme, zu erfüllen. Das hier in Rede stehende Konzept richte sich zudem an einen Adressatenkreis, der dem des klassischen Versandhandels entspreche.
24 Soweit das Verwaltungsgericht meine, es sei für einen Versandhandel untypisch, dass der Apotheker selbst bzw. seine Mitarbeiter die Bestellungen an der Pick-up-Stelle abholten, sei dies nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Gegenstand des Versandhandels Arzneimittelbestellungen einschließlich ärztlicher Verschreibungen seien, die sensible Daten der Kunden enthielten. Woher das Gericht – ohne hierzu weitere Angaben zu machen – seine Erkenntnis habe, der Einsatz eigenen Personals sei für den Versandhandel untypisch, bleibe offen. § 11a ApoG und § 17 ApBetrO machten keine Vorgaben, wer die Verschreibungen abhole und wer die Arzneimittel ausliefere. Ob Freiumschläge in den Briefkasten gelegt oder aber Einrichtungen zum Sammeln von Bestellungen aufgestellt würden, sei für die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit irrelevant. Dies sei im Übrigen auch in der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Oktober 2016 – C-148/15 – klargestellt worden. Der Gerichtshof habe für die Beantwortung der Frage, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV darstelle, klargestellt, dass die Auswirkungen der Regelungen für ausländische Versandapotheken nicht mit den Auswirkungen auf den Versandhandel in Deutschland verglichen werden müssten, sondern die Situation der Präsenzapotheken Vergleichsmaßstab sei. Offensichtlich sehe auch der Europäische Gerichtshof keinen Anlass, hier zu trennen.
25 Die Tatsache, dass sich die Sammeleinrichtung in dem Gebäude des F. -N. befinde, führe nicht dazu, dass das Angebot sich nur an einen bestimmten Personenkreis richte, was dem Konzept eines Versandhandels zuwiderlaufe. Der Aufsteller könne von jedem in dem öffentlich zugänglichen F. -N. genutzt werden. Würde die Klägerin ein klassisches Versandhandelskonzept in dem Sinne betreiben, dass sie einen Ladenbetrieb eröffne, in dem die Bestellungen aufgegeben werden könnten, kämen wesentlich weniger Personen mit ihrem Angebot in Berührung, nämlich nur diejenigen, die ganz bewusst das Ladenlokal aufsuchten. Der klassische Versandhandel stamme außerdem aus der Zeit, in dem es noch kein Internet gegeben habe, sondern die sogenannten Versandhändler in den Innenstädten kleine Shops betrieben hätten. Die Rechtmäßigkeit ihres Vertriebskonzepts, das ohne Weiteres ausgeweitet werden könne, könne auch nicht von der Anzahl der Sammeleinrichtungen abhängen. Vor allen Dingen könne ihr nicht entgegengehalten werden, dass sie aus Gründen der Sorgfalt zunächst von der weiteren Aufstellung weiterer Sammeleinrichtungen absehe.
26 Die Kosten für den Versand stelle die Klägerin lediglich aus wirtschaftlichen Erwägungen in Rechnung, dies könne ihr unter Beachtung ihrer Rechte aus Art. 12 GG nicht zum Nachteil gereichen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass auch die Möglichkeit bestehe, rezeptfreie Arzneimittel zu bestellen. Auch dies spreche gegen das Vorliegen einer Rezeptsammelstelle im Sinne von § 24 ApBetrO. Die Möglichkeit der Einlösung der von ihr in ihrer Präsenzapotheke ausgegebenen Pinguin-Taler in dem F. -N. stehe einem Versandhandelskonzept nicht entgegen. Es sei sogar denkbar, dass sie ihr Kundenbindungssystem auf den Versandhandel ausweite.
27 Das Verwaltungsgericht habe auch die tatsächlichen Rahmenbedingungen auf dem Apothekenmarkt weitestgehend ausgeblendet. So sei es ausländischen Versandapotheken nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs möglich, im Rahmen des Versandhandels weitreichende Boni zu gewähren, da insoweit das Arzneimittelpreisrecht nicht gelte. Zumindest aus formaler Sicht habe das Arzneimittelpreisrecht nach wie vor Geltung für deutsche Apotheken, unabhängig davon, ob sie Versandhandel betrieben oder nicht. Für deutsche Versandapotheken bestehe aufgrund der Nähe zu ihren Kunden die Möglichkeit, zumindest in bestimmten Bereichen eine „same day delivery“ anzubieten.
28 Die Klägerin beantragt,
29 das angefochtene Urteil zu ändern und Ziffern 1 und 2 der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 30. Oktober 2015 aufzuheben.
30 Die Beklagte beantragt,
31 die Berufung zurückzuweisen.
32 Sie beruft sich auf ihre bisherigen Ausführungen. Die Klägerin betreibe keinen Versandhandel. Dieser zeichne sich dadurch aus, dass sich dessen Angebot an einen unbestimmten, nicht eingeschränkten Personenkreis richte, der Bestellmöglichkeiten per E-Mail, Telefon oder Telefax nutzen könne. Das persönliche Einsammeln von Verschreibungen durch einen Apotheker, wie hier durch die Klägerin, sei versandhandelsuntypisch. Außerdem spreche die Klägerin nur die Kunden oder die Beschäftigten des F. -N. an. Absicht der Klägerin sei es allein, sich gezielt Rezepte zuführen zu lassen und das Einlösen dieser Rezepte bei anderen Apothekern zu verhindern.
33 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
34 Entscheidungsgründe:
35 Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
36 Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Anfechtungsklage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Ziffern 1 und 2 des Bescheides der Beklagten vom 30. Oktober 2015 sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
37 Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist wegen der Dauerwirkung der Untersagungsverfügung (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides sowie Ziffer 2 als Annex) abzustellen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
38 Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2013 – 3 C 15.12 -, juris, Rn. 8, sowie Beschluss vom 1. September 2017 – 3 B 50.16 -, juris, Rn. 8.
39 Zu Grunde zu legen sind deshalb das Apothekengesetz – ApoG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I 1993), zuletzt geändert durch Art. 41 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I 626), die Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO – i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I 1195), zuletzt geändert durch Art. 11 Abs. 7 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl I 2745), sowie das Arzneimittelgesetz – AMG -, neugefasst durch Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I 3394), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I 2757).
40 Die Voraussetzungen für den Erlass des auf § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG gestützten Bescheides, mit welchem der Klägerin untersagt wurde, die in dem F. -N. W. aufgestellte Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen, die sodann per Bote oder externen Dienstleister an den Kunden geliefert werden, zu unterhalten, sowie ihr aufgegeben wurde, diese zu entfernen, liegen vor.
41 Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG trifft die Beklagte als gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen und nach dem Medizinproduktegesetz vom 11. Dezember 1990 (GV. NRW. 1990, S. 80) in der zuletzt geänderten Fassung des Artikel 1 der Verordnung vom 1. März 2016 (GV. NRW. S. 148) – MPGZustV NRW – zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Zu den Verstößen, die hiernach die zuständigen Behörden zum Eingreifen ermächtigen, gehört neben der Missachtung arzneimittelrechtlicher Vorschriften auch die Verletzung apothekenrechtlicher Bestimmungen.
42 Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Oktober 2012 – 3 C 25.11 -, BVerwGE 144, 355 = juris, Rn. 8 m.w.N., und vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 -, juris, Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 7. November 2006 ‑ 13 A 1314/06 -, juris, Rn. 33 ff., sowie Be-schluss vom 2. Mai 2016 – 13 B 284/16 -, juris, Rn. 8.
43 A. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2015 ist formell rechtmäßig. Es fehlt insbesondere nicht an der gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderlichen Anhörung der Klägerin. Nach dieser Regelung ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine ordnungsgemäße Anhörung erfordert grundsätzlich, dass der beabsichtigte Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret umschrieben wird, dass der Adressat erkennen kann, weshalb und wozu er sich äußern soll und mit welcher Entscheidung er zu rechnen hat.
44 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2017 ‑ 9 VR 2.17 -, juris, Rn. 9 m.w.N.
45 Sinn und Zweck der Anhörung bestehen darin, den Adressaten eines ihn belastenden Verwaltungsaktes nicht zu überraschen sowie ihm Gelegenheit zu geben, vor Erlass des Verwaltungsaktes zu reagieren.
46 Vgl. Kallerhoff/Mayen, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 3 ff. m.w.N.
47 Diesen Anforderungen hat die Beklagte hinreichend Rechnung getragen. Zwar hat sie die Klägerin ausdrücklich nur zum Erlass eines Bußgeldbescheides angehört. Der Klägerin musste sich aber schon aufgrund des umfangreichen Schriftwechsels und der mit ihrem Prozessbevollmächtigen geführten telefonischen Erörterungen, in welchem die Beklagte auf die Unzulässigkeit der hier streitgegenständlichen Rezeptsammelbox hingewiesen hatte, aufdrängen, dass von Seiten der Beklagten auch ordnungsrechtliche Schritte im Raum standen, um die in Rede stehende Verfahrensweise zu unterbinden. Dass das von der Klägerin betriebene Vertriebskonzept nach Auffassung der Beklagten rechtswidrig war, war ihr seit langem bekannt. So hatte diese der Klägerin unter Bezugnahme auf eine E-Mail deren Ehemannes vom 14. Dezember 2014 sowie ein Schreiben der Apothekerkammer Westfalen-Lippe vom 19. Januar 2015 bereits mit Schreiben vom 3. Februar 2015 mitgeteilt, dass sich ihr der Sachverhalt so darstelle, dass es sich um eine nicht genehmigungsfähige Rezeptsammelstelle und nicht um eine dem Versandhandel zuzuordnende „Pick-Up-Stelle“ handele. Damit, dass sich an dieser Einschätzung nichts geändert hat, nachdem sie infolge des Urteils des Oberlandesgerichts Hamm ihr Konzept geändert hatte, musste sie ebenfalls rechnen, denn das neue Konzept war nach eigenen Angaben in ihrem Schriftsatz vom 23. November 2015 Gegenstand eines am 14. Juli 2015 geführten Telefongesprächs ihres Prozessbevollmächtigten mit der zuständigen Mitarbeiterin der Beklagten. In diesem Telefongespräch hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Auffassung von der Zulässigkeit der Rezeptsammelstelle nochmals ausdrücklich zum Ausdruck gebracht und die Mitarbeiterin der Beklagten aufgefordert, ihre Auffassung zu revidieren. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 6. November 2015 gegenüber der Beklagten zu erkennen gegeben, dass die Klägerin auch im Hinblick auf ordnungsrechtliche Maßnahmen angehört worden sei.
48 B. Der angefochtene Bescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
49 I. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG liegen vor. Die beanstandete Einrichtung zum Sammeln von Rezepten steht nicht im Einklang mit apothekenrechtlichen Vorschriften. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin gegen § 24 ApoBetrO verstößt, weil sie für ihre Präsenzapotheke keine Erlaubnis für den Betrieb einer Rezeptsammelstelle besitzt und ihr eine solche auch nicht erteilt werden kann (1.). Die Rezeptsammlung ist auch nicht auf der Grundlage der der Klägerin erteilten Versandhandelserlaubnis nach § 11a ApoG zulässig. Zwar kommt § 24 ApBetrO im Versandhandel nicht zur Anwendung. Das Vertriebskonzept der Klägerin ist aber nicht dem Versandhandel zuzuordnen (2.).
50 1. § 24 Abs. 1 ApBetrO sieht für Einrichtungen zum Sammeln von Verschreibungen (Rezeptsammelstellen), vor, dass diese nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde unterhalten werden dürfen (Satz 1). Die Erlaubnis ist dem Inhaber einer Apotheke auf Antrag zu erteilen, wenn zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen Orten oder Ortsteilen ohne Apotheken eine Rezeptsammelstelle erforderlich ist (Satz 2). Die Erlaubnis, deren wiederholte Erteilung zulässig ist, ist zu befristen und darf die Dauer von drei Jahren nicht überschreiten (Satz 3). Rezeptsammelstellen dürfen nach § 24 Abs. 2 ApBetrO nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe unterhalten werden, um jeglichen Anschein einer wirtschaftlichen Verbindung der Apotheke mit anderen Angehörigen der Heilberufe zu verhindern.
51 Vgl. Krämer, in: Rixen/Krämer, Apothekengesetz mit Apothekenbetriebsordnung, 2014, § 24 ApBetrO, Rn. 20; Pfeil/Pieck/Blume, Apothekenbetriebsordnung, § 24 Rn. 26 (Stand 11. Ergänzungslieferung 2014); Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, § 24 Rn. 79 (Stand: September 2012).
52 a) Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 ApBetrO liegen nicht vor. Die Klägerin verfügt nicht über eine Erlaubnis für den Betrieb einer Rezeptsammelstelle. Sie hat hierauf auch keinen Anspruch, weil sie eine Rezeptsammelstelle in einem Gewerbebetrieb, nämlich einen Lebensmittelmarkt, unterhält. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden, dass das Sammeln der Rezepte zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen Orten oder Ortsteilen ohne Apotheke erforderlich wäre.
53 Vgl. zu diesen Voraussetzungen BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1974 – I C 24.73 -, juris, Rn. 30; Cyran/Rotta, § 24 ApBetrO, Rn. 43 f.; vgl. für den konkreten Fall die Stellungnahme der für die Erlaubniserteilung zuständigen Apothekerkammer Westfalen-Lippe vom 6. Juli 2015.
54 b) § 24 ApBetrO beansprucht für die Präsenzapotheke der Klägerin weiterhin Geltung. Hieran hat sich durch die Einführung des Versandhandels nichts geändert (aa). Abweichendes folgt nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – (bb). Im Hinblick auf eine sichere Arzneimittelversorgung der Bevölkerung denkbare und von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Abgabemöglichkeiten von Arzneimitteln stellen die Fortgeltung des § 24 ApBetrO ebenfalls nicht in Frage (cc).
55 § 24 ApBetrO, der eine abschließende Regelung zur Rezeptsammlung außerhalb der Apothekenbetriebsräume darstellt, ist geltendes Recht. In Rechtsprechung,
56 vgl. BVerwG, Urteile vom 25.Juli 1978 – I C 37.76 ‑, juris, Rn. 63 ff., und vom 9. Juli 1974 – 1 C 24.73 -, juris, Rn. 22 ff.; OVG NRW, Urteil vom
57 7. November 2006 – 13 A 1314/06 -, juris, Rn. 113 ff.,
58 und Literatur,
59 vgl. etwa Pfeil/Pieck/Blume, a.a.O., § 24 Rn. 6; Cyran/Rotta, a.a.O., § 24 Rn. 2 f.,
60 ist anerkannt, dass § 24 ApBetrO sich im Rahmen der Ermächtigung des § 21 Abs. 2 Nr. 9 ApoG hält und nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt, weil der damit verbundene – geringfügige – Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Apothekers gerechtfertigt ist.
61 Die generelle Zulassung von Rezeptsammelstellen hatte nach Auffassung des Normgebers der am 1. Januar 1969 in Kraft getretenen und erstmals bundesweite Geltung beanspruchenden Apothekenbetriebsordnung 1968 (BGBl. I 939) zu einer Gefährdung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung geführt. Diesen Gefahren beabsichtigte er – nach Ablauf der in § 14 Abs. 2 Satz 2 ApBetrO 1968 bestimmten Übergangsfrist für zuvor nach Landesrecht erlaubnisfrei betriebene Rezeptsammelstellen – durch die Einführung eines generellen Erlaubnisvorbehalts nach § 11 Abs. 1 ApBetrO 1968 zu begegnen und diese nur als Notbehelf zur Versorgung abgelegener Orte oder Ortsteile ohne Apotheke zuzulassen.
62 Vgl. amtliche Begründung zu § 11 ApBetrO 1968, BR-Drs. 325/68, S. 8.
63 § 24 ApBetrO bzw. § 11 ApBetrO a.F. beruhen auf den Leitvorstellungen des Apothekengesetzes, wonach der Apotheker zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung verpflichtet ist (Leitbild des Apothekers in seiner Apotheke, § 7 Abs. 1 ApoG), und Arzneimittel an den Verbraucher grundsätzlich nur in den Betriebsräumen der Apotheke abgegeben werden sollen, weil es sich bei diesen um erklärungsbedürftige Waren handelt und die sichere und sachverständige Abgabe am ehesten in der Apotheke gewährleistet ist.
64 Vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 1964 – 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60, 1 BvR 128/61 -, juris, Rn. 37 ff.; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 3 C 30.09 -, juris, Rn. 31 f.
65 Die Errichtung einer Rezeptsammelstelle unterbindet den unmittelbaren Kontakt des Kunden zum Apotheker, der zur Gewährleistung der Sicherheit und einwandfreien Betreuung notwendig ist, und birgt die Gefahr der Verwechslung von Rezepten und Arzneimitteln ebenso wie die Gefahr einer Verletzung des Arzt- oder Apothekergeheimnisses. Ihre Errichtung und Unterhaltung ist daher nur als Notbehelf in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Sie dürfen nicht lediglich zum Zweck der bequemeren Arzneimittelversorgung erlaubt werden.
66 So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1974 – I C 24.73 -, juris, Rn. 31.
67 Die Erlaubnis ist zudem zu befristen, um die Neugründung von Präsenzapotheken in abgelegenen Gebieten nicht dauerhaft zu erschweren.
68 Vgl. amtliche Begründung zu § 11 ApBetrO 1968, BR-Drs. 325/68, S. 8.
69 Der Sache nach führt die Erlaubnis nach § 24 ApBetrO zu einer Erweiterung des räumlich-gegenständlichen Geltungsbereichs der Apothekenbetriebserlaubnis (§ 2 ApoG). Sie fügt der Apothekenbetriebserlaubnis, die rechtssystematisch zu den so genannten raumgebundenen persönlichen Genehmigungen zählt,
70 vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Mai 2016 – 3 C 8.15 ‑, juris, Rn. 36, und vom 20. Juni 1972 – 1 C 25.71 -, juris, Rn. 17,
71 einen weiteren räumlich-gegenständlichen Bereich hinzu und bildet mit diesem zusammen die vom Gesetz als einheitlich gedachte Grundlage für den Betrieb der Präsenzapotheke in der genehmigten Form.
72 Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. November 2006 ‑ 13 A 1314/06 -, juris, Rn. 117 ff.
73 aa) An dieser für Präsenzapotheken geltenden Regelung des § 24 ApBetrO hat sich durch die Einführung des Versandhandels zum 1. Januar 2004 durch das GKV-Modernisierungsgesetz (BGBl. I 2003, 2190) nichts geändert. § 24 ApBetrO wird nicht durch § 11a ApoG verdrängt.
74 Der Gesetzgeber hat mit der Zulassung des Versandhandels seine Vorstellungen vom Leitbild des Apothekers in der Apotheke gelockert und eine Form der Arzneimittelabgabe zugelassen, bei der das Arzneimittel aus einer Apotheke heraus abgegeben werden muss, der Kunde allerdings nicht mehr gehalten ist, die Apotheke zu betreten.
75 Vgl. insoweit auch die durch Gesetz zur Änderung des Apothekengesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I 3352) mit Wirkung zum 27. August 2003 eingeführte Möglichkeit der Heimversorgung nach § 12a ApoG.
76 Zugleich hat er zu erkennen gegeben, dass er den persönlichen Kontakt des Apothekers zum Kunden in den Apothekenbetriebsräumen nicht in jedem Fall für erforderlich hält, um die sachgerechte Beratung und die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten.
77 Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 3 C 30.09 -, juris, Rn. 22; Pfeil/Pieck/Blume, a.a.O. § 17 Rn. 20 (13. Ergänzungslieferung 2017).
78 Mit der Einführung gesetzlicher Vorgaben zum Versandhandel wollte der Gesetzgeber unter Wahrung eines Höchstmaßes an Verbraucherschutz und Arzneimittelsicherheit faire Bedingungen für den Wettbewerb von Versandapotheken mit öffentlichen Apotheken schaffen und einen bereits praktizierten Versandhandel in geregelter Form als Ergänzung und als zusätzliche Versorgungsform (vgl. § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG) aus einer öffentlichen Apotheke heraus zulassen.
79 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG), BT-Drs. 15/1525, S. 75, 160 ff.; Dettling, Arzneimittelversorgung und flexibles Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel, 2018, S. 141.
80 Seine Absicht war hingegen nicht, die die Versorgung prägenden Präsenzapotheken zu schwächen. Diesen misst er weiterhin gerade wegen der ihnen gesetzlich auferlegten Gemeinwohlpflichten, insbesondere bei der Versorgung in Notfällen und der ihnen obliegenden Nacht- und Wochenenddienste (vgl. § 23 ApBetrO), eine besondere Bedeutung bei der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung bei.
81 Vgl. BT-Drs. 17/3116, S. 21.
82 Der Gesetzgeber hat die Einführung des Versandhandels auch nicht zum Anlass genommen weitere Regelversorgungsformen als die enumerativ vorgegebenen ‑ die Versorgung durch die öffentliche Präsenzapotheke sowie nunmehr ergän-zend die Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Versands aus der öffentlichen Präsenzapotheke – vorzusehen. Auch eine generelle Vermischung der Abgabe-formen, etwa eine Belieferung im Wege des Versands im Rahmen einer Rezeptsammlung nach § 24 ApBetrO, hat er nicht zugelassen.
83 § 24 ApBetrO ist durch die Einführung des Versandhandels vielmehr unberührt geblieben. Die Einführung des Versandhandels mit den Möglichkeiten zur telefonischen, elektronischen und schriftlichen Bestellung insbesondere auch für Kunden in abgelegenen Orten und Ortsteilen ohne Präsenzapotheke ist vom Normgeber nicht zum Anlass genommen worden, die Berechtigung der Rezeptsammelstellen in ihrer bisherigen Form in Frage zu stellen, den Anwendungsbereich des § 24 ApBetrO neu zu definieren. Hierzu bestand in tatsächlicher Hinsicht auch kein Bedürfnis, weil Rezeptsammelstellen im Sinne des § 24 ApBetrO mit der Einführung des Versandhandels nicht entbehrlich geworden sind. Dies gilt etwa mit Blick auf zum Versand nicht geeignete Arzneimittel (vgl. etwa § 17 Abs. 2b ApBetrO), besondere Informations- und Beratungsbedarfe für die sichere Anwendung des Arzneimittels, die einen Versand ausschließen (§ 17 Abs. 2a Satz 2 ApBetrO), oder erforderliche Akutversorgungen. Ungeachtet möglicher Zweifel, ob Präsenzapotheken angesichts des zugelassenen Versandhandels Rezeptsammelstellen noch zu wirtschaftlich sinnvollen Bedingungen betreiben können, wird ihre grundsätzliche Eignung zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung abgelegener Orte oder Ortsteile hierdurch nicht in Frage gestellt.
84 Vgl. auch Cyran/Rotta, § 24 ApBetrO Rn. 30; Pfeil/Pieck/Blume, a.a.O., § 24 Rn. 7.
85 Dass der Gesetz- und Verordnungsgeber trotz Einführung des Versandhandels weiterhin an der Fortgeltung der für Präsenzapotheken geltenden Regelung des § 24 ApBetrO festgehalten hat, bestätigen zudem die nach Einführung des Versandhandels erfolgten Änderungen der Apothekenbetriebsordnung. § 24 ApBetrO in der Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung (BGBl. I 1254, in Kraft getreten am 12. Juni 2012) sieht in seinem Abs. 3 Satz 3 nunmehr vor, dass anzugeben ist, ob die Bestellung in der Apotheke abgeholt oder dem Empfänger überbracht werden soll. Nach § 24 Absatz 4 Satz 2 ApBetrO n.F. sind die Arzneimittel, sofern sie nicht abgeholt werden, dem Empfänger in zuverlässiger Weise im Wege der Botenzustellung nach § 17 Absatz 2 ApBetrO auszuliefern. Die Neuregelungen dienten neben der Gewährleistung des sicheren Betriebs der Rezeptsammelstelle nur der Klarstellung.
86 Vgl. BR-Drs. 61/12, S. 22 f., 58.
87 Inhaltliche Änderungen haben sie nicht herbeigeführt. Dass der Normgeber ‑ nur ‑ Anlass zur Klarstellung gesehen hat, bestätigt, dass er an den beiden bestehenden Abgabemöglichkeiten – nämlich der Abgabe von Arzneimitteln durch Präsenzapotheken, denen nach Maßgabe des § 24 ApBetrO eine Rezeptsammlung und im Einzelfall eine Botenbelieferung nach § 17 Abs. 2 ApBetrO erlaubt ist, und der Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Versands – festhalten wollte.
88 Vgl. auch Epping, GRUR-Prax 2015, 305.
89 Die Belieferung von Rezepten aus Rezeptsammelstellen nach § 24 ApBetrO im Wege der Botenzustellung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 1. HS ApBetrO ordnet der Normgeber der Präsenzapotheke zu.
90 Vgl. Wesser/Saalfrank, MedR 2018, 21 (23).
91 Darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen auch Versandapotheken eine Botenzustellung erlaubt wäre, ist damit indes nichts gesagt (vgl. hierzu B. 2.a)).
92 Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15. März 2012 ‑ 7 B 371/12 – juris, Rn. 29.
93 Die Zuordnung der Botenbelieferung zur Präsenzapotheke folgt bereits daraus, dass § 24 ApBetrO diese Möglichkeit als Alternative zu der nur in der Präsenz-apotheke möglichen Abholung der Bestellung durch den Kunden vorsieht. Dies ergibt sich aber auch aus der in § 24 Abs. 4 Satz 2 ApBetrO erfolgte Bezugnahme auf § 17 Abs. 2 ApBetrO, wonach die Zustellung durch Boten im Einzelfall ohne Erlaubnis nach § 11a ApoG zulässig ist. Der Verordnungsgeber unterscheidet zwischen einer „Auslieferung“ bzw. „Zustellung“ des Arzneimittels unmittelbar aus den Räumen der Apotheke durch Boten und dem in § 11a ApoG sowie § 17 Abs. 2a ApBetrO geregelten „Versand“. Die Botenzustellung, d.h. die Belieferung durch eine Person, welche der Weisungs- und Organisationshoheit des Apothekers unterliegt, erfolgt regelmäßig nur im unmittelbaren Einzugsbereich der Präsenzapotheke. Dieser ist die Botenzustellung nach § 17 Abs. 2 ApBetrO nur im Einzelfall erlaubt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass dem Kunden das Aufsuchen der Präsenzapotheke regelmäßig möglich und zumutbar ist. Eine uneingeschränkte Zulassung des Botendienstes als Regelversorgungsform, wie sie vom Bundesministerium für Gesundheit in dem Entwurf der Vierten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsverordnung ursprünglich vorsehen war,
94 vgl. BR-Drs. 61/12, S. 19,
95 hatte der Bundesrat mit der Begründung abgelehnt, die uneingeschränkte Zulassung des Botendienstes schwäche die hiervon betroffenen Präsenzapotheken, weil sie zu einer weiteren – nicht gewünschten – Regelversorgungsform führen könne.
96 Vgl. BR-Drs. 61/1/12, S. 16.
97 § 24 ApBetrO kommt deshalb weiterhin zur Anwendung, wenn die Arzneimittel in bzw. – gleichwertig im Fall der Botenzustellung – unmittelbar aus den Räumen der Präsenzapotheke abgegeben werden.
98 bb) Mit diesem Verständnis steht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – im Einklang.
99 Dieses befasst sich – ohne die vom Gesetzgeber vorgegebenen Abgabemöglichkeiten in Frage zu stellen – allein mit den verfahrensrechtlichen Modalitäten des Versandes von Arzneimitteln. Für den erlaubten Versand mit Arzneimitteln hat es die Anwendbarkeit des § 24 ApBetrO wegen der fehlenden räumlichen Bindung des Abgabevorgangs an die Apotheke verneint. Dass § 24 ApBetrO auf Präsenz-apotheken weiterhin Anwendung findet, stellt es nicht in Abrede.
100 Die vom Bundesverwaltungsgericht bejahte Unanwendbarkeit des § 24 ApBetrO auf Versandapotheken begründet mit Blick auf die für Präsenzapotheken geltenden und in § 24 ApBetrO benannten strengen Voraussetzungen für das Sammeln von Rezepten keinen Wertungswiderspruch. Die gesetzlich vorgesehenen Anforderungen an die Abgabe von Arzneimitteln sind bedingt durch die spezifischen Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit, die aus dem jeweiligen Vertriebsweg folgen. Dem stehen die Ausführungen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen, soweit es dort (Rn. 34) heißt, Sammelbesteller seien seit jeher ein typisches Element des Versandhandels. Wenn der Gesetzgeber den Versandhandel mit Arzneimitteln zulasse, so umfasse dies auch die Möglichkeit, Bestellungen einzusammeln und gebündelt an die Versandapotheke zu übersenden. Hieraus folgt nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht die Einschätzung vertritt, Rezeptsammlungen seien stets schon dann erlaubt, wenn der sammelnde Apotheker über eine Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln verfügt. Für diese Annahme ist dem Urteil schon deshalb nichts zu entnehmen, weil im entschiedenen Fall unzweifelhaft ein tatsächlich praktizierter Versandhandel in Rede stand. Aus dem Urteil folgt ebenso wenig, dass – zur Ausräumung von Wertungs-widersprüchen – § 24 ApBetrO verfassungskonform auszulegen wäre und Prä-senzapotheken ebenfalls eine vom Normgeber nicht gewollte unbeschränkte Rezeptsammlung zu erlauben wäre. Ihm ist auch nicht zu entnehmen, dass die vom Normgeber für Präsenzapotheken ebenso wenig gewollte generelle Botenzustel-lung im Versandhandel generell zulässig sein muss, solange die sichere Arznei-mittelversorgung der Bevölkerung dies noch als vertretbar erscheinen lässt.
101 So auch Epping, GRUR-Prax 2015, 305, a.A. wohl Kieser/Buckstegge, A & R 2017, S. 29.
102 Zu all diesen Fragen verhält sich das Urteil nicht.
103 cc) Für die (verfassungs-)rechtliche Beurteilung des § 24 ApBetrO unerheblich ist, ob andere als die gesetzlich vorgesehenen Abgabemöglichkeiten im Hinblick auf eine sichere und komfortable Arzneimittelversorgung der Bevölkerung vertretbar wären.
104 Vgl. etwa zur Abgabe von Arzneimitteln über ein Apothekenterminal BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 3 C 30.09 -, juris; zum Selbstbedienungsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 – 3 C 25.11 -, juris; zur Unzulässigkeit eines Arzneimittel-Abgabeautomaten vgl. auch LG Mosbach Kammer für Handelssachen, Urteil vom 15. Februar 2018 – 4 O 39/17 KfH -, PharmaR 2018, 204.
105 Die Entscheidung, auf welchem Weg der Gesetzgeber die sichere Arzneimittelversorgung gewährleisten will, ist gesundheitspolitischer Natur und gehört dem Bereich an, in dem er die Möglichkeit zu freier Gestaltung hat. Dem nationalen Gesetzgeber obliegt es zu bestimmen, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Der Gesetzgeber hätte nach der Einführung des Versandhandels mit Blick auf § 24 ApBetrO zwar denkbare andere Lösungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung wählen können. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist aber lediglich entscheidend, dass die Anschauungen des Gesetzgebers nicht offensichtlich fehlerhaft sind und sich die tatsächlich gewählte Lösung im Rahmen des Grundgesetzes hält.
106 Vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 1964 – 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60, 1 BvR 128/61 -, juris,
107 Rn. 44; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 3 C 30.09 -, juris, Rn. 29.
108 Dafür, dass der Gesetzgeber diese Grenzen nicht eingehalten hat, ist mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen und die vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigte Schwächung der Präsenzapotheken nichts ersichtlich.
109 2. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass ihr das Sammeln der Verschreibungen wegen der ihr erteilten Versandhandelserlaubnis (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG, § 11a ApoG) erlaubt sei. Anders als die Klägerin meint, ist § 24 ApBetrO nicht schon deshalb unanwendbar, weil sie im Besitz einer Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln ist. Darüber, ob ihr Vertriebskonzept tatsächlich dem Versandhandel zuzuordnen ist, mit der Folge, dass – ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – § 24 ApBetrO keine Anwendung findet, besagt die Erlaubnis nämlich nichts.
110 Hier stellt sich das von der Klägerin praktizierte Vertriebskonzept wegen der bei wertender Gesamtbetrachtung zu bejahenden räumlichen Bindung des Abgabevorgangs an ihre Präsenzapotheke nicht als Versandhandel, sondern als Umgehung der Vorgaben des § 24 ApBetrO dar.
111 Vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung bereits OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2016 ‑ 13 B 284/16 -, juris, Rn. 26.
112 a) Die Versandhandelserlaubnis (§ 11a ApoG) ist eine zur allgemeinen Apothekenbetriebserlaubnis hinzutretende zusätzliche Erlaubnis, die die Nutzung des Vertriebsweges „Versandhandel“ für die Medikamentenabgabe ermöglicht.
113 Vgl. Krämer, in: Rixen/Krämer, a.a.O., § 11 ApoG, Rn. 12.
114 Der Vertriebsweg des Versandhandels ist gesetzlich nicht definiert. Grundsätzlich ist der Versandhandel eine Art des Einzelhandels, bei dem die Produkte per Katalog, Prospekt, Internet, Fernsehen oder Vertreter angeboten werden. Die Bestellung der gewünschten Produkte kann mündlich (z. B. per Telefon oder Vertreter), schriftlich (z. B. per Brief oder Fax) oder online getätigt werden. Die bestellte Ware wird vom Verkäufer verschickt und dem Kunden durch Transport- oder Logistikunternehmen geliefert.
115 Vgl. auch BT-Drs. 15/1525, S. 161.
116 Da die Abgabe der Ware nicht in einem Ladenlokal erfolgt, bedarf es einer räumlichen Nähe zwischen Verkäufer und Käufer nicht. Eine solche setzt auch der Versandhandel mit Arzneimitteln nicht voraus. Dem und dem Umstand, dass die Arzneimittel nicht unter Aufsicht des Apothekers in der Präsenzapotheke abgegeben werden, trägt § 11a ApoG Rechnung, indem er Vorgaben aufstellt, die eine sichere und zuverlässige Versendung der Arzneimittel sicherstellen. So ist etwa nach § 11a Ziff. 3 e) ApoG ein System zur Sendungsverfolgung zu unterhalten, nach § 11a Ziff. 3 f) ApoG eine Transportversicherung abzuschließen sowie nach § 11a Ziff. 3 a) ApoG sicherzustellen, dass das Arzneimittel innerhalb von zwei Tagen nach Eingang der Bestellung versandt wird.
117 Ohne den Begriff des Versandhandels abschließend zu definieren, hat das Bundesverwaltungsgericht den Versand über eine Pick-up-Stelle (Bestellungs- und Abholservice für Arzneimittel in einem Drogeriemarkt) in seinem Urteil vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 – unter den Begriff „Versandhandel“ subsumiert. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Bestellvorgangs hat es, wie ausgeführt, die Zulässigkeit von Sammelbestellern als typisches Element des Versandhandels bejaht und hinsichtlich des Abgabevorgangs ausgeführt, der in § 43 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG zugelassene Versandhandel mit Arzneimitteln setze nicht voraus, dass die bestellten Medikamente dem Endverbraucher an seine Adresse zugestellt würden. Der Versand könne auch durch Übersendung an eine in einem Gewerbebetrieb eingerichtete Abholstation erfolgen, in der die Arzneimittelsendungen den Kunden ausgehändigt würden (Rn. 17).
118 Kritisch Meyer, DAZ Spezial 2009, 19; Wesser/ Saalfrank, MedR 2018, 21.
119 Es ist davon auszugehen, dass auch der Gesetzgeber nunmehr dieses weite Begriffsverständnis zu Grunde legt. Zwar war im Referentenentwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) vom 22. Dezember 2010 in Art. 6 Nr. 1 lit. b (S. 15) eine Ergänzung zu § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG vorgesehen, nach der der Versand von Arzneimitteln „unmittelbar an den Endverbraucher … an die der Apotheke benannte individuelle Lieferanschrift" erfolgen muss. Zur Begründung (S. 48) wurde ausgeführt, zur Sicherstellung der Qualität beim Versand und im Interesse einer hohen Patientensicherheit dürfe es keine Sammlung von Rezepten oder Aushändigung von Arzneimitteln beim Versandhandel (sogenanntes „Pick-up-Modell“) außerhalb der Direktzustellung geben. Außerdem sollte ein neuer § 11a Satz 1 Nr. 1a ApoG eingefügt werden (S. 15), nach dem Rezepte nicht außerhalb der Betriebsräume der Apotheke gesammelt werden sollten. Hierzu hieß es (S. 49), die Regelung stelle klar, dass im Versandhandel keine Rezeptsammlung außerhalb der Betriebsräume der Apotheke zulässig sei. Angedacht war lediglich die im Versandhandel notwendige Sammlung von Rezepten in der Apotheke selbst oder in einer behördlich genehmigten Rezeptsammelstelle nach § 24 ApBetrO (S. 49).
120 Dazu auch Meyer, DAZ Spezial 2009, 19.
121 Die beabsichtigten Änderungen von § 11a ApoG haben jedoch keinen Eingang in das Gesetz gefunden. Während der Bundesrat,
122 vgl. BT-Drs. 17/3116, S. 21,
123 im weiteren Gesetzgebungsverfahren zur Erhaltung der sicheren, flächendecken-den und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken ein Verbot der „Pick-up-Stellen" für Arzneimittel in das Gesetz auf-nehmen wollte, lehnte die Bundesregierung dies wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ab.
124 Vgl. BT-Drs. 17/3211, S. 4.
125 b) Das weite Verständnis des Begriffs „Versandhandel“ entbindet nicht von der Verpflichtung, den Abgabevorgang im Wege des Versandes von demjenigen einer Präsenzapotheke abzugrenzen. Maßgebliches Kriterium für das Vorliegen eines Versandhandels ist, wie aus den Ausführungen zu B. I. 2. a) folgt, das Fehlen einer räumlichen Bindung des Abgabevorgangs an die Präsenzapotheke.
126 Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Oktober 2012 – 3 C 25.11 -, juris, Rn. 21, und vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 -, juris, Rn. 25; Wesser/Saalfrank, MedR 2018, 21 (22).
127 Ob eine räumliche Bindung des Abgabevorgangs an die Präsenzapotheke besteht, ist wertend unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines verständigen Dritten (Kunden) zu prüfen.
128 Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 -, juris, Rn. 25, welches auf den „Eindruck“ abstellt, welche das in den Vertrieb eingeschaltete Unternehmen erweckt.
129 Vom Fehlen einer räumlichen Bindung ist regelmäßig auszugehen, wenn die Abgabe der Arzneimittel, d.h. der Übergang der Verfügungsgewalt auf den Kunden, außerhalb der Betriebsräume der Apotheke erfolgt,
130 vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15. März 2012 ‑ 7 B 371/12 -, juris, Rn. 29,
131 und es an einer unmittelbaren Übergabe des Arzneimittels an den Kunden fehlt.
132 Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 – 3 C 27.07 -, juris, Rn. 25: Dem Apotheker ist anstelle der unmittelbaren Übergabe an die Patienten die Versendung gestattet; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 13 B 284/16 -, juris, Rn. 27, in welchem auf den fehlenden persönlichen Kontakt abgestellt wird.
133 Für die Abgrenzung unerheblich sind sonstige Tätigkeiten der Apotheke, weil auch ein Versand nur aus öffentlichen Apotheken erfolgen darf (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG, § 11a Abs. 1 Satz 1 ApoG) und es deshalb hinsichtlich der sonstigen Tätigkeiten dabei bleibt, dass diese in den Apothekenbetriebsräumen stattzufinden haben. Reine Versandapotheken sieht das deutsche Recht nicht vor.
134 Vgl. Kieser, in Kieser/Wesser/Saalfrank, Apothekengesetz, § 11a ApoG (Stand Mai 2017), Rn. 68, 82; Cyran/Rotta, a.a.O., § 17 Rn. 506.
135 Gibt der Apotheker den Abgabevorgang infolge der Beauftragung eines Dritten, den er mit den Transport betraut, aus der Hand, wird insbesondere unter Berücksichtigung der aus § 17 Abs. 2 ApBetrO folgenden Wertung, nach der die Botenzustellung der Präsenzapotheke zuzuordnen ist, weder von einer Abgabe des Arzneimittels in den Apothekenbetriebsräumen noch von einer unmittelbaren Übergabe die Rede sein können.
136 Vgl. zur Abgrenzungsproblematik Botenzustellung – Versandhandel: Pfeil/Pieck/Blume, a.a.O., § 17 Rn. 185 ff.; Cyran/Rotta, a.a.O., § 17 Rn. 448 ff., Krämer, in Rixen/Krämer, a.a.O., § 11a ApoG Rn. 5; Wesser/Saalfrank, MedR 2018, 21; Epping, GRU-Prax 2015, 305.
137 Hiervon unberührt bleibt die Frage, ob Botenzustellungen ausschließlich den Präsenzapotheken vorbehalten sind.
138 Verneinend Hess. VGH, Beschluss vom 15. März 2012 – 7 B 371/12 -, juris, Rn. 29; Kieser/ Buckstegge, A & R 2017, 24.
139 Als ausschließliche oder überwiegende Form der Zustellung von Arzneimittel im Wege eines Versandhandels kommt die Botenzustellung jedenfalls nicht in Betracht. Die Absicht des Gesetzgebers, faire Bedingungen für den Wettbewerb von Versandapotheken mit Präsenzapotheken zu schaffen (BT-Drs. 15/1525 S. 75), würde unterlaufen, wenn sich örtliche Apotheken mit Versandhandelserlaubnis bei der Versorgung von Kunden aus dem Einzugsbereich ihrer Präsenzapotheke entgegen der in §§ 24 und 17 Abs. 2 ApBetrO zum Ausdruck kommenden Wertung auf ihre Versanderlaubnis berufen könnten, um unbeschränkt Rezepte zu sammeln und Botenauslieferungen anzubieten. Für die Zulassung einer solchen Abgabeform besteht auch kein Bedürfnis, weil die Arzneimittelversorgung in ausreichender Weise dadurch sichergestellt ist, dass sich Kunden das Arzneimittel von einer Versandapotheke zusenden lassen oder eine Präsenzapotheke aufsuchen können.
140 b) Hiervon ausgehend ist das Vertriebskonzept der Klägerin bei wertender Betrachtung nicht dem Versandhandel zuzuordnen. Es sieht zwar abstrakt die Möglichkeit vor, Arzneimittel zu versenden und Logistik- oder Transportunternehmen mit der Zustellung von Arzneimitteln zu betrauen. Seine konkrete Ausgestaltung zielt aber tatsächlich darauf ab, Rezepte zielgerichtet nur von Kunden aus dem Einzugsbereich der Apotheke abzugreifen, und diese anschließend ausschließlich durch weisungsabhängiges Personal der Apotheke zu beliefern. Das Angebot der Klägerin richtet sich vornehmlich an Kunden des F. -N. W. bzw. die Bewohner der Stadt I. , insbesondere des Ortsteils I1. , welche dem räumlichen Einzugsbereich der Präsenzapotheke der Klägerin zugeordnet werden können. Das Bestellsystem und die Versandmöglichkeiten sind zielgerichtet auf diesen Kundenkreis zugeschnitten, dies bestätigt nicht zuletzt die von der Klägerin angebotene Möglichkeit, sog. „Q. -Taler“, die als Bonus für die Bestellung von Waren in der Apotheke der Klägerin ausgegeben werden, im F. -N. in I. – I1. einzulösen. Dass der Aufsteller zumindest faktisch auch von anderen Personen zur Bestellung von Arzneimitteln genutzt werden kann, führt zu keiner abweichenden Bewertung, denn es ist realistischer Weise nicht zu erwarten, dass eine Vielzahl von Personen außerhalb der Stadt I. von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Es ist schon zweifelhaft, ob diesem Personenkreis die Möglichkeit zur Nutzung der Rezeptsammelbox überhaupt bekannt ist. Für sie stellt sich der angebotene Versand der Arzneimittel angesichts der nicht unerheblichen Versandkosten auch nicht als ernsthafte Alternative dar. Den vornehmlich in den Blick genommenen Bewohnern I. steht demgegenüber die Übermittlung durch Boten nicht ergänzend, sondern als ausschließliche Zustelloption zur Verfügung. Dies führt dazu, dass die Arzneimittelzustellung für diesen Personenkreis, wie für die Präsenzapotheke typisch, durch einen Botendienst erfolgt, welcher der Weisungs- und Organisationsbefugnis der Klägerin unterliegt. Aus Sicht der Kunden erfolgt die Abgabe der Arzneimittel unmittelbar aus den Räumen der Apotheke der Klägerin. Bestätigt wird die räumliche Anbindung der Sammeleinrichtung an die Präsenzapotheke der Klägerin zudem dadurch, dass die Klägerin auch das Einsammeln der eingeworfenen Verschreibungen, für einen Versandhandel untypisch, ausschließlich selbst übernimmt und auch insoweit den Abgabevorgang nicht aus der Hand gibt. Im Übrigen macht die Klägerin weder an der Einrichtung selbst noch auf ihren ausliegen-den Flyern deutlich, dass die Sammeleinrichtung dem von ihr betriebenen Versandhandel zuzuordnen sein soll. Am Aufsteller sowie auf den Bestellscheinen findet sich kein Hinweis auf die Versandhandelserlaubnis der Klägerin bzw. die Tatsache, dass der Versand der Medikamente im Rahmen ihrer Versandhandelstätigkeit erfolgen soll. Einzig auf den Bestellzetteln ist als Kontaktmöglichkeit die Email-Adresse „bestellshop@Q1. .eu“ angegeben. Dies lässt aber für den Patienten nicht den Rückschluss zu, dass die Klägerin einen Versandhandel für Medikamente betreibt. Ein ausdrücklicher Hinweis auf den angeblichen Bestellshop der Klägerin im Internet findet sich dagegen nicht. Stattdessen betont die Klägerin mit der Aufmachung des Aufstellers, der Bestellscheine sowie der Werbeflyer den räumlichen Bezug der Sammeleinrichtung zu ihrer Präsenzapotheke. So gibt die Klägerin auf den Bestellscheinen sowie dem Aufsteller die Anschriften ihrer drei Apotheken in I. an und wirbt mit dem Slogan „Meine Apotheken“.
141 C. Liegen danach die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Einschreiten der Beklagten vor, weil die Klägerin gegen § 24 ApBetrO verstößt, begegnet die der Beklagten durch § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eingeräumte Ermessensausübung keinen Bedenken. Dabei erweist es sich insbesondere nicht als unverhältnismäßig, dass die Beklagte ihre Untersagungsverfügung erstreckt auf Rezepte für verschreibungspflichtige Arzneimittel, für welche die Kunden die Versandoption gewählt haben. Der Senat geht davon aus, dass das Vertriebskonzept nicht teilbar ist, zumal von Seiten der Klägerin nichts dafür dargetan wurde, dass sie die Belieferung ihrer Kunden außerhalb des Stadtgebiets in unveränderter Weise fortzuführen beabsichtigt.
142 Anders als die Klägerin wohl meint, war die Beklagte auch nicht gehalten, von einer Untersagungsverfügung abzusehen, um Wettbewerbsvorteile ausländischer Versandapotheken auszugleichen.
143 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
144 Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage nach der Zulässigkeit lokaler Rezeptsammlungen und Botenzustellungen im Rahmen einer Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln nach § 11a ApoG, ist von erheblicher praktischer Bedeutung und höchstrichterlich noch nicht geklärt.