Zur Übernahme von Kosten glutenfreier Diätnahrung
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. September 2016

Entscheidungen in Leitsätzen
Az.: L 6 KR 43/14

SGB V § 27 Abs. 1, § 31 Abs. 1 und 5, § 32, § 33 Abs. 1, § 13 Abs. 3; AMG § 2 Abs. 1 und 3, § 4 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 73 Abs. 3; AM-RL § 6, § 19, § 21, § 23, § 20

Leitsatz

Glutenfreie Diätnahrung gehört nicht zum Leistungskatalog des SGB V; ihre fehlende Einbeziehung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme von Mehrkosten für eine glutenfreie Ernährung.

 

Die im November 2002 geborene und bei der Beklagten gesetzlich familienversicherte Klägerin beantragte im September 2010 die Übernahme von Mehrkosten für eine glutenfreie Ernährung, die sich auf ca. 250,00 EUR monatlich beliefen. Aus einem beigefügten ärztlichen Attest vom 13. September 2010 ging die Diagnose Zöliakie hervor; die Klägerin bedürfe lebenslang glutenfreier Diät. Der daraufhin von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt verwies (nach Beiziehung weiterer Unterlagen) unter dem 17. Januar 2011 auf § 6 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL), wonach Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, sogenannte Krankenkost und diätetische Lebensmittel einschließlich Produkten für Säuglinge oder Kleinkinder von der Versorgung nach § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ausgeschlossen seien. Gesetzliche Ausnahmen für die Zöliakie bestünden nicht. Eine lebenslange glutenfreie Diät sei in der Regel nicht mit Mehrkosten verbunden. Eventuell komme eine Übernahme etwaiger Mehrkosten durch kommunale Träger in Betracht.

 

Mit Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenübernahme ab. Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 4. Februar 2011 mit der Begründung Widerspruch, eine glutenfreie Ernährung bedinge sehr wohl Mehrkosten. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

 

Am 19. April 2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben, die von ihr veranschlagten Mehrkosten näher aufgeschlüsselt und die Ansicht vertreten, es liege Vergleichbarkeit mit einer enteralen Ernährung vor, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen würden.

 

Die Beklagte hat gemeint, glutenfreie Lebensmittel gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie seien auch nicht mit einer enteralen Ernährung vergleichbar. Eine solche werde bei Schluckstörungen, onkologischen, neuropsychiatrischen oder Erkrankungen des Stoffwechsels bzw. einer drohenden Mangelernährung verordnet. Nach § 20 Satz 3 AM-RL seien nur solche Diätnahrungsmittel verordnungsfähig, ohne deren Zufuhr schwere geistige oder körperliche Beeinträchtigungen zu befürchten seien und daher eine Intervention mit ergänzenden bilanzierten Diäten medizinisch notwendig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien Kosten für diätetische Nahrung selbst dann nicht zu übernehmen, wenn dadurch der Einsatz enteraler Ernährung vermieden werde. Etwas anderes gelte nur bei einer lebensbedrohlichen Situation (Urteil vom 5. Juli 2005 – B 1 KR 12/03 R – juris). Zudem beschränke sich die Leistungspflicht der Krankenkassen auf Maßnahmen, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten. Mehrkosten und andere Lasten, die der Versicherte wegen der Krankheit im täglichen Leben habe, seien der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen und nicht erstattungsfähig (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 – SozR 3-2500 § 27 Nr. 9).

 

Auf entsprechende Anfrage des SG hat die Klägerin mitgeteilt, sie erfülle weder die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) noch nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII).

 

Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Für das Anliegen der Klägerin existiere keine Anspruchsgrundlage. Glutenfreie Nahrungsmittel zählten weder zu Arznei- noch Heilmitteln, für die ein Versorgungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB V bestehe. Sie seien auch nicht ausnahmsweise als Teil enteraler Ernährung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Diese verfolge nicht das Ziel, den Versicherten umfassend vor krankheitsbedingten Nachteilen zu schützen (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 – a.a.O.).

 

Gegen den ihr am 21. Juli 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. August 2014 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt unter Wiederholung ihres Vorbringens Berufung eingelegt. Sie bringt zum Ausdruck, die Kostenübernahme rechtfertige sich aus der Funktion eines Medikamentenersatzes. Zöliakie sei derzeit nicht medikamentös behandelbar. Würde ein entsprechendes Medikament existieren, wären dessen Kosten von der Beklagten zu übernehmen.

 

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 11. Juli 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab dem 28. September 2010 Mehrkosten für eine glutenfreie Ernährung zu übernehmen.

 

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben.

 

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011 beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie kann von der Beklagten weder zukünftig Versorgung mit glutenfreier Nahrung als Naturalleistung noch für die Vergangenheit Erstattung der ihr insoweit entstandenen Kosten nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V beanspruchen. Auch ein Anspruch auf künftige Kostenfreistellung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V besteht nicht.

 

Die genannten Ansprüche setzten sämtlich insbesondere voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Leistung zu denjenigen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben. Dies ist hier nicht der Fall.

 

Die Klägerin kann zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um ihre Zöliakie zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung der Versicherten mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Glutenfreie Diätnahrung stellt jedoch kein Arzneimittel dar und ist zudem mangels entsprechender Zulassung nicht verordnungsfähig (nachfolgend unter 1.). Auch als Lebensmittel gehört sie nicht zu den Produkten, auf die sich ausnahmsweise die Leistungspflicht der Beklagten erstreckt (dazu unter 2.). Schließlich ist glutenfreie Diätnahrung kein Heil- oder Hilfsmittel (unter 3.). Ihre danach fehlende Einbeziehung in den Leistungskatalog des SGB V verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht (unter 4.).

 

1. Glutenfreie Nahrung ist zunächst nicht als Arzneimittel im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu qualifizieren (ausführlich zur Abgrenzung des Arzneimittel- vom Lebensmittelbegriff BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 31 Nr. 9). Jedenfalls fehlt eine erforderliche Zulassung.

 

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Unter Arzneimitteln sind nach § 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) u.a. solche Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen zu verstehen, die dazu bestimmt sind, durch ihre Anwendung im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Keine Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG Lebensmittel, also alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Danach handelt es sich bei glutenfreier Nahrung statt um Arznei- um Lebensmittel. Diese durch ihren vorrangigen Verwendungszweck (Nahrung) begründete Eigenschaft verliert sie nicht dadurch, dass sie speziell dazu hergestellt ist, eine auf die Krankheit abgestimmte Ernährungsweise zu ermöglichen. Für diese Einordnung spricht auch, dass die entsprechenden Produkte vom Hersteller in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten lebensmitteltypischen Verpackung in den Verkehr gebracht werden und im Einzelhandel erhältlich sind. Eine individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmte Dosisanpassung nach ärztlicher Verordnung erfolgt nicht.

 

Selbst wenn jedoch glutenfreie Diätkost als Arzneimittel angesehen wird, handelt es sich jedenfalls nicht um ein Rezeptur-, sondern um ein Fertigarzneimittel, dem die erforderliche Zulassung fehlt. Nach § 4 Abs. 1 AMG sind Fertigarzneimittel Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. Dies träfe auf glutenfreie Diätnahrung grundsätzlich zu (siehe zuvor). Für Fertigarzneimittel ist nach § 21 Abs. 1 AMG aber eine deutsche oder europäische Zulassung erforderlich. Ohne diese fehlt es an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie (BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 20/10 R – BSGE 109, 218), womit glutenfreie Diätnahrung als Fertigarzneimittel mangels erteilter AMG-Zulassung grundsätzlich nicht in die Leistungspflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V fällt.

 

Schließlich ist auch kein Versorgungsanspruch nach § 73 Abs. 3 AMG (Fertigarzneimittel im Rahmen eines Einzelimports) ersichtlich. Nach dieser Norm kann ausnahmsweise dann eine Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen, wenn es sich um einen Seltenheitsfall handelt oder eine grundrechtsorientierte Auslegung entsprechendes gebietet (siehe nochmals BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 20/10 R – a.a.O.). Beides ist hier nicht gegeben. Zöliakie ist – mit einer Häufigkeit von etwa einer Erkrankung auf 1.100 Personen in Deutschland (siehe www.dzg-online.de/das-krankheitsbild.364.0.html) – schon keine seltene Erkrankung. Ebenso besteht – auch in Würdigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 – SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) – kein Anhalt für die Notwendigkeit einer grundrechtsorientierten Auslegung. So ist schon zweifelhaft, ob allein eine unbehandelte Zöliakie eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit ist. Jedenfalls setzt aber § 73 Abs. 3 AMG u.a. voraus, dass die betreffenden Fertigarzneimittel in dem Staat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden dürfen, aus dem sie in den Geltungsbereich des AMG verbracht werden (BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 20/10 R – siehe zuvor). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass glutenfreie Diätnahrung außerhalb des Geltungsbereichs des AMG als Fertigarzneimittel angesehen wird und zugelassen ist.

 

2. Ist glutenfreie Kost damit nicht als Arznei-, sondern Lebensmittel zu qualifizieren, besteht hierfür nach dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich kein Versorgungsanspruch. Denn die Versorgung mit Lebensmitteln gehört selbst dann nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen, wenn damit therapeutische Nebeneffekte verbunden sind (ständige Rechtsprechung; siehe nur BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 31 Nr. 9). Dies gilt nach § 31 Abs. 5 Satz 1 SGB V nur dann nicht, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB V legt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hierzu in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können. Zu diesen vom GBA in der AM-RL (auch abrufbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1206/AM-RL 2016-02-18 2016-07-01.pdf) festgelegten Ausnahmefällen gehört glutenfreie Kost nicht.

 

Gemäß § 6 Satz 1 AM-RL sind Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, so genannte Krankenkost und diätetische Lebensmittel, einschließlich Produkte für Säuglinge oder Kleinkinder von der Versorgung nach § 27 SGB V ausgeschlossen. Ein Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung besteht unter den Voraussetzungen der §§ 19 bis 23 AM-RL nur dann, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 6 Sätze 2 und 3 AM-RL).

 

Bei der von der Klägerin benötigten glutenfreien Nahrung handelt es sich weder um Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate noch Elementardiäten im Sinne von § 19 Abs. 1 bis 3 AM-RL. Sie stellt auch keine Sondennahrung nach § 19 Abs. 4 bzw. § 23 AM-RL dar. Hierunter fallen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, die bei einer individuell gewählten Zusammensetzung und Dosierung als einzige Nahrungsquelle zur Ernährung über die Sonde bestimmt sind. Die hier streitige glutenfreie Diätnahrung ist nach der Art ihrer Herstellung dazu nicht geeignet. Abgesehen davon unterscheidet sie sich nach der Art und Weise der mit ihr verbundenen Nahrungsaufnahme nicht von anderen Nahrungsmitten, die in Lebensmittelgeschäften angeboten werden. Die Klägerin benötigt aufgrund ihrer Erkrankung zudem keine Sondennahrung.

 

Es besteht auch keine Vergleichbarkeit mit Fällen medizinisch notwendiger enteraler Ernährung nach § 21 Abs. 1 AM-RL. Hiernach ist enterale Ernährung bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden normalen Ernährung verordnungsfähig, wenn eine Modifizierung der normalen Ernährung oder sonstige ärztliche, pflegerische oder ernährungstherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation nicht ausreichen. Versicherte, die dementsprechend eine Trink- oder Sondennahrung benötigen, befinden sich regelmäßig in einem bis zur Hilflosigkeit reichenden Zustand der gesteigerten Abhängigkeit von künstlicher Ernährung. Zugleich ist diese Art der Nahrungszuführung in der Regel in einen speziellen medizinisch-technischen Behandlungskontext eingebettet, der eine natürliche Nahrungsaufnahme ganz oder teilweise ausschließt.

 

Glutenfreie Nahrung beinhaltet auch keine ergänzende bilanzierte Diät nach § 20 Satz 3 AM-RL zur Behandlung von angeborenen, seltenen Defekten im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel und anderen diätpflichtigen Erkrankungen, die unbehandelt zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen und bei denen eine diätetische Intervention mit ergänzenden bilanzierten Diäten medizinisch notwendig ist. Der Begriff der ergänzenden bilanzierten Diäten nach § 20 Satz 3 AM-RL knüpft an § 31 Abs. 5 Satz 1 SGB V an und verweist in der Sache auf § 1 Abs. 4a der Verordnung über diätetische Lebensmittel – DiätV (in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. April 2005 [BGBl. I S. 1161], die zuletzt durch Art. 60 der Verordnung vom 31. August 2015 [BGBl. I S. 1474] geändert worden ist). Nach § 1 Abs. 4a Satz 1 DiätV sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) hergestellte Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen (§ 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV).

 

Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin begehrte glutenfreie Nahrung nicht. Sie wird schon nicht als bilanzierte Diät in Verkehr gebracht. Nach § 21 Abs. 1 DiätV ist für bilanzierte Diäten die Bezeichnung "Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät)" Verkehrsbezeichnung im Sinne der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung. Sie dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie die Angaben nach Maßgabe des § 21 Abs. 2 Satz 2 DiätV enthalten. Daran fehlt es. Eine Bezeichnung als glutenfreie Diätnahrung reicht hierfür nicht aus. Ungeachtet dessen spricht nichts dafür, dass glutenfreie Diätnahrung der teilweisen Ernährung von Patienten dient, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen, wie es § 1 Abs. 4a Satz 2 letzter Halbsatz DiätV voraussetzt. Dieses Erfordernis spiegelt sich in den Gesetzesmaterialien zu § 31 Abs. 5 SGB V wider, wonach etwa glutenfreie Spezialmehle, lactosefreie Milchprodukte, phenylalaninfreie Fertigprodukte und andere entsprechende Lebensmittel grundsätzlich nicht verordnungsfähig sind (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 20/10 R – BSGE 109, 218, unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/10609 S. 51). Es bleibt damit weiterhin dabei, dass die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, so genannter Krankenkost und anderen diätetischen Lebensmitteln als bilanzierten Diäten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist (ebenso § 18 Abs. 1 Satz 3 AM-RL in der Fassung des Beschlusses des GBA vom 20. November 2014 – Bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung / Anlage XIII zur AM-RL, BAnz AT 17. Dezember 2014 B6).

 

3. Glutenfreie Lebensmittel sind auch keine Heil- oder Hilfsmittel.

 

Heilmittel im Sinne von § 32 SGB V sind alle ärztlich verordneten Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen (siehe nur BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 31 Nr. 9). Glutenfreie Diätnahrung wird nicht als Dienstleistung verordnet, sondern als Lebensmittel verabreicht. Ebenso wenig stellt sie ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V dar. Hilfsmittel sind alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandhaltung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel. Glutenfreie Diätnahrung ließe sich zwar noch als sächlicher Gebrauchsgegenstand verstehen, der die Funktion hat, zöliakiebedingte Gesundheitsschäden zu vermeiden und dadurch den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern. Eine solche Gesetzesinterpretation würde aber die Systematik vernachlässigen, nach der Arzneimittel, Ernährungstherapien, Nahrungsergänzungsmittel und Nahrungsmittel in § 31 SGB V einer eigenständigen Regelung unterworfen sind (siehe oben unter 1. und 2.).

 

4. Die fehlende Einbeziehung glutenfreier Lebensmittel in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, die nicht die Qualität von bilanzierten Diäten aufweisen, verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. hierzu nochmals BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 20/10 R – BSGE 109, 218). Die Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Es ist dem Gesetzgeber also unbenommen, Lebensmittel grundsätzlich aus dem Leistungskatalog des SGB V auszuklammern und damit dem Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zuzuweisen, mag hierfür auch krankheitsbedingt ein Mehraufwand anfallen. Ist ein Versicherter wirtschaftlich nicht hinreichend leistungsfähig, sich selbst mit der erforderlichen Diätnahrung zu versorgen, kommen statt Ansprüche nach dem SGB V solche nach § 21 Abs. 5 SGB II bzw. § 30 Abs. 5 SGB XII in Betracht.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, weil es sich um eine Entscheidung aufgrund tatsächlicher Würdigung auf rechtlich nicht umstrittener Grundlage handelt.